Tödlicher Hass / Tony Arzenta (Big Guns) / No Way Out

Der Sizilianer Tony Arzenta lebt in Mailand und ist der Profi-Killer einer mächtigen internationalen Verbrecherorganisation. Noch am Geburtstag seines einzigen Sohnes erledigt Tony den letzten Job, denn er will aussteigen. Als er das Syndikat bittet diese Entscheidung zu akzeptieren, stößt er auf erwartete Ablehnung. Die Organisation duldet keine Aussteiger und versucht ihn darauf umzubringen. Bei einem Anschlag sterben Arzentas Kind und seine Frau. Tony sinnt auf Rache. Mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm unterzutauchen. Er beginnt einen blutigen Feldzug und tötet Bosse und Helfershelfer in ganz Europa. Nach all dem Morden, ist er müde und will Frieden finden. Der Boss Nick Gusto bittet ihn um ein Treffen und sichert ihm Unversehrtheit zu. Arzenta traut ihm und begibt sich in tödliche Gefahr… (Explosive Media)

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!

Mailand. Tony Arzenta (Alain Delon) ist ein Auftragsmörder im Dienst einer mächtigen Mafia-Familie, die in ganz Europa operiert. Tony ist seines Jobs jedoch überdrüssig und möchte mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Daher beschließt er einfach aufzuhören. Doch so einfach ist das dann doch nicht, denn er weiß zu viel, weswegen seine Chefs – der Pariser Carrè (Roger Hanin), der gebürtige Deutsche Grünwald (Anton Diffring), der Mailänder Rocco Cutitta (Lino Troisi) und der Italo-Amerikaner Nick Gusto (Richard Conte) – versuchen ihn mit Hilfe einer Autobombe loszuwerden. Die Explosion tötet allerdings Tonys Frau (Nicoletta Machiavelli) und Kind, worauf Arzenta blutige Rache schwört. Kurz nach der Beerdigung seiner Liebsten überlebt er einen Mordanschlag, verfolgt die Mörder und schickt sie mit Hilfe seines Freundes Domenico Maggio (Marc Porel) über den Lambro. Dann macht sich Tony daran, den Kopf des französischen Zweigs der Organisation, Carrè, zu töten – an den er durch dessen Freundin, Sandra (Carla Gravina), herankommt – und erledigt ihn in einem Zug. Danach ermordet Arzenta Grünwald, wird aber während der Schießerei mehr oder weniger schwer verwundet und von einem italienischen Freund, Luca Dennino (Giancarlo Sbragia), in Kopenhagen gesund gepflegt. Zurück in Mailand wird Domenico gefoltert und umgebracht, nachdem er Tonys Versteck verraten hat. Doch Arzenta überlebt auch den x-ten Hinterhalt, der zu seinem Tod führen soll und tötet daraufhin Cutitta. Anschließend fährt er mit Sandra nach Sizilien, um seine Eltern zu besuchen. Nick Gusto, der einzige noch lebende Boss, gibt vor Frieden zu schließen und lädt Tony zur Hochzeit seiner Tochter ein. Der akzeptiert, wird aber nach der Zeremonie direkt vor der Kirche von Dennino erschossen.

Duccio Tessaris Mafia-Epos repräsentiert das expliziteste – sowie erfolgreichste – Beispiel für die Vermischung von italienischem Stil und französischem film noir. Obwohl sich die Prämisse und (teilweise) das Setting auf typische Mafia-Filme beziehen, ist Tödlicher Hass eher als eine mimetische, philologische Umschreibung des französischen Kriminalfilms (des sogenannten polars) und ein filmisches Scharnier zwischen den beiden Genres zu verstehen. Bezüge zum französischen Kriminalfilm sind etliche vorhanden, beginnend mit der Anwesenheit Alain Delons (Star und Co-Produzent) als Auftragsmörder, der seinen Chefs Rache schwört, nachdem seine Frau und sein Sohn (unter Gianni Ferrios Musik, die mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit der von Claude Bolling aufzuweisen hat) direkt vor seinen Augen in seinem Auto in die Luft gesprengt worden sind. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung stellte Tödlicher Hass dank Delons Star-Appeal einen großen Erfolg an den Kinokassen dar, wobei die Kritiker nicht sonderlich angetan waren, den Film eher oberflächlich beurteilten und hauptsächlich die angeblich abgenutzten Klischees zur Kenntnis nahmen. Doch Tessaris erfinderischer Umgang mit den Stereotypen des film noir zeigt sich in Momenten wie dem elliptischen Abschluss nach der langen Verfolgungsjagd, der Entdeckung der Leichen in einer Kirche (die von starkem Nebel umgeben ist) oder Roger Hanins Ermordung im Zug, die beinahe wie eine Szene aus einem Dario Argento Film rüberkommt.

Tessari (und Delon) gelingt es, einen der beeindruckendsten Antihelden italienischer Kriminalfilme zu kreieren. Tony Arzenta stellt einen einsamen, melancholischen Charakter dar, der seinem Schicksal ohne Chance auf Erlösung bis zum bitteren Ende folgen muss und sich dabei vollends bewusst ist, dass er letztendlich an übermächtigen Kräften scheitern wird. Doch hier gibt es noch viel mehr zu entdecken. Tödlicher Hass legt nämlich eine stilistische Opulenz an den Tag, die im italienischen film noir noch nie zuvor gesehen worden ist. Die besondere Beachtung des Dekors wird durch Silvano Ippolitis wunderschöne Kinematographie unterstrichen, die eine chromatische Palette aus flammenden Rottönen und blendendem Weiß in den Innenszenen präsentiert und es bestens versteht die eisige sowie neblige Mailänder Umgebung einprägsam einzufangen. Die Actionszenen (in denen Delon bei Autoverfolgungsjagden teilweise seine eigenen Stunts macht) sind durchweg als hervorragend zu bezeichnen, während sich die Gewalt so unvorhersehbar wie plakativ präsentiert.

