Kill! / Kiru!

Ein abtrünniger Samurai, der zum Gangster wurde, und ein Bauer, der Samurai werden will: Genta und Hanjiro stranden nach einer Wanderschaft ausgehungert in einem Dorf. Sie werden in einen Clan-Krieg verwickelt und finden sich bald auf gegnerischen Seiten wieder. (Rapid Eye Movies)

Kihachi Okamotos Film Kill! repräsentiert eine dynamische sowie detailliert versponnene Samurai-Saga, die es bestens versteht eine vielschichtige Botschaft auszusenden. Mit seinen schraffierten Handlungssträngen, Zickzack-Modulationen und schmutzigen Standardcharakteren – ein landstreichender Schwertkämpfer; ein Bauerntölpel, der sich als Möchtegern-Samurai herumtreibt; ein enteigneter Diener; ein entführter Kammerherr sowie der Entführer des Kammerherrn; ein Söldner. der dreißig Ryo braucht, um seine Frau aus einem Bordell freikaufen zu können und sogar sieben zänkische Samurai auf der Suche nach Daseinsberechtigung – vermischt der Film die Plots sämtlicher Ronin-Geschichten von Akira Kurosawas Yojimbo (Yojimbo – Der Leibwächter, 1961) bis hin zu Okamotos meisterhaft herbem Dai-bosatsu tôge (Sword of Doom, 1965). Was hier besonders fasziniert, ist die kultivierte, täuschend beiläufige Art und Weise, mit der es Okamoto gelungen ist, breite Formen historischer/ästhetischer Endzeitangst, folkloristischer Komödie, melodramatischer Intrigen und unbeschwerter Absurdität zu destillieren. Kill! ist als ständiger Kommentar zu den Launen, Schwächen und Freuden des Schwertkampf-Genres zu verstehen.

Der Film wurde auch mit verschiedenen, eher unkonventionellen Italo-Western-Aspekten gewürzt, vor allem Masaru Satos zeitweise skurriler sowie wackeliger Musik, die sowohl an Surfgitarren, als auch an Ennio Morricone erinnert (Satos klassische Yojimbo-Musik, bei der er mit Instrumenten, vom Cembalo bis zum Basssaxophon, einen perkussiven, lächerlichen, satirisch-ominösen Dreigroschenopern-Ton etablierte, könnte den Italo-Western ebenso beeinflusst haben, wie Kurosawas Regieführung). Obwohl der Film Slapstick sowie leichtherzige Elemente beinhaltet – oder sie auf natürliche Art und Weise aus der Absurdität der ernsten Kodifizierung des Genres herauszieht – behält Kill! ein ironisches, quasi-dramatisches Gleichgewicht bei, das nur gelegentlich (um seiner selbst willen) ins Absurde abgleitