Fango Bollente – Die grausamen Drei

Was für den in einem Rechenzentrum arbeitenden Ovidio mit einem scheinbar harmlosen Mäuseexperiment beginnt, steigert sich immer mehr zu unvorstellbaren Gewaltexzessen: Ob im Stadion oder auf den Straßen und Plät-zen Turins – niemand scheint mehr sicher zu sein vor Ovidio und seinen Freunden Giacomo und Peppe. Auf der Suche nach dem ultimativen Thrill versuchen die grausamen Drei der Tristheit ihres Alltags zu entfliehen. Nur der bereits müde und versehrte Kommissar Santagà ahnt instinktiv von dem Zerstörungstrieb, der in Ovidio schlummert. Zwischen den beiden entspinnt sich ein psychologisch abgründiges Spiel bis zum unerbittlichen Ende… (Camera Obscura)

Dieser dunkle, einprägsame Thriller mit einer interessant widerlichen Darstellung von Joe Dallesandro hat sich einen Ruf als einer der bösartigsten Kriminalfilme seiner Zeit erworben, vor allem dank einer verabscheuenswürdigen Sequenz, in der ein Gabelstapler und eine Oben-ohne-Frau beteiligt sind, die noch immer zu schockieren weiß. Auch andere üble Dinge werden präsentiert, wie zum Beispiel eine Demonstration dessen, was übervölkerte Ratten miteinander anstellen sowie die grausamen Folgen eines Zuhälter-Mordes, doch im Allgemeinen wälzt sich der Film nicht so sehr im sleaze, wie es das Thema vermuten lässt. Die talentierten Schauspieler und die interessante Darstellung eines Italiens der 70er Jahre, das von Gesetzlosigkeit und einer wild gewordenen Bevölkerung geplagt ist, präsentieren sich größtenteils ziemlich authentisch, wobei der Twist gegen Ende die Befürchtungen des Publikums, dass dies ein andauerndes Problem sein könnte, nicht wirklich zerstreuen kann.

Dieser Film wurde oft zensiert und war jahrelang nur äußerst schwierig in etwas zu finden, das einer legitimen Videoveröffentlichung ähnelte. Fango Bollente wurde sowohl in italienischer als auch in englischer Sprache gedreht, nur Dallesandro sprach während der Dreharbeiten Englisch, doch seine Stimme wurde von jemand anderem für die englische Edition (veröffentlicht auf VHS in Griechenland und einigen anderen Gebieten) sehr schlecht synchronisiert, mit einer hohen Stimme, die ablenkt und somit die Effektivität des Films ernsthaft untergräbt. In Italien erschien 2011 eine DVD-Veröffentlichung dieses Films, allerdings ohne englische Sprachoption. Den „einzig wahren Jakob“ (wie Christian Kessler es ausdrücken würde) stellt dabei jedoch die 2017er Edition von Camera Obscura dar, die man separat als Blu-Ray oder DVD erwerben kann. Die einzige Audiooption ist die italienische Spur, was jedoch vollkommen in Ordnung geht, da es sich hier einfach um die beste Möglichkeit handelt den Film legal anzusehen. Außerdem sind bei dieser Edition zum ersten Mal englische und deutsche Untertitel zuschaltbar. Der Transfer ist mit den anderen italienischen Veröffentlichungen des Labels vergleichbar und sieht durchweg sehr filmisch aus, mit überzeugender Körnung und hervorragenden Details.

Wie von Camera Obscura gewohnt, wurde auch ein sehr dichter und manchmal humorvoller Audiokommentar auf die Scheibe gepackt, in dem Pelle Felsch und Christian Kessler genauso auf die Unbeständigkeit der italienischen Politik und Kriminalität eingehen, wie die Darstellung von asozialem Verhalten im Film und in der Öffentlichkeit. In eine ganz andere Richtung des Denkens begeben sie sich mit einer Rhapsodie darüber, wie die Kinder von Dallesandro und einiger seiner weiblichen Mitstreiterinnen ausgesehen haben könnten. Im Featurette „Rat Eat Rat“ (ca. 39m) erklären Vittorio Salerno und Schauspielerin Martine Brochard, wie dieser Film aus einem Kollektiv von neun Filmemachern hervorgegangen ist, die zu der Zeit aus finanziellen Gründen Low-Budget-Filme machen wollten und wie der Film durch zufällige territorial städtische Verbrechen inspiriert wurde (symbolisiert durch das echte sich Selbstschlachten der Ratten im Film). Sie unterhalten sich auch über die verschiedenen Darsteller, einschließlich Dallesandro, der trotz der Sprachbarriere (ohne dass jemand anderes Englisch sprach) für sein „etwas verrücktes Gesicht“ und seine Warhol-Referenzen besetzt wurde.

Bei „The Savage One“ (ca. 41m) kommt Dallesandro zu Wort, der mit Geschichten über die Entstehung von Lonesome Cowboys (1968) und seiner klassischen Paul Morrissey – Trilogie aufwartet, bevor er in seine europäische Zeit übergeht, einschließlich Schwierigkeiten mit schlechten Dolmetschern, „dummen Stuntmen“, dem „knucklehead“ Martin Balsam und einen bestimmten Regisseur, der dazu neigte, seine Tür mit einer Waffe zu öffnen, ganz zu schweigen von seinen weniger schmeichelhaften Eindrücken von einem seiner Mitdarsteller. Der Veröffentlichung liegt auch ein booklet mit deutschen und englischen Liner Notes von Robert Zion bei. Sein Aufsatz „Mit klebrigen Fingern im kochenden Morast“, beschreibt ausführlich die italienische Kriminalitätswelle von Mitte der 70er Jahre, die als Hintergrund für diesen Film diente und die seltsame Schauspielkarriere von Dallesandro, der einige kritische Treffer für seinen vermeintlichen Nicht-Schauspieler-Status verbuchen musste, aber auch heute noch eine beliebte und unwiderstehliche Figur des Gegenkultur-Kinos repräsentiert.

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Als einer der ungewöhnlichsten Polizieschi überhaupt, ist Fango Bollente zugleich eine Orgie aus enthemmter Gewalt und Sex sowie eine soziale und psychologische Studie. Regisseur Vittorio Salerno lässt dabei die Pop-Art-Ikone Joe Dallesandro zu wildem Progressive Rock auf die Turiner los. Ein ungemein rasanter und harter Film, der dennoch subtil und detailreich die Stimmung und den gesellschaftlichen Hintergrund der „bleiernen Jahre“ Italiens ausbreitet. Einer der Höhepunkte des Genres, der auch heute noch hochaktuell ist. (Camera Obscura)

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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