Tödlicher Hass ist jedoch nicht nur als eine Stilübung anzusehen. Die Geschichte bewegt sich in zügigem Tempo und präsentiert sich episodisch aufgebaut, wie ein Roman von Cornell Woolrich (Der schwarze Vorhang; Die Nacht trägt schwarz): Jeder Mord stellt einen kleinen Film für sich dar und jede Figur (selbst die, die nur recht kurz auf dem Bildschirm zu sehen sind, wie Rosalba Neri, Erika Blanc, Ettore Manni, Carla Calò und Loredana Nusciak) hinterlässt ihre Spuren. Das Drehbuch gestaltet sich komplex und ist reich an Nuancen – so wie die Eröffnungsszenen, die Arzenta als netten, ruhigen Familienvater zeigen, der irgendwann die Geburtstagsfeier seines Sohnes verlässt, um einen Auftrag auszuführen, oder die Beziehung zwischen Tony und seinem alten Vater (Corado Gaipa) – während es im Verlauf des Films ein überwältigendes Gefühl von Ermattung, Melancholie und Sinnlosigkeit vermittelt. Zwischen einem Mord und dem nächsten verbringt Tony Zeit in seiner leeren Wohnung, lauscht der Stimme seines Sohnes auf Band und ist dabei von Erinnerungen an die Vergangenheit umgeben. „Du kannst hier bleiben, wenn Du willst“, sagt er zu Sandra, die Zuflucht in seiner Wohnung sucht, nachdem sie ihm geholfen hat, den sadistischen Carrè zu finden sowie zu töten, „aber lass mich Deine Anwesenheit nicht zu sehr spüren.“

In einer so gewalttätigen und düsteren Welt stellen Frauen nur entbehrliche Schachfiguren dar. Sie werden ermordet, geschlagen, gedemütigt und missbraucht, so wie Carrès lang leidende Geliebte Sandra, die in einer weiteren extrem gewalttätigen Szene von Cuttitas Männern zu Klängen klassischer Musik brutal zusammengeschlagen wird, oder die namenlose Prostituierte (gespielt von Erika Blanc), die als Köder benutzt wird, um Arzenta in Kopenhagen in einen Hinterhalt zu locken. Am Ende stirbt Tony, weil er sich immer noch an die Regeln hält, die alle anderen mit Füßen treten: Er lehnt das Angebot des Interpol-Agenten Montani (Silvano Tranquilli) ab, seine Bosse zu verraten und sich somit polizeilichen Schutz zu verschaffen. Stattdessen nimmt Tony Nick Gustos Einladung zur Hochzeit dessen Tochter als einen Akt der Loyalität und des Respekts an, was sich als fatal erweisen soll. Gusto versprach, dass niemand aus seiner Familie Arzenta töten würde und tatsächlich wird Tony von einem Außenstehenden, seinem Freund Dennino, der ihm zuvor in Kopenhagen das Leben gerettet und immer mit seiner Unabhängigkeit geprahlt hatte, sozusagen entsorgt. Ein letzter Akt, der dem Ganzen noch eine Krone aufsetzt und das Bild einer Welt vermittelt, die auf Verrat aufgebaut worden ist, denn Dennino darf für seine Tat nun die Führung von Rocco Cutittas Familie übernehmen.

Explosive Media präsentiert Tony Arzenta – Tödlicher Hass in zwei Cover-Varianten (jeweils auf 1000 Stück limitiert) erstmals als restaurierte High Definition Neuabtastung (zwei Blu-rays), die wirklich gut gelungen ist. Das Bild (1.85:1 / 1080p) sieht recht gut aus und gibt keinen Anlass zum Meckern. Beim Ton liegen mit der deutschen, italienischen und englischen gleich drei Spuren vor. Alle drei werden im DTS-HD MA 2.0 Format präsentiert und klingen recht gut. Für Freunde des italienischen Originaltons sind deutsche, italienische und englische Untertitel anwählbar. Explosive Media ist somit eine klasse Veröffentlichung einer recht feinen Mischung aus poliziotteschi und polar geglückt, um die kein Genre-Liebhaber herumkommen dürfte.

Extras:

  • Audiokommentar mit Leonhard Elias Lemke —> sehr informativ, interessant sowie unterhaltsam
  • Original Kinotrailer
  • 40seitiges Booklet mit einigen Bildern und Texten von Steffen Wulf, der so Einiges über den Film, den Regisseur sowie Alain Delon zu berichten hat
  • Bildergalerie
  • Zwei Blu-rays mit zwei unterschiedlichen Schnittfassungen (Internationale Fassung + dt. Kinofassung)

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.85:1, 16:9 – 1.77:1
  • Alterseinstufung:‎ Freigegeben ab 16 Jahren
  • Regisseur:‎ Tesari, Duccio, Tessari, Duccio
  • Laufzeit: 1 Stunde und 52 Minuten
  • Darsteller: Delon, Alain, Conte, Richard, Gravina, Carla, Porel, Marc, Hanin, Roger
  • Untertitel: ‎Deutsch, Englisch
  • Studio: Explosive Media

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Diese Edition sowie die Screenshots wurden uns freundlicherweise von Explosive Media zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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