Blood In Blood Out – Verschworen auf Leben und Tod / Bound by Honor

Nur der Starke überlebt. Gangs und Banden regieren, es herrscht das Gesetz der Straße. Diese Lektion haben die Freunde Miklo, Paco und Cruz, Mitglieder der „Vatos Locos“, früh gelernt. Mit Blut haben sie ihren Bund besiegelt. Aber das Leben weist jeden an seinen Platz: Polizist, Dealer, Junkie. Doch so unterschiedlich ihre Karrieren verlaufen, so fortdauernd sind die Bande des Blutes… (Hollywood Pictures)

Blood In Blood Out stellt nicht nur einen weiteren Ghetto-Film dar, der sich um Gangs, das Leben in der Hood sowie im Gefängnis dreht, sondern repräsentiert noch so sehr viel mehr als „nur“ das. Der Film gibt seinem Publikum Aufschluss darüber, wie es sich angefühlt haben muss (und sich eventuell noch immer anfühlt), ein Chicano in den U.S.A. der siebziger und achtziger Jahre zu sein. Der Begriff Chicano hat sich inzwischen in den Term Hispanic oder Latino umgewandelt. Wer sich mit dieser Terminologie etwas ausführlicher auseinandersetzen möchte, sollte den obigen Link anklicken. Die Geschichte, die man in Blood In Blood Out praktisch miterleben kann, könnte allerdings auch von jeder anderen Minderheit in jedem anderen Land der Welt handeln. Der Film überwindet mühelos alle Sprachbarrieren und ist definitiv universeller Natur.

Man sollte auch wissen, dass Blood In Blood Out – oder Bound by Honor, wie der Streifen nach den sogenannten „L.A. Aufständen“ von 1992 umbenannt werden musste – auf wahren Begebenheiten basiert. Jimmy Santiago Baca schrieb das Drehbuch beruhend auf seinen eigenen Gefängniserfahrungen und seiner Zeit als Mitglied einer Gang. Dies fügt dem Plot, der sich sowieso schon verdammt authentisch anfühlt, eine weitere Ebene von Authentizität hinzu. Nun, es gibt etwas diesen Flick betreffend, das den einen oder anderen bereits vorm Einlegen der Disc abschrecken könnte und das ist seine Laufzeit. Ja genau, ca. drei Stunden können sich wie eine Ewigkeit anfühlen, doch wenn man die letzten Minuten von Blood In Blood Out erreicht hat, wird man sogar noch mehr wollen. Man wird die fünfstündige Originalversion sehen wollen, in der detailliert beschrieben wird, was mit Montanas Tochter geschieht und wie sich der Kreis um unsere drei Hauptprotagonisten letztendlich endgültig schließt.

Wir schreiben das Jahr 1972 und der 17-jährige Miklo Vekla (Damian Chapa) ist gerade in Los Angeles angekommen. Nach einem Streit mit seinem weißen sowie rassistischen Vater hat er beschlossen bei seiner mexikanischen Mutter (Jenny Gago) in seinem alten Viertel zu leben. Dort wird er von seinen Cousins und Kindheitsfreunden Paco (Benjamin Bratt) und Cruz (Jesse Borrego) begrüßt. Und so beginnt für die drei das Abenteuer, das man Leben nennt. Während die Geschichte in den siebziger Jahren spielt, wurde der Film in den neunziger Jahren gedreht, was ihm einen sehr unverwechselbaren Look sowie ein authentisches Gefühl verleiht. Der Film deckt den dreißigjährigen Zeitraum von zunehmender Bandengewalt in Verbindung mit einem enormen Anstieg des Drogenkonsums ab. Der Wechsel des Titels von Blood In Blood Out zu Bound by Honor stellt, wie bereits erwähnt, eine direkte Folge der L.A. Riots dar. Außerdem gab es auch noch Überschneidungen mit einem anderen ähnlichen Film, American Me (Das Gesetz der Gewalt, 1992), doch diese Geschichte heben wir uns für ein anderes Mal auf. Momentan versuchen wir ganz einfach unsere Leserschaft dazu zu verleiten, sich dieses Meisterwerk anzusehen. Ein Meisterwerk, das weltweiten Kultstatus erlangte.

