Once Upon a Time… in Hollywood

Once Upon a time in Hollywood

Alle paar Jahre kommt ein Film, bei dem sämtliche Tarantino Fans natürlich völlig aus dem Häuschen sind, und der Rest der Kinowelt sich wie immer in zwei Lager spaltet. In einem Lager die Huldiger der cineastischen Extase, die der Regisseur regelmäßig auf die Leinwand zaubert. Im anderen Lager die Generalverweigerer, die entweder mit Tarantinos metareferentiellem Mikrokosmos nichts anfangen können, oder sich an anderen Aspekten stören, ob Füße, Frauen, Gewalt, Plagiate, take your pick. Am 1. August war es auch in Deutschland soweit, Quentin Tarantinos neunter Film Once Upon a Time… in Hollywood (warum man den nicht in Es war einmal in Hollywood übersetzt hat weiß der Geier) feierte seine Premiere in Berlin. All die Stars des Films, der Regisseur, Produzenten David Heyman und Shannon McIntosh, sowie der Chef von Sony Deutschland, und jede Menge A, B und C Prominenz der deutschen Entertainmentszene waren da. Mitten drin: ich. Als Inhaber der größten Tarantino Fan Website des Internets (seit nun fast 20 Jahren) komme ich in der Regel nicht umhin, zu diesem Zeitpunkt meist schon sehr viel über den Film zu wissen, so auch hier. Dennoch, mir war als hätte die Leinwand den Arm ausgestreckt und mich regelmäßig ordentlich geohrfeigt. So viel ich auch schon wusste, Once Upon a Time… in Hollywood, hat mich auf eine Achterbahn der Kinogefühle mitgenommen und einige „what the fuck“ Momente in petto gehabt. So viel vorweg: je weniger man weiß, desto besser der Effekt dieses Films. Der nachfolgende Artikel verrät zwar keine zentralen Story-Elemente, Weiterlesen aber dennoch nur was für Neugierige.

Once Upon a time in Hollywood

Worum geht es (ohne Spoiler)? Wir schreiben die späten 60er. Hollywood ist im Umbruch, das alte Studiosystem ist von zwei Seiten unter Attacke: durch das Fernsehen einerseits, und das Independent-Kino andererseits. Während Studenten gegen den Vietnamkrieg demonstrieren, Hippies im Golden Gate Park gigantische Feste feiern und irgendwo in Italien Sergio Leone schon seinen dritten Italowestern dreht, sitzt der Schauspieler Rick Dalton (Leonardo di Caprio) in einer Bar am Hollywood Boulevard und bekommt vom Promiagent Schwarzs (Al Pacino) den Kopf gewaschen: der abgehalfterte Star alter Western-Serien könne sich doch nicht weiterhin mit Nebenrollen als Bösewicht in anderer Leute Serien durchschlagen, sonst ist die Karriere am Ende. Er ist resigniert, die besten Tage hinter sich. Zusammen mit seinem langjährigen Stunt-Double und Mädchen-für-alles Cliff Booth (Brad Pitt) finden Sie ein Hollywood vor, dass sie nicht mehr wieder erkennen. Weg der alte Glanz der 50er, und die vermeintliche Berechenbarkeit mit der es Rick letztlich auch zum Häuschen in den Hügeln geschafft hat. Die Nachbarn dort sind längst Vertreter des neuen Hollywood: Senkrechtstarter wie Sharon Tate (Margot Robbie) die dort mit ihrem Mann, dem angesagten Regisseur von Rosemary’s Baby, Roman Polanski, lebt. Am anderen Ende der Stadt quartieren sich verlotterte Hippies in auf einer alten Ranch ein, die als Westernkulisse bessere Tage gesehen hat, angeführt von einem rassistischen Spinner namens Charles Manson. 1968 muss Rick sich letztlich entscheiden: geht er nach Italien um dort Western zu drehen (die Idee findet er wie viele damals eher abstrus), oder dämmert er im Abendfernsehen langsam vor sich hin, verliert vielleicht sein Haus oder trinkt sich kaputt?

