1900 – Novecento

1900 - Novecento BluRay

Novecento ist ein Historiendrama von Bernardo Bertolucci von 1976 mit Robert de Niro und Gerard Depardieu in den Hauptrollen.

Kurz nach 1900 in Norditalien auf dem Gut des alten Berlinghieri (Burt Lancaster). Es kommen zur Welt sein Sohn Alfredo, sowie Olmo, Sohn seines lang gedienten Mitarbeiters Leo Dalco (Sterling Hayden) dessen Familie seit Generationen das Gut bewirtschaftet. Die beiden Jungen könnten unterschiedlicher in Herkunft und Erziehung nicht sein, aber doch verbindet die beiden eine innige Freundschaft, die zuerst vom Ersten Weltkrieg und der anschließenden Wirtschaftskrise, und dann vom Aufstieg der Faschisten Italien, gestört wird. Olmo (Gerard Depardieu) dient im ersten Weltkrieg an der Front, der großbürgerliche Alfredo (Robert de Niro) wird vom Kriegsdienst verschont und wächst behütet auf dem Gut auf, soll dieses irgendwann übernehmen. Die Erfahrungen die Olmo in seinem Leben macht, prägen ihn sozialistisch. Er bekommt mit wie die Großgrundbesitzer die Landarbeiter ausbeuten, die Polizei instrumentalisieren und auf die daraus entstehenden Unruhen mit Unterstützung der ordnungversprechenden Faschisten reagieren. Alfredo hingegen ist naiv und blickt nicht über den Tellerrand, die gesellschaftlichen Spannungen und die Gräben, die der Zweite Weltkrieg aufreißt, versucht er auszublenden. Die Faschisten, angeführt in seiner Gegend von seinem brutalen Vorarbeiter Attila (Donald Sutherland) und seiner Tante Regina (Laura Betti) lässt er gewähren, aus Angst es sich mit ihnen zu verscherzen. Er amüsiert sich lieber, will heiraten. Der Terror der Faschisten und deren Rückhalt im Großbürgertum soll sich im Zuge der Befreiung Italiens durch die Alliierten wenden… 

1900 - Novecento BluRay

Die hier vorliegende vollständige europäische Version ist über 5h lang (311min) und ist auf zwei Episoden aufgeteilt. Damals kam der Film in den USA mit einigen Kürzungen heraus (immerhin noch 4h) und konnte dort erst in den 90ern auf Video in seiner ungekürzten Pracht gesehen werden. Die Bluray präsentiert die Version der 4K-Neuabtastung und Restauration durch die Cineteca di Bologna, die man auch schon auf der britischen Scheibe erstehen konnte vor einer Weile. Das „Meisterwerk“ war kein kommerzieller Erfolg, lief viele Millionen über Budget, und hatte es in einer Zeit sehr schwer, in der auch andere überlange Epen an den Kinokassen floppten oder gar Studios ruinierten (z.B. Heaven’s Gate, Es war einmal in Amerika, usw.).

Es ist ein opulenter Wälzer von einem Film, der etwa 50 Jahre italienischer Geschichte umspannt und aus der Perspektive zweier gesellschaftlicher Klassen erzählt, exemplarisch an Olmo und Alfredo. Die beiden jungen Mimen de Niro und Depardieu waren zu dem Zeitpunkt noch lange keine Superstars, kommerziell tragen konnten den Film auch nicht die Stars in einigen Nebenrollen, wie Burt Lancaster oder Sterling Hayden. Die gruselige Performance von Donald Sutherland ist zwar eingängig, aber auch abstoßend. Der Soundtrack von Ennio Morricone ist legendär, gehört aber meines Erachtens nicht zu seinen besten. Insgesamt leidet Novecento sicherlich unter seiner erdrückenden Länge, damals wie heute, auch wenn die Spielzeit im Heimkino deutlich erträglicher sein dürfte als auf einem unbequemen Kinosessel.

1900 - Novecento BluRay

Ich fand 1900, und finde ihn auch heute noch, lang. Zu lang, um genau zu sein. Ich habe generell kein Problem mit großen Epen. Was heutzutage eine Serie bei Netflix wird, bekam damals einfach Finanzierung und ging meist ohne viel Reibens an den Produzenten vorbei auf die Leinwand, es gab ja Nachfrage dafür. Aber schon damals bröckelte das ja zusehens. Man muss es Bertolucci hoch anrechnen dass er dieses monumentale Werk so durchzog und zwar auf eine Art und Weise, wie man sie sonst wohl nicht gemacht hätte. Immerhin ist der Film kein reinrassiger Historienfilm, denn er schleicht sich um Politik und Geschichte herum während er das Weltgeschehen doch überraschend Stur aus der limitierten Perspektive einiger „Landeier“ erzählt muss man fast sagen. Das ist insbesondere für ein nicht-italienisches Publikum natürlich anspruchsvoller.

