Ohne jede Gnade

Noch ein Jahr vor Suburra erschien mit Senza nessuna pietà (Ohne jede Gnade) das Spielfilmdebut des Schauspielers Michele Alhaique. Erleben wir gerade eine Art Renaissance des italienischen Crime-Kinos? Das ist sicherlich zu viel gesagt. Auch gefällt mir dieser melancholische, kalte Stil nicht, der hier um sich greift, teilweise hyperreal wie bei Gomorrah, oder etwas stilisiert aber dennoch kalt und distanziert.

In Ohne jede Gnade handelt von dem etwas mürrischen Handlanger Mimmo (Pierfrancesco Favino) der für seinen Mafioso-Onkel als Zuerwerb neben seiner Tätigkeit als Bauarbeiter noch Chauffeur spielt oder Geld eintreibt. Eines Tages muss er die junge Prostituierte Tania (Greta Scarano) zur Villa des fiesen Manuel (Adriano Giannini) bringen. Er versteht sich mit dem Mädchen, und da er Manuel nicht ausstehen kann, dreht er durch und bringt ihn um, als er grob mit der Kleinen wird. Von seinem Freund Roscio (Claudio Gioè) kurzfristig gedeckt, muss er mit Tania abtauchen. Es beginnt eine innige Freundschaft der ungleichen Personen, die beide wissen was ihnen blüht, sollten die Mafiosi die Schlinge enger ziehen und das Paar in die Finger bekommen….

Greta Scarano überzeugt hier um einiges mehr als in Suburra, doch der Vergleich mit Leon – The Professional hinkt. Tania hat sich nicht ein Leben unter Killern ausgesucht, sie ist nicht auf Abenteuer aus. Während Mimmo aus Gewissensgründen, weil er einfach ein guter Kerl ist, mit seiner Mafiafamilie bricht und sich des Mädchens annimmt, hadert sein Kumpel Roscio mit der Frage nach Loyalität, einmal gegenüber seinen Übergeordneten, und gegenüber seinem Freund Mimmo. Der Film kennt hier zwar das Böse, in Form von Manuel zum Beispiel, und das Gute, in Form von Mimmo, aber auch Graustufen. Roscio ist immer noch ein Scherge, Tania immer noch ein ausgebüchster Teenager auf der Suche nach Ärger. Mimmos Onkel der Mafiapate ist gleichzeitig sein Ziehvater, ohne den er heute vielleicht nicht existieren würde. Das Leben außerhalb der Mafiastrukturen verkommt hier auch schnell zum Traum: Es gibt für Mimmo und Tania genauso wenig eine Zukunft wie für Mimmo innerhalb der Familie, ohne seine Gefühle und Werte über Bord zu werfen – und mit welchem Recht nimmt er es sich heraus, gegenüber Tania eine Vaterfigur einzunehmen? Favino spielt das jedenfalls exzellent.

Alhaique schafft hier finde ich das, was sein Kollege Sollima nicht schafft: Herz und Gefühl zu vermitteln. Der Film ist bescheiden, wirkt durch und durch wie ein low-budget Independent, und kommt ohne Feuerwerk und Gewaltorgien aus – denn er ist eine Geschichte von Menschen mit Sorgen und Gefühlen, noch mehr als eine Allegorie auf das korrupte System und seiner Symptome. Alhaique lässt sich sehr viel Zeit den Schauspielern Raum zur Entfaltung einzuräumen. Das zeichnet diesen film meines Erachtens besonders aus: Favino und Scarano, aber auch die Nebendarsteller, entfalten eine ungeheure Leinwandpräsenz, das macht den Film packend, mitreissend und erinnernswert.

Gleichzeitig sieht der Film auch noch gut aus, und ist handwerklich echt solide gemacht. Der Indie-Look täuscht: ein großartiger Soundtrack, sauberer Schnitt und gekonntes Set Design zeugen von einem jungen Filmemacher, der sich sehr wohl damit fühlt, mit der Kamera Geschichten zu erzählen, ich denke von Alhaique wird noch viel zu sehen sein.

Die Qualität der Bluray ist sehr gut, der Look des Films nur in Teilen absichtlich bescheidener, ohne dabei in ein absichtliches Camcorder-Look zu verkommen. Es sind ruhige Bilder, teils mit Neon, teils mit tollen Kontrasten und mit Nahaufnahmen die Wärme und Emotionen vermitteln. Das sieht auf der BluRay sehr gut aus. Auch der Ton kann sehr überzeugen, nicht nur die Originaltonspur (deutsche Untertitel optional), auch die Synchro klingt in Ordnung. Leider gibts weder italienische Untertitel (zum Lernen nicht schlecht) noch englische.

An Extras gibt es auch einen ganz gut gemachten Blick hinter die Kulissen, mit einigen Interviews und Szenen vom Dreh und der Produktion (ca 17min), sowie den Trailer auf Deutsch und Italienisch. Insgesamt ein rundes Paket – ein außerordentlicher Film auf einer qualitativ sehr hochwertigen BluRay.

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Die BluRay wurde uns freundlicherweise von Koch Media zur Verfügung gestellt.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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