Jackie Brown

Jackie Brown

Mit Schwarzgeld wird Jackie Brown am Flughafen gestellt. Das FBI wittert die große Chance, durch Jackies Aussage einen Schmuggler-Ring auszuheben. Die Cops sind bereit, Jackie laufen zu lassen, wenn sie den Namen ihres Auftraggebers preisgibt. Die Entscheidung fällt ihr schwer, denn Ordell Robbie, ihr Boss und Drahtzieher der dubiosen Waffen-Schmuggel-Geschäfte, würde sie umbringen, wenn er Wind von einem Deal mit dem FBI bekäme. Bevor sie sich entscheiden kann, kommt alles ganz anders: Sie lernt den Kautionsvermittler Max Cherry kennen. Die beiden schmieden einen Plan, und plötzlich hat Jackie die Idee, wie es ihr gelingen könnte, Ordell gegen die Polizei auszuspielen… (Studiocanal)

Es gibt etwas, das weder Professoren von Filmhochschulen, noch kriecherische Akolythen (die das Gefolge eines bestimmten Hollywood-Stars bilden) diskutieren, nachdem es jemandem gelungen ist, mit einem der am meisten gefeierten Filme aller Zeiten den Durchbruch zu schaffen: nämlich was man diesem Durchbruch folgen lassen sollte. Quentin Tarantino hatte bereits mit Reservoir Dogs Wellen geschlagen, doch nachdem Pulp Fiction zu einer internationalen Sensation geworden war, die vom Publikum sowie von der Kritik weltweit gefeiert wurde, entwickelte sich Tarantino endgültig zu Hollywoods Golden Boy, als sein Drehbuch zu Natural Born Killers zu einem der causes célèbres des Jahres 1994 wurde. Doch ist es ein althergebrachtes Sprichwort in Hollywood, dass man nur so heiß ist wie sein letzter Hit, weswegen die Leute nur wenige Wochen nachdem dieser one-two punch die Filmwelt erobert hatte, proklamierten, Tarantino hätte seinen Karrierehöhepunkt bereits überschritten.

Wie sollte Tarantino nun beweisen, dass es sich nicht nur um bizarre Zufallstreffer handelte? Es gehört zu Tarantinos vielleicht unerwartetem Charme, dass sein „großer“ Nachfolger von Pulp Fiction ein eher „kleinerer“ Film war, der gewisse eigenartige Ambitionen hatte, aber nicht den übertriebenen Ehrgeiz von entweder Pulp Fiction oder Natural Born Killers an den Tag legte. (Für die Zwecke dieser Rezension wird der heute leider weitgehend vergessene Anthologie-Film Four Rooms übersprungen, zu dem Tarantino ein Segment beigetragen hat). Bei Jackie Brown versuchte Tarantino etwas, das zumindest zu diesem Zeitpunkt der Karriere des Autors ungewöhnlich erscheinen musste: er adaptierte ein Werk des ikonischen Schriftstellers Elmore Leonard. Tarantino kreierte mit Jackie Brown auch einen Film, der speziell darauf ausgerichtet war, die Karrieren von mindestens ein paar Schauspielern wiederzubeleben, bei denen der Regisseur der Meinung war, dass sie von den Kritikern, die Tarantino selbst so schnell abgeschrieben hatten, zu Unrecht vernachlässigt wurden.

Pam Grier (Coffy, Foxy Brown) war eine Nischen- bzw. Blaxploitation-Schauspielerin gewesen, die in den Siebzigern ihre große Zeit erreicht hatte, doch seitdem nicht mehr viel von sich hören machte. Robert Forster (Streetfighters, Maniac Cop 3) war ein Typ, der zu diesem Zeitpunkt scheinbar schon ewig im Filmgeschäft unterwegs gewesen war und bereits zu Beginn seiner Karriere in einer Reihe von Filmen sowie beliebten Fernsehserien mitgespielt hatte. Danach musste er dann allerdings eine lange, nur wenig fruchtbare Phase überstehen, in der er das Glück hatte, wenigstens ein paar Zeilen in weniger herausragenden Werken aufsagen zu dürfen. Tarantino setzt dem Publikum auch seinen Pulp Fiction-Co-Star Samuel L. Jackson vor, der hier einen weiteren bösartigen Gangster spielt, der vielleicht weniger artikuliert und biblisch scharfsinnig rüberkommt als Jules Winnfield (Jacksons Figur in Pulp), auf lange Sicht gesehen jedoch vielleicht noch beängstigenderer Natur ist. Abgerundet wird die exzellente Besetzung durch Michael Keaton als ATF-Cop Ray Nicolette (eine Rolle, die er in einer weiteren fantastischen Elmore Leonard-Adaption, Steven Soderberghs exzellentem Out of Sight, wiederholen würde), Bridget Fonda als Jacksons Pot rauchende Freundin und niemand geringerem als Robert De Niro als kürzlich aus dem Knast Entlassener, der mit Jackson zusammenarbeitet, um Waffen zu verkaufen und damit unermesslichen Reichtum zu erwirtschaften. Chris Tucker (Friday, Dead Presidents) als kleiner Ganove Beaumont Livingston sowie Sid Haig (Coffy, Foxy Brown, Frauen in Ketten) als Richter, haben ebenfalls kurze Auftritte.

