Murder Obsession / Follia Omicida / The Wailing

Während einer Pause vom Dreh eines Horrorfilms besucht der Schauspieler Michael Stanford (Stefano Patrizi) seine Mutter (Anita Strindberg) in ihrem alten Herrenhaus. Die einzige andere Person auf dem Grundstück ist Oliver (John Richardson), der exzentrische Butler. Michaels Freundin Deborah (Sylvia Dionisio) und einige ihrer Freunde aus der Filmbranche schließen sich Michael an, um einige Tage der freien Zeit in der Villa zu genießen. Michael enthüllt, dass er seinen Vater (der ein berühmter Orchesterleiter gewesen ist) während einer psychotischen Episode in seiner Kindheit ermordet hat. Er gerät daher zum Hauptverdächtigen, als jemand damit beginnt seine Freunde zu ermorden. 

Murder Obsession bietet eine Fülle unterschiedlicher Elemente: Diabolismus, Gothic-Horror, giallo und Gore. Das Endergebnis ist zweifellos schizophren ausgefallen, doch dies ist Teil des Filmes Charme. Follia Omicida markiert Riccardo Fredas Rückkehr auf den Regiestuhl nach fast 10 Jahren Abwesenheit. Die aufeinanderfolgenden Enttäuschungen von L’iguana dalla lingua di fuoco (Die Bestie mit dem feurigen Atem, 1971) und Estratto dagli archivi segreti della polizia di una capitale europea (Tragic Ceremony, 1972), die er beide verleugnete, kühlten zweifellos seine Begeisterung für das Filmemachen ab. Vielleicht fühlte er sich unter den harschen Exzessen der 70er Jahre etwas fehl am Platz, doch mit seinem Gespür für die Inszenierung von Actionszenen ist es zu bedauern, dass er das Potenzial des poliziottesco nie erkundet hat. In jedem Fall bedeutete Murder Obsession eine Art Heimkehr für den Regisseur, da er vertrautes Terrain erkunden und die Dinge mit zeitgemäßeren Merkmalen aufpeppen konnte. In gewisser Weise ist der Film Teil eines kleinen Trends unter den italienischen Horrorfilmen: der modernen Gotik.

Ein frühes Beispiel lässt sich in Antonio Margheritis La vergine di Norimberga (Das Schloss des Grauens, 1963) finden, wo die moderne Welt der stattlichen Eleganz der Burgkulisse gegenübergestellt wird. Mario Bava erkundete in Gli orrori del castello di Norimberga (Baron Blood, 1972) ein ähnliches Terrain und verlieh dem Film dank netter Details (eine alte Burg, die mit Coca-Cola-Maschinen ausgestattet ist) eine Ader dunklen Humors. Murder Obsession wurde aus dem gleichen Stoff geschneidert. Die düstere, bedrückende Villa mit seiner unzuverlässigen Stromversorgung wäre in einem von Fredas klassischen Chillern wie L’orribile segreto del Dr. Hichcock (Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock, 1962) oder Lo spettro (The Ghost, 1963) nicht fehl am Platz gewesen, doch die Stile seiner modernen Protagonisten und die manchmal schockierende Natur seiner Gewalt reicht aus, um den Betrachter daran zu erinnern, dass es sich hier nicht um typischen italienischen Gothic-Horror handelt. Unabhängig davon verlässt sich Freda auf die urigen Aspekte, wobei jeder, der mit seinem Filmkatalog vertraut ist, ein angenehmes Gefühl von Déjà Vu erleben wird, wenn er Charaktere beobachtet, die mit brennenden Kandelabern durch die zugigen Korridore wandern oder die unvermeidliche Aufnahme durch eine von Regen durchzogene Fensterscheibe sieht.

