Free Fire

Ben Wheatley (High-Rise) brachte Anfang des Jahres einen Film in die Kinos, bei dem sich einige vor Lobpreisung überschlugen, und andere damit gar nichts anfangen konnten. Am Ende bleibt wohl jeder irgendwie ratlos den Film einzuordnen. Die Rede ist von Free Fire, der vorab schon als eine Art Reservoir Dogs bezeichnet wurde und Martin Scorsese muss er gut genug gefallen haben, um als Produzent seinen Namen dafür herzugeben.

Nach seinem kontroversen High-Rise hat Regisseur Ben Wheatley den dystopischen Wolkenkratzer gegen eine verlassene Lagerhalle eingetauscht. Free Fire ist eine bitterböse Gangsterklamotte der ganz anderen Art: es ist die Dekonstruktion des starken Mannes mit der Waffe, und eine herrlich unterhaltsame Actionkomödie oben drauf. Warum ist das so? Nun, es ist ein physisch limitierter Ort, alle sind bewaffnet, keiner ist extrem schlau, es gibt keine „Honor Among Thieves“, und hier kommt niemand heil raus. Es ist eine unterhaltsame Art und Weise zu sagen: vergesst all die coolen Schießereien, denn in Wahrheit sieht es nämlich so aus, dass wenn die Kugeln fliegen, alle irgendwie den Kürzeren ziehen. Aber wer hätte gedacht, dass ein Film mit solch einer banalen Prämisse so gut sein kann? Ich konnte selbst nicht glauben wie zum Teufel das knappe zwei Stunden füllen sollte, tut es aber mit Bravour.

Knapp zusammengefasst handelt der Film von dem Waffenhändler Chris (Cilian Murphy) der mit seinen Kollegen in einem verlassen Wahrenhaus den zwielichtigen Schieber Vernon (Sharlo Copley) trifft, dessen Gang ihnen jedoch plötzlich nur zweitklassige Ware anbieten möchte. Der Mix aus labilen Egos, vielen Waffen, mangelndem Vertrauen, ein wenig Rassismus und Geldgier kommt zum explodieren, als jemandem die Nerven reissen und das Geballer losgeht. Mehrere Versuche, einen Waffenstillstand zu erwirken und sich doch noch auf einen Kompromiss zu einigen, ehe man sich gegenseitig umbringt, scheitern. Und so entfaltet sich eine mehrstündige Schießerei in der Lagerhalle, die mit allen erdenklichen Mittel geführt wird und keine Gnade kennt. Physik, Brutalität, Pech, Vorsatz, Biologie… keiner genießt hier eine Ausnahme….

Wie sieht das technisch aus? Ich komme gleich nochmal zum Drehbuch. Technisch ist der Film erst einmal genial. Es gibt sicherlich Filme, bei denen Schießereien noch einen Tick echter gemacht sind, aber das soll hier auch eine leichte Überzeichnung sein. Man is als  Zuschauer die ganze Laufzeit in der Lagerhalle mit diesen Verrückten und da wird geballert, geflucht, geschrien und sonstwas. Es fliegen die Fetzen, und das sieht und hört man. Allerdings ist es weniger ein Actionfilm von der Michael Bay Sorte, sondern eher ein wirklich derber Blick auf die tatsächlichen Auswirkungen. Hier tut alles wirklich weh, es gibt keine übermenschlichen Helden, die Hauptdarsteller bekommen keinen Freibrief. Dabei springt der Regisseur von Charakter zu Charakter und entfaltet so eine Art Landkarte eines Feuergefechts bei dem man als Zuschauer nicht die Übersicht verliert, sondern ziemlich genau ein Gefühl dafür entwickelt, wie die taktische Situation eines jeden einzelnen aussieht. Eine ausweglose Situation, bei der man mit jedem Pechvogel richtig mitfiebert.

Nebenbei ist die Besetzung ansonsten mit Sam Riley, Brie Larson, Armie Hammer, Michael Smiley und Co auch wirklich nicht schäbig.

Also nochmal zurück zum Drehbuch. Man könnte nun sagen, gut, Actionszenen choreographieren, dafür kann man sich Profis einkaufen und dann hält man die Kamera drauf, Handwerkskunst eben. Falsch. Free Fire funktioniert deshalb, weil hinter jeder Knarre eine wirklich plastisch dargestellte Figur steht, mit Akzenten, Hintergrundgeschichten, Motivationen, Stimmungslagen und Dialogen. Wheatley hat hier in Tarantinos Rezeptbuch geguckt, und lässt seine Charaktere alsbald er sie zum Leben erweckt hat, einfach frei loslaufen und losreden. Whealey ist kein David Mamet, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, und trägt sowohl zur komödiantischen Finesse des Films bei, als auch zur Qualität.

Musikalisch muss man auch sagen, Hut ab, gutes Händchen bewiesen. Der Film rockt. Von Anfang bis Ende kommen hier gut ausgewählte Songs zum Einsatz, was dem Film einen extra Touch von Popkultur verleiht und Wiederanseh-Wert gibt. Auch hier – so abgedroschen es klingt – passt der Tarantino-Vergleich. Allerdings finde ich das nur bedingt, denn Wheatley liegt hier näher bei Scorsese, der Musik zur Untermalung von Etappen seiner Stories einsetzt und diese emotional unterstreicht, während Tarantino Musik zum Teil von Szenen macht, die dadurch ikonisch werden und von der Szene nicht mehr zu trennen sind (oder kann irgendwer noch Stucke in the Middle With You hören ohne an ein Rasiermesser zu denken).

Kurzum, gleich mal nach der BluRay Ausschau halten, der Film hat hohen Wiederholungswert – auch hier, analog Reservoir Dogs, wir wissen ja wie es ausgeht und gucken den Film dennoch regelmäßig wieder. Weil, man lerne, ein Film von seiner Sogkraft her funktioniert, also ob der Zuschauer sich hier über die Laufzeit von der Leinwand gebannt fühlt, ob die Charaktere plastisch sind und man die Welt um sich rum vergisst. Free Fire ist ein Kleinod und ein Überraschungshit. Ich will ihn nicht zu hoch loben, denn oftmals tut man dem Regisseur auf der höhe seines Hypes nicht gut, aber mir hat der Film extrem gefallen. Die BluRay ist nun auch im Handel, greift zu.

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Ein Film mit Kultpotential. Eine Schießerei wurde noch nie gekonnter auf 2h ausgedehnt

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com