Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen / No il caso è felicemente risolto / No, the Case Is Happily Resolved

Fabio Santamaria führt ein normales bürgerliches Leben ohne nennenswerte Ereignisse. Angeln und Fußball gehören zu den Freizeitbeschäftigungen des Familienvaters. Doch sein Alltag ändert sich schlagartig, als er bei einem Ausflug aufs Land Zeuge eines brutalen Verbrechens wird: In einem Schilfhain schlägt ein Mann wie von Sinnen auf eine junge Frau ein, bis sie tot zusammenbricht. Der Mörder, der sich als der gutsituierte Professore Eduardo Ranieri entpuppt, macht bei der Polizei Santamaria für die grausame Tat verantwortlich. Dem Beschuldigten bleibt nur die Flucht nach vorn, doch mit jedem Schritt zieht sich der Strick nur noch weiter um seinen Hals… (Camera Obscura)

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!
Fabio Santamaria wird beim Angeln am Bracciano-See bei Rom Zeuge eines brutalen Mordes und sieht sich anschließend dem Wahnsinnigen gegenüber. Zuerst will er zur Polizei gehen, dann ändert er jedoch seine Meinung aus Angst vor dem Ärger, dem er Aufgrund Dessen begegnen könnte. Der Mörder, der arglose Gymnasiallehrer Eduardo Ranieri, geht unterdessen selbst zur Polizei, gibt sich als Augenzeuge aus und bezeichnet den Täter als einen Mann mit Fabios Aussehen. Als Fabio sein Phantombild in den Zeitungen sieht, versucht er zunächst, sein Aussehen zu ändern – er rasiert seinen Schnurrbart ab, trägt eine Sonnenbrille – und lässt sein Auto neu lackieren. Zufällig läuft ihm eines Tages Ranieri über den Weg, dem er nun nach Hause folgt. Schließlich beschließt Fabio, der Polizei die Wahrheit zu sagen, doch er wird wiederum belastet und zu 24 Jahren Haft verurteilt. Ein Journalist namens Giannoli, der Ranieri die ganze Zeit über verdächtigt hatte, beginnt nun auf eigene Faust zu ermitteln, kann jedoch keine Beweise für Ranieris Schuld finden. Erst mit dem Geständnis des Mörders sowie dessen Selbstmord wird Fabio schließlich freigelassen.

Für sein Solo-Filmdebüt als Regisseur, nachdem er bei Ernesto Gastaldis Gothic-Mystery Libido (1965) Regieassistent gewesen war, wählte Enrico Maria Salernos Bruder Vittorio ein Thema aus, das viel mit dem „engagierten“ italienischen Kino gemein hat. Die Geschichte – der junge und naive Fabio (Enzo Cerusico) wird Zeuge eines brutalen Mordes, doch anstatt die Tat anzuzeigen, begeht er einen Fehler nach dem anderen, während der wahre Mörder (Riccardo Cucciolla) sein Bestes tut, um ihn zu verleumden, bis er schließlich eingesperrt und wegen eines Verbrechens verurteilt wird, das er gar nicht begangen hat – wurde von Augusto Finocchi verfasst, einem 60-jährigen pensionierten Eisenbahner mit Leidenschaft fürs Kino, der zuvor eine Reihe von interessanten Italo-Western geschrieben hatte. Insbesondere Giorgio Ferronis Per pochi dollari ancora (Tampeko – Ein Dollar hat zwei Seiten, 1966), Wanted (Wanted – Für drei lumpige Dollar, 1966) und Il pistolero segnato da dio (Gunman Sent by God, 1968), Maurizio Lucidis La più grande rapina del west (Ein Hallelujah für Django, 1967), Gianfrancos Baldanellos Black Jack (Auf die Knie, Django, 1968), Enzo G. Castellaris Vado… l’ammazzo e torno (Leg ihn um, Django, 1968) und Paolo Cavaras Los Amigos (Das Lied von Mord und Totschlag, 1973) erweisen sich dabei als erwähnenswert.