Es gibt sogar ein gutes, altmodisches Gewitter und eine wunderbar übertriebene Traumsequenz direkt aus einem Roger Corman Edgar Allan Poe-Film zu bestaunen. Der Effekt der letzteren wird durch eine lächerlich übergroße Spinne kompromittiert, doch insgesamt handelt es sich hier um eine echte Tour-de-Force-Szene, die bestätigt, dass Freda nichts von seinem Gespür für barocke Bilder verloren hat. Die Geschichte ist als faszinierend zu bezeichnen, sowohl als Mysterium, als auch als psychosexuelle Fallstudie. Der Konflikt ist rein ödipaler Natur, da Michael seinen Vater einst ermordet hat und nun nach Hause kommt, um sich den Konsequenzen zu stellen. Die Dinge sind jedoch nicht so, wie sie erscheinen, schließlich befindet man sich hier in einem giallo. Zwischen dem jungen Mann und seiner immer noch elegant schönen Mutter Glenda liegt eine unangenehme Implikation inzestuöser Sehnsucht. Die Mutter reagiert mit spürbarer Eifersucht auf die Anwesenheit von Michaels hübscher Freundin Deborah, während die Beziehung zwischen ihr und ihrem schwer geprüften Diener Oliver ebenfalls mit gewichtigen Schlussfolgerungen beladen ist.

Ebenso wird Michael eindeutig von seinem glamourösen Co-Star Beryl angezogen, die wiederum von ihrem Regisseur Hans begehrt wird. Bei all diesen gemischten Signalen und aufgestauten Eifersucht ist es nur eine Frage der Zeit, bis Gewalt ausbricht. Zum bizarren Unterton des Melodramas trägt die Tatsache bei, dass Michael das Ebenbild seines verstorbenen Vaters verkörpert. Dies alles macht das hochgotische Melodrama aus und Freda behandelt es als solches, die beunruhigenden Anspielungen tragen jedoch dazu bei, dem Film eine pervertierte Note zu verleihen. Das Übernatürliche kommt ebenfalls ins Spiel, obwohl dieser Aspekt nicht so richtig ins Gesamtbild passen will. Die Enthüllung eines Charakters mit übersinnlichen Kräften legt nahe, dass Freda und Company den Erfolg von Brian De Palmas Carrie (1976) nutzen wollten. Doch diese Facette wird eher gedämpft eingesetzt und spielt im gesamten Handlungsbogen des Films keine große Rolle. Auf ähnliche Art und Weise kommt das teufelsanbetende Element ins Spiel und lenkt die Geschichte in eine unerwartete Richtung. Auch hier ist der Ansatz „Alles ist möglich“ typisch für italienische Genres, wobei Freda zu beglückwünschen ist, dass sich diese Ideen auf eine Weise zusammengefügt haben, die auch nur annähernd kohärent ist.

Der Film ist auch für seine blutrünstigen Mordsequenzen als bemerkenswert zu beschreiben. Ein Charakter wird wie ein Reh ausgeweidet, ein anderer verliert graue Substanz durch einen Hieb mit einer Axt, wieder ein anderer wird durch eine Kettensäge enthauptet und so weiter. Freda begann mit grafischem Blutvergießen in Die Bestie mit dem feurigen Atem, daher stellt dies nicht unbedingt eine Überraschung dar. Dieser Film ist jedoch als ein grobes, etwas heruntergekommenes Werk zu bezeichnen; weswegen seine Exzesse daher zynischer als alles andere wirken. Hier kommt der Kontrast zwischen der eleganten Inszenierung und den zeitgenössischen Exzessen etwas schrill rüber, obwohl dies eindeutig ein kalkulierter Schritt des Regisseurs gewesen sein dürfte. Auf seine ganz eigene Art und Weise scheint der Film Fredas Weg zu sein, sich vom stattlichen Charme der alten Tage zu verabschieden. Was Freda während des Drehs noch nicht wissen konnte, ist, dass der Film auch einen endgültigen Abschied von seiner Zeit als Filmemacher bedeutete. Leider wurde der Streifen für seine spätere Veröffentlichung in den USA stark modifiziert. Freda ließ Franco Mannino den Film unter anderem mit klassischen Klavierstücken von Bach und Liszt vertonen, während die amerikanische Version unter der Einführung eines Synthi-Soundtracks leidet.

