Zeuge des Wahnsinns / The Comeback

Popstar Nick Cooper hat nach erfolglosen und harten Jahren in den USA sowohl vom Showbusiness als auch von seiner ewig nörgelnden Frau die Nase voll. In seinem Heimatort in England hofft der enttäuschte Sänger, sein Seelenheil zu finden und ein Comeback zu starten. Er nistet sich in einem alten Landhaus ein, doch statt Erholung erwarten ihn in seiner neuen Unterkunft Angst und Schrecken. Jede Nacht plagen ihn sonderbare Geräusche und Visionen. Verliert Nick den Verstand? (Wicked Vision Distribution GmbH)

Pete Walker, der seine Karriere mit Werbespots begann, drehte ein paar freche Sexploitation-Filme bevor er sich dann – vor den Tagen der sogenannten „Video Nasties“ Anfang der 1970er Jahre – der Produktion von Low-Budget-Thrillern und Proto-Slashern zuwandte, typischerweise mit antiautoritärem Subtext, der die Heuchelei der Moralkonservativen seines Heimatlandes anprangert. Walkers Filme sind in Stil und Ausführung durch und durch als fachmännisch zu bezeichnen und haben eine unterhaltsame Qualität inne, die dem Publikum genau das gibt, was es möchte. Gleichzeitig lehnen sie sich an Hitchcocks spannungsgeladene Flicks sowie das grelle Blutvergießen des italienischen giallo an. Zeuge des Wahnsinns stellt einen konventionellen aber unterhaltsamen Slasher/Mystery – Streifen dar, der die Zuschauerschafft bis zum Ende rätseln lässt. Der berühmte Popsänger Jack Jones (ja genau, der Typ, der den Titelsong von Love Boat gesungen hat) spielt Nick Cooper, einen Sänger, dessen Ehe erst kürzlich geschieden worden ist und der seit sechs Jahren keine Platte mehr aufgenommen hat.

Auf Drängen seines penetranten Managers Webster Jones (David Doyle aus Drei Engel für Charlie, 1976 – 1981) verlässt Jack sein nobles Loft in Los Angeles und zieht auf ein abgelegenes Anwesen auf dem englischen Land, um sich in Ruhe seinem Comeback-Album widmen zu können. Frieden kann er dort allerdings nicht finden, nein ganz im Gegenteil, ihm wird nämlich ganz gehörig das Fürchten gelehrt. Während Jack im Flugzeug über dem Ozean schwebt, möchte ihn seine Ex-Frau Linda (Pamela Stephenson) ohne sein Wissen besuchen, um sich mit ihm zu versöhnen, nur um von einem als schwache alte Frau getarnten sichel-schwingenden Wahnsinnigen eine Hand abgeschlagen und ihre Kehle aufgeschlitzt zu bekommen. Dabei handelt es sich um ein murder-set-piece, das eines Dario Argento würdig ist, wobei es dem Film nie gelingt dieses zu übertreffen – die wenigen nachfolgenden Morde sind zwar recht blutig und unheimlich gestaltet worden, erweisen sich jedoch als nicht so rasend und erschreckend wie der erste.

Jacks neues Wohnquartier draußen im ländlichen England steht ihm nicht sonderlich gut zu Gesicht, trotz der außerordentlichen Aufmerksamkeit der seltsamen, jedoch harmlosen Haushälterin Mrs. B (wie immer brillant, Sheila Keith) und ihres Ehemanns Mr. B (Bill Owen), der sich auf dem Anwesen als Gärtner verdingt. Tagsüber mag das alte Landhaus keine gruselige Gothic-Atmosphäre versprühen, doch nach Einbruch der Dunkelheit hört Jack seltsames Klagen einer weiblichen Stimme, das durch die Flure hallt. In einem Zustand, den man eventuell als einen Traum bezeichnen könnte, vielleicht aber auch nicht, erwacht er eines Nachts aufgrund von wimmernden Schreien und entdeckt in einem Schrank eine verwesende Leiche. Wird er jetzt verrückt und durch den Druck wieder berühmt werden zu wollen zu Halluzinationen getrieben? Oder nähert sich ihm eine sehr reale physische Gefahr? Michael Sloans und Murray Smiths Drehbuch hätte sich an dieser Stelle etwas effektiver gestalten können. Der Film würde mit einer waschechten „Ist er oder ist er nicht“-Zweideutigkeit besser fahren, doch stattdessen lassen die Autoren zu viel an dramatischer Ironie einfließen, um deutlich zu machen, dass jemand auf Rache an Jack aus ist.

