Der giftige Mythos, der bei Frauen-Reboots im Mittelpunkt steht

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu weiblichen Neuauflagen von klassischen Filmen, die ausschließlich mit Männern besetzt waren, wobei noch weitere folgen werden. Zur gleichen Zeit haben die Comic-Mühlen von Marvel und D.C. damit begonnen, einige der weiblichen Superhelden, deren Geschichte ihren Anfang in den Comics fand, in popkulturelle Formen von Film und Fernsehen zu übertragen. Im besten Fall offerieren diese Filme und Serien eine Art revisionistisches Denken, indem sie Pop-Kulturgeschichte für ein junges weibliches Publikum kultivieren. Im schlimmsten Fall demonstrieren sie die zynische Profitabilität der Film- und Fernsehbranche gegenüber zeitgenössischen feministischen Idealen. Die scheinbar ermächtigende Botschaft dieser rein weiblichen Remakes und Superhelden-Produktionen ist, dass Frauen alles können, was Männer können. Doch, nur weil in diesen Filmen und Fernsehsendungen überwiegend Frauen (oder eine weibliche Hauptdarstellerin) zu sehen sind, bedeutet das nicht, dass sie feministisch geprägt sind.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der Frauenfeindlichkeit im Vorfeld des 2016 erschienenen Ghostbusters-Remakes, haut Hollywood eine Reihe von Blockbustern raus, die meistens in Form von Reboots realisiert werden und in denen ausschließlich Frauen die Hauptrollen spielen. Ocean’s 8, veröffentlicht im Juni 2018, mischt weibliche Stars (Sandra Bullock, Cate Blanchett, Helena Bonham Carter und Rhianna) mit dem klassischen Crime Caper, der zuvor hauptsächlich mit Männern besetzt war. Disney plant ein Remake des Actionfilms The Rocketeer (basierend auf einer Comic-Serie) von 1991 mit einer weiblichen Hauptrolle. Es laufen sogar Gespräche über ein rein weibliches Remake von William Goldings klassischem Roman Der Herr der Fliegen. Batwoman bekommt ein Serien-Reboot mit Bruce Waynes homosexueller Nichte als Titelcharakter. Men in Black: International mit Tessa Thompson und Chris Hemsworth wird bald anlaufen. Zwei hinreißend verdorbene Schurken (1988) mit Michael Caine und Steve Martin wurde, mit Anne Hathaway und Rebel Wilson in den Hauptrollen, als Glam Girls: Hinreißend verdorben neu aufgelegt. Splash: Jungfrau am Haken, die Meerjungfrau-Romanze mit Tom Hanks und Daryl Hannah von 1984, wird mit Channing Tatum als Wasserman neu herausgebracht. Captain Marvel kam 2019 ins Kino, in dem Carol Danvers, eine Pilotin der US-Air Force, zur Superheldin Captain Marvel wird, als sich ihre DNA während eines Absturzes mit der eines Außerirdischen vermischt. Jessica Jones, Marvels hartnäckige Privatdetektivin mit übermenschlicher Kraft, fasziniert seit 2015 das Publikum und die Kritiker auf Netflix. Ms. Marvel (auch bekannt als Kamala Khan), Marvels erste muslimische Superheldin im Teenageralter, soll die nächste Kandidatin für einen Kinostart sein. 2017 hat D.C. Wonder Woman erfolgreich neu aufgelegt und Supermans Cousine Supergirl läuft seit 2015 als eigene Fernsehserie. Auch Daisy Ridley als Rey aus der neuen Star-Wars Trilogie repräsentiert ein beinahe perfektes Beispiel für das neue Bild der Frau in Film, Funk und Fernsehen.

Jede Frau für sich selbst?

In einem Versuch die traditionell männlichen Rollen zu feminisieren, werden diese Reboots und Superheldinnenfilme als kühner Schritt in Richtung Gleichberechtigung angesehen, „Schaut her!“, implizieren die Trailer, „Frauen können auch gegen Bösewichte, Außerirdische und/oder Geister kämpfen!“ Im Fall von Herr der Fliegen und Zwei hinreißend verdorbene Schurken wird man sich zweifellos an der „Neuheit“ der barbarischen oder schelmischen Frauen weiden. Bei Splash wird es sicherlich lustig sein zu sehen, wie Channing Tatum von Jillian Bell sexuell objektiviert wird. Allerdings hat die vermehrte „Sichtbarkeit“ von Frauen in Film und Fernsehen ihren Preis, denn anstatt Männlichkeit zu feminisieren, wird versucht, Weiblichkeit zu maskulinisieren, weil männliche Rollentypen anscheinend das sind, was das Publikum nach Meinung der Studios verlangt. In diesen Filmen und Serien beruht Feminismus auf Lippenbekenntnissen, indem mehr Frauen in wichtigen Rollen gezeigt werden, während dieselben alten lukrativen Geschichten mit denselben Werten einfach weiter erzählt werden. Superheldinnenfilme und Frauen-Reboots sind Teil der mythenherstellenden Maschinerie des zeitgenössischen neoliberalen Feminismus. Die Ungleichheit der Geschlechter wird anerkannt, die Verantwortung für die Lösung des Problems liegt jedoch bei den einzelnen Frauen selbst. Die soziale Struktur, die Ungleichheit aufrechterhält, wird dabei vollkommen ausgeblendet.

