Der rote Schatten / Circus of Horrors

Als eine seiner Patientinnen den plastischen Chirugen Dr. Rossiter wegen eines Kunstfehlers anklagt, flieht dieser nach Frankreich. Dort trifft er auf den Zirkusdirektor Vanet, der ihn bittet, seine von einem Bombenattentat entstellte Tochter Nicole zu operieren. Als Vanet durch einen seiner Bären getötet wird, übernimmt Rossiter unter anderem Namen die Leitung des Zirkus und stellt vermehrt weibliche Kriminelle ein, denen er – versehen mit einem schöneren Äußeren – ein besseres Leben als Artisten in seinem Zirkus verspricht. Doch jedes Mädchen, dass die Truppe verlassen möchte oder ihm nicht zu Willen ist, stirbt bei einem grauenvollen Unfall – vor den Augen des Publikums. (Ostalgica)

Die britische Produktionsfirma Anglo-Amalgamated, die vor allem für das erste Dutzend Filme der langjährigen Ist ja irre-Reihe bekannt ist, beschäftigte sich gelegentlich auch mit der Distribution von respektablerem Material wie Billy Liar (Geliebter Spinner, 1963) und Darling (1965), stellte aber in den 50er und 60er Jahren ansonsten eine produktive B-Movie-Fabrik dar. Mit der inoffiziellen „Sadian-Trilogie“ des Filmhistorikers David Pirie aus seiner bahnbrechenden britischen Gothic-Horror-Chronik A Heritage of Horror aus dem Jahr 1971 stiegen sie in die residuale Hammer-Horror-Action ein. Horrors of the Black Museum (Das schwarze Museum) von 1959 (Regie: Arthur Crabtree) und der Klassiker Peeping Tom (Augen der Angst) von 1960 (Regie: Michael Powell) gaben mit ihrem verstärkten Fokus auf das Reißerische den Ton an, sei es aufgrund der (für diese Zeit) grausamen Gewalt oder wegen der sexuell suggestiven Elemente (besonders im selbsterklärenden Augen der Angst).

Der rote Schatten von 1960 beendete die „Trilogie“ auf großartige Weise und wurde zum Kassenerfolg in den USA, wo der Streifen von American International Pictures veröffentlicht wurde und mehrere Versionen von Garry Mills‘ britischer Hit-Single „Look for a Star“ entstehen ließ (die mehrmals während des Films gehört werden kann). Unter Sidney Hayers Regie (der 1962 für den furchterregenden Night of the Eagle / Hypno verantwortlich gewesen war), gestaltet sich Der rote Schatten nach heutigen Maßstäben eher zahm, repräsentiert aber einen „trashigen“ Spaß, der von einer fundamentalen Leistung Anton Diffrings komplementiert wird und nun auf der Blu-ray von Ostalgica zu sehen ist. Diffring, der gerade erst die Titelrolle in Hammers The Man Who Could Cheat Death (Den Tod überlistet, 1959) gespielt hatte, verkörpert Dr. Rossiter, einen egoistischen, plastischen Chirurgen, der nach dem Krieg im Jahr 1947 in London nach einer verpfuschten experimentellen Operation, die eine junge Prominente (Colette Wilde) schrecklich entstellt hinterlässt, fliehen muss.

Rossiter ist noch immer von seinem eigenen Genie überzeugt und hat ein Geschwisterpärchen von buckelnden Sykophanten im Schlepptau, nämlich Martin (Kenneth Griffith) und Angela (Jane Hylton). Zum Zeitpunkt, zu dem das Trio in Frankreich ankommt (das sich immer noch sehr stark vom Krieg gezeichnet zeigt), hat Rossiter bereits sein Aussehen geändert (hauptsächlich durch die Entfernung eines Proto-Beatnik-Bartes) und gibt sich als „Dr. Schüler“ aus. Eine zufällige Begegnung am Rande der Straße, bei der Schüler ein kleines Mädchen (Carla Challoner) nach dem Weg fragt, führt ihn zu einem heruntergekommenen Zirkus, der dem verwitweten, ständig betrunkenen Vater des Mädchens, Vanet (ein noch recht junger Donald Pleasence), gehört. Das kleine Mädchen – Nicole – hat durch eine Bombenexplosion umfangreiche Gesichtsnarben zurückbehalten, die Schüler dazu inspirieren, einen Plan zu entwickeln, mit dem er sein Handwerk weiter ausüben kann, indem er den Zirkus lediglich als Vorwand benutzt. Schüler gelingt es die Schönheit des Mädchens wieder herzustellen, was Vanet zur Überzeugung bringt, den Zirkus im Rahmen einer Partnerschaft mit ihm zu teilen. Als der feiernde, stark betrunkene Vanet anschließend versucht mit dem halb verhungerten Bären des Zirkus zu tanzen und von dem Tier recht bald zu Tode gebracht wird, unterlässt Schüler es entschieden einzugreifen.

