Don’t Torture a Duckling – Quäle nie ein Kind zum Scherz / Non si sevizia un paperino

Ein kleines verschlafenes Dorf in Süditalien wird von einem großen Schrecken wachgerüttelt. Der kleine Bruno wird tot und bestialisch zugerichtet von der Polizei gefunden. Sofort verfallen die Einwohner in eine Hysterie und man verdächtigt zunächst den bekannten Außenseiter Guiseppe und später auch die als Voodoohexe gebranntmarkte Maciara. Ein wütender Mob zieht durch die Stadt, vorbei an einer überforderten Polizeieinheit. Als dann bald darauf weitere Jungen vermisst und tot aufgefunden werden, sehen sich die Einwohner und die Polizei in völliger Hilflosigkeit und beginnen schnell über jeden Verdächtigen herzuziehen. Wer ist der Mörder und wer wird ihm Einhalt gebieten? Ein Wettlauf mit der Zeit, gesponnen aus Verdächtigungen und Zweifel, beginnt! (’84 Entertainment)

Für viele hochkarätige Kritiker, die nur mit seinen späteren blutigen Zombie-Filmen vertraut sind, ist Lucio Fulci als Derivat-Hack verschrien. Was viele dieser sogenannten Cinéasten jedoch nicht realisieren, ist, dass Fulcis Filmografie eine Menge an Tiefe und Weite zu bieten hat, abgesehen von diesen liebenswürdig wilden Spätausflügen. Fulcis Frühwerk umfasst alles über Komödien sowie Musicals bis hin zu Italo-Western und einer Handvoll der besten Gialli der 70er Jahre. Non si sevizia un paperino ist wohl als sein Meisterstück zu bezeichnen. Dabei handelt es sich um eine Meinung, die von Fulci selbst geteilt wurde, da er den Streifen später als seinen persönlichen Favoriten unter all seinen Filmen bezeichnete. Eines der markanten Elemente des Films ist die Art und Weise, wie er sich den gesellschaftlichen Konventionen widersetzt, indem er seinen italienischen Wurzeln huldigt. Der Film spielt nicht nur offensichtlich in Italien, er spielt auch in einem Teil Italiens, der in den „malerischeren“ Porträts des Landes selten dargestellt wird. Dies ist ein Italien des Aberglaubens und der Bigotterie, des Rückwärtsdenkens und der Hassverbrechen. Eine Präsentation, die Fulci in einigen Kreisen in Schwierigkeiten brachte, da sie gleichbedeutend damit war, seine schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen. Dies bedeutete jedoch nichts im Vergleich zu dem Zorn, den der Film über seine trügerische Sicht auf die unantastbarste aller heiligen Kühe hinweg erzeugen würde: die Religion.

Don’t Torture a Duckling wurde oft als antikatholisch beschrieben. Doch ist das wirklich gerechtfertigt? Fulcis Ungeduld mit der verschlossenen Mentalität der abergläubischen Berggemeinschaft ist offensichtlich, doch er scheint nicht darauf hindeuten zu wollen, dass die Religion an sich die gesamte Schuld in diesem Szenario auf sich nehmen muss. Fulcis ikonoklastische Haltung veranlasste ihn dazu gern gegen Windmühlen zu kämpfen, was sicherlich als ein Aspekt seines Charakters angesehen werden kann, der letztendlich seine Karriere beeinträchtigen oder zumindest behindern würde. Als solches wäre es ein Fehler, den Film einfach als antikatholische Tirade zu lesen. Fulci ist daran interessiert die veralteten Aspekte der Religion zu erforschen, oder vielleicht genauer, zu ergründen wie und warum diese Elemente von rückwärts denkenden Kulturen verdreht und falsch interpretiert wurden. Letztendlich stellt sich die Kirche dann nämlich doch nicht als das wahre Monster dieses Streifens heraus. Der Film ist einer der relativ wenigen Gialli, die auf emotionaler sowie viszeraler Ebene wirken. Fulcis gefeierte/verschmähte Neigung, sich langwierigen Szenen schockierender Gewalt hinzugeben ist auch hier nicht zu leugnen, wird allerdings durch ein echtes Gefühl emotionaler Beteiligung an den Charakteren gestützt.

