Homeboy

Der heruntergekommene Boxprofi Johnny verdient sich mit Provinzkämpfen seine Dollar und will sich auch vom Gelegenheitsganoven Wesley nicht in zwielichtige Geschäfte verwickeln lassen. Er findet Halt bei Ruby, die ein altes Karussell auf dem Rummelpatz betreibt. Als seine Sehstörungen zunehmen, lässt sich Johnny von einem mit Wesley befreundeten Arzt untersuchen und erfährt erst kurz vor Wesleys nächstem Coup, dass der nächste Kampf tödlich sein könnte. Johnny steigt trotz Schädelfraktur in den Ring, denn mit der Börse will er Rubys Karussell retten. (OFDb Filmworks)

The Wrestler (2008) gilt allgemein als Mickey Rourkes Comeback-Film und hat bewiesen, dass wenn man ihm eine Chance mit dem richtigen Material gibt, er wieder ein großartiger Schauspieler sein könnte. The Wrestler erinnert seltsamerweise an einen anderen Film, den er 30 Jahre zuvor mit dem Titel Homeboy (1988) gedreht hat. Interessanterweise handelt es sich bei beiden Filmen um Außenseiter-Sportgeschichten, bei denen der Schauspieler Einzelgänger spielt, die auf der Suche nach Erlösung sind. Was Homeboy zu einem interessanteren Film macht als The Wrestler, ist, dass es sich dabei um ein persönliches Leidenschaftsprojekt für Rourke handelt, im Gegensatz zu Darren Aronofskys Film, der auf die Talente des Schauspielers zugeschnitten war. Homeboy ist ein Film, der mit Rourke entstand, da er sich jahrelang darum gekümmert hatte und sogar das Drehbuch unter dem Pseudonym Sir Eddie Cook schrieb.

Es ist kaum zu glauben, dass Rourkes Karriere 1988 als beendet galt – zumindest in Hollywood, wo er mit denkwürdigen Rollen in Diner (1982) sowie in Der Pate von Greenwich Village (1984) stark begann und dann mit 9 ½ Wochen (1986) seinen größten kommerziellen Erfolg erzielte. Dies würde einen Höhepunkt für den Schauspieler darstellen, dessen Ruf als schwieriger Zeitgenosse übersehen wurde, solange seine Filme Geld einspielten. Drei aufeinanderfolgende „Flops“ sorgten jedoch dafür, dass Rourke zunehmend an den Rand des Geschäfts verbannt wurde. Es half auch nicht, dass er sich als echter Boxer sah – eine Besessenheit, die dazu beitrug, seine Karriere in den 90er Jahren noch weiter entgleisen zu lassen.

Johnny Walker (Mickey Rourke) kommt in einer regnerischen Nacht in einem Resort am Meer an und flüchtet in eine nahe gelegene Bar, in der sich ausschließlich Afroamerikaner aufhalten, die ihn im Großen und Ganzen mit Geringschätzung und Verachtung ansehen. Es könnte wegen seiner weißen Hautfarbe oder auch aufgrund der Cowboy-Kleidung sein, die er trägt. Er macht bei einem Würfelspiel mit, worauf er schon bald akzeptiert wird und mit einer Frau auf der Bar tanzt, während er aus einer Flasche Whisky trinkt. Bis Johnnys Trainer Lou (Thomas Quinn) vorbeikommt, um ihn zu einem Boxkampf zu bringen, in dem er kämpfen soll.

Zu sagen, Johnny sei ein unorthodoxer Boxer, ist als Untertreibung anzusehen. Als er zum ersten Mal in den Ring steigt, spielt er mit seinem Gegner Gedankenspiele, indem er die Seile testet und ihn schweigend anstarrt, so dass man ihn für geistig behindert halten könnte. Der Kampf beginnt und Johnny verbringt die erste Runde damit, alle möglichen Schläge seines Gegners einzustecken. In der zweiten Runde kommt er schnell aus seiner Ecke heraus und schlägt seinen Gegner mit einem Schlag K.O., was dem Boxpromoter Wesley Pendergass (Christopher Walken) ins Auge fällt. Wesley ist ein zwielichtiger Promoter und ein kleiner Gauner, der gut reden kann, jedoch eindeutig Ärger bedeutet. Gleichzeitig tritt er in einem örtlichen Strip-Club als Stand-Up-Comedian / Sänger und Tänzer auf, der schlechte Witze erzählt und noch schlechter singt. Man stelle sich vor, wie Christopher Walken diese beiden Dinge schlecht macht und zwar auf seine ganz besondere Art und Weise. Nur so bekommt man eine Vorstellung davon, wie großartig es ist, ihm dabei zuzuschauen.

