Die Taschendiebin

Die Taschendiebin (aka The Handmaiden aka Agassi) ist ein südkoreanischer Psychothriller von 2016, der Anfang 2017 in Deutschland im Kino lief (und mir damals sehr gefiel, aber auch sehr anstrengend war), und im Herbst letzten Jahres auch in einer Langfassung erschien, die der Regisseur Chan-Wook Park für das heimische TV-Publikum anfertigen ließ. Die folgende Kritik basiert auf einer zweiten, frischen, Sichtung des Films nach etwas zeitlicher Distanz – aber auf Basis der Langfassung – allerdings mit guter Erinnerung an das Kinoerlebnis.

Die Handlung umspannt drei Kapitel (Achtung Spoiler!). Im ersten lernen wir die Taschendiebin Sook-hee kennen, die im von Japan besetzten Korea der 30er Jahre zusammen mit einer Gaunergruppe daran arbeitet, eine reiche Japanerin auszunehmen, die eigentlich ihrem perversen Onkel zu Reichtum verhelfen soll. Zusammen mit Fujiwara, ein Trickbetrüger, soll die kleine im Anwesen als Dienerin anfangen und sich in die „Lady“ verlieben. Fujiwara gibt sich als ein reicher Graf aus, der die Japanerin heiraten möchte. Die Idee der beiden ist, sie nach der Hochzeit in die Klapse liefern zu lassen und dann das Vermögen einzusacken. Doch es kommt alles anders. Lady Hideko und Sook-Hee befreunden sich, und die Taschendiebin wird gar eifersüchtig auf den falschen Grafen. Sie wird Opfer einer dreisten Verarsche, als sie selbst ins Irrenhaus eingewiesen wird, unter Hidekos Namen. Im zweiten Kapitel lernen wir die Geschichte aus Hidekos Perspektiven nochmal von vorne kennen. Ihr Job im Anwesen des Onkels ist es, schmutzige Literatur vorzulesen in Anwesenheit seiner Gäste. Sie leidet psychisch unter dieser traumatisierenden Erfahrung. Hier lernt sie Fujiwara das erste mal kennen, mit dem sie zusammen einen Plan ausheckt, um sie zu retten und an das Vermögen des Onkels zu kommen. In diesem Kapitel macht die Kehrtwende von Hideko und er Verrat an Sook-hee plötzlich wieder Sinn. Im letzten Kapitel entkomm Sook-Hee aus der Klapse, Hideko überlistet den Grafen, und ein ganz anderes Happy End folgt…

Die Taschendiebin ist ein Film der von Anfang an durch Verzauberung verzaubert. Was meine ich damit? Der Film startet mit der Perspektive der Taschendiebin Sook-Hee, einer Person aus armen Verhältnissen. Ihr Eintreten in die Welt der Reichen ist zunächst geprägt von Erstaunen, Neid und Überwältigung. Sprung in Kapitel zwei, und wir folgen der Lady, wie sie ebenfalls als Kind verzaubert wird – eher auf weniger angenehme Weise aber nicht weniger überwältigend – von der bizarren Welt ihres Ziehvaters und seiner perversen Geschichten. Als dem Zuschauer das Zusammenspiel der beiden Charaktere klar wird, ist man schon völlig im Bann der kleinen Welt aus Intrigen, Lust, Eifersucht und Gier gefangen, bzw. davon verzaubert, denn Park fährt alles auf was er an Production Design, Schnitt, Ton, Spannung, Gewalt und Erotik aufbieten kann.

Relativ schnell merkt der Zuschauer außerdem, dass es mit der Perspektive des Hausmädchens etwas besonderes auf sich hat und so ist der Schnitt zur Hälfte es Films wenn plötzlich alles nicht mehr so zusammen passt wie man zunächst erwartet, natürlich schockierend und verzaubernd zugleich. Die Schichten des Films blättern, die Charaktere werden mysteriöser und die Geschichte gewinnt einen gewissen „derben“ Unterton zu bekommen.

Was mir am Film weniger gut gefällt ist nicht die Länge – die durchaus seine Berechtigung hat – sondern dass Park am Ende den Zuschauer ein wenig wie einen Idioten behandelt und meint, penibel alle Fäden zusammenführen und alles auflösen zu müssen. Über eine halbe Stunde des Films zum Ende hin ist Sendung-mit-der-Maus, obwohl der Zuschauer auch mit weniger Erklärmaterial gut zurecht kommen würde. Der Film schockt, überrascht, und fällt am Ende radikal ab, weil er die Schockmomente relativiert und die Überraschungen die am Anfang sorgfältig aufgebaut wurden, wieder einfängt durch unzählige erklärende Rückblenden, Voice-Overs und Schilderungen. Schade, denn Park hätte den Zuschauer auch eine kalte Dusche verpassen können am Ende, mit ein paar offen gelassenen Fragen oder einigen letzten Schockern.