Die Handlung präsentiert das italienische Gefängnis- und Justizsystem genauso, wie Nanni Loys Detenuto in attesa di giudizio (In den Fängen der Justiz, 1971) mit Alberto Sordi in der Hauptrolle. No il caso è felicemente risolto arbeitet die Grundgeschichte des Unschuldigen, der von widrigen Umständen erdrückt wird, allerdings als Thriller auf. Der Mord der Eröffnungsszene stellt einen schockierenden Moment dar, der ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Mörder und dem Augenzeugen entfacht, das manchmal an eine pervers schikanierte Sichtweise des Subgenres erinnert, in dessen Mittelpunkt Privatpersonen die Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen. Salerno war mit der Sequenz nicht allzu zufrieden, denn er fand sie sei schlecht gedreht worden, da das Publikum nur einen flüchtigen Blick auf das Geschehen erhaschen sowie die Schreie des Mädchens hören sollte. Es sollte allerdings nicht dabei zusehen, wie oft es geschlagen wird. Er habe es nicht geschafft, die Szene so zu drehen, wie er es wollte, weil er im Zeitplan bleiben musste, berichtete er einmal in einem Interview. Salerno inszenierte jedoch eine beeindruckende Szene, in der die Polizei die tote Prostituierte nachts in einem Maisfeld findet, wobei der Körper des Opfers zeitweise von Kamerablitzen erleuchtet wird.

Die Konfrontation zwischen dem naiven Kleinbürger Fabio und dem kultivierten Sexwahnsinnigen Ranieri vermittelt zudem einen Hauch von Gesellschaftskritik. Als Fabio mit dem Mörder konfrontiert wird, verhält er sich ihm gegenüber genauso servil wie die typischen Charaktere der commedia all’italiana es vor ihren Chefs tun und somit zu „willigen Opfern“ werden, wie es Pier Paolo Pasolini in seinem letzten Film Salò o le 120 giornate di Sodoma (Die 120 Tage von Sodom, 1975) bravourös synthetisieren sollte. Wie in ähnlichen politischen Pamphleten wird die Strafverfolgung aus Fabios Sicht als distanzierte und bedrohliche Einheit dargestellt, die ein Misstrauen gegenüber Recht und Ordnung vermittelt, was für das italienische Kino auch typisch ist. Da sich die Behörden unwiederbringlich obszön verhalten, wird die deux ex machina des Films – in einer kuriosen Umkehrung von Klischees – von einem klugen älteren Journalisten (gespielt von Enrico Maria Salerno) repräsentiert.

Trotz seiner Ambitionen funktioniert Salernos Film als packende und masochistisch hartgesottene Allegorie, die stark von einer brillanten Besetzung profitiert: Cerusico, ein natürlich sympathischer Schauspieler mit jungenhaftem Aussehen, der dank seiner Rolle des Tony Novello in der NBC-Serie The Danny Thomas Hour (1967-1968) und deren Nachfolger My Friend Tony (1969) internationale Bekanntheit erlangte, bringt die dringend benötigte Empathie in eine undankbare Rolle ein. Als Fabio gelingt es Cerusico in einem Part glaubwürdig rüberzukommen, welcher die Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit des Zuschauers oft bis an die Grenze ausreizt, während Cucciolla – ein Schauspieler, der Karriere gemacht hat, indem er sich an Opfern der Gesellschaft versuchte, so wie in Giuliano Montaldos Sacco und Vanzetti (1971) – intelligenterweise gegen seinen Typus besetzt wurde. Ein Schachzug, den Mario Bava in seinem wunderbaren Cani arrabbiati (Wild Dogs, 1974) wiederholen sollte.

Nichtsdestotrotz leidet No il caso è felicemente risolto unter einer Reihe von Ungereimtheiten und losen Enden, die im etwas überstürzten dritten Akt deutlich zum Vorschein treten. Ganz zu schweigen von einem Happy End, das in letzter Minute noch nachgeschoben wurde: In Salernos Originalfassung wird Fabio zu 24 Jahren Zuchthaus verurteilt und obwohl Don Peppino, der Journalist, den wahren Täter hinter Ranieri vermutet, kann er leider keine Beweise vorlegen, um ihn überführen zu können. Da die Vertriebsgesellschaft Jumbo davon überzeugt war, das Publikum würde keinen Film akzeptieren, in dem ein Unschuldiger verurteilt wird und noch dazu einer mit Cerusicos freundlichem Aussehen, musste das Ende schließlich geändert werden. Letztendlich gesteht Ranieri seine Tat und begeht Selbstmord, worauf Fabio freigelassen werden muss.

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.85:1, 16:9 – 1.77:1
  • Alterseinstufung:‎ Nicht geprüft
  • Regisseur: ‎Salerno, Vittorio
  • Laufzeit: 1 Stunde und 34 Minuten
  • Darsteller: Cerusico, Enzo, Salerno, Enrico Maria, Cucciolla, Riccardo, Brochard, Martine, Raho, Umberto
  • Untertitel: ‎Englisch, Deutsch
  • Sprache: ‎Italienisch (Dolby Digital 2.0 Mono), Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
  • Studio: ‎Camera Obscura

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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