Die Sequenz, die das Kettenpeitschen eines Hauptcharakters durch die Inzucht-Einheimischen darstellt, wird zu Recht als das schönste bzw. gelungenste set-piece von Fulcis Karriere gefeiert, aber nicht nur wegen der Geschicklichkeit und des Glanzes seines Schnittes, seiner Kinematographie und seiner Spezialeffekte. Die Szene funktioniert auch so gut, weil es dem Publikum aufrichtig leid tut dabei zuzusehen, wie die Figur auf solch entsetzliche und ungerechte Art und Weise getötet wird. Der Höhepunkt ist ähnlich atemberaubend geraten, auch wenn Fulci es mit ein paar zu vielen (verweilenden) Nahaufnahmen eines Requisitenkörpers übertreibt, während der in Stücke gerissen wird. Angesichts des Gesamteindrucks kann es dabei leicht passieren, den Eifer des Regisseurs zu übersehen. Die Geschichte gestaltet sich von Anfang bis Ende packend und obwohl einige Kritiker die Polizeiverfahrensszenen für trocken halten, wurden sie mit Stil inszeniert und sehr gut in den Film integriert. Fulcis Wunsch, eine logische Abfolge von Ereignissen in seinen Gialli beizubehalten, ist durchweg erkennbar. Der Film läuft nie aus dem Ruder oder verlässt sich auf sogenannte plot-devices, um von Punkt A zu Punkt B zu gelangen. Der Kontrast zwischen den „aufgeklärten“ Stadtbeamten und den abergläubischen Dorfbewohnern mag ein wenig zu deutlich sein, doch Fulci teilt auch ordentlich gegen die Erstgenannten aus.

In der etwas bitteren Landschaft des Films existieren viele Formen von Ignoranz und Missverständnissen. Das Konzept einer Serie von Kindermorden stellt den Film sofort auf eine andere Ebene, als den durchschnittlichen Giallo und öffnet ihn unweigerlich für mehr als die übliche Kritik. Die Kindermorde werden – wie kann man es nur vernünftig ausdrücken!? – vergleichsweise geschmackvoll und zurückhaltend inszeniert, doch gestalten sie sich schon von Natur aus ziemlich beunruhigend. Fulci sensationalisiert die Morde nicht auf heikle Art und Weise, es ist jedoch auch nicht zu leugnen, dass das gesamte Thema der „Zerstörung der Unschuld“ anders und von Natur aus wirkungsvoller rüberkommt, als die üblichen Morde, die man normalerweise in Filmen dieser Gattung findet. Des Regisseurs Themen von Intoleranz und Bigotterie wird in Non si sevizia un paperino äußerst eindringlich angesprochen. Das kleine Dorf repräsentiert einen Ort in dem jeder jeden kennt – und jeder weiß, was der andere vorhat. Fulci legt eindeutig keine Nachsicht für diese Art von Inzuchtmilieu an den Tag. Die Außenseiterfiguren werden aus keinem besseren Grund mit Argwohn betrachtet, als das sie schlichtweg als „anders“ wahrgenommen werden. Nirgendwo ist dies so offenkundig erkennbar, wie im Charakter von Maciara. Maciara repräsentiert eine von Fulcis erinnerungswürdigsten „Außenseiter“ -Figuren.

Sie wird von den Einheimischen aufgrund ihres Glaubens verschmäht sowie abgelehnt und nimmt deshalb eine unsoziale Haltung ein. Als die Einheimischen auf sie losgehen, tun sie dies im festen Glauben sie sei für die Morde verantwortlich. Aufgrund Marciaras Verbundenheit mit schwarzer Magie und ihres Status als Außenseiterin, macht dies für sie absoluten Sinn. Bevor die Polizei ihre Ermittlungen abschließen kann, beschließen sie die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Maciara ähnelt der Figur des Bob (gespielt von Giovanni Lombardo Radice) in Fulcis späterem Horrorfilm Ein Zombie hing am Glockenseil (1980). Beide Charaktere existieren von der Gesellschaft getrennt und werden von ihren Mitmenschen mit Verachtung und Misstrauen gestraft, weil sie nicht in die etablierten Normen passen. Es besteht kein Zweifel, dass Fulcis Sympathien bei diesen seltsamen Charakteren liegen. Für ihn repräsentieren sie eine Reinheit, die der Heuchelei und Gewaltbereitschaft der Stadtbevölkerung vorzuziehen ist. Fulcis Beherrschung des Mediums ist im gesamten Film zu spüren. In Zusammenarbeit mit dem Star-Kameramann Sergio D’Offizi kreierte er einige der auffälligsten und einprägsamsten Bilder des „Genres“.

Der Kontrast zwischen den weitläufigen Räumen (der oft am helllichten Tag zu sehen ist) und den klaustrophobischen, etwas heruntergekommenen Innenräumen verleiht dem Film eine enorme Stimmung und Atmosphäre. Die Nachbearbeitung erweist sich als geschickt und präzise, während Riz Ortolanis Soundtrack zu seinen feinsten zu zählen ist. Der Einsatz von Musik in der oben genannten Kettenpeitschen-Szene gestaltet sich als besonders inspiriert, da die Verwendung von diegetischer Musik im Radio dazu beiträgt, die Schreie und das Klagen zu übertönen. Ortolanis wunderschönes „Quei giorni insieme a te“ gesungen von Ornella Vanoni untermalt den Großteil dieser Szene und ihrer Folgen, wobei die initialen Songs, die einen krachenderen Ton anschlagen, überhaupt nicht von Ortolani stammen: „Rhythm“ wurde von Luis Bacalov komponiert und von Riccardo Cocciante aufgeführt, während „Crazy“ von der Gruppe Wess & The Airedales geschrieben und aufgeführt wurde. Die Besetzung ist als außergewöhnlich gut zu bezeichnen. Florinda Bolkan kehrte nach ihrer Hauptrolle in Una lucertola con la pelle di donna (A Lizard in a Woman’s Skin, 1971) zu Fulci zurück. Obwohl Maciaras Charakter (per se) kein Hauptbestandteil des Films ist, kann er im Großen und Ganzen wohl als einer der einprägsamsten des „filone“ angesehen werden.

