Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe / L’uccello dalle piume di cristallo

Ein junger amerikanischer Schriftsteller, Dalmas, der seit Jahren in Rom lebt, wird eines Abends Zeuge eines Überfalls in einer Kunstgalerie. Ein Mann in schwarzem Mantel und schwarzen Handschuhen droht, eine junge Frau umzubringen. Dalmas versucht, der Galeriebesitzerin, Frau Ranieri, zur Hilfe zu kommen, gerät aber dabei selbst in eine Falle. Die Polizei verhört Dalmas und nimmt ihm seinen Pass ab, um ihm die Rückreise nach Amerika unmöglich zu machen. Er ist gezwungen, an der Aufklärung des geheimnisvollen Falles mitzuarbeiten, dies umso mehr, als weiter mysteriöse Morde geschehen, denen immer junge, hübsche Frauen zum Opfer fallen. Dalmas und seine Freundin stellen sich freiwillig als Spürhunde zur Verfügung. (Koch Media)

Neben 6 donne per l’assassino (Blutige Seide, 1964) sollte sich L’uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, 1970) als der wichtigste Film in der Entwicklung des Giallo herausstellen. Im Gegensatz zu Mario Bavas wegweisendem Meisterwerk erwies sich das Regiedebüt des jungen Dario Argento als großer Erfolg in Italien sowie im Ausland. Die Auswirkungen waren so bedeutend, dass die Produktivität des „Genres“ in den nächsten zwei Jahren ein Allzeithoch erreichen würde. Wie Bavas La ragazza che sapeva troppo (The Girl Who Know Too Much, 1963), konzentriert sich Argentos Film auf einen Amerikaner im Ausland, der in einen Morast legaler Bürokratie gerät, während er versucht einen entscheidenden Hinweis zu finden, der es ihm ermöglicht, einen Mörder zu entlarven. Argento zeigt als wahrer Filmkünstler ein legitimes Verständnis der Filme, die vor seinem erschienen sind, lässt sich allerdings nicht zur bloßen Nachahmung hinreißen. The Bird with the Crystal Plumage zeigt sich lebendig, kantig und unendlich erfinderisch. Selbst nach so vielen Imitationen, welche die Attraktivität der „Blaupause“ zu mindern drohten, gestaltet sich der Film auch heute noch so packend und unterhaltsam wie damals. Argento hat nicht nur eine Vorlage für andere Regisseure kreiert, sondern es kann auch überzeugend argumentiert werden, dass der Regisseur diese selbst für den Rest seiner Karriere immer wieder neu gestalten sollte, sie letztendlich aber nur selten übertreffen konnte.

Bei Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe fügt sich alles so schnell und gut zusammen, dass man leicht vergisst dies war das erste Mal für Argento als Regisseur hinter der Kamera zu stehen. Die verschiedenen Stalking-Szenen werden mit Stil und Elan gehandhabt und auch, wenn die Morde selbst nicht so dramatisch und übertrieben dargestellt sind, wie in späteren Filmen, so sind sie dennoch mit wundervollen Details angefüllt, die noch lange nach dem Ende des Films im Gedächtnis bleiben. Die Szene mit dem Opfer, das sich auf das zu Bett gehen vorbereitet, während der Mörder sie von außen beobachtet, wechselt von einer subjektiven Perspektive zur nächsten und versetzt das Publikum somit nicht nur mit dem Mörder, sondern auch mit dem Opfer in Verbindung. Als das Opfer die Silhouette des Mörders in der Tür sieht, fügt Argento einen seiner ersten grellen visuellen Gimmicks ein: Eine gyroskopische Kamera kann von einer Nahaufnahme im schreienden Mund der Frau zu einer weiteren Ansicht ihres panischen Gesichts gelangen. In ähnlicher Weise stellt die Szene, in der Musante zu Beginn versucht das beabsichtigte Mordopfer zu retten eine Tour de Force dar, die, wie Argento oft betonte, von der Vorstellung inspiriert wurde, dass die Charaktere wie übergroße Fische in einem Aquarium gefangen sind.

