Soul

Was macht uns Menschen aus? Wie werden wir …. „Wir“? Nun, diese Fragen stellt sich die leicht chaotische und eigensinnige Seele namens 22 nicht. Sie mag weder die Persönlichkeiten, noch die Interessen, die Menschen erhalten, bevor sie auf der Erde ankommen. Und generell will sie mit dem ganzen Erdenkram relativ wenig zu tun haben. Bis sie eines Tages auf Joe Gardner trifft. Durch ein dummes Missgeschick landet der aufstrebende Jazzmusiker nur wenige Stunden vor seinem großen Auftritt an einem fantastischen, mystischen Ort, an dem sich alle Seelen aufhalten, bevor sie auf die Erde kommen. Dort muss sich er sich fortan mit der neunmalklugen 22 an seiner Seite auseinandersetzen, die noch nie verstanden hat, was an diesem menschlichen Leben eigentlich so toll sein soll. Während Joe verzweifelt versucht, 22 zu zeigen, wie großartig es ist, ein Mensch zu sein, stolpern die beiden von einem Schlamassel zum nächsten. (Disney)

Joe Gardner (Jamie Foxx / Charles Rettinghaus), der Hauptcharakter von Pixars Soul, ist ein in Harlem lebender Jazzpianist, der neben seinem Teilzeitjob als Musiklehrer an einer Middle-School, verzweifelt nach Musik Gigs sucht. Als ihm die Schule einen Vollzeitjob inklusive Versicherungen anbietet, fühlt es sich für Joe eher wie eine endgültige Kapitulation an, als ein Lebensplan. Die Bedrohung durch lebenslange Mittelmäßigkeit hat sich bereits auf jeden Aspekt von Joes Leben ausgebreitet. In einem brillanten Streich ist hier sogar die klassische Melodie „When You Wish Upon a Star“ zu hören (die vor den meisten Disney-Filmen während der Präsentation des Logos abgespielt wird), so als würde sie von Joes verstimmtem Schülerensemble gespielt.

Soul (Regie Pete Docter und Co-Regie Kemp Powers) offenbart ziemlich schnell, dass Joe ein alles andere als mittelmäßiger Charakter ist. Er erkennt Melodien im Heulen der Sirenen und Rhythmus in der Kakophonie eines Presslufthammers, da er ganz einfach Musik im Blut (bzw. seiner Seele) hat. Als Joe seine große Chance bekommt bei einem professionellen Jazz-Quartett vorzuspielen, das von der herrischen Jazz-Saxophonistin Dorothea Williams (Angela Bassett / Arianne Borbach) angeführt wird, folgt ihm der Film in die „Zone“. Seit Fantasia ist die Musik in einem Disney-Film nicht mehr mit solcher Ehrfurcht behandelt worden und fungiert hier als ein Keim für alle visuellen Blüten, die folgen. Während die Farben Rosa und Purpur um Joe herumwirbeln und seine Finger der Klaviertastatur unerwartete Harmonien entlocken (Jon Batiste sorgt für das leidenschaftliche Klavierspiel), gibt sich Soul seiner Musik voll und ganz hin.

Für diese herrlich substanziellen paar Minuten wird die Jazzmusik zum Hauptcharakter, weswegen es dem Publikum schwerfällt nicht zu wollen, dass sich Soul nur um Musik dreht und zwar nicht nur als Metapher, sondern als der sehr reale Motor, der die Charaktere des Films vorantreibt. Die außergewöhnliche Wirkung der Musik wird spürbar, als Joes Gesicht aufleuchtet, während sich eine seiner Schülerinnen, Connie (Cora Champommier / Lilly Fröhlich), in ein Posaunensolo hineinhängt und Joes Finger seiner Angespanntheit bei ihrem eigenen improvisatorischen Streben entkommen. Schon die ersten fünfzehn Minuten des Films könnten für sich genommen einen pfiffigen, erhabenen Kurzfilm darstellen, wobei man Pixars größten sowie reinsten Tribut an die Kunst präsentiert bekommt.