Der erste große Unterschied, den Fans von Pulp Fiction im Vergleich zu Jackie Brown bemerken werden, ist der geradlinige Erzählstil. Im Gegensatz zu Pulp Fiction handelt es sich um eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende und zwar in dieser Reihenfolge. Jackie Brown stellt außerdem ein ungezwungeneres Filmerlebnis dar, das sich seine Zeit nimmt, um Charaktere zu etablieren, anstatt sie den Zuschauern im Pulp-Fiction-Stil um die Ohren zu hauen. Jackie Brown gestaltet sich von diesem Standpunkt aus gesehen auf faszinierende Art und Weise, fast so, als würde Tarantino absichtlich ein wenig auf die Bremse treten und sagen: „Seht her – ich kann mir Zeit nehmen und Dinge langsam und bewusst präsentieren.“

Tarantino webt langsam eine Geschichte von wechselnden Allianzen, die sich um den Titelcharakter Jackie (Pam Grier) drehen, eine Flugbegleiterin, deren Glück sie vor langer Zeit aufgrund kleinerer rechtlicher Indiskretionen verlassen hat, weswegen sie bei der kleinsten sowie schäbigsten mexikanischen Fluggesellschaft anheuern musste. Sie erhöht ihr minimales Gehalt, indem sie Geld für einen verabscheuungswürdigen Verbrecher namens Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) schmuggelt. Der wiederum plant, eine Million an illegalen Gewinnen zu sequestrieren, damit er sich dauerhaft in den Ruhestand zurückziehen kann. Der Kautionsvermittler Max Cherry (Robert Forster) wird von Ordell in die Geschichte hineingezogen, um zunächst einen von Ordells kleinen Schergen (Chris Tucker), später aber Jackie selbst aus dem Gefängnis herauszuholen, was schon bald romantische Funken zwischen Jackie und Max sprühen lässt.

Es gibt auch ein subtiles Wachstum in der Technik zu verzeichnen, wie Tarantino an Jackie Brown herangeht und zwar nicht nur aufgrund des eher zurückhaltenden Erzählstils. Man beachte seine brillante, fast dissoziative Art, wie er die Bösartigkeit von Jacksons Charakter Ordell Robbie in einer frühen, erschreckenden Szene beschreibt: Ordell lässt Beaumont von Max aus dem Knast holen, um ihm dann Schuldgefühle einzureden, damit er ihm bei einem angeblichen Waffengeschäft zur Seite steht. Die Auflösung dieser Sequenz kann als perfekt inszeniert beschrieben werden und kommt so, wie Tarantino sie in Szene setzt, viel kraftvoller rüber, als wenn sie auf eine viszerale, nähere und persönlichere Art und Weise gedreht worden wäre. Der Film ist auch insofern als bemerkenswert zu bezeichnen, da die schauspielerischen Vorstellungen nie an die karikaturhaften Höhen herankommen, die Pulp Fiction zu einer so stilistischen tour de force gemacht haben. Jackie Brown repräsentiert einen viel ruhigeren Film (zumindest die meiste Zeit über), eine abwägende Studie über eine Reihe verzweifelter Charaktere, die sich im Grunde gegenseitig hintergehen, wobei der Zuschauer für einen Großteil des Films absichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht wird, während Jackie versucht aus der prekären „professionellen“ Beziehung zu Ordell herauszukommen. Leib sowie Leben sollen dabei selbstverständlich so intakt bleiben, wie irgend möglich, während unermesslicher Reichtum um die Ecke wartet.

Jackie Brown repräsentiert im Kern einen Film über zweite Chancen, wobei es mit absoluter Sicherheit keinen Zufall darstellt, dass Tarantino seinen beiden Hauptprotagonisten Pam Grier und Robert Forster mit diesem Film eine späte Chance auf eine zweite Karriere eröffnet hat. Beide spielen hier fantastisch auf, wenn auch bewusst zurückhaltend, fast im Gegensatz zum Performance-Stil in Pulp Fiction. Der Rest der Besetzung ist als ähnlich großartig zu bezeichnen, obwohl De Niro nie so richtig viel zu tun bekommt (eine späte Sequenz mit Bridget Fonda, in der er [nach der Geldübergabe] Schwierigkeiten hat sein Auto wieder zu finden, ist jedoch ein absolutes Highlight).

Sollte man Pulp Fiction bereits gesehen haben, Jackie Brown jedoch nicht, so muss man sich auf ein vollkommen anderes Seherlebnis vorbereiten. Wenn Pulp Fiction dem Betrachter seinen Plot so lange um die Ohren gehauen hat, bis er in gehorsamer Ehrfurcht erstarrt war, so wirkt Jackie Brown wie die langsame, bewusste Verführung einer Delfonics-Melodie, die spät in der Nacht in einer dunstigen Wohnung in Los Angeles gespielt wird. Jackie Brown ist ein Film über realistischere Charaktere, die in einer verzweifelten Notlage gefangen sind und darum kämpfen, dem Alltagsstress zu entfliehen. Tarantino hat bewiesen, dass er mit diesem Streifen mehr als nur schockieren konnte, während Jackie Brown bis heute einen der besten Filme in Tarantinos Oeuvre darstellen dürfte. Enorm empfehlenswert!

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.85:1
  • Alterseinstufung: ‎Freigegeben ab 16 Jahren
  • Regisseur: ‎Quentin Tarantino
  • Medienformat:‎ Sonderausgabe
  • Laufzeit: ‎ 2 Stunden und 34 Minuten
  • Darsteller: ‎ Pam Grier, Samuel L. Jackson, Robert Forster, Bridget Fonda, Michael Keaton
  • Untertitel: ‎Deutsch, Englisch
  • Sprache: ‎Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)
  • Studio: ‎STUDIOCANAL

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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