Infinity Pool

Infinity Pool

Bereits mit seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm konnte der kanadische Regisseur Brandon Cronenberg einen enormen Entwicklungsschritt vollziehen. Possessor, der unter denkbar schlechten Voraussetzungen (Festival- und Kinoaufführungen inmitten der Coronapandemie) startete, überraschte Kritik und Publikum gleichermaßen. Einen derart intelligent inszenierten und vielschichtig lesbaren Genre-Film hätte ihm nach dem akzeptablen aber insgesamt wenig aufregenden Erstling (Antiviral) niemand zugetraut. Der Film rutschte schließlich in diverse Jahresbestenlisten und erkämpfte sich vollkommen berechtigt und in Windeseile einen ausgesprochen guten Ruf unter Horrorfilmenthusiasten.

Sein nächstes Projekt wurde daher mit Spannung erwartet. Besonders die Frage, welchem Genre sich Cronenberg widmen würde – also ob er dem Horrorgenre treu bleibt oder gänzlich andere Wege einschlägt – sorgte für Gesprächsstoff und allerlei Spekulationen. Gefühlt weniger im Fokus standen etwaige Bedenken, dass Cronenberg die hohe Qualität des Vorgängerfilms nicht erreichen könnte. Das auch sein neuestes Werk überzeugen würde, schien mehr oder minder ausgemachte Sache. Und so viel kann an dieser Stelle schon verraten werden. Infinity Pool ist wahrlich kein Schritt zurück, sondern nochmals eine qualitative Steigerung im Schaffen des noch jungen Filmemachers. Ein Film der ganz klar die Handschrift des Regisseurs aufweist und der in fast jeder Szene das Talent von Cronenberg mehr als eindrücklich unter Beweis stellt.

Infinity Pool

Bereits in Possessor verhandelte Themen werden hier gekonnt vertieft. Abermals rückt Cronenberg menschliche Abgründe in den Fokus, erneut interessieren ihn diesbezüglich die charakterbezogenen Ambivalenzen seiner Hauptfiguren. Noch stärker als im Vorgängerfilm blicken wir als Zuschauer in einen albtraumhaften Abgrund, der im Filmverlauf immer monströsere Ausmaße annimmt. Infinity Pool wird dabei von einem hochkarätigen Cast getragen, bei dem vor allem die Hauptdarsteller Alexander Skarsgård (War on Everyone) und Mia Goth (X) mit absoluten Höchstleistungen auftrumpfen.

Skarsgård spielt den nicht wirklich erfolgsverwöhnten Schriftsteller James Foster, der mit seiner Frau Em (Cleopatra Coleman) in einem Ferienressort ein paar unbeschwerte Tage verbringen möchte. Als die beiden von der verführerischen Gabi (Mia Goth) angesprochen werden, die sich zufällig auch als großer Fan des Werks von Foster herausstellt, ahnen sie noch nicht, dass dies der Anfang eines Höllentrips ist, der sie in die Abgründe ihrer aller Seelen blicken lässt.

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Nach einem Tag an einem abgelegenen Strand, bei dem Foster, seine Frau sowie Gabi und ihr Partner unerlaubter Weise das streng abgeriegelte Gelände verlassen, begibt sich die Gruppe in den Abendstunden nichtsahnend auf den Rückweg zum Hotel. Fatalerweise taucht auf der dunklen Straße eine Person auf, die von Foster (der hinterm Steuer sitzt) übersehen und schließlich angefahren wird. Schnell ist klar, dass der Weg ins Krankenhaus oder die Verständigung der örtlichen Polizei keine Optionen sind, da der Inselpolizeiapparat und vor allem die Justiz als besonders erbarmungslos gelten. Und so kehrt die Gruppe ohne Hilfe zu leisten einfach zum Ressort zurück.