Man braucht bei der Frage nach sozialer Struktur nur mal etwas genauer zu recherchieren, wie wenig Frauen unsere Filme und Fernsehsendungen schreiben, inszenieren und produzieren. Traditionell risiko-averse Studios scheuen vor neuen, von Frauen kreierten Geschichten zurück. Unter den 100 erfolgreichsten Filmen des Jahres 2017 waren zum Beispiel nur 8% der Regisseure, 10% der Autoren, 2% der Kameraoperatoren, 24% der Produzenten und 14% der Redakteure Frauen. Die weiblichen Geisterjäger, Gauner und Superhelden fordern das junge weibliche Publikum zur Selbstermächtigung auf, maskieren gleichzeitig jedoch häufig die Wertesysteme, von denen die Geschichten selbst untermauert werden, genauso wie die Politik, die hinter den Produktionen steht.

Folgendes Wertesystem zeichnet sich in den Remakes ab: Frauen können vor der Kamera besser vertreten sein, solange sie sich an Rollen halten, die von Männern geschrieben und ursprünglich von Männern gespielt wurden. Sie müssen einfach nur besser darin sein – wie die Kritik am neuen Ghostbusters-Film und Ocean’s 8 zeigte. Dies stellt die Art von neoliberalem Feminismus dar, den Facebook‘s Sheryl Sandberg in ihrem Bestseller Lean In: Women, Work, and the Will to Lead erläutert. Ein weiteres Wertesystem liegt insbesondere dem Superhelden-Genre zugrunde und beschäftigt sich mit der individuellen Außergewöhnlichkeit. Superhelden repräsentieren unser eingebildetes bestes Selbst. Zeitgenössische weibliche Superhelden verblüffen uns mit ihrer Fähigkeit, einfach alles meistern zu können und wenn Frauen sich nur voll optimieren und stärken würden, könnten sie so sein wie diese Superheldinnen. Der radikale Individualismus der beliebtesten Superhelden – der in jedem Film oder jeder Serie seinen Höhepunkt findet, wenn der Held für sich allein stehen muss, um sich dem Feind zu stellen – spiegelt die Parole wider, die der neoliberale Feminismus jeden Tag propagiert: Sie (Frauen) sind für Ihren eigenen Erfolg verantwortlich und sollten Sie scheitern, tragen nur Sie selbst die Schuld daran. Frauen können ALLES schaffen, wenn Sie es nur wirklich wollen und ALLES dafür geben bzw. tuen. Scheitern Sie, so haben Sie eben nicht genügend, nicht ALLES dafür getan. Ein Motto, das hauptsächlich auch bei neoliberalistisch, turbokapitalistisch geprägten Sendungen, wie zum Beispiel Germany’s Next Top Model, enorm hochgehalten wird.

Die MeToo-Bewegung zeigt, dass kollektives Handeln und Solidarität unter Frauen immer noch einen umfassenden sozialen Wandel bewirken können. Ein Großteil unserer beliebten Unterhaltungsangebote fördert jedoch nach wie vor die Eigenständigkeit und Stärke des Einzelnen als einzige Option für wahre „Super“-Frauen. Ohne die Möglichkeit, dass Aspiration als eine soziale und kollektive Fähigkeit geteilt und nicht als ausschließlich individuelle Angelegenheit angesehen wird, werden Begriffe wie „Ermächtigung“ bedeutungslos. Ihr Verantwortlichen in Hollywood, lasst doch einfach die Remakes und Superheldinnenfilme endlich hinter Euch und nehmt die Gelegenheit war, um neue, realistischere und somit interessantere Geschichten zu erzählen.

