Das Geheimnis der blutigen Lilie / Perché quelle strane gocce di sangue sul corpo di Jennifer? / The Case of the Bloody Iris

Die Models Jennifer und Marilyn ziehen in ein Hochhaus. Bald darauf wird eine Frau im Aufzug grausam ermordet. Es scheint so, als wäre der Mörder einer der Mieter, doch der Polizei fällt es trotzdem schwer das Feld der Verdächtigen einzugrenzen. Jennifer wird unterdessen wieder von ihrem bösartigen Ex-Ehemann verfolgt, einem Perversen, der fest entschlossen ist, sie wieder unter seine Kontrolle zu bekommen. Während die Anzahl der Todesopfer stetig ansteigt, ist bald auch Jennifers Leben in Gefahr…

Luciano Martino, Edwige Fenech, George Hilton und Ernesto Gastaldi wurden für diesen typisch kunstvollen und spleenigen Thriller wieder zusammengeführt, doch anstelle von Martinos Bruder Sergio auf dem Regiestuhl wurde der Film seinem erfahrenen Kollegen Giuliano Carnimeo anvertraut. Das Endergebnis fühlt sich etwas anders an, was durchaus verständlich ist, allerdings besteht allgemein das Gefühl, dass nicht jeder der Beteiligten so engagiert zu Werke gegangen ist, wie gewohnt. Das Hauptproblem des Films ergibt sich aus seinem Drehbuch. Gastaldi hat sich in dieser Periode möglicherweise mit zu vielen Projekten gleichzeitig beschäftigt, da das chaotische und übermäßig komplizierte Szenario mit scheinbar wichtigen Handlungspunkten beladen ist, die nirgendwo hinführen. Ein Großteil des ersten Aktes befasst sich mit Jennifers Beziehung zu ihrem Ex-Mann, was jedoch nichts weiter als eine falsche Fährte darstellt. Die Rückblenden zu ihrem abnormen Sexleben mit Orgien und freier Liebe in Hülle und Fülle scheinen eine leere Geste zu sein, die Erinnerungen an die barocken Rückblenden und Traumsequenzen aus Lo strano vizio della signora Wardh (Der Killer von Wien, 1971) und Tutti i colori del buio (Die Farben der Nacht, 1972) erwecken sollen.

In ähnlicher Weise wurde ein Kindheitstrauma von einem der Hauptakteure mit eingeflochten, das sich im Kontext besonders angetackert fühlt. Sollte es Gastaldis Ziel gewesen sein, den Betrachter mit raten zu lassen, so funktioniert das nicht sehr gut. Die endgültige Enthüllung ist ein wenig zu leicht zu erraten und gleichzeitig scheint es ziemlich unwahrscheinlich zu sein, dass alle Nebenhandlungen und sinnlosen Charaktervignetten das erfahrene giallo-phile Publikum von der Spur abbringen könnten. Einige der Probleme des Films können auch auf Carnimeos Regie zurückgeführt werden. Carnimeo erschafft in Zusammenarbeit mit seinem erfahrenen Kameramann Stelvio Massi einige beeindruckende Bilder, doch das Tempo geht über Tische und Bänke: ein Großteil des Films ist eher langsam, ja sogar schwerfällig angelegt, während actionreiche Sequenzen blitzschnell an den Zuschauern vorbeiziehen. Carnimeo liefert keineswegs inkompetente Arbeit ab, es scheint jedoch wahrscheinlich, dass ein stilvollerer und energischerer Regisseur wie Sergio Martino in der Lage gewesen sein könnte, besser mit den verschiedenen Längen und Sackgassen umzugehen.

Die beste Szene stellt ein wirklich überraschender Mord am helllichten Tag auf einer überfüllten Piazza dar, bei dem sich die Passanten so sehr auf ihr eigenes tägliches Leben konzentrieren, sodass sie das Geschehen nicht richtig interpretieren können. Diese Idee würde in Lucio Fulcis Non si sevizia un paperino (Don’t Torture a Duckling, 1972) noch voller zum Ausdruck gebracht werden. Der Film kommt dem heuchlerischen Konzept gefährlich nahe, dass das Lesen gewalttätiger Geschichten zu einer anormalen Mentalität führen kann, als eine Nebenhandlung eingeführt wird, in der einer der Mieter eine besondere Vorliebe für gewalttätige Horror-Fumetti-Taschenbücher hat. Während der Zeitungsverkäufer und der Polizist, der den fraglichen Verdächtigen verfolgt, ein paar Spitzen darüber austauschen, dass Leute verrückt sind, die solche Geschichten lesen, scheinen sich Gastaldi und Konsorten ihrem Publikum (von dem sie ja abhängig sind) gegenüber undankbar zu verhalten. Glücklicherweise wird die wahre Absicht dieses „Kommentars“ deutlich, wenn die Inkompetenz des betreffenden Polizisten herausgestellt wird und er daher in Bezug auf die Psychoanalyse nicht als besonders weise angesehen werden kann.

