Crash

Sex, Cars & Crashes! Ein Autounfall erschüttert das kalte Gefühlsleben von James Ballard. Autos und Karambolagen werden zur sexuellen Erfahrung und Sucht. Er gerät in die Welt von Fetischisten, die nur ein Ziel haben: mit Autos crashen! David Cronenbergs skandalöser Seelentrip provoziert durch Gewalt und Sexualität. (Turbine Medien)

Dieser enorm kompromisslose Film basiert auf dem Roman Crash des Briten J.G. Ballard von 1973. Das Thema ist Sex, Tod und Technologie. Doch was dieser kanadische Film über diese Themen zu sagen versucht, muss jeder für sich selbst herausfinden. Man könnte vermuten, dass der Streifen erst gar nicht versucht etwas auszusagen. Er zeigt seinem Publikum einen Autounfall – etwas, das niemand, der bei klarem Verstand ist, genießen und sexuell erregen kann – und präsentiert einen sexuellen Fetischkult, der einen Autounfall als genauso anregend, wie eine sexuelle Handlung ansieht. Crash untersucht, wie seltsam der menschliche Geist sein kann, besonders in diesem postnuklearen Zeitalter; und wie Sex im Geist entsteht und wie sexuelle Fetische nicht fremdartiger sind als alles andere, was im Geist konzipiert wird. Anstelle einer regulären Handlung besteht der Film aus einer Reihe von obsessiven Szenen über Autounfälle und Sex im Auto. Es handelt sich dabei um die Art von Film, die man entweder lieben oder hassen wird. Eines jedoch kann mit einer gewissen Sicherheit mitgeteilt werden: Der Film ist eine originalgetreue Adaption des Buches, wobei sogar die monotone Stimmung der sich wiederholenden Themen des Buches immer wieder beibehalten wird. Bei den Filmfestspielen von Cannes 1996, bei denen der Film einen gemischten Chor aus Buhrufen und Beifall vom Publikum erhielt, wurde er dennoch mit einem Sonderpreis der Jury für „Originalität“ ausgezeichnet.

Der Film hat etwas zu sagen, das in Form einer verschleierten Warnung vor der Zukunft der Technologie und der potenziellen Vertiefung der Psychopathologie vorliegt, die für eine wohlwollendere Menschheit erforderlich ist. Er hat Kontroversen ausgelöst, nicht wegen irgendeines Themas, sondern wegen Folgendem: Sexszenen in den Autos, das Überschreiten alter moralischer Grenzen zugunsten der Pornografie und die Art und Weise, wie sich der Film ohne sicht- oder erkennbare Geschichte entfaltet. Die Ablehner des Films behaupten, er würde seine Zuschauer dazu ermutigen, Sex im fahrenden Auto zu haben, wodurch Unfälle verursacht würden. Ted Turner, der die Rechte besitzt den Film durch seine Firma Fine Line zu vertreiben, sagte, er hasse ihn. Alles, was man denen sagen könnte, die dem Film mit falschen Argumenten schwere Ungerechtigkeit zufügen – ist Kokolores! Wenn der Film gefährlich sein soll, weil er ein Paar zeigt, das Sex im Auto hat, wobei die Kritiker des Films der Meinung sind, dass dies ein legitimer Grund ist, einen Film zu verbieten, müsste man fast jeden Film zensieren, der irgendeine Art von „Gefahr“ für seine Zuschauer darstellt.

In der modernen Wolkenkratzerstadt Toronto produziert James Ballard (James Spader) Fernsehwerbung, während seine Frau Catherine (Deborah Unger) entweder am Flughafen arbeitet oder einfach nur dort rumhängt. Sie führen eine offene Ehe, wobei jeder Sex auf neuartige Weise mit anderen Partnern erforscht und dann gemeinsam ausgespielt wird, was sie mit ihren anderen Partnern getan haben. Während James in einer Pause Sex mit einem Mitglied seines Filmteams hat, zieht sich seine Frau ihren BH aus, wobei sie ihre Brüste gegen ein Flugzeug reibt. Hinter ihr stehend küsst ein unbekannter Verführer ihre Schenkel und besteigt ihren Hintern, während ihr Körper sich um das eisige Metall des Flugzeugs windet.