De Niro konnte hier absolut glänzen. Man sieht ihn durch die Szenen tänzeln, noch nichts von der jugendlichen Frische aus Mean Streets eingebüßt. Der Kontrast zu Sutherland könnte größer nicht sein, der mit methodischer Bosheit einen Charakter spielt, der… Depardieu hingegen ist die Figur mit der man sich am meisten identifzieren kann, er ist der Charakter mit Herz (für Bertolucci natürlich auch derjenige mit dem richtigen politischen Kompass) – und hier ergibt sich das meiste an Kontext auch schon in den Darstellern: der gute Olmo, der unterdrückte Sozialismus, verliert seinen naiven bürgerlichen liberalen Bruder Alfredo um ein Haar an dessen Liebäugelei mit dem fiesen Faschismus in Person von Attila. Die diversen Nuancen, die sich aus diesem Dreieck ergeben ziehen sich bis Ende durch und lassen sich auf die schnelle nicht darlegen. Beispielhaft erkennt man aber darin Bertoluccis Versuch, aus dem Charakterdrama etwas mehr zu machen als was man auf der Leindwand zu sehen kriegt: ist Alfredo etwa das innerlich zerrissene Italien? Soll Attilla die dunkle Vergangenheit, Olmo die glänzende Zukunft darstellen? Und so weiter.

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Als Film funktioniert Novecento, aber er könnte auch mit kürzerer Laufzeit funktionieren, und das wussten auch die Verleihfirmen damals. Ich glaube nur nicht, das die Art und Weise wie man den Film gekürzt hat die beste war. Bertolucci verliert sich in so vielen Phasen seiner Geschichte in unwichtigen Details, ruht sich viele Minuten lang in Szenen aus die für einen Dokumentarfilm noch zu langweilig gewesen wären. Er hätte den Film wohl mit etwas mehr Mut und Klarheit in seiner Vision damals vermutlich selbst um mindestens 1/3 kürzen können, und hätte damit wohl sogar noch Wirkung verstärkt. So muss ich jedenfalls sagen, nach all den Jahren, es ist nach wie vor ein unvolkommender Film. Beeindruckend in seiner Detailverliebtheit und seinem Anspruch, aber enttäuschend in seiner Präzision und seinem Unterhaltungswert. Man opfert im Wesentlichen diesem Film einen ganzen Tag, das kann man wenn überhaupt nur alle 10 Jahre machen – Sergio Leone zeigt dass es anders geht, seine Filme sind von ganz anderem Kaliber.

1900 - Novecento BluRay

Was dem Film ansonsten natürlich noch positiv zu Gute kommt ist ein solider, aber meines Erachtens nicht wegweisender, Score von Ennio Morricone, und die Kameraarbeit von Vittorio Storaro (Apocalypse Now, The Possessed), meines Erachtens aber nicht eine seiner besten. Auch in dieser Fassung, die immerhin sauber restauriert wurde, erkennt man nicht diese visuelle Genialität vieler anderer seiner Werke. Dennoch ist, und das wäre mein abschließendes Wort zu 1900, dies ein epochaler, meisterhafter Film, ein bewundernswerter künstlerischer Wurf. Nicht immer besonders zugänglich, sicherlich zäh und lange, aber erinnernswert.

1900 - Novecento BluRay

Die BluRay bietet den Ton auf Deutsch, Italienisch und Englisch. Deutsche Untertitel optional. Die Restauration umfasste (das wird auch in der Texttafel zu Filmstart erwähnt) die Tonspur, aber ob alle drei Sprachen restauriert wurden kann ich gerade nicht sagen. Rein subjektiv klingt die italienische Spur am besten, die englische (in der ich den Film komplett nochmal gesehen habe) am zweitbesten, und die deutsche am drittbesten. Etwas blecherner klang bei Englisch an manchen Momenten, etwas leise und flach die Deutsche….. Das Bild sieht fantastisch aus. Es ist die neue 4K-Restaurierung der Cineteca di Bologna. Es sind farbenfrohe Bilder, schön scharfe Aufgnahmen und tolle Kontraste. Die Aufnahmen sehen wie Gemälde aus und man sieht dass Bertolucci doch ein gutes Augue hatte um dieses Epoche einzufangen. Gleichwohl (das legt auch ein Screenshot-Vergleich nahe den wir ganz am Seitenende verlinken, der Artikel diskutiert dies auf Französisch) wird man hier tendenziell eine leichte Vergilbung feststellen, während die 2000er Digitalisierung des Films eher oftmals leicht rosa und ansonsten meist sehr farblos daherkam. Restaurationen sind wie immer keine Absolutismen.