Bei Blood In Blood Out handelt es sich (wie auch bereits erwähnt) nicht nur um einen Ghetto- und Gangster-Film, sondern auch noch um einen verdammt guten Gefängnisfilm, da ein Großteil der Geschichte im Staatsgefängnis von San Quentin spielt, wo auch gedreht wurde. Der Aufseher (Dan Vasquez), der im Film mit Big Al (Lanny Flaherty) Geschäfte macht, war zu der Zeit wirklich ein Aufseher in San Quentin und kein Schauspieler! Überwältigt von der Authentizität des Drehbuchs kümmerte er sich schnell um die notwendigen Genehmigungen und schloss sich der Produktion als Schauspieler an. Danny Trejo (der hier den Insassen Geronimo verkörpert) hat dort tatsächlich einige Zeit abgesessen, bevor er seine Karriere als Schauspieler begann. Insgesamt verbrachte er elf Jahre seines Lebens in diversen „Besserungsanstalten“ für bewaffneten Raubüberfall und etliche Drogendelikte. Während seiner Zeit in San Quentin gewann er einige Boxtitel im Leicht- sowie Weltergewicht. Ein Gefängnisinsasse ist 30.000 Dollar pro Jahr wert, wovon das System enorm profitiert, was mittlerweile zu einer ganzen Industrie von Privatgefängnissen geführt hat, die selbstverständlich alle ausgelastet sein müssen, damit sich der Aufwand für die Betreiber auch richtig lohnt. All dies geschieht natürlich in dem Land mit der weltweit größten Population an Insassen, die hauptsächlich aus „Schwarzen“ und „Braunen“ besteht. Aber auch dies soll nur kurz am Rande Erwähnung finden.

Blood In Blood Out kann auch als ein sehr künstlerischer Film angesehen werden, der wunderschön gedreht und geschnitten worden ist. Das Publikum bekommt hier nämlich die Möglichkeit geboten großartige Kunstwerke von Adan Hernandez sowie die gesamte Straßenkunst aus dieser Zeit bewundern zu können. Was uns zu den Charakteren bringt, denn darunter befindet sich auch der talentierte Künstler Cruz, der wie alle Hauptprotagonisten darum kämpft, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Leider wird er bei einem Überfall der verfeindeten Gang Tres Puntos schwer am Rücken verletzt und versucht seine Schmerzen fortan mit Heroin zu betäuben. Der Rest der Vatos Locos will sich für diese Tat an ihren Feinden natürlich rächen, was dazu führt, dass Paco letztendlich zwischen Gefängnis und Militär wählen muss und Miklo (der gerade auf Bewährung ist) wegen Mordes an Spider, dem Anführer der Tres Puntos, in San Quentin inhaftiert wird. Von diesem Punkt an entwickeln sich die Leben unserer drei Hauptprotagonisten in grundverschiedene Richtungen weiter. Cruz wird zunächst zu einem sehr erfolgreichen aber enorm drogenabhängigen Künstler, Paco geht nach seiner Zeit beim Militär zur Drogenfahndung und Miklo beginnt im Gefängnis eine beispiellose Verbrecherkarriere. Diese drei Rollen sind so vielfältig und glaubwürdig angelegt worden, sodass man am Ende des Films doch tatsächlich das Gefühl hat, diese drei Charaktere bestens zu kennen. Die gesamte Stimmung rund um Blood In Blood Out ist bodenständiger Natur und konzentriert sich hauptsächlich darauf, die wahre Geschichte ohne Übertreibungen zu erzählen. Im Gegensatz zu einigen ähnlich gearteten Flicks wie Scarface (1983) oder Carlito’s Way, der ebenfalls 1993 herauskam.

Bereits von der Eröffnungssequenz an wird Blood In Blood Out die Bühne für eine Geschichte epischen Ausmaßes bereitet. Sie fängt den Geist von East L.A. wunderbar ein und versetzt die Zuschauer sofort in diese frühere Zeit zurück. Das Publikum kann voll und ganz in den Plot eintauchen und alles andere um sich herum vergessen. Das Drehbuch kommt so ehrlich rüber und die Umgangssprache so saftig, sodass man sich schon bald gegenseitig mit Carnal (mexikanischer Slang für Freund) oder Ese (Kamerad, Kumpel oder Freund) betitelt. Ganz zu schweigen von all den heißen Mamacitas. Órale! Im Wesentlichen erzählt Blood In Blood Out nicht einfach nur vom Schicksal eines Ausgestoßenen, sondern vom Schicksal eines Ausgestoßenen, auf den herabgesehen wird und der noch dazu das Gefühl nicht loswerden kann, nirgendwo dazuzugehören. Seiner hauptsächlich aus Chicanos bestehenden Familie gegenüber kann er seine weiße Hautfarbe nicht verleugnen, während er von seinem „weißen“ rassistischen Vater oder der Gefängnisgang Aryan Vanguards (bedeutet so viel wie Arische Vorhut) gehasst wird, weil er sich als „Weißer“ lieber mit den „Braunen“ abgibt.