Once Upon a time in Hollywood

Und mehr muss man erstmal nicht wissen über den Film, der vorweg als Ode an das Hollywood im Sonnenuntergang gefeiert wurde, dessen Staraufgebot ein Superlativ für sich ist: DiCaprio und Pitt standen noch nie gemeinsam auf der Leinwand, und hier geben sie eines der spannendsten Duos ab seit Redford und Newman. Jedes der zillionen Micro-Cameos des Films ist mit großartigen Namen besetzt (die für sich wiederum große Namen repräsentieren, von Sam Wanamaker bis Steve McQueen), und man hat das Hollywood von anno dazumal so detailgetreu nachgebaut, dass von den Postern an der Wand bis zu den Songs im Autoradio alles so akkurat ist, dass man am liebsten wie Gottschalk und Krüger in den Film einsteigen möchte um sich in der Tarantinoschen Fantasie des Hollywood von 1968 nach belieben umzusehen….

Once Upon a time in Hollywood

Once Upon a Time… in Hollywood spielt eigentlich nur an drei (nicht aufeinanderfolgenden) Tagen im Leben von Rick und Cliff, doch die sind choreografiert wie ulkige Schnitzeljagden durch Los Angeles, von den Villen auf den Hügeln bis zu den Autokinos in Van Nuys. Wir erfahren prickelnde Details über Charaktere in Rückblenden, erleben einschneidende Erlebnisse, wie z.B. eine Erinnerung von Cliff an einen Kampf mit Bruce Lee am Set von Die Grüne Hornisse, oder wie Rick sich am Set der Fernsehserie Lancer als Bösewicht behauptet. Wie ein roter Faden durch das Alltagsabenteuer der beiden zieht sich der krasse Beat der Musik des Sommers der lautstark aus dem Autoradio plärrt, und akustisch die optische Deko des Films ergänzt, der für Neugierige und Kenner der Popkultur mehr zu bieten hat als jeder bisherige Tarantino Film. Der Film hat so viel Metareferenzen zu bieten, es wird Hardcore Fans noch Jahre beschäftigen. Doch auch ohne dass einem sich diese Welt aus Filmen und Serien im Film und in Serien (usw.) erschließt weiß der Film von Anfang an zu bezaubern.

Once Upon a time in Hollywood

Tarantino und sein nun langjähriger Kameramann Robert Richardson haben es mit Hilfe eines cleveren Production Designs geschafft, diverse Originalschauplätze durch die Zeitmaschine zu drehen und den Zuschauer quasi am Kragen zu packen und mit roher Gewalt mit dem Gesicht in den Sommer 1968 zu stecken. Das funktioniert erstaunlich gut in Kombination mit der Musik, den Kostümen, den Requisiten, den Frisuren und den diversen Referenzen, allen voran zwei prominenter Radiosender und deren Werbespots. Es würde mich nicht wundern wenn der Film für das Production Design eine Oscar-Nominierung abbekommt. Es ist natürlich eine leicht überzeichnete Darstellung, mit viel Neon und Pastellfarben, alten Autos die durch schicke Gegenden düsen und 60s Girls in langen Beinen – herzlich willkommen in einem Märchen (es war einmal…)

Once Upon a time in Hollywood

Kommen wir kurz zur Musik. Tarantino ist bekannt dafür, ein gutes Händchen für Soundtracks zu haben. Gemeinsam mit seiner langjährigen Spezialwaffe Mary Ramos hat er auch hier fast 40 Tracks inklusive Werbespots gesichert, die eine akustische Untermalung der 2 Stunden und 40 Minuten auf die Ohren bringt, die sich gewaschen hat. Erstens laut (damals war es „in“, das Autoradio einfach laut zu machen) und zweitens ohne Pause (es ist der Beat der Großstadt, der Puls der den Takt vorgibt) treiben uns Paul Revere, Neil Diamond, Deep Purple oder The Mamas and the Papas an. Man sitzt im Kino, mit den Knien wippend, ohnehin schon nostalgische Freudentränen auf den Wangen. Und dann….

