Tulpa – Dämonen der Begierde

Tagsüber ist Lisa Boeri eine verklemmte Geschäftsfrau, die vom reichen und mächtigen Massimo Roccaforte beschäftigt wird. In der Nacht jedoch lässt sie ihre Haare runter und verwöhnt ihre sexuellen Launen im exklusiven Club Tulpa. Die Dinge nehmen eine unerwartete Wendung, als ihre verschiedenen Sexpartner nach und nach einem brutalen Mörder zum Opfer fallen und Lisa versuchen muss den Täter zu entlarven, bevor ihr geheimes Leben bloßgelegt werden kann … Der Begriff Tulpa kann auf den tibetischen und indischen Buddhismus zurückgeführt werden. Im Grunde stellt er ein Phantom oder ein Objekt dar, das durch schiere Kraft der Gedanken erschaffen und gerufen werden kann.

Der Plot um Tulpa wurde von Giallo-Ass Dardano Sacchetti entworfen, doch wieviel von dessen ursprünglichem Konzept im fertigen Film übriggeblieben ist, bleibt umstritten. In den Händen von Regisseur Federico Zampaglione und seinem Co-Autor Giacomo Gensini wird eine potenziell interessante Vorlage auf einen einfachen Softcore-Thriller mit einigen fiesen Morden reduziert. Die Geschichte konzentriert sich auf den Charakter von Lisa, einer erfolgreichen Karrierefrau mit einem dunklen, pervertierten Geheimnis. Leider, wie in so vielen Filmen dieser Güte, wird Lisas Status als starke, unabhängige Frau mit einem sexuell fordernden Weib, welches das Selbstbewusstsein von Männern zerstört und seinen perversen Fantasien nachgeht, gleichgesetzt. Darüber hinaus wird dem Charakter keinerlei Tiefe verliehen. Sie engagiert sich in sexuellen Aktivitäten mit Männern und Frauen gleichermaßen, wobei sie mehr als fähig ist dabei gut auf sich selbst aufzupassen, außer wenn sie es gerade wirklich vonnöten hat. Dies ermöglicht es den Filmemachern sie in die übliche Rolle der holden Maid in Not degenerieren zu lassen, wenn sich die Dinge für sie unangenehm entwickeln. Eine wirklich starke, findige Protagonistin hätte ein weitaus interessanteres Licht auf das Material geworfen, doch Lisa ist letztlich nur eine weitere dekorative Scream-Queen im Giallo-Kanon. Der Film scheut nicht davor zurück, die Welt der Finanzen und der großen Konzerne zu verteufeln, denn so ziemlich jeder in Massimo Roccafortes Reich wird als intrigant und bösartig dargestellt. Roccaforte ist ein Lustmolch, der sein wahres Ich hinter einem freundlichen, vornehmen Äußeren verbirgt. Die Menschen, die unter ihm arbeiten, stehen ständig unter Druck gefeuert zu werden, wenn sie nicht seinen Erwartungen entsprechen, also denken sie nicht zweimal darüber nach sich gegenseitig zu schaden, um ihre Existenz bzw. ihren Lebensstandard erhalten zu können. Allerdings ist all dies sekundär zum primären Fokus des Streifens, der so viel Blut wie möglich fließen lassen soll. Es gibt viel Sex und nackte Haut zu sehen, aber der Film erliegt dem gleichen Problem, das so viele der sogenannten erotischen Thriller haben: Nackte Brüste oder Leute, die vorgeben Sex zu haben, sind nicht notwendigerweise auch nur ansatzweise erotisch. Ein Film kann jedoch durchaus in der Lage sein echte Erotik zu versprühen, ohne jemals so viel wie auch nur eine einzelne unbedeckte Brustwarze zu zeigen. Es kommt eben darauf an, wie das Material von den Schauspielern und dem Regisseur behandelt wird.