Der Film sieht elegant und stilvoll aus, mit wunderschönen Breitbildaufnahmen des großartigen Vittorio Storaro und Argentos durchweg vernünftiger Verwendung von Farbe und Dekor. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe profitiert auch von einem Drehbuch, das Elemente enthält, die in einigen späteren Werken des Regisseurs fehlen, insbesondere ein allgemein ausgeprägtes Gespür für Logik (man kann argumentieren, dass die ausgeklügelte Kleidung des Killers auf jeder anderen Ebene als der Stilisierung, als etwas übertrieben gesehen werden kann, doch das nur am Rande), Charaktere, die eher wie Menschen aus Fleisch und Blut rüberkommen, als Statisten und einen ausgeprägten Sinn für Humor. Der Regisseur arbeitet mit einer wunderbar dosierten Brise von Humor durch verschiedene Charaktervignetten, insbesondere mit einem stammelnden Zuhälter und einem katzenfressenden Künstler, letzterer wird vom wundervollen Mario Adorf in einem denkwürdigen Cameo-Auftritt verkörpert. Argento sollte diese Art von Humor in seinen frühen Thrillern weiterhin verwenden, aber später darauf verzichten; als er mit Non ho sonno (Sleepless, 2001) wieder darauf zurückgriff, fielen die Ergebnisse jedoch weniger inspiriert aus.

Sams Charakter ist auch viel interessanter und glaubwürdiger angelegt worden, als einige seiner späteren Protagonisten, während bedeutende Nebendarsteller wie Sams Freundin Julia und der sanft sardonische Inspektor Morosini ebenfalls stark überzeugen können. Das Ergebnis wird maßgeblich von Ennio Morricones hervorragender Musik unterstützt. Morricone würde einer der wichtigsten Komponisten des filone werden und als solcher verdient er etwas mehr an Hintergrundinformationen. Der 1928 geborene Morricone trat Ende der 50er Jahre in die Filmindustrie ein und arbeitete an einer Vielzahl von Filmen, bevor er seine Bestimmung mit der Partitur für Sergio Leones Western Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar, 1964) fand. Der Soundtrack erwies sich als ebenso revolutionär wie der Film selbst. Die Verwendung von gutturalen Klängen, Pfeifen und verzerrten Instrumenten wurde zu Morricones Markenzeichen. Morricone und Leone sollten für die Dauer von Leones Karriere einander verpflichtet bleiben. Alle seine Filme wurden von diesem Zeitpunkt an von Morricones Musik untermalt, was zu einigen der berühmtesten und beliebtesten Filmmusiken des Komponisten führen sollte, darunter Il buono, il brutto, il cattivo (Zwei glorreiche Halunken, 1966) und C’era una volta il West (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968).

Morricone sollte in den kommenden Jahren die Komposition von Filmmusik übernehmen; bis jetzt werden ihm über 500 Filmbeiträge angerechnet, wobei es derzeit keine Anzeichen dafür gibt, dass er bald mit dem Komponieren aufhören würde. Mit dieser Auswahl von vielseitigen Filmemachern hat der Maestro zusammengearbeitet: Roman Polanski (Frantic, 1988), Bernardo Bertolucci (Novecento / 1900, 1976), Gillo Pontecorvo (Queimada – Insel des Schreckens, 1969), Tinto Brass La chiave (The Key, 1983), Samuel Fuller White Dog (Die weiße Bestie, 1982), John Carpenter The Thing (Das Ding aus einer anderen Welt, 1982), Henri Verneuil (Der Clan der Sizilianer, 1969), Elio Petri Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970), Brian De Palma (Die Unbestechlichen, 1987), Terrence Malick (Tage des Himmels, 1978), Oliver Stone (U-Turn – Kein Weg zurück, 1997), Pier Paolo Pasolini Uccellacci e uccellini (Große Vögel, kleine Vögel, 1966) und Mario Bava (Gefahr: Diabolik!, 1968). Die Liste könnte selbstverständlich noch erweitert werden und umfasst einige der größten Namen der Kinogeschichte. Morricone komponierte die Soundtracks für die nächsten beiden Argento Filme, bevor er mit dem Regisseur bei Das Stendhal Syndrom (1996) und Das Phantom der Oper (1998) erneut zusammenarbeitete.

Er komponierte auch unvergessliche Soundtracks für solche Gialli wie Le foto proibite di una signora per bene (Frauen bis zum Wahnsinn gequält, 1970), Giornata nera per l’ariete / Ein schwarzer Tag für den Widder, Una lucertola con la pelle di donna / A Lizard in a Woman’s Skin (beide 1971) und Chi l’ha vista morire? (The Child – Die Stadt wird zum Alptraum, 1972)… und wieder scheint die Liste endlos zu sein. Autor und Regisseur Dario Argento wurde 1940 in Rom geboren. Als Sohn des Produzenten Salvatore Argento und der Modefotografin Elda Luxardo wuchs Argento in einem wohlhabenden Umfeld auf und wurde schon in jungen Jahren zu einem begeisterten Filmfan. Er jobbte als Filmkritiker für die Zeitung Paese Sera und begann dann Ende der 60er Jahre als Drehbuchautor in der Filmbranche zu arbeiten. Es wurde viel darüber diskutiert, dass er das Drehbuch zum epischen Italo-Western-Meisterwerk Spiel mir das Lied vom Tod (1968) „geschrieben“ haben soll, doch in Wirklichkeit beschränkte sich seine Rolle darauf die Grundzüge des Films (gemeinsam mit Sergio Leone und Bernardo Bertolucci) zu erarbeiten.

