Dunkirk

Dunkirk in der 70mm Projektionsfassung, das sollte man gesehen haben. Wie schon bei The Hateful Eight ist es zwar schwierig, diesen eher technischen Vorteil im Projektionsformat einfach zu erklären. Allerdings sollte reichen, dass 70mm einfach eine vielfach höhere Auflösung hat, mehr Bild, mehr Schärfe, mehr Farbtiefe und mehr Helligkeit. Einzig krasser ist dann noch IMAX 70mm, aber da ist das Format fast quadratisch und die Lautstärke höher, das ist auch nicht jedermanns Sache. Ich konnte Dunkirk im gleichen Kino sehen wie damals The Hateful Eight. Im Zeitalter von hochwertigen, preiswerten Heimkino-Ausstattungen und überteuerten Preisen für schlecht projizierte Massenware ist es natürlich im Sinne der „Kino ist was besonderes“ Fraktion, sowas anzubieten, und das kann man voll unterschreiben. 70mm gibts eben nicht im Wohnzimmer. Genau genommen gibt es von dem Film in dem Format nur 5 Kopien in ganz Deutschland, analoges IMAX 70mm gibt es in Deutschland gar nicht. Also ab in den Zoopalast stolziert und sich mal wieder bezaubern lassen….

Mit Christopher Nolan kann ich ansonsten eigentlich wenig anfangen. Klar, Memento war damals ziemlich erfrischend, aber die Batman Filme eher Murks (Fans werden mich dafür lynchen wollen, sorry, aber das war für mich viel dicker Soundtrack und dunkle Bilder, aber kein ordentliches Kino), und Inception ist ein riesiger Haufen gequirlter unlogischer Scheisse, aber Bilder einfangen das kann der Mann durchaus. Insomnia und The Prestige waren beide recht solide Werke. Interstellar war überwältigend, aber gegen Ende in der Nonsense-Kategorie, ich hab den Film schon verdrängt. Nolan gehört zu der Gruppe von Filmemachern die sich aktiv für den Erhalt von Zelluloid einsetzen, und nach Tarantino ebenfalls 70mm einsetzt – Nolan setzte bislang allerdings eher auf die IMAX Technik.

Mit Dunkirk geht Nolan einen ganz anderen Weg. Keine Superhelden, keine Magie, kein religiöses Gedöns. Stattdessen fängt er in einem audiovisuellen Frontalangriff die beklemmende, ausweglose Situation von 400 Tausend britischen Soldaten ein, die am Strand von Dünkirchen größtenteils vergeblich auf ihre Rettung warten. Hinter ihnen halten versprengte französische Truppen die Übermacht an Nazis im Schach, während Flugzeuge die Soldaten unter Feuer nehmen, die auf dem Strand wie auf dem Präsentierteller sitzen. Torpedos lauern auf die wenigen Boote die geschickt wurden, um über den Kanal zu evakuieren. Ich bin mit dem historischen Kontext nicht gut genug vertraut, allenfalls gab es wohl Gründe dagegen, eine vollständige Evakuierung anzuordnen oder mehr Luftunterstützung zu wagen. Alle Energie ging wohl in die Vorbereitung des D-Day. Und so oblag es einigen tapferen Spitfire-Piloten und einer Armada aus südenglischen Fischerbooten, die Boys nach Hause zu holen…..

Hans Zimmer und Hoyte van Hoytema sind dabei Nolans wichtigste Partner. Zimmer schuf hier einen seiner besten Scores. Das gnadenlosen Ticken bleibt einem noch nach dem Abspann im Kopf. Es treibt den Film in seiner Spannung gnadenlos voran und untermalt das beklemmende, hilflose Gefühl der Soldaten. Als Zuschauer fiebert man die komplette Laufzeit des Films mit, klammert sich an der Lehne fest, bangt mit jedem Charakter. Dabei ist es kein Actionfilm, kein Abenteuer, keine geradlinige Erzählkurve. Obendrauf kommt Meisterfotograf Hoytemas gekonnter Blick auf das Geschehen. Was den Film auszeichnet sind die umwerfenden Aufnahmen auf Land, im Wasser und in der Luft. Die Kamera rast über die Küste, man verfolgt die Flieger im Dogfight oder ist direkt bei den erbärmlich ertrinkenden jungen Menschen. Es ist eine visuelle Tour-de-Force, Dunkirk ist ein gnadenloser Blick auf das Geschehen – und kommt dabei ohne Splattereffekte aus. Es reicht völlig, mitten drin zu sein, und das Geschehen aufzusaugen. Die Texturen und der Gemälde-Effekt der 70mm Formats trägt viel dazu bei. Das Kriegsgeschehen in dieser Deutlichkeit, das kriegt man eben nur so. Die Schreie von in Booten gefangenen und ertrinkenden Soldaten zu hören, das braucht keine Splatter-Orgie wie bei Saving Private Ryan. Die Filme könnten unterschiedlicher gar nicht sein.

Schauspieler braucht der Film nicht so wirklich, zumindest braucht es keiner Hauptrollen. Zwar gibt es ein paar, und sie liefern beindruckendes ab, allerdings ist es nicht diese Sorte Film. Dunkirks Hauptdarsteller sind die Linsen von Nolans Kameras. Ob Kenneth Branagh, Tom Hardy oder Mark Rylance, sie sind Beiwerk. Der junge Fionn Whitehead ist vielleicht sowas wie der Hauptdarsteller, aber sein Charakter bietet sich nicht als Identifikationsfigur an.

Wenn das Ticken von Hans Zimmer aussetzt, oder einer von Görings Fliegern im Fadenkreuz vor Tom Hardy auftaucht, oder Kugeln um die Soldaten herum einschlagen, Nolans Film ist dann am Stärksten wenn die Erzählfäden gegen Ende zusammengeführt werden, und das Überleben einiger von der rechtzeitigen Heldentat weniger abzuhängen scheint, und wenn dann Churchills legendäre Rede aus Whiteheads Mund durch das Kino hallt, die Nazis hinter den Dünen auftauchen, die weißen Klippen Südenglands vor den Soldaten auftauchen und der Zuschauer weiß, dass vom gleichen Kanal aus einige Zeit später eine riesige Armada zum Endkampf gegen das Dritte Reich ansetzen wird, kriegt man schon kurz Gänsehaut.

Kurzum: Gerne im Kino sehen und sich ein klein wenig überwältigen lassen. Aber keinen actionreichen Kriegsfilm erwarten. Es ist ein minimalistischer Arthouse-Film mit riesigem Budget und noch riesigeren Kameras. Es ist ein dünnes Script, ein Film der audiovisuell meisterhaft daherkommt und Emotionen auslöst. Wer Mainstream-Unterhaltung erwartet, wird enttäuscht werden. Auch wird der Film im Heimkino nicht so recht funktionieren, also am besten das nächste Kino mit großer Leinwand aufsuchen.

Nachtrag: Wer das zwar in 70mm erwischt (5 Kinos in Deutschland, eines in Österreich, bieten das) aber nicht im Originalton, bekommt den Originalton von einer externen digitalen Quelle dazu gespielt übrigens. Es gibt keine 70mm Kopien mit Synchronfassung, das würde sich für 5 Rollen auch nicht lohnen.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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