James ist nach seinem anstrengenden Arbeitstag nicht ganz wach, während er auf der glatten Autobahn nach Hause fährt. Als er sich bückt, um einige Papiere aufzuheben, verliert er die Kontrolle über das Auto, fährt über die weiße Trennlinie und gerät auf eine andere Fahrbahn, um frontal mit einem Auto zu kollidieren, das in die entgegengesetzte Richtung fährt. Während der Fahrer des anderen Autos durch die Windschutzscheibe geschleudert wird und sofort stirbt, überlebt die Beifahrerin, Dr. Helen Remington (Holly Hunter), genauso wie James. Beide werden mehr oder weniger schwer verletzt in dasselbe Krankenhaus gebracht. Dort trifft James nach einigen Tagen im Korridor auf Vaughan (Elias Koteas), der ein Arzt zu sein scheint, dies aber nicht ist. Der vermeintliche Arzt beginnt nun, James im Detail über seinen Unfall auszufragen und die Narben an seinem Körper zu untersuchen. Obwohl ihm diese Untersuchung höchst verdächtig vorkommt, unterwirft sich James dieser Prüfung bereitwillig ohne nach einem Ausweis zu fragen. James verhält sich so, als wäre er ein Zombie mit ständiger Geilheit auf Frauen, vernarbte Männer und Autounfälle. Als er sich auf dem Schrottplatz sein verunglücktes Auto ansieht, trifft James auf Helen, die ebenfalls gekommen ist, um nach ihrem Auto zu suchen. Die beiden unterhalten sich und stellen fest, dass sie aufgrund des Unfalls viel gemeinsam haben. Sie verstehen sich so gut, dass James ihr anbietet sie nach Hause zu fahren. Er fährt sein neues Auto, das das gleiche Modell des Wagens darstellt, in dem er verunglückt war. Beide beschweren sich über die Zunahme des Verkehrs seit ihrem Unfall, als James plötzlich die Kontrolle über das Auto verliert und es gegen die Leitplanke der Autobahn setzt. Dieser Beinahe-Unfall scheint sie sexuell so sehr zu erregen, so dass sie in der Flughafengarage wilden Sex in seinem Auto haben.

Eines Abends besuchen James und Helen eine Show, die sogar für ein Performance-Theater ein äußert ungewöhnliches Thema hat. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei Vaughan um einen Autounfall-Freak und vernarbten Überlebenden vieler Autounfälle. Vaughan hat vor James Deans Autounfall aus dem Jahr 1955 bis aufs kleinste Detail neu zu inszenieren. Colin Seagrave (Peter MacNeill), ein professioneller Stuntfahrer, verkörpert James Dean, während Vaughan als dessen deutscher Mechaniker fungiert, der ihn an diesem tödlichen 30. September zu einem Autorennen in Salinas, Kalifornien, begleitete. Nachdem die Show abrupt endet, weil Verkehrspolizisten am „Set“ auftauchen, flüchten James und Helen gemeinsam mit Vaughan und Seagrave in deren Unterkunft, da Seagrave eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Dort treffen sie auf Gabrielle (Rosanna Arquette), die mit Vaughan zusammen ist und Beinstützen sowie einen schwarzen Ganzkörper-Lederanzug zur Unterstützung der Wirbelsäule trägt. Vera (Cheryl Swarts) ist Seagraves liebevolle Frau, die ihm hilft, sich auf den Unfall von Jayne Mansfield vorzubereiten, den er unbedingt inszenieren möchte.

Als Vaughan von James gefragt wird, worum es bei ihm geht, antwortet der: „Ich bin eng an der Umgestaltung des menschlichen Körpers durch moderne Technologie beteiligt.“ Die Gruppe sieht sich dann einige Videobänder mit Autounfällen an und masturbiert dabei. Die Leere dieses Films und seine Unwilligkeit, erwartete Botschaften zu übermitteln oder der Forderung der Masse nachzukommen, sie zu unterhalten, macht diesen Film auf ganz besondere Art und Weise zu etwas Faszinierendem. Er stellt eine spekulative Arbeit dar, eine Art Testprojekt, bei dem versucht wird herauszufinden, was daraus entstehen kann. Es scheint ziemlich unwahrscheinlich zu sein, dass es jemanden mit einem Autounfall-Sexfetisch gibt, doch das scheint keine Rolle zu spielen. Was zählt ist, dass dieser Film nach etwas Seltsamem sucht, um es über die moderne Welt sagen zu können.