Johnny besucht einen Vergnügungspark auf der Promenade, wo er sich von Ruby (Debra Feuer) angezogen fühlt, einer gut aussehenden Frau, die dort u.a. ein altes Karussell betreibt. Sie kämpft ums Überleben, träumt allerdings davon das kaputte Karussell zu reparieren, das ihr Vater ihr vor seinem Tod hinterlassen hat. Johnny sieht sich bald in einen zwielichtigen Plan von Wesley verwickelt, der nur schlecht ausgehen kann. Hinzu kommt noch Grazziano (Kevin Conway), eine ergraute Billigversion von Gene Hackmans Popeye Doyle, komplett mit Porkpie-Hut. Er beschattet Wesley sowie dessen Junkie-Kumpel Ray (Antony Alda) und wartet nur darauf, dass die beiden es vermasseln. Der Rest des Films spielt Johnnys Dilemma aus – wird er weiterhin boxen, obwohl er nur ein oder zwei Kämpfe von einem möglichen Tod entfernt ist, hilft er Wesleys schlecht durchdachten Plan durchzuführen oder gibt er alles auf, um Ruby zu helfen, ihre Träume zu verwirklichen?

Mickey Rourke ist fantastisch als punch-drunk Boxer, der am Rande der Gesellschaft lebt. Es handelt sich um die Art von Charakter, die er hervorragend zu spielen versteht – einer, den eine tragisch-romantische Aura umgibt. Wie viele der Charaktere, die der Schauspieler spielt, stellt Johnny einen Denker dar, einen brütenden Typ, der leicht für dumm gehalten werden könnte, doch Rourkes Vorstellung legt einen Mann nahe, der andere beobachtet und die gesamte Szenerie in sich aufnimmt, bevor er reagiert oder handelt. Man bekommt auch einen kurzen Einblick davon, wie er die Welt sieht: in Zeitlupe mit verzerrtem Klang, als ob alles unter Wasser wäre.

Bei unserem ersten Blick auf Wesley Pendergass versucht er spielerisch den kahlen Kopf des Promoters Moe Fingers (Jon Polito) zu kämmen, bevor er seinen eigenen luxuriösen Haarschopf mit einem schelmischen Glitzern in den Augen grundiert, wie es nur Christopher Walken tun kann. Diese Szene bietet nur einen kurzen Vorgeschmack auf die nächste Sequenz, in der sich Wesley über Lou lustig macht: „Und Lou, warum war Gott so gut zu mir und so schrecklich zu dir?“ und das selbstverständlich in seiner Markenzeichen-Manier, die man nicht missen möchte. Walkens Wesley stellt ein einziges Lächeln und extravagante Bewegungen dar, doch in bestimmten Szenen kommt die Bedrohung, die unter der geselligen Fassade lauert, deutlich zum Vorschein. Er schwingt zwar große Reden, ist aber höchstens als ein Kleinkrimineller zu bezeichnen. Es überrascht nicht, dass es sich bei der Hauptattraktion von Homeboy um die Szenen zwischen Rourke und Walken handelt. Es ist großartig zu sehen, wie zwei talentierte Schauspieler eine ideale Chemie an den Tag legen, wobei der erste einen Mann der wenigen Worten darstellt und der zweite einen großspurigen Schwätzer spielt. Jeder Schauspieler bringt seine eigene Energie in seine jeweilige Rolle ein, wobei es viel Spaß macht zuzusehen, wie sich ihre unverwechselbaren Schauspielstile gegenseitig die Bälle zuspielen.

Debra Feuer bringt die harte Sensibilität von jemandem mit, der viele schwere Zeiten durchgemacht hat, sich aber nicht davon abhalten lassen will, seine Träume zu verwirklichen. In einer schönen Szene, in der sich Ruby an die Arbeit ihres Vaters erinnert und davon mit einem Hauch wehmütiger Nostalgie erzählt, während Rourke nur zuhört und seinem Co-Star den Raum gibt, um ihren Moment haben zu können. Feuer und Rourke (sie waren zu der Zeit verheiratet) legen eine sogar noch ausgezeichnetere Chemie an den Tag, als Walken und Rourke, wie aus den Szenen hervorgeht, die sie miteinander teilen, was die Verwundbarkeit ihrer jeweiligen Charaktere hervorhebt. Lou, gespielt von Thomas Quinn, verkörpert eine ausgebrannte, zerzauste Variante von Burt Youngs Trainer aus Rocky (1976). Er versteht es perfekt den schäbigen Charme dieser Welt zu repräsentieren, die von kaputten Boxern und Kleinkriminellen bevölkert wird. Im Laufe des Films zeigt sich, dass Lou sich wirklich um Johnnys Wohlergehen kümmert, bis zu dem Punkt, dass er dem Kämpfer gegenüber seine eigenen Mängel als Trainer zugibt. Dies ist eine Welt, die Rourke nur zu gut kennt und die sich in den Details zeigt, vom geschäftigen Fitnessstudio, in dem man fast den Schweiß riechen kann, bis hin zum Rummelplatz an der Küste, wo man beinahe den kühlen Wind vom Meer her wehen spüren kann.