Doch es kommt, wie es kommen muss und am nächsten Tag steht die Polizei vor den Hotelzimmern und verfrachtet die gesamte Gruppe in das Polizeirevier der Insel. Hier wird ihnen die niederschmetternde Nachricht überbracht, dass sie zum Tode verurteilt sind, ihnen aber ein Schlupfloch bleibt, dass sie vor dem sicheren Ableben bewahrt. Wohlhabende Urlauber können gegen einen nicht unbeträchtlichen Geldbetrag in einem eigens entwickelten Verfahren Klone von sich herstellen lassen, die dann an ihrer Stelle den Tod finden. Foster und seine neuen Bekanntschaften willigen ein und erleben hautnah die grausame Hinrichtung ihrer Doppelgänger.

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Mit extremen Nahaufnahmen und einer nur schwer auszuhaltenden Soundkulisse wählt der Regisseur nicht nur bei dieser Szene eine sehr unmittelbare Konfrontation des Publikums. Die Protagonisten sehen sich selbst und wir blicken entsprechend auf die Figuren des Films. Diese Dopplung wird von Cronenberg auch im weiteren Verlauf eingebaut und mit immer extremeren Geschehnissen durchexerziert. Der Vorgang des Klonens bildet dabei den Ausgangspunkt des Films, denn natürlich ergibt sich dadurch für die wohlhabende Clique die Möglichkeit für jedes noch so abseitige Vergehen jemand anderen büßen zu lassen. Und Foster erfährt sehr schnell am eigenen Leib, dass Gabi und ihre Entourage ganz eigene Wege gefunden haben, um ihre Bedürfnisse auszuleben.

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Infinity Pool lotet neben den extremen Gewaltdarstellungen auch mit weiteren Mitteln das aus, was noch für ein Mainstream-Publikum zumutbar ist. Insbesondere die Abwesenheit positiver Identifikationsfiguren und das permanente Infragesellen und Aushebeln moralischer Standpunkte dürfte für viele Kinobesucher ungewohnt und nur schwer aushaltbar sein. Das sich der Film hier keinerlei Kompromisse erlaubt und niemand geschont wird, ist gewagt und mutig (vor allem wenn man das Staraufgebot bedenkt und das der Film hierzulande von einem großen Studio in die Kinos gebracht wird).

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Cronenberg verhandelt daneben im Subtext eine Vielzahl weiterer Themen, die er auf intelligente Weise in das Story-Gerüst einbettet. Sei es der ungebremste und obsessive Hedonismus seiner Hauptfiguren, der (scheinbar) zwangsläufig wie ein schwarzes Loch alles um sich herum verschlingt oder der ins Extrem transformierte Kapitalismus des (fiktiven) Inselstaats, der das Ausleben sämtlicher niederer Instinkte geradezu herausfordert. Ferner beschäftigt sich der Film ebenfalls mit der Frage der Identität, die im Film sinnbildhaft immer wieder aufs Neue gestellt wird. Für Cronenberg ist Identität dabei nicht viel mehr als ein jederzeit formbares Gebilde, das komplett aufgelöst werden kann und das von dunklen Trieben angezogen wird wie eine Motte vom Licht. Das Menschenbild das Infinity Pool entwirft ist insofern vielmehr ein Schreckensbild, das einer grotesken Albtraumwelt entsprungen scheint.

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Brandon Cronenberg hat hier ein sehr ungemütliches aber nichtsdestotrotz auch sehr lohnendes Stück Kino geschaffen, dass eine mehr als unbequeme Perspektive auf die menschliche Psyche anbietet, dies jedoch zu keinem Zeitpunkt aus der puren Lust an der Grenzüberschreitung tut. Infinity Pool, den man am besten als krassen Hybrid aus Horror, Thriller und Satire bezeichnen sollte, ist ein Film, der sich teilweise wie ein heftiger Schlag in die Magengrube anfühlt. Und das ist als Kompliment zu verstehen.

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Während in den USA eine entschärfte Fassung des Films in den Kinos gezeigt wurde, erscheint der Film hierzulande am 20.04.2023 in der ungekürzten Fassung.

André

Großer Kino-Fan mit Vorliebe für das Genre-Kino in all seinen vielseitigen Ausprägungen. Passionierter Festivalgänger, der aber auch die Vorteile des heimischen Filmkonsums zu schätzen weiß.

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