Als die Zeit gekommen war das endgültige Drehbuch zu schreiben, wandte sich Leone an den versierten Giallo-Romancier Sergio Donati, der bereits Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar, 1964) für Leone verfasst hatte. Argento war begeistert an dem Prozess beteiligt gewesen zu sein, obwohl seine spätere Angewohnheit, seine Rolle in diesem Zusammenhang zu übertreiben, bei Donati äußerst sauer aufstieß. So oder so war eine Nennung für einen Sergio-Leone-Film nichts, worüber man spotten würde, sodass Argento noch weitere Drehbücher für Italo-Western und ungewöhnlichere Kost wie Giuseppe Patroni Griffis Metti, una sera a cena (The Love Circle, 1969) verfasste, bevor er das Skript für L’uccello dalle piume di cristallo (1970) schrieb. Argento überredete seinen Vater ihm zu erlauben Regie zu führen, wobei der Rest, wie man so schön sagt, Geschichte war. Der Erfolg des Films führte zunächst zu zwei weiteren Gialli, Il gatto a nove code (Die neunschwänzige Katze) und 4 mosche di velluto grigio (Vier Fliegen auf grauem Samt, beide 1971), während die Bekanntheit und Beliebtheit des Regisseurs weiter wuchs, als er die Fernsehserie La porta sul buio (Door into Darkness, 1973) moderierte. Die überaus beliebten Profondo rosso (Rosso – Die Farbe des Todes, 1975) und Suspiria: In den Krallen des Bösen (1977) würden seinen Ruf als neuer „König des italienischen Horrors“ festigen, weswegen ihm in den achtziger Jahren große Popularität beschieden sein sollte.

Danach wurde seine Karriere von dem unüberlegten Versuch beeinträchtigt mit Due occhi diabolici (Two Evil Eyes, 1990) und Trauma (Aura, 1993) in den amerikanischen Markt einzudringen. Außerdem mussten seine späteren italienischen Filme mit immer knapper werdenden Budgets und kompromittierten Spielplänen zurechtkommen. Verursacht wurde die Misere hauptsächlich durch das allgemein schlechte Abschneiden seiner späteren Filme an den Kinokassen. Argentos jüngste Bemühungen sind nach wie vor umstritten, seine vielen bedeutenden Werke haben ihm jedoch einen gefestigten Ruf als einen der wahren filmischen „Meister des Horrors“ eingebracht. Die Besetzung wird vom amerikanischen Schauspieler Tony Musante angeführt, der eine erstklassige Leistung als gehetzter Hauptcharakter abliefert. Musante lässt enorme Wärme, Humor und Charme in die Rolle einfließen, wodurch der Film wirklich von seiner Präsenz profitiert. Seine Freundin wird von der britischen Schauspielerin Suzy Kendall verkörpert, die später auch noch in Sergio Martinos I corpi presentano tracce di violenza carnale (Torso, 1973) zu sehen sein sollte. Der Charakter hat keine enorme Tiefe zu bieten, doch Kendall ist in der Lage ihn auf menschlicher Ebene sympathisch und glaubwürdig zu gestalten. Mario Adorf hat einen kurzen Auftritt als verrückter Künstler Berto Consalvi, der Katzen zum Fressen gern hat. Der herausragendste Nebendarsteller ist allerdings der großartige Enrico Maria Salerno, dem es doch tatsächlich gelingt einen Polizisten (in einem Argento Film) kompetent im Beruf und sympathisch als Person erscheinen zu lassen. Salernos lange und abwechslungsreiche Karriere beinhaltete Triumphe sowohl auf der Bühne, als auch auf der Leinwand. In den 70er Jahren wurde er stärker mit dem filone des poliziotteschi identifiziert, als mit dem des Giallo.

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Darsteller: Enrico Maria Salerno, Eva Renzi, Mario Adorf, Werner Peters, Suzy Kendall
Regisseur(e): Dario Argento
Format: Breitbild
Sprache: Italienisch (DTS-HD 2.0), Deutsch (DTS-HD 2.0), Englisch (DTS-HD 2.0)
Untertitel: Deutsch
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
Studio: Koch Media GmbH – DVD
Produktionsjahr: 1970
Spieldauer: 96 Minuten

https://www.youtube.com/watch?v=xcOXtaKC3pE

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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