Once Upon a time in Hollywood

Boom. Ein Tarantino Film ist immer etwas unerwartetes. Man darf von dem Regisseur, der mit einem Heistmovie bei dem man den Überfall nicht sah (Reservoir Dogs) seine Karriere startete, der einen fast schon unerhört erwachsenen Blaxploitation Film drehte den er selbst nicht geschrieben hatte (Jackie Brown) und in Deutschland einen Film über eine amerikanische Kommandotruppe dreht, in dem man von dieser Truppe wenig sieht und in der sie aber Hitler abmurksen (Inglourious Basterds), nun also mit Blick auf das Filmplakat weder eine akkurat historische Doku erwarten, noch einen Film über Tate, noch einen Film über die Manson Morde oder sonstwas. Was man sich erwarten kann und muss ist, dass man auf eine Reise genommen wird die sich entfaltet wie ein Puzzle bei dem zunächst nicht ganz nach offensichtlichem Muster sich ein Gesamtbild zusammensetzt, es vielleicht auch mal ordentlich kracht, aber dann so viel Kino und Liebe fürs Kino sprudelt dass man – vorausgesetzt man hat dafür etwas übrig, fast schon vergisst dass der Film am Ende gar nicht so viel klassischen Plot hat. Das braucht er auch nicht und das gibt er auch nicht vor zu haben.

Once Upon a time in Hollywood

DiCaprio spielt mal wieder die Rolle seines Lebens, er mimt Dalton als fast schon etwas unsympatisch unsicheren Star mit Allüren, nur um dann aber zu zeigen dass Dalton im Kern doch ein verdammt guter Schauspieler ist. Der Film gehört jedoch eigentlich Pitt, der (wie auch Leo) trotz seines Alters hier eine jugendliche Energie versprüht und von Charme nur so trotzt. In gewisser Weise ist es eine Rückkehr zu seinem Charakter Floyd aus True Romance – in Hollywood ohne jede Hoffnung auf einen Karrieredurchbruch – nur diesmal als Vietnamveteran und Badass, der fähige Sidekick von Dalton. Die beiden geben ein Gespann ab, das eine absolute Freude ist. Dabei ist das nicht immer eine Symbiose, aber manchmal: Cliff hängt finanziell und Jobtechnisch am Tropf von Rick, der wiederum kriegt ohne seinen Troubleshooter im Leben nichts auf die Reihe. Die beiden stolpern also ein paar Tage und Rückblenden durch einige Abenteuer, lästern über verdammte Hippies, gucken gemeinsam Pilotfolgen von Ricks Fernsehserien, besaufen sich und fahren verkatert zur Arbeit.

Once Upon a time in Hollywood

Nebenher kriegt man ein paar Einblicke in die Umwelt. Nebenan wohnt wie gesagt Sharon Tate, die im Sommer 1969 (nun hoch schwanger) das Leben als bessere Hälfte eines Promiregisseurs in vollen Zügen genießt. Wir dürfen schon am Anfang des Films mit ihr ins Kino und zum shoppen. Während Roman in Europa ist, kommt sein Freund aus Polen zu besuch, die Erbin des Folger Kaffekonzerns und ihr Haarstylist Sebring (Emile Hirsch) sind auch da, in der Nacht in der sie dafür in die Geschichtsbücher eingehen werden – als die Opfer einer brutalen Mordserie von aufgestachelten Hippies aus dem Clan des Charles Manson…..

Der Film hat sei seiner Premiere in Cannes im Mai diesen Jahres neben reihenweiser Lorbeeren und guter Kritiken auch viel Kritik einstecken müssen. Am heftigsten kursieren derzeit Zitate von Bruce Lees Tochter Shannon, die sich über die Darstellung ihres legendären Vaters aufregt, der im Film – soviel verrät auch der Trailer bereits – ein wenig als Aufschneider dargestellt wird. Davon mag man (aber bitte nachdem man den Film gesehen hat) halten was man will.. Fakt ist nun mal, dass es sich hier nicht um einen authentischen Periodenfilm handelt sondern um eine Fiktion, und wem das nicht gefällt soll es halt bleiben lassen. Der Film ist voller Anspielungen und kleiner Gastauftritte die teilweise real existierende Personen betreffen, die teilweise kaum Minuten ausmachen. Tarantino degradiert halb Hollywood zu Zaungästen könnte man sagen, es dient alles dem Eintauchen in ein Wachsfigurenkabinett dass unglaublich real ist, aber man hat als Zuschauer keinerlei Chance auch nur eine Sekunde länger mit all diesen Personen zu verbringen als Tarantino es zulässt.