Zehn Jahre gehen ins Land und der Zirkus ist gerade in Berlin stationiert, wo die nun erwachsene Nicole (Yvonne Monlaur) Dr. Schüler mit „Onkel“ betitelt, während die anderen Zirkusartisten – darunter die Hauptattraktion Magda von Meck (Vanda Hudson) und die ehrgeizige Ellissa Caro (Erika Remberg) – alle aus ehemals vernarbten Kriminellen bestehen, die von Schüler erpresst werden. Um ein neues Leben erhalten und inkognito im Zirkus unterkommen zu können, müssen sie sich von Schüler operieren lassen. Für Schüler läuft alles gut, bis diverse Unannehmlichkeiten beginnen seinen Frieden zu stören. Magda verliebt sich in den wohlhabenden Baron von Gruber (Walter Gotell) und will den Zirkus verlassen, während die boshafte Ellissa viel Lärm macht, als Schüler damit beginnt, seine vollkommene Aufmerksamkeit der neuen Attraktion Melina (Yvonne Romain) zu widmen. Das führt dazu, dass Schüler den glücklosen Martin dazu überredet, eine Reihe von „Unfällen“ zu inszenieren, um sich den aufmüpfigen Damen zu entledigen. Zu Schülers Dilemma kommt auch noch Angelas zunehmender Groll hinzu, die sich enorm vernachlässigt fühlt, da sie seit Schülers Zeit als Rossiter immer hinter ihm gestanden hat, sowie ein Polizist (Conrad Phillips), der sich als Reporter in den „verhexten Zirkus“ einschleicht, um Nachforschungen anzustellen. Denn mittlerweile kommt es den Behörden schon ein wenig komisch vor, dass in den letzten Jahren bereits etliche seiner hübschen Darstellerinnen bei ungewöhnlichen Pannen bzw. Unfällen ums Leben gekommen sind.

Die Geschichte gestaltet sich selbstverständlich mehr als absurd, doch sie funktioniert zum größten Teil aufgrund Anton Diffrings brillanter schauspielerischer Leistung dennoch recht gut. Diffring wurde 1916 geboren und floh 1939 aus Hitler-Deutschland nach England, um sich in den 50er Jahren (bis in die 80er Jahre hinein) als Nazi-Generäle und Kommandanten in Filmen typisieren zu lassen (insbesondere in The Heroes of Telemark / Kennwort ‚Schweres Wasser‘ von 1965, Der blaue Max von 1966, Where Eagles Dare / Agenten sterben einsam von 1969, Zeppelin – Das fliegende Schiff von 1971, Operation: Daybreak / Das Sonderkommando von 1975, die epische ABC-Miniserie The Winds of War / Der Feuersturm von 1983 und Jerry Lewis‘ berüchtigtem The Day the Clown Cried). Diffring tauchte in angesehenen Filmen wie Francois Truffauts Adaption von Ray Bradburys Fahrenheit 451 aus dem Jahr 1966 auf, fand aber auch konsequente Beschäftigung in „Eurotrash“-Material wie L’iguana dalla lingua di fuoco (Die Bestie mit dem feurigen Atem, 1971), Mark of the Devil Part II (Hexen geschändet und zu Tode gequält, 1973) und La morte negli occhi del gatto (Sieben Tote in den Augen der Katze, 1973), Jess Francos Nunsploitation Potboiler Die Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne von 1977, dem deutschen Emmanuelle Rip-Off Vanessa aus dem gleichen Jahr (wo er Alain Cunys alternden sexuellen Mentor spielt) und in einer seiner letzten Rollen vor seinem Tod im Jahr 1989, wo er in Francos All-Star Gorefest für plastische Chirurgie Faceless auftauchte, wo seine Anwesenheit ein offensichtlicher Hinweis auf seinen Auftritt in Circus of Horrors gewesen sein soll.