Die Unterschiede zur Kinofassung sind wenig merklich. Schnittberichte hat mittlerweile einen Detailvergleich, und kommt zu einem ähnlichen, fundierteren, Schluss. Die Langfassung ist ein wenig detaillierter und ausführlicher, vielleicht in gewisser Weise etwas runder (aber jedenfalls nicht brutaler, sexier oder eindeutig besser), mit circa 20 Minuten mehr Stoff für viele Szenen und Charakterhintergründe. Sie ist eher ein Geschenk des Regisseurs an seine Fans. Für die zusätzlichen Szenen existiert freilich keine Synchronfassung, allerdings wissen meine treuen Leser ja, dass ich alles im Original gucke, so auch hier. Die zusätzlichen Szenen sind auch bei Genuss in der Synchro dann jeweils untertitelt.  Was man Park zu Gute halten kann ist, dass er für den „Extended Cut“ den Zuschauer etwas mehr Zeit mit seinen Charakteren verbringen lässt, was den Film vielleicht subjektiv betrachtet etwas mehr Tiefgang verleiht. An der etwas hemdsärmeligen Auflösung der Geschichte, wie oben angemerkt, jedoch ändert das nur wenig.

Die Limited Edition enthält eine BluRay der Kinofassung und eine für die Langfassung, gleiches auf DVD, sowie eine Bonus-Disc, also insgesamt 5 Discs. Mit im Paket ist ein 144-seitiges Fotobuch sowie fünf Postkarten. Es gibt auch eine schnöde Normalfassung die nur die BluRay der Kinofassung enthält und separat erhältlich ist (ebenfalls unten verlinkt). Am 7. November 2017 erschien nochmal eine Edition, und zwar als 2-Disc Special Edition (also Kino- und Langfassung auf BluRay), jedoch ohne den Schnickschnack für die Sammler. Obwohl zwischen Release und diesem Artikel sehr viel Zeit verstrichen ist, gibt es auch die Sammleredition noch zu kaufen. Man hat als Fan also nach wie vor die Wahl zwischen Kurz oder Lang, Sparfuchs-Version oder Sammlerstück.

Das Bild der BluRay bietet großartige Farben, solide Kontraste und viel Schärfe. Manchmal liegt etwas mehr Schleier auf dem Bild manchmal weniger. An manchen Stellen hätte man sich glaube ich etwas mehr Klarheit des Bildes gewünscht, an anderen Stellen wiederum ist diese „Unschärfe“ (jedenfalls so wahrgenommen) vielleicht auch Stilmittel. Es ist keine Referenzqualität, aber man kann sich hier kaum beklagen. Der Ton ist wirklich ziemlich gut, sehr dynamisch, mit gutem Stereo bzw. Surround-Klang, guten Tiefen und Effekten. Ein gutes Heimkino-Erlebnis, was allerdings nur bedingt für die Dialoge gilt. Die sind oft nicht nah genug am Zuschauer positioniert, was aber eine allgemeine Krankheit ist, die die Industrie plagt. Es gibt durchaus Momente da hätte man bei der Positionierung etwas mehr Mut beweisen können. Insgesamt aber wirklich erstklassig.

Zu den Extras: Neben der Lang- und Kinofassung je auf BluRay und DVD (je nach gekaufter Edition) finden sich darauf noch ein kurzes Making-Of (5min), Eindrücke von der Cannes Premiere (2min), und Präsentation von Cast und Regisseur (je 1min), sowie Teaser und Trailer. Interessanter wird es, wer die Sammleredition kauft, da ist auf einer Bonus DVD der auf dem iPhone gedrehte Kurzfilm „Night Fishing“ von Park Chan-Wook (ca. 33 Min.) enthalten (der Stil ist unverkennbar), und ein Interview des BFI mit ihm beim London Filmfestival (ca. 60 Min. – konsekutiv gedolmetscht).

Insgesamt muss man sagen, dass Die Taschendiebin auch nach erneuter Sichtung, und vielleicht gerade deshalb, ein wirklich exquisites Filmerlebnis ist, auch wenn der Film manchmal zäh und schwer zugänglich erscheint. Wenn man sich auf die Welt einlässt und auf Details achtet, eröffnet sich einem ein faszinierendes Schauspiel vor schöner Kulisse. Wunderbare Musik, interessante Sets, Masken und viel Liebe zum Detail. Warum Park am Ende jedes noch so kleine Fragezeichen ausgiebig auflösen muss, who knows. Der Film wäre wahrscheinlich noch einen Meter besser geworden, hätte man am Ende den ein oder anderen Aspekt für die Vorstellungskraft der Zuschauer aufgehoben oder für eine Art „what the fuck“ Moment gesorgt.

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Die Veröffentlichung wurde uns freundlicherweise von Koch Media zur Verfügung gestellt.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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