Wie so viele Elemente im Film dient dies einfach nur dazu dem Streifen etwas Farbe zu verleihen und eine weitere falsche Fährte zu etablieren. Trotz aller Kritik soll das nicht bedeuten, der Film würde einen schlechten Einstieg in den ständig wachsenden giallo-Kanon repräsentieren. Er ist ziemlich kompetent gefilmt, hat ein paar gut abgestimmte Schockeffekte zu bieten und profitiert von einem wahnsinnig eingängigen Bruno Nicolai Soundtrack. Im Vergleich zu den Filmen, die Martino und einige der anderen großen Genre-Regisseure zu dieser Zeit gedreht haben, wirkt er etwas unkonzentriert und träge, doch für sich genommen versprüht er so einiges an Charme und ist auf jeden Fall mehr als einen Blick wert. Die Besetzung wird von Edwige Fenech und George Hilton in ihrem dritten gemeinsamen Film angeführt. Keinem der beiden Schauspieler wird viel Charakterentwicklung angeboten, doch sie füllen ihre Rollen durchaus hervorragend aus. Fenech wird meistens auf den Status eines konventionellen Opfers reduziert, während Gastaldi und Carnimeo sehr hart daran arbeiten, Hilton schuldig wirken zu lassen, sodass man gar nicht mehr anders kann, als in ihm einen „roten Hering“ zu sehen.

Die Nebenbesetzung umfasst bekannte Gesichter wie Annabella Incontrera (A doppia faccia / Das Gesicht im Dunkeln, 1969) und Jorge Rigaud (Una sull’altra / Nackt über Leichen, 1969), während die produktiven Charakterdarsteller Luciano Pigozzi (aka Alan Collins) und Maria Tedeschi (E tanta paura, Giallo a Venezia, Der Name der Rose) dem Hintergrund etwas Farbe verleihen. Die Polizei wird von Giampiero Albertini (Un minuto per pregare, un istante per morire, È tornato Sabata… hai chiuso un’altra volta!, Roma a mano armata) und Franco Agostini (Su le mani, cadavere! Sei in arresto, Hector, der Ritter ohne Furcht und Tadel, Die Sexmaschine) repräsentiert, die beide willkommenen Humor in ihre Szenen einfließen lassen. Regisseur Carnimeo wurde 1932 geboren, trat in den späten 50er Jahren in die Welt der Filme ein und arbeitete hauptsächlich als Regisseur. Er beschäftigte sich jedoch auch mit dem Schreiben sowie Produzieren und sammelte sogar einige Kredits als Regieassistent. Er wurde normalerweise (wie in diesem Fall) als Anthony Ascott aufgeführt und arbeitete größtenteils im Italo-Western-Genre. Carnimeo führte Regie bei mehreren Einträgen der beliebten „Sartana“ Serie, darunter C’è Sartana… vendi la pistola e comprati la bara! (Django und Sabata – Wie blutige Geier, 1970) und Buon funerale, amigos!… paga Sartana (Sartana – noch warm und schon Sand drauf, 1970), doch Das Geheimnis der blutigen Lilie sollte sein einziger giallo bleiben. Später drehte er mit David Warbeck (L’ultimo cacciatore; 7, Hyden Park: la casa maledetta) den berüchtigten Horrorfilm Quella villa in fondo al parco (Ratman, 1988) und zog sich Anfang der neunziger Jahre aus dem Filmgeschäft zurück.

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Extras:
– Audiokommentar mit Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese —> das Trio – dem wir sehr gerne lauschen – liefert nicht gerade seinen besten AK ab, versorgt den geneigten Zuhörer jedoch mit einer Menge an Informationen über das „Genre“ sowie die mitwirkenden Schauspieler etc.. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die drei Herren hin und wieder auch auf bedeutsame Sequenzen eingegangen wären.
– Original Kinotrailer
– Exklusives Interview mit Danilo Massi (17 Minuten) —> Danilo Massi (Sohn und häufiger Mitarbeiter des Regisseurs) erinnert sich an den Arbeitsansatz seines Vaters sowie dessen Beziehung zu Giuliano Carnimeo.
– Alternativszene 1 und 2
– Verlängertes Ende
– Interview mit Ernesto Gastaldi (16 Minuten) —> Herr Gastaldi hat einiges über die Art und Weise zu erzählen, wie er seine Drehbücher für gialli angelegt hat.
„tenebrarum“-Booklet von Martin Beine (20 Seiten) —> der Autor unterzieht den Film, wie gewohnt, einer wunderbaren Analyse, die stark zum Hinterfragen einiger Aspekte animiert.
– Werbematerial

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  • Darsteller: Edwige Fenech, George Hilton, Paola Quattrini, George Rigaud, Oreste Lionello
  • Regisseur: Giuliano Carnimeo
  • Format: Farbe, PAL
  • Sprache: Englisch, Italienisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
  • Bildseitenformat: 4:3 – 1.33:1
  • Anzahl Disks: 1
  • BBFC:Geeignet ab 18 Jahren
  • Studio: Shameless
  • Spieldauer: 90 Minuten

The Case of the Bloody Iris (1972) – Trailer HD 1080p (youtube.com)

Bruno Nicolai „the case of the bloody iris“ 1972 (youtube.com)

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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