Die Frage ist dann, wer möchte diese Rache ausüben und warum? Könnte es Jacks Manager sein, eine heimliche „Drag-Queen“, die Jacks Karriere im Würgegriff hält? Seine neue Freundin Gail (die enorm attraktive Holly Palance – ja richtig vermutet, man kann jedoch kaum glauben, dass es sich bei ihr um Jacks Tochter handelt), Websters Assistentin, die mitten im Film plötzlich einfach so verschwindet? Jacks schmuddeliger, lederjackentragender Kumpel Harry (Peter Turner), der die Schlüssel zu dessen Apartment hat, genauso wie Webster? Ohne irgendetwas spoilern zu wollen, wird die Anzahl der Verdächtigen im Laufe der Zeit selbstverständlich langsam dezimiert – im wahrsten Sinne des Wortes abgestochen – während der Film zu einem schockierenden Ende kommt, das teilweise an Edgar Allan Poes The Cask of Amontillado und Jack Nicholsons Axt schwingende Wut aus The Shining (1980) erinnert. Natürlich glänzend inszeniert und mit einer Prise von Walkers moralischer Heuchelei verfeinert, die er üblicherweise in seine Filme einfließen ließ.

Wicked-Vision veröffentlicht Zeuge des Wahnsinns als Nummer 5 ihrer Pete Walker Collection im Mediabook (Blu-ray und DVD) mit drei verschiedenen Cover-Motiven, die jeweils auf 333 Stück limitiert sind. Bild (1,78:1 – 1080p / 1,78:1 – anamorph) und Ton (Deutsch + Englisch DTS-HD Master Audio 2.0 / Dolby Digital 2.0) bewegen sich auf ziemlich zufriedenstellendem Niveau, da kann man sich überhaupt nicht beschweren. Deutsche oder englische Untertitel können auch zugeschaltet werden. Insgesamt handelt es sich bei Zeuge des Wahnsinns wieder einmal um eine äußerst gelungene Mediabook-Edition mit nettem Bonusmaterial, die bei Pete Walker Liebhabern und Freunden dieser Art von Filmen enorm gut ankommen sollte.

Bonusmaterial:

• 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Christoph N. Kellerbach zu Zeuge des Wahnsinns (das einen detaillierten Blick auf die Entstehung des Films beinhaltet) und einem von Thorsten Hanisch zu School for Sex (das uns Sex als den Retter des britischen Kinos präsentiert)
• Audiokommentar mit Regisseur Pete Walker und Filmhistoriker Jonathan Rigby —> sehr informativ sowie unterhaltsam
• Audiokommentar mit Dr. Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese —> wie immer sprechen die drei Herren einen tollen AK ein, allerdings ist da irgendetwas bei der Aufnahme (oder der Nachbearbeitung?) schiefgelaufen, denn ihre Ausführungen passen zum größten Teil nicht zu den Szenen, wobei der AK bereits ca. fünf Minuten vor dem Schluss des Films zu Ende geht
• Featurette: Slasher Serenade – Interview mit Regisseur Pete Walker und Hauptdarsteller Jack Jones —> recht aufschlussreich
• Featurette: Sheila Keith: A Nice Old Lady? —> enorm lohnenswert
• Bildergalerie
• Trailer
• Bonusfilm: School for Sex (80 Min., engl. mit optionalen deutschen und englischen Untertiteln / nur BD)

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Regie: Pete Walker
Darsteller: Jack Jones, Pamela Stephenson, David Doyle, Bill Owen, Sheila Keith, Holly Palance, Peter Turner
Freigabe: ab 16 Jahre
Ländercode: A,B,C / 0
Laufzeit: 100 Minuten (ungekürzt) / 96 Minuten (ungekürzt)
Bildformat: 1,78:1 (1080p) / 1,78:1 (anamorph)
Sprache: Deutsch, Englisch
Tonformat: DTS-HD Master Audio 2.0 / Dolby Digital 2.0
Untertitel: Deutsch, Englisch
Untertitel Extras: Deutsch
Verpackung: Mediabook
Discs: 2
Format: Blu-ray & DVD
Studio: Wicked Vision Distribution GmbH

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Diese Edition wurde uns freundlicherweise von Wicked-Vision zur Verfügung gestellt.

Das Bildmaterial stammt nicht von dieser Edition.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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