Mickey Rourke hatte die Idee für Homeboy, als es in seiner Karriere gerade Bergab ging. Als er jünger war, versuchte er sich an einer Karriere als Amateur-Boxer, doch nach einigen Kämpfen beendete eine schwere Gehirnerschütterung diesen Traum. Rourke konnte dies nie vergessen bzw. verwinden und wollte seine Boxerfahrungen deswegen filmisch verarbeiten. Er stützte den Charakter von Johnny Walker auf jemanden, den er als Kind kannte und auf einen Boxer, der in Miami dasselbe Fitnessstudio besuchte wie er. Rourke verehrte den Boxer wie einen Helden, wurde aber auch von ihm eingeschüchtert: „There was some dark fucking thing when I looked at him. When I looked at him, I was looking at myself.”

Während ihrer Arbeit an Michael Ciminos Heaven’s Gate (1980) lernte Rourke Christopher Walken kennen und freundete sich mit ihm an. Eines Abends erzählte Rourke von einem Film, den er eines Tages über einen Boxer machen wollte. Rourke sagte zu Walken, dass er den Manager des Kämpfers spielen würde. Rourke schrieb ursprünglich bereits seit 1984 auf Coffeeshop-Servietten, was Homeboy werden sollte. In einem Interview von 1985 beschrieb er der Film sei “about a guy who never was a champion, he’s a guy who was pretty much the reason I stopped boxing.”

Als es schließlich an der Zeit war Homeboy zu verwirklichen, war Rourke nur daran interessiert, Freunde und Kumpel aus Kindertagen in Nebenrollen zu besetzen, im Gegensatz zu bekannten Schauspielern. Außerdem ließ er auch seine damalige Frau Debra Feuer requirieren und wählte Angel Heart‘s Kameramann Michael Seresin aus, um seinen ersten und bislang einzigen Film zu drehen. Während Homeboy in Europa veröffentlicht wurde, fand in Nordamerika kein Kinodebüt statt, da Rourke den Streifen aufgrund einer Klage gegen den Filmproduzenten Elliott Kastner wegen fehlender Zahlungen und Verweigerung der Genehmigung für den endgültigen Schnitt und Musik blockieren ließ.

Homeboy stellt eine faszinierende Studie eines selbstzerstörerischen Mannes dar. Johnny könnte ein halbwegs anständiger Kämpfer sein, wenn er nicht so viel trinken würde und genug Kraft hätte, um seine Gegner endgültig erledigen zu können. Rourkes tatsächliche Boxkünste verleihen den Kampfszenen zweifellos einiges an Authentizität. In diesem Film geht es darum, Entscheidungen zu treffen und klug genug zu sein, um die richtigen zu treffen. Dies beinhaltet manchmal, dass man aus vielen schlechten Entscheidungen lernt, was nicht immer passiert. Im Laufe des Films muss Johnny herausfinden, was für ihn wichtig ist und einige ernsthafte Entscheidungen treffen, die sein Leben für immer beeinflussen werden. Homeboy ist kein Raging Bull (1980) und strebt auch nicht danach. Hier handelt es sich um eine intime Lebensgeschichte über Menschen, die nur versuchen irgendwie durchzukommen und hoffen in ihren täglichen Kämpfen etwas Gutes finden zu können.

OFDb Filmworks veröffentlicht Homeboy in einer Limited Special 2-Disc-Mediabook-Edition (zwei verschiedene Cover, jeweils limitiert auf 750 Exemplare) auf BluRay und DVD. Das Bild (1080p; 1,78:1) ist auf beiden Scheiben als vollkommen zufriedenstellend bis wirklich gut zu bezeichnen. Beim Ton gibt es bei den beiden verfügbaren Spuren (deutsch, englisch BluRay: DTS-HD Master Audio 2.0; DVD: Dolby Digital 2.0) auch keinen Grund zur Beschwerde, sie lassen sich auf beiden Scheiben wunderbar hören. Deutsche Untertitel sind auf Wunsch auch zuschaltbar. Somit kann die Veröffentlichung als enorm gelungen bezeichnet werden. Freunde des (realistischen) Boxer-Films und Mickey Rourke Fans müssen hier unbedingt zuschlagen!

Extras:
• Videokommentar mit Prof. Dr. Marcus Stiglegger
• Trailer
• Booklet mit einem Text von Stefan Jung

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  • Darsteller: Mickey Rourke, Christopher Walken, Debra Feuer, Kevin Conway, Jon Polito
  • Regisseur(e): Michael Seresin
  • Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)
  • Untertitel: Deutsch, Englisch
  • Bildseitenformat: 16:9 – 1.77:1
  • FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
  • Studio: OFDb-Filmworks
  • Produktionsjahr: 1988
  • Spieldauer: 116 Minuten

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Diese Edition sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von OFDb Filmworks zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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