Die kitschigen Streicher und das sich wiederholende Gedudel dienen lediglich dazu, das unheimliche Ambiente des Films zu untergraben, wobei die unbeholfene englische Synchronisation auch nicht gerade hilft. Glücklicherweise ist die italienische Originalversion (mit deutschen sowie englischen Untertiteln) dank Cineploit Records nun auf Blu-ray verfügbar, wodurch es einfacher wird, Fredas ursprüngliche Absichten besser würdigen zu können. Seine Regieführung gestaltet sich viel stilvoller und sicherer als bei Die Bestie mit dem feurigen Atem. Abgesehen von ein paar kleinen Fehltritten – meistens im Sinne eines zu langen Verweilens auf nicht überzeugenden Spezialeffekten – wurde der Film wunderschön gestaltet und bewegt sich in langsamen, aber stetigem Tempo. Freda nimmt sich Zeit, um Stimmung und Atmosphäre aufzubauen, was an einen der Grundwerte der gotischen Filmemacher der 60er Jahre erinnert, doch er beschränkt sich nicht nur auf die exploitativen Elemente. Wieder einmal versucht er ein wenig zu sehr auf falsche Fährten zu setzen – die Erklärung eines Charakters für das Tragen schwarzer Handschuhe im Badezimmer muss wirklich gehört werden, um es zu glauben – wobei der Gesamteffekt der Qualität von A doppia faccia (Das Gesicht im Dunkeln, 1969) näher kommt, als seinen schlampigen und enttäuschenden 70er-Jahre-Bemühungen.

Cristiano Pogánys Kinematografie ist als sehr schön zu beschreiben, wobei die Verwendung klassischer Musik einen schönen Kontrast zum blutigen Treiben bietet. Stefano Patrizi führt die Besetzung an, indem er die Doppelrolle von Michael und seinem verstorbenen Vater spielt, der in Rückblenden gezeigt wird. Er mag nicht der ausdrucksstärkste Schauspieler der Welt sein, liefert hier allerdings gute Arbeit ab, da es ihm recht gut gelingt, die inneren Turbulenzen des Charakters überzeugend zu vermitteln. Patrizi wurde 1950 geboren und gab 1973 sein Filmdebüt. Er spielte eine nette Nebenrolle in Luchino Viscontis Gruppo di famiglia in un interno (Gewalt und Leidenschaft, 1974) und war in dem All-Star-Katastrophen-Thriller The Cassandra Crossing (Treffpunkt Todesbrücke, 1976) zusammen mit Größen wie Sophia Loren, Richard Harris und Burt Lancaster zu sehen. Patrizi hörte nicht lange nach Murder Obsession auf zu schauspielern und trat als Werbefachmann auf. Silvia Dionisio spielt Michaels Freundin Deborah. Sie ist sehr gut in der Rolle, auch wenn die etwas reaktionärer Natur ist.

Dionisio wurde 1951 in Rom geboren und trat ab Mitte der 60er Jahre als Kinderschauspielerin in Filmen auf. Ihr Debüt gab sie mit einer nicht im Abspann aufgeführten Rolle in John Schlesigners Darling (1965). 1971 heiratete sie den Regisseur Ruggero Deodato, von dem sie 1979 wieder geschieden wurde. Zu ihren bedeutendsten „Kult“-Credits gehören Paul Morrisseys Blood for Dracula (Andy Warhol’s Dracula, 1974) und Deodatos Una ondata di piacere (Waves of Lust, 1975) sowie Uomini si nasce poliziotti si muore (Eiskalte Typen auf heißen Öfen, 1976). Sie hörte Anfang der 80er Jahre mit dem Schauspiel auf. Laura Gemser spielt Michaels andere Liebschaft, Beryl. Gemser ist auffallend schön, bietet aber eine ausgesprochen hölzerne Vorstellung. Sie wurde 1950 in Java geboren und erstmals als Aktmodell in verschiedenen Männermagazinen Europas bekannt. Ihr Filmdebüt gab sie 1974 und erlangte im folgenden Jahr dank ihrer Hauptrolle in Bitto Albertinis Emanuelle nera (Black Emmanuelle, 1975) große Berühmtheit. Sie spielte die Rolle der Emanuelle in einer Reihe von Erotikfilmen, darunter Giuseppe Varis Suor Emanuelle (Die Nonne und das Biest, 1977) und Artistide Massaccesis Emanuelle e gli ultimi cannibali (Nackt unter Kannibalen, 1977). Sie blieb bis zu ihrer Pensionierung in den frühen 90er Jahren in Exploitation-Filmen aktiv und war von 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 1991 mit dem Schauspieler Gabriele Tinti verheiratet (La morte risale a ieri sera / Das Grauen kam aus dem Nebel, 1970).