Doch Joes Freude (und schon bald auch die des Films) wird stark reduziert, als er in einen offenen Kanalschacht stürzt und sich – oder besser gesagt seine Seele – (hier als blaugrüne rübenförmige Substanz mit Brille und Fedora dargestellt) auf dem Weg zum Großen Jenseits befindet. Joe weigert sich, sich dem Tod zu stellen und stürzt sich in die Leere in Richtung des „Großen Vorher“, wo noch nicht geborene Seelen ihre Persönlichkeit in einer Art Du-Seminar erhalten. Mit einem gefeierten Psychologen verwechselt, wird Joes Seele ein sogenannter Mentee zugewiesen, in diesem Fall eine launische „Vormenschin“ namens 22 (Tina Fey / Anna Carlsson), die sich weigert zu kooperieren: Sie ist nicht bereit und bisher nicht in der Lage, den sogenannten „Funken“ zu finden, der es ihr erlaubt in einen menschlichen Körper hineingeboren zu werden. Vorherige berühmte Mentoren haben sich bereits an 22 versucht und sind böse gescheitert (Carl Jungs Seele, zum Beispiel, entgegnet der schwierigen 22 äußerst genervt: „Hör auf zu reden – mein Unterbewusstsein hasst dich!“), aber Joe sieht 22 als seine Fahrkarte zurück zur Erde.

Irgendwo hier beginnt Soul (der von Pete Docter, Kemp Powers und Mike Jones gemeinsam geschrieben wurde) seinen eigenen falschen Weg einzuschlagen und das zugängliche Geschichtenerzählen zusammen mit dem vitalisierenden Jazz-Soundtrack für ein verwirrendes Labyrinth von pseudo-spirituellen Ebenen der Existenz aufzugeben. Neben dem „Großen Jenseits“ und dem „Großen Vorher“ können sich Seelen auch in der „Zone“ befinden (in der sich Künstler wie Joe manchmal wiederfinden, obwohl sie noch am Leben sind!?) oder in der Wüste der verlorenen Seelen, die von Menschen bevölkert wird, die vergessen haben, wie man lebt (der Film vermittelt seinem Publikum dabei, dass es sich insbesondere um Hedgefonds-Manager handelt).

In diesem sich ständig weiterentwickelnden Terrain, das von 2D- und 3D-Lebensformen „bevölkert“ wird, nimmt die visuelle Abenteuerlust des Films zu, wenn kontrastierende Animationsstile kollidieren. Das Du-Seminar, wo die „Kinderseelen“ Persönlichkeitsmerkmale aufnehmen können (zum Beispiel im Excitable Pavilion), wird zum Beispiel von flachen, geometrischen Figuren mit transparenten Merkmalen geleitet. In der Zwischenzeit fügt eine von New Age geprägte Mystics Without Borders Nebenhandlung, in der Graham Norton / Frank Schaff den ausgeflippten Moonwind spricht, dem sanften Blau und Grün des „Großen Vorher“ eine waghalsige, lebendige psychedelische Farbpalette hinzu. Doch während sich die Kategorien von Seelen weiter ausdehnen, gestalten sich die Regeln für diese überlappenden Welten enorm neblig und bis Feys / Carlssons Stimme in einem nie völlig erklärten Switcheroo aus Joes Körper ertönt, fällt es dem Publikum schon schwer, nicht zu glauben, der Film hätte das Gefühl für seine interne Logik vollkommen verloren.