So schäbig sich das Verfahren auch präsentieren mag, durch die Kinematographie des großen Douglas Slocombe (eines zukünftigen dreimaligen Oscar-Nominierten, dessen lange Karriere von 1940 bis zu seiner Pensionierung nach Indiana Jones und der letzte Kreuzzug im Jahr 1989 dauerte) erhält es einen wirklich edlen Glanz. Slocombe lebte danach noch ein weiteres Vierteljahrhundert bis zu seinem Tod 2016 im Alter von 103 Jahren (zusätzlich zu THX 1138 Co-Star Pleasence hat der Film mit Kenny Baker eine weitere Verbindung zu George Lucas, der hier kurz als Zirkuszwerg zu sehen ist, 17 Jahre bevor er R2-D2 in Krieg der Sterne spielen würde). Obwohl Hayers (1921-2000) einige unbestreitbare Hits im Horror-Genre zwischen diesem und Night of the Eagle / Hypno (sowie Tod im Teufelsgrund und Revenge von 1971) abgeliefert hat, verbrachte er den Rest seiner Karriere im Fernsehen mit Serien wie Mit Schirm, Charme und Melone, The New Avengers, Magnum, Ein Colt für alle Fälle, Ein Fall für Professor Chase, T. J. Hooker, Knight Rider und Das A-Team.

Circus of Horrors erscheint im Rahmen der Ostalgica Classic Chiller Collection in einer DVD/Blu-Ray Combo und ist erstmals deutschlandweit in High Definition erhältlich. Das Bild wird im 1,66:1 Format (1080p, AVC, 24fps) präsentiert und macht einen wirklich sehr guten Eindruck, während auch beim Ton kein Grund zur Beschwerde besteht. Hier kann man zwischen der englischen und deutschen Spur (DTS-HD Master Audio 1.0) wählen, die sich beide klasse hören lassen. Möchte man sich den Film lieber im Originalton ansehen, so stehen deutsche und englische Untertitel zur Verfügung. Als Extras beinhaltet die Combo, neben dem deutschen Kinotrailer zum Film und einem Theatrical Trailer, noch einen TV-Spot, zwei Bildergalerien und Trailers from Hell mit John Landis. Außerdem wurde noch ein 20-seitiges Booklet mit dem Titel „Der Tod lauert auch in der Manege“ und interessantem Text von Carsten Henkelmann sowie zwei recht gelungene Video-Essays von Lars Johansen und Marco Koch auf bzw. in die Combo gepackt. Als Highlight der Extras muss allerdings der sehr informative sowie unterhaltsam eingesprochene Audiokommentar von Lars Dreyer-Winkelmann angesehen werden. Die klasse Veröffentlichung kommt in einem ansprechend gestalteten Papp-Schuber daher und hat auch ein unterschiedliches Covermotiv zu bieten. Ostalgica gelingt eine tolle Veröffentlichung eines kleinen aber feinen Horrorfilms, der sicherlich nicht im Fahrwasser der ganz Großen des Genres schwimmt, es aber dennoch bestens versteht sein Publikum zu unterhalten. Auf jeden Fall mehr als nur einen Blick wert!

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.66:1
  • Alterseinstufung: Freigegeben ab 16 Jahren
  • Regisseur: Hayers, Sidney
  • Medienformat: Breitbild
  • Laufzeit: 1 Stunde und 32 Minuten
  • Darsteller: Diffring, Anton, Pleasence, Donald, Remberg, Erika, Merivale, John, Monlaur, Yvonne
  • Untertitel: Deutsch, Englisch
  • Studio: Ostalgica

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Die Screenshots stammen NICHT von dieser Edition !!!

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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