Das eigentliche Highlight stellt jedoch Anita Strindberg in der Rolle der Glenda dar. Strindberg spielt den Part wirklich überzeugend, indem sie von gebrechlich zu aggressiv wechselt, ohne einen Takt auszulassen. Leider hatte sie nicht oft die Gelegenheit ihre schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, da so viele ihrer Rollen von ihrem guten Aussehen und ihrem beeindruckenden Körperbau abhingen, aber dieser Film lässt keinen Zweifel an ihrem Talent. John Richardson tritt als Oliver zum letzten Mal in einem giallo auf. Richardson stand bereits kurz vor dem Ende seiner Schauspielkarriere, als er diesen Film drehte. Von diesem Punkt an trat er nur noch sporadisch auf, einschließlich einer sehr kurzen Rolle als Architekt in La chiesa (The Church, 1989), bei dem Michele Soavi Regie führte und Dario Argento produzierte. Die Rolle des Oliver ist zu seinen überzeugenderen Leistungen zu zählen, da seine Steifheit doch tatsächlich zur ungewöhnlichen Persönlichkeit des Charakters beiträgt und er außerdem noch ein paar schöne Momente hat. Nach Murder Obsession war Riccardo Freda nie mehr in der Lage, einen weiteren Film auf den Markt zu bringen. Er konzentrierte sich auf die Beratung jüngerer Filmemacher, darunter Bertrand Tavernier, mit dem er bei La fille de d’Artagnan (D’Artagnans Tochter mit Sophie Marceau, 1994) zusammenarbeitete. Freda begann damit den Film zu inszenieren, fiel jedoch bei den Produzenten in Ungnade und wurde entlassen, sodass Tavernier übernahm und den alleinigen Kredit beanspruchte. Riccardo Freda galt bis zu seinem Tod im Jahr 1999 als ein ausgesprochen guter Geschichtenerzähler.

Extras und Besonderheiten:

  • Europäische 2K Blu-Ray Premiere!
  • Interview Sergio Stivaletti (sein erster Special FX Job; 10 Minuten; Italienisch mit deutschen und englischen Untertiteln)
  • Featurette „Der Phantomkellner schlägt wieder zu“ mit Christian Kessler (12 Minuten; Deutsch mit englischen Untertiteln)
  • Featurette Mark Thomspon Ashworth (5 Minuten; Englisch mit deutschen Untertiteln)
  • Hardcover Mediabook mit partieller Veredelung
  • 28 Seiten Booklet mit einem Essay von Udo Rotenberg in deutsch und englisch veredelt mit internationalem Werbematerial.
  • Doppelseitiges Poster mit zwei italienischen Postermotiven.
  • 2 verschiedene Covervariationen mit dem italienischen Postermotiv und einer Fotocollage mit italienischen Titel in einer nummerierten & limitierten Auflage von 500/500 Stück.
  • Bildergalerie

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Seitenverhältnis: ‎16:9 – 1.85:1, 16:9 – 1.77:1
Regisseur: Freda, Riccardo
Medienformat: PAL, Blu-ray
Laufzeit: 1 Stunde und 40 Minuten
Darsteller: Strindberg, Anita, Richardson, John, Gemser, Laura, Brochard, Martine, Patrizi, Stefano
Untertitel: Englisch, Deutsch
Sprache: ‎Englisch (DTS-HD 2.0), Italienisch (DTS-HD 2.0)
Studio: Cineploit Records

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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