An Extras gibt es auf den zwei Film-BluRays jeweils Kinotrailer und Bildergalerien. Auf Scheibe 3 gibt es dann eine ganze Reihe and hervorragenden Dreingaben. Die Making Of-Dokumentation „Das Kino nach Bertolucci“ (ca. 63 Min., deutsche Untertitel) ist ein Misch aus seltenen Aufnahmen vom Dreh und Interviews, immerhin gibt es Behind-the-Scenes Dokus von älteren Filmen eher selten, auch wenn Handkameras schon verfügbar waren. Die hier bietet einen sehr tiefgehenden Einblick in den Dreh des Films, aber eher aus einer objektiven Distanz, weniger investigativ oder gar mit einer Struktur, aber es ist essayistisch, es versucht Bertolucci zu entlocken was ihmzufolge Kino ausmacht. „1900 – The Story, The Cast“ geht 13 Minuten und darin erklärt Bertolucci ein wenig die Ursprünge des Films und dann wie er zu den Schauspielern kam. Das hat ein paar Jahre auf dem Buckel, denn am Ende wird ein Copyright von Paramount aus dem Jahr 2006 eingeblendet. Das gilt auch für „1900 – Creating an Epic“ (auch 13 Minuten), übrigens produziert von Laurent Bouzereau (der Kennern von Making-Ofs und Filmbüchern ein Begriff sein sollte), indem Bertolucci und Storaro die Entstehung des Films chroniken und ein wenig auf dieses Mammutvorhaben genauer eingehen, auch ein klein wenig von der technischen Seite.

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Hinzu gesellen sich etwa zweieinhalb Stunden an Interviews. Das kürzeste, mit 8 Minuten, ist ein relativ aktuelles (von 2018) mit Robert de Niro das für die französische Sammleredition aufgenommen wurde. Das mit Bertolucci ist fast 40 Minuten lang und ebenfalls sehr aktuell – auf französisch geführt und ebenfalls eine Produktion für die französische BluRay. Gleiches gilt für das mit Sutherland. Es dauert etwa 18 Minuten und ist voller interessanter Erinnerungen über die Herleitung seines unbequemen Charakters. Vittorio Storaro ließ sich für ganze 50 Minuten hierfür interviewen, inklusive eines Plädoyers für einen verantwortlichen Umgang mit dem Filmerbe. Dazu passt letztlich ganz gut das Interview mit dem für die Restoration des Films zuständigen Gian Luca Farnelli (32 Minuten), der auch etwas auf Paramounts Umfang mit dem Film damals eingeht. Dazu gibt es auch ein paar Vergleichaufnahmen zwischen der 2000er Restauration und der neuen 4K Abtastung von 2017 die dieser BluRay zugrunde liegt und er als die definitive Version bezeichnet, nicht nur aus technischen Gründen sondern auch da alle hinter dieser Restauration standen: Fox und Paramount, Bertolucci, Grimaldi, das italienische Filmarchiv, etc. Ein sehr interessantes Interview wenn man mehr zum Restaurationaspekt wissen möchte, meines Erachtens fast das inhaltlich spannendste Extra dieser Edition.

Die vierte Disc dieser Limited Collectors Edition ist schließlich der Soundtrack auf CD, der stand mir aber für diese Besprechung nicht zur Verfügung. Das umfangreiche Booklet mit Texten von Daniel Wagner auch nicht. Insgesamt ein großartiges Paket eines großartigen Films. Da kann man getrost zugreifen.

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1900 Novecento

Die BluRay wurde uns freundlicherweise von Koch Films zur Verfügung gestellt. Die hier verwendeten Screenshots sind komprimiert und entstammen der französischen BluRay, dank an retro-hd.com

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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Eine Antwort

  1. Frank Hillemann sagt:

    Als ich den Film das erste Mal gesehen habe, war ich schwer beeindruckt. Auch von den Nacktszenen von de Niro und Depardieu 😄👍. Allerdings ist von den Epen, natürlich ganz andere Story, “ Es war einmal in Amerika „, der wesentlich bessere Film und bei Umfragen fast immer meine Nr.1 der Lieblingsfilme.