Im Falle dieses Films scheint Zampaglione nicht gewusst zu haben, wie er vorgehen soll, so dass er einfach so viel wie möglich auf die Leinwand wirft, in der Hoffnung, den richtigen Ton zu treffen. Das Endergebnis sind viele Sex-Szenen, die keinerlei Vitalität versprühen, da sie einfach nur da sind, um die Laufzeit zu füllen, doch die Gewalt des Films sollte für Fans angenehmer zu konsumieren sein. Die erste Mordsequenz ist wirklich genauso fies wie unschön und gipfelt in einer angedeuteten Kastration, die zusätzlich noch sehr geschmackslos wirkt, wenn der Mörder das abgetrennte Glied des Mannes auf das Kissen vor dem gefesselten und geknebelten weiblichen Opfer wirft. Diese widerliche Einstellung lässt das Publikum sofort erkennen, dass Feingefühl und Subtilität hier nicht an der Tagesordnung sind. Die nachfolgenden Morde sind auch äußerst mies und sadistisch angelegt, mit einem Opfer, das bereits übel zugerichtet ist, bevor es vom Mörder noch lebend in eine Kiste mit Ratten geworfen wird, die den Job vollenden sollen. Ein weiteres Opfer wird an ein sich drehendes Karussell gefesselt und jedes Mal, wenn es ein Stück Stacheldraht passiert, wird ihm mehr Fleisch vom Gesicht gerissen und schließlich auch ein Augapfel. Die Gore-Effekte sind gut gemacht, wobei Zampaglione zumindest nicht in die Falle tappt, die Dario Argentos jüngste Bemühungen verdorben hat, indem er sich nicht zu lange und ausdauernd auf einen bestimmten Drehort konzentriert. Zampaglione gelingt es dem Film einen gewissen Stil und Verve zu verleihen, kommt jedoch niemals an den besonderen Touch der Thriller der 70er Jahre heran.

Die Widescreen-Fotografie von Giuseppe Maio ist gelegentlich bemerkenswert, was dem Film nicht das gleiche ultra-billige digitale Aussehen von einigen anderen Gialli der Periode verleiht. Das Tempo ist generell recht flott, obwohl es bei jeder sexuellen Begegnung unweigerlich zum Erliegen kommt. Glücklicherweise ist dies in der zweiten Hälfte des Streifens weniger der Fall, doch leider implodiert jegliches Wohlwollen, das der Film bis dahin aufbaut, mehr oder weniger im letzten Akt. Die Entscheidung, die Geschichte in ein mystisches Reich gleiten zu lassen, war, um es milde auszudrücken, keine gute. Wäre dies mit größerer Sorgfalt und mit einem gewissen Sinn für Ironie entwickelt worden, hätte man die Idee sogar ordentlich ausbauen können, aber so?! Die endgültige deus ex machina lahmt jenseits der Glaubwürdigkeit und wird sicherlich viele Zuschauer einiges an Profanitäten murmeln lassen.

Die Besetzung scheint etwas verloren, wenn nicht sogar desinteressiert. Claudia Gerini gibt eine anständige Vorstellung als Lisa, obwohl sie nur in der Lage ist, so viel zu tun, was die unbeständige Natur ihres Charakters hergibt. Gerini gelingt es etwas Sympathie zu entwickeln und hilft den Film durch seine Erzählprobleme zu tragen. Sie wurde 1971 in Rom geboren, arbeitete seit 1986 in Film und Fernsehen als Teenie-Schauspielerin und wurde dank einer gefeierten Kritik der romantischen Komödie Sono pazzo di Iris Blond (I’m Crazy About Iris Blond, 1996) bekannt, in der sie den Titelcharakter spielte. Ihre bislang größte Rolle war die der Claudia in Mel Gibsons umstrittenen Die Passion Christi (2004) und zuletzt spielte sie in John Wick: Kapitel 2. Unter den unscheinbaren Nebendarstellern fällt der anmutig alternde Michele Placido in der Rolle des Massimo Roccaforte positiv auf; Placido erinnert in seinen Szenen an die besseren Gialli vergangener Tage. Regisseur Federico Zampaglione wurde 1968 in Rom geboren. Neben Drehbuchautor und Regiesseur ist er gleichzeitig auch Sänger, der 1989 die Gruppe Tiromancino gründete, die bis heute 12 Alben veröffentlicht hat. 2007 begann seine Filmkarriere mit der dunklen Komödie Nero bifamiliare (A Dream House Nightmare), während er dann 2009 mit dem stilvollen Shadow – In der Gewalt des Bösen die Aufmerksamkeit als neue Stimme des taumelnden italienischen Horrorfilms auf sich zog. Tulpa – Dämonen der Begierde wurde aufgrund der Versprechen dieses Films gehyped, trug allerdings wenig dazu bei seine Karriere oder seine Stellung unter den Fans voranzutreiben.

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  • Darsteller: Nuot Arquint, Laurence Belgrave, Michela Cescon, Yohann Chopin, Ivan Franek
  • Regisseur(e): Frederico Zampaglione
  • Format: Limited Collector’s Edition, Widescreen
  • Sprache: Italienisch (Dolby Digital 5.1), Italienisch (DTS), Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS), Englisch (Dolby Digital 5.1), Englisch (DTS)
  • Untertitel: Deutsch
  • Region: Region B/2
  • Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
  • FSK: Freigegeben ab 18 Jahren
  • Spieldauer: 88 Minuten

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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