Once Upon a time in Hollywood

Der Film ist auch in anderlei technischer Hinsicht ziemlich ausgefallen. So dürfte der Schnitt auch fachfremden Zuschauern ins Auge fallen. Und – obgleich dezent – der Film kommt nicht ohne computergenerierte Effekt aus, sehr selten für Tarantino (aber nicht gänzlich ungewöhnlich, man erinnere sich an die Kugel die den Lauf einer Pistole verlässt in Kill Bill). Once Upon a Time…in Hollywood ist ein modernes Märchen aus der Fantasie eines Regisseurs, der (sehr selektiv) eine Erinnerung an ein Hollywood von 1969 auf die Leinwand zaubert, die sowohl verzaubert als auch bezaubert. Der Film hat ein paar kleinere Längen, er hat spannungsgeladene Überraschungsmomente, er hat unglaublich detaillierte Sequenzen und er hat überflüssige Szenen, er hat nachgebaute TV-Folgen aus den 60ern ebenso wie echte Aufnahmen von Radiowerbung. Es ist ein Film, der den Zuschauer umgarnt mit den Neonfarben der Werbung auf dem Sunset Boulevard, mit schönen Klassikern der Musik dieser Zeit und mit den bezaubernden Auftritten von Margot Robbie als Sharon Tate, wo man sich nicht sicher ist wer nun bezaubernder war, die echte, oder die Tarantino Version dieser tragischen Figur.

Once Upon a Time… in Hollywood zeigt vor allem, dass Tarantino vielleicht gar nicht Unsinn redet wenn er sagt, er will eigentlich nur 10 Kinofilme machen. Er hat hier – im Kontext seines eigenen Stils – einen so meisterhaften Film geschaffen, dass er – so wie er letzten Donnerstag am roten Teppich sagte – vielleicht nur noch ein Film vom Umfang eines Epilogs drehen könnte. Vielleicht ist das hier schon das große Finale. Wenn dem so wäre, würde das von Bravour zeugen. Fast drei Stunden feiert er darin eine Kinoversion der Kinostadt, mit fiktiven Charakteren die auf echten Personen fußen, mit unglaublich verliebten Episoden im Leben von Schauspielern, Stuntleuten und anderen Protagonisten, vom Manson Family Hippie bis zum Kinderstar (oh ja seid bereit für Julia Butters). Der Film ist ein Slow-Burner, der Action-sehnsüchtige enttäuschen wird. Der Film ist ein ewiger Teaser, der nichts von dem das er zeigt nochmal oder länger zeigt als nur wenige Minuten. Vor allem wird er die richtigen Zuschauer zum lachen, weinen, erschrecken und schwelgen bringen. Ist er perfekt? Nein, und welcher Film ist das schon. Bereits jetzt geistern ja auch schon Gerüchte dass man wohl auf Netflix oder Bluray eine erweiterte Fassung zu sehen bekommen wird (Tim Roth wird im Abspann genannt, ist aber nicht zu sehen, usw). Der Film wird all die richtigen Menschen mindestens etwas verzaubern, Cineasten um den Verstand bringen und noch lange für Gesprächstoff sorgen.

Once Upon a Time … in Hollywood ist Quentin Tarantino par excellence, es ist ein Film über den man noch lange reden wird, für den der Sony Konzern zu recht finanziell hoch gepokert hat; ein Film der ganz anders ist als alles andere was diesen Sommer im Kino kommt, High-Budget Autorenkino wie es sich nur wenige Filmemacher heutzutage im Business noch leisten können. Man steige ein in Ricks Karman Ghia und begebe sich auf eine Reise… Es war einmal in Hollywood…. ab 14. August im Kino.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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