Im Folgenden sollen nun einige tolle Filme für, von oder über Frauen kurz vorgestellt werden, die es sich WIRKLICH lohnt anzuschauen. Bitte beachten: Dies stellt keine endgültige Liste dar, sondern soll lediglich Ausgangspunkte widerspiegeln, die Feminismus auf vernünftige Art und Weise thematisieren.

ALIEN (1979)
Wegweisend für Science-Fiction, ist Ellen Ripley (Sigourney Weaver) eine der bekanntesten weiblichen Figuren des Genres. Keine Jungfrau in Nöten, sondern knallhartes „Weibsbild“ und einzige Überlebende, die das Monster besiegt, das jedes andere Mitglied der Nostromo-Crew verstümmelt und getötet hat.

Thelma and Louise (1991)
Susan Sarandon und Gena Davis schließen Schicksalsbündnisse, in diesem Roadtrip-Drama mit feministischem Erbe, das tiefer geht als der Grand Canyon. Sicher, der Streifen wurde von Ridley Scott inszeniert, doch das Drehbuch über ein Paar von Geächteten, die alles andere als passiv sind, stammt direkt aus der Feder von Callie Khouri.

Die Farbe Lila (1985)
Whoopi Goldberg erweckt den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten feministischen Roman von Alice Walker zum Leben. Sie übernimmt die Rolle der Celie, einer Frau aus den Südstaaten der USA, die über Jahrzehnte lang misshandelt wurde. Ein Projekt, das Produzent Quincy Jones an einen zögernden Steven Spielberg heranbrachte. Der Film markiert Spielbergs erste weibliche Hauptrolle.

Das Piano (1993)
Die Pionier-Filmemacherin Jane Campion, die sich keinem Label unterwirft, erzählt eine Liebesgeschichte über eine stumme Frau, deren erotische Affäre lebensverändernde Auswirkungen hat. Obwohl Campion nicht damit konform geht, kann man hier eine feministische Vision erkennen und würdigen.

Frida (2004)
Ihr Porträt mit den ausgeprägten Augenbrauen und der nicht gewachsten Oberlippe ist zu einem Wahrzeichen des Feminismus geworden. Julie Taymors Biografie führt das Publikum hinter die Leinwand, um die Künstlerin, die Aktivistin und die Revolutionärin zu entschleiern.

Betty und ihre Schwestern (1994)
Feminismus bedeutet nicht „Frauen können, was Männer können“, sondern Frauen können tun, was auch immer sie tun wollen. Für die Hauptdarstellerinnen in Gillian Armstrongs Adaption von Louisa May Alcotts Roman bedeutet das Schriftstellerin, Musikerin, Hausfrau und freier Geist.

The Witch (2015)
Ein New England-Volksmärchen aus dem 17. Jahrhundert von Robert Eggers hat mehr als nur übernatürlichen Horror zu bieten – er beschäftigt sich mit weiblicher Rebellion zu einer Zeit, in der jemand, der sich nicht an gesellschaftliche Konventionen halten möchte, als Hexe deklariert wurde.

Persepolis (2007)
Hier spielt sich einiges ab: Persepolis ist animiert wie ein Comic, schwarz/weiß und es geht um ein Mädchen, das sich islamischen Fundamentalisten widersetzt. Der Film ist autobiografischer Natur und auf Französisch. Das Ergebnis: eine brillante feministische Großtat von Marjane Satrapi.

Alice Paul – Der Weg ins Licht (2004)
Frauen, die ihr Leben für die Wahlrechtsbewegung riskiert haben. Mit Hilary Swank, Anjelica Huston und Vera Farmiga in den Hauptrollen.

Orlando (1992)
Die selbsternannte Feministin Sally Potter gibt Virginia Woolf eine Chance mit diesem geschlechtswidrigen Stück, in dem Tilda Swinton sowohl einen Mann als auch eine Frau spielt. Sie beginnt als Orlando, einem Adligen und springt von einem Jahrhundert zum nächsten, während sie gleichzeitig Geschlechtsnormen und kulturelle Einschränkungen zerstört.

The Keeping Room (2014)
In diesem Bürgerkriegsthriller kommt niemand zu Hilfe. Das Drehbuch von Julia Hart ist genauso spärlich in Bezug auf Dialog, wie aufgeladen mit sexuellem Terror. Drei Frauen (Brit Marling, Hailee Steinfeld, Muna Otaru) müssen ihre Heimat und ihre eigenen Körper verteidigen. DER revisionistisch feministische Western, von dem man nicht wusste, dass man ihn sehen wollte.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

2 Antworten

  1. scarum sagt:

    Gillian Anderson – > Gillian Armstrong