Der Film verhält sich wie ein Wissenschaftler, der klinisch nach Antworten sucht, bei denen er sich nicht sicher ist, aber nur er versucht, ein Problem zu lösen, von dem er sicher ist, dass es existiert. Der Punkt des Films könnte sein, dass jeder entmenschlicht ist. Alle Schauspieler agieren emotionslos, bis auf die bizarre Darstellung von Koteas, die eine vollendete, aber keine großartige Leistung repräsentiert. Spader und Unger sind ein wunderschönes Paar, das in seiner intimen, jedoch kalten Beziehung den sexuellen Rahmen sprengt. Beide haben ihren bevorstehenden Tod als Lebensform akzeptiert und fühlen sich mit ihrer besonderen Beziehung wohl. Ihr Nervenkitzel entsteht, wenn sie sexuelle Tabus durchbrechen und wissen, dass sie sich umeinander kümmern, auch wenn sie distanziert zu sein scheinen. Hunter ist wie sie – bis zu einem gewissen Punkt entmenschlicht. Hunter scheint vor allem an ihrer eigenen sexuellen Selbstzufriedenheit interessiert zu sein, wobei ihre Nahtoderfahrung dieses Bedürfnis verstärkt zu haben scheint. Koteas ist ein Freak, der sich nur danach sehnt, sich durch die Nahtoderfahrung eines Autounfalls sexuell zu befreien. Er liebt so sehr, was er tut, dass es für andere ansteckend wird und wie bei jedem charismatischen Führer scheint es immer Menschen zu geben, die ihm folgen.

Die Geschichte könnte voyeuristischer als alles andere wahrgenommen werden. Sie lässt sich nicht mit einem Etikett versehen. Der Film deckt Bereiche ab, in die sich Mainstream-Filme nicht hineintrauen. Seine Wiederholbarkeit, seine hermetische und absurde Natur machen einen Film aus, den man eher wegen seines rohen Nervs mag, als wegen seiner Wahrnehmung durch den ganzen Hype, den er erhalten hat. Crash ist sehr gut gemacht und wird sehr gut präsentiert. Was dem Film fehlt ist Definition sowie Wahrnehmung und ein Gefühl dafür, aus seiner eigenen beeindruckenden Art herauszukommen.

Crash erscheint als 2-Disc-Mediabook im Hause Turbine Medien GmbH, wobei man dem Label zu dieser gelungenen Veröffentlichung nur gratulieren kann. Die Scheibe weiß nicht nur auf technischem Gebiet zu überzeugen, sondern hat auch Einiges an sehr interessanten Extras zu bieten. Das Bild wird in High Definition Widescreen (1080p24 Full HD; 1,66:1) präsentiert und sieht wirklich klasse aus. Es zeigt sich sehr farbenfroh, enorm scharf und wunderbar detail- und kontrastreich. Bei der Qualität der beiden angebotenen Tonspuren (Deutsch und Englisch DTS HD-MA 5.1 und DD 2.0 Surround) gibt es ebenfalls keine Beschwerden anzumelden. Wer den Film in der Originalsprache anschauen möchte, dem Englischen aber nicht mächtig ist, hat die Möglichkeit deutsche Untertitel zuzuschalten (Deutsch, Englisch).

Bonusmaterial:
40-seitiger Buchteil mit Texten von Christoph N. Kellerbach & Stefan Jung; HD-Trailer; US-NC-17-Trailer; Neue Interviews in HD (ca. 140 Min.): Talk mit Viggo Mortensen & David Cronenberg (ca. 52 Min.), Peter Suschitzky (Kameramann – ca. 20 Min.), Jeremy Thomas (Produzent – ca. 17 Min.), Howard Shore (Komponist – ca. 23. Min.), Deirdre Bowen (Casting Director – ca. 27 Min.); Archiv: Interviews zum Kinostart mit den Machern & Stars (ca. 22 Min.); Hinter den Kulissen (ca. 11. Min.); Kurzfilme von David Cronenberg: The Nest (ca. 9 Min.), Camera (ca. 6 Min.), At the suicide of the last jew in the world in the last cinema in the world (ca. 4 Min.)

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  • Darsteller: James Spader, Holly Hunter, Rosanna Arquette, Elias Koteas
  • Regisseur: David Cronenberg
  • Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1)
  • Untertitel: Deutsch, Englisch
  • Region: Region B/2
  • Bildseitenformat: 16:9 – 1.66:1
  • Anzahl Disks: 2
  • FSK: Freigegeben ab 18 Jahren
  • Studio: Turbine Medien
  • Produktionsjahr: 1996
  • Spieldauer: 280 Minuten

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Diese Edition wurde uns freundlicherweise von Turbine Medien zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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