Allerdings dreht sich die Erzählung ja nicht nur um Miklo, sondern primär um die coming-of-age Geschichte, die den drei jungen Männern folgt. „In diese Welt hineingeboren“, wie Cruzito sagen würde, „von Hunden gejagt, wollen wir überleben und gedeihen, während wir nach der Bedeutung von allem suchen. Etwas, um uns als Individuen zu definieren, Individuen, die etwas wert sind und zur Gemeinschaft beitragen: La Raza.“ Bei La Raza (den Menschen oder dem Volk) dreht sich alles um die Familie und die Liebe, die sie für Ihre Brüder und Schwestern empfinden. Wenn man einem solchen Wertesystem folgt, können bestimmte Gruppen oder auch Einzelpersonen dieses ausnutzen und auf ihre kriminellen Werte übertragen. Dort zählen dann allerdings solche Attribute wie Männlichkeit, Respekt, Bedeutsamkeit und selbstverständlich viel Geld und Macht – so wie zum Beispiel bei den Gefängnis-Gangs.

Die Themen Rassismus und Benachteiligung von „Farbigen“ in den USA spielen selbstverständlich eine große Rolle. Das Publikum lernt La Onda und die Bemühungen ihres Anführers Montana Segura (Enrique Castillo) kennen, der versucht, die Latinos im Gefängnis zu vereinigen. Alle Gangs, die in diesem Film vorkommen, basieren auf echten Gangs, La Onda repräsentiert die mexikanische Mafia, The Black Guerrilla Army (B.G.A.) steht für The Black Guerilla Family und The Aryan Vanguards für The Aryan Brotherhood. Übrigens bezieht sich der Titel Blood In Blood Out auf das Initiationsritual, bei dem man jemanden töten muss, um in die Gang aufgenommen zu werden (Miklo muss zum Beispiel Big Al umbringen, um bei La Onda aufgenommen zu werden), wobei nur der Tod den einzigen Weg darstellt, sie wieder verlassen zu können. Sollte man nach etwas Ähnlichem suchen, so kann mit El Infierno (2010) eine weitere Geschichte von epischen Ausmaßen empfohlen werden. Da der Streifen in Mexiko spielt, wird detailliert beschrieben, wie Kriminalität und das „normale“ Leben miteinander verflochten werden.

Abschließend müsste eigentlich noch über die Besetzung des Flicks geschrieben werden, die vom charismatischen Damian Chapa angeführt wird und bis in die kleinste Nebenrolle großartig aufspielt. Man könnte jetzt über jeden einzelnen Schauspieler dieses Films berichten, doch das würde ganz einfach den Rahmen dieses Textes sprengen. Das einzige, was man bei Blood In Blood Out als etwas problematisch bezeichnen könnte, ist das gelegentliche overacting. Es vermag einen rauen und viszeralen Kriminalfilm zuweilen in ein beinahe lächerliches Melodram zu verwandeln. Bei nachfolgenden Betrachtungen wird man jedoch feststellen können, dass es sich dabei nur um leidenschaftliche sowie inspirierte Emotionsausbrüche handelt, die sich zu einem liebenswerten Teil der ganzen Geschichte entwickeln. Vatos Locos für immer!

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  • Seitenverhältnis: ‎16:9 – 1.66:1, 16:9 – 1.77:1
  • Alterseinstufung: ‎Freigegeben ab 16 Jahren
  • Medienformat: ‎Dolby, PAL, Surround-Sound, Sonderausgabe
  • Laufzeit: ‎2 Stunden und 53 Minuten
  • Darsteller: ‎Victor Rivers, Delroy Lindo, Tom Towles, Carlos Carrasco, Teddy Wilson
  • Untertitel: ‎Deutsch, Englisch, Französisch
  • Sprache: ‎Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
  • Studio: ‎Hollywood Pictures

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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