Im Zentrum des Pixar-Modells steht die Erforschung der Freundschaft innerhalb der bekannten Parameter der Buddy-Komödie – Joy und Sadness in Alles steht Kopf, Sully und Mike in Die Monster AG, Marlin und Dory in Findet Nemo bis hin zu Toy Storys Buzz und Woody – und Soul bemüht sich stark, die transformative Kraft der Freundschaft zu nutzen, indem Joe mit 22 zusammengebracht wird. Trotz Feys drolliger Synchro kommt 22 (die sagt, dass sie sich dafür entscheidet, mit der Stimme einer weißen Dame mittleren Alters zu sprechen, um nervig zu sein) als voll ausgeformter Charakter für ihre Beziehung nicht überzeugend genug rüber. Auch Joes Investition in 22s Entscheidung geboren zu werden, scheint kaum eine Rolle zu spielen.

Die Konturen dieser Welten scheinen gerade verschwommen genug zu sein, um auf der sicheren Seite von Gotteslästerung zu landen. Manchmal scheint es, als sei die Ungenauigkeit des Films ein bewusster Versuch, Stück für Stück aus verschiedenen Glaubenssystemen zu schöpfen und das beleidigte religiöse Publikum zu umgehen, indem man sich überhaupt mit der Anwesen- oder Abwesenheit höherer Mächte befasst. Doch die Zuschauer, die am schmerzhaftesten hängengelassen werden, sind diejenigen, die für Soul (zu Recht) am wichtigsten sein sollten: Kinder. Soul spielt mit Selbsthilfesprache damit, dass Seelen ihren „Funken“ finden und Ihren Zweck suchen sollen, doch das steht fast ausschließlich im Zusammenhang mit Joes Midlife-Crisis, einem Bruchteil der menschlichen Erfahrung, mit der Kinder sehr wahrscheinlich nicht in Resonanz treten. In einer beunruhigenden Umkehrung der Vergangenheit von Pixar-Filmen, in der Erwachsene großmütig zu einer anspruchsvollen Fahrt eingeladen wurden, müssen nun die Kinder schwer Heben, um hier mithalten zu können.

Cocos Darstellung des Landes der Toten und die Repräsentation von Depressionen in Alles steht Kopf veranschaulichen beispielhaft die Erforschung von „erwachsenen“ Themen mit einem sondierenden Bewusstsein dafür, wie sie auch das Leben von Kindern berühren. Für eine Weile scheint es so, als würde Soul in seiner Behandlung des „Großen Vorher“ eine ähnliche Fähigkeit an den Tag legen, um mit Sorgfalt sowie Klarheit auf große, unbeantwortbare Fragen einzugehen. Während die meisten Pixar-Filme stolz darauf sind, reichhaltige, fantastische Antworten auf reale Wunder zu präsentieren, beschwört Soul immer wieder Visionen herauf, die nicht genau genug mit irgendetwas in der realen Welt übereinstimmen. Letztendlich wird nicht klar, ob der Film einen Aufruf starten möchte, dass man einer Leidenschaft nachgehen soll, oder eine Warnung ausspricht, dass kreative Leidenschaft allein kein erfülltes Leben ermöglicht.

Soul erhält von Disney eine würdige Blu-Ray Veröffentlichung, die auf technischem Gebiet äußerst gelungen ist. Das Bild wird in 1080/24p High Definition (2,39:1) präsentiert und lässt keine Wünsche offen. Beim Ton verhält es sich genauso. Die beiden Tonspuren (deutsch und englisch DTS-HD 5.1) klingen super. Deutsche Untertitel können auch ausgewählt werden. Als Extras wurden die Featurettes „Kein Durchschnittstyp“ sowie „Astral-Blasen“ und ein Audiokommentar auf die Blu-Ray gepackt. Soul wird sehr wahrscheinlich nicht jedermanns Sache sein aber wer Disney / Pixar Filme mag, der sollte auch hier ruhig mal einen Blick riskieren.

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  • Alterseinstufung: Freigegeben ohne Altersbeschränkung
  • Medienformat: Blu-ray
  • Studio: Walt Disney
  • Anzahl Disks: 1
  • Erscheinungstermin: 22. April 2021

Diese Edition sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von Disney zur Verfügung gestellt.

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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