Maciara gehört zu einer Reihe trauriger Figuren von Ausgestoßenen, die in Fulcis Werken zu sehen sind. Ihr Hauptverbrechen besteht darin, anders zu sein, was als Grund für die lokalen Dorfbewohner ausreicht, sie als wahrscheinliche Täterin zu betrachten. Bolkan hat nicht viel Leinwandzeit, doch es gelingt ihr in einigen Szenen wirklich furchteinflößend, ja sogar wild und ungezähmt aufzutreten, während sie es geschickt versteht in anderen herzzerreißend rüberzukommen. Tomas Milian spielt zum zweiten Mal bei Fulci mit (zuvor war er in Fulcis „anderem“ Lieblingsfilm Die Nackte und der Kardinal von 1969 zu sehen gewesen), wobei dies doch tatsächlich eine ungewöhnlich zurückhaltende und ordinäre Rolle für den talentierten Schauspieler darstellte. Milian versucht vernünftigerweise nicht den Charakter mit Tics zu überfrachten und spielt die Rolle auf naturalistische Art und Weise. Aufgrund dessen wirkt seine Vorstellung umso effektiver. Barbara Bouchet spielt eine ihrer denkwürdigsten Rollen als das drogenabhängige „Großstadt“ -Mädchen Patrizia, das ebenfalls auf der Liste der Verdächtigen landet, nur weil sie eine weitere Außenseiterin repräsentiert. Was sie betrifft sind starke Andeutungen vorhanden, dass sie total abartig ist. Die Szene, in der sie einen Jungen offenbar verführen möchte und ihm anbietet, ihn zu entjungfern, sollte sich als so kontrovers herausstellen, sodass Fulci der Zensur beweisen musste, dass der Junge und die nackte Schauspielerin nie in derselben Szene zusammengespielt haben und der Junge einen erwachsenen kleinwüchsigen Mann als Stellvertreter hatte.

Bouchet spielt in dieser Rolle beeindruckend und beweist einmal mehr, dass sie eine sehr fähige Schauspielerin war, wenn sie mal die Gelegenheit bekam, etwas mehr zu tun, als nur zur „Szenerie“ beizutragen. Ebenfalls anwesend ist der berühmte französische Schauspieler Georges Wilson als Bolkans Kumpane, der bereits in Fulcis Die Nackte und der Kardinal aufgetreten war, genauso wie in bemerkenswerter Art-House-Kost wie Walerian Borowczyks Blanche (1971). Ansonsten sind noch eine erinnerungswürdig schweigende Irene Papas, als die in Konflikt geratene Aurelia und Marc Porel als Dorfpriester Don Alberto (der ein Geheimnis zu verbergen scheint) hervorzuheben. Porel wurde 1949 in der Schweiz geboren. In den späten 60er Jahren trat er in den Filmen von Costa-Gavras Ein Mann zuviel (1967) und Henri Verneuils Der Clan der Sizilianer (1969) auf, fand sein wahres Metier aber in italienischen Genrefilmen der 70er Jahre. Er sollte in Luchino Viscontis Ludwig II (1972) und Die Unschuld (1976) sowie in Mario Bavas Schwanengesang I giochi del diavolo (1978) und in Gialli wie Sette note in nero (Die sieben schwarzen Noten, 1977) von Fulci und Cesare Canevaris Delitto carnale (Killing of the Flesh, 1983) zu sehen sein. Der zuletzt genannte sollte sich als sein letzter Film erweisen. Porels Leben fand 1983 ein viel zu frühes Ende, als er im Alter von nur 34 Jahren starb. Einige Quellen weisen darauf hin, dass er an einer Meningitis gestorben ist, während andere auf seine langjährigen Probleme mit Heroinmissbrauch als Ursache hinweisen.

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Darsteller: Florinda Bolkan, Tomas Milian, Barbara Bouchet, Irene Papas, Marc Porel
Regisseur(e): Lucio Fulci
Format: Limitiert Sammlerausgabe, Breitbild
Sprache: Italienisch (DTS HD 1.0), Deutsch (DTS-HD 2.0), Englisch (DTS HD 1.0)
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
FSK: Nicht geprüft
Studio: ELEA-Media
Produktionsjahr: 1972
Spieldauer: 109 Minuten

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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