Gelb wie die Nacht: Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute

Filmjournalist Christian Keßler erfüllt sich mit diesem Buch einen lange gehegten Wunsch – ein Buch über das „Giallo“-Kino, jene spezifisch italienische Tradition von Filmen, in denen nicht Vernunft und Kombinationsgabe der Ermittler den Ton angeben, sondern die sinnlichen Verlockungen der Hölle, die in uns allen steckt. Der Entertainment-Faktor dieses ebenso explosiven wie kontroversen Kinos hat in den beiden letzten Jahrzehnten viele Filmfans zu treuen Anhängern gemacht, die den rasiermesserschwingenden Mördern in ihren schwarzen Klamotten auf allen Wegen folgen, wie blutverschmiert sie auch immer sein mögen. „Gelb wie die Nacht“ ist ein Nachschlagewerk, das diese Wege nachvollziehen helfen soll, von Mario Bavas stilbildenden Werken bis zum heutigen Retro-Giallo. Über 250 Verdächtige sind hier versammelt, und alle sind sie schuldig! (Martin Schmitz Verlag)

Christian Keßler gehört zu meinen Lieblingsautoren, denn ich mag seinen einzigartigen Schreibstil sehr. Der zeichnet sich nämlich durch des Autors ausgefallenen Sinn für Humor, Subtilität und Zynismus aus. Mit diesen Zutaten würzt Keßler nach Wurmparade auf dem Zombiehof, Der Schmelzmann in der Leichenmühle, Das versteckte Kino sowie Endstation Gänsehaut: Eine persönliche Reise durch das Horrorkino auch sein aktuelles Buch Gelb wie die Nacht: Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute. Diesmal rekonstruiert der Autor die Entwicklung des Giallo-Films ab 1963 bis heute und seine damit verbundenen filmischen Erfahrungen.

Keßler surft mit traumwandlerischer Sicherheit durch den filone sowie dessen verschiedene Sub-filones – vom „klassischen“ Giallo über den sogenannten psychologischen Giallo, Giallo Fantastico und Giallo Pseudofantastico bis hin zum Retro-Giallo. Obwohl der Autor diese Begriffe überhaupt gar nicht benutzt, versteht er es selbstverständlich trotzdem solche Grenzgänger wie Das Grauen kam aus dem Nebel; The Red Queen Kills Seven Times; Sieben Tote in den Augen der Katze; Malastrana; Der Tod trägt schwarzes Leder; The Killer Reserved Nine Seats; Spirits of Death; Der schwarze Leib der Tarantel; Die Grotte der vergessenen Leichen; Die Farben der Nacht; The Suspicious Death of a Minor und Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien innerhalb des „Genres“ einzuordnen. Da er diese Grenzgänger faszinierender findet, als die Nachahmer, „wimmelt es im Buch vor teilweise noch niemals besungenen Tümmlerfischen des Thrillers.“

Man muss mit dem Autor nicht immer einer Meinung sein, um sich über die großzügig auf jede Seite gestreuten prägnanten Formulierungen zu freuen. Christian Keßler schreibt frei von akademischem „Ballast“ und kann sich auf sein beeindruckendes Filmwissen verlassen, das es ihm erlaubt, zu jedem Film, wo nötig, ein halbes Dutzend Referenzpunkte anzuführen. Dass man sich beim Lesen in den zahllosen Verknüpfungen nicht verliert, ist erstaunlich, aber es funktioniert.

So dokumentiert Gelb wie die Nacht: Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute nicht nur die Konstanten und die sogenannten Grenzgänger des Giallo-Films, sondern auch eine ausdauernde Begeisterung für das Genrekino, die sich ohne Weiteres auf den Leser überträgt. Eine Wahrnehmung scheint sich für Keßler (ähnlich wie bei Endstation Gänsehaut) durch die gesamte Geschichte des filone zu ziehen: die zentrale These des Giallo in Film und Literatur ist, dass die Welt ein unheimlicherer Ort ist, als allgemein angenommen wird, oder dass die scheinbar Normalen die wahren Monster sein können. Das ist so banal wie nachvollziehbar und liefert eine erste Erklärung dafür, dass der Giallo, nach wie vor und immer wieder ein Publikum findet, dem die schrecklichen Bilder im Wortsinn etwas bedeuten.

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  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • ISBN-10: 3927795887
  • ISBN-13: 978-3927795884
  • Herausgeber: Schmitz, Martin (14. Oktober 2020)
  • Sprache: Deutsch

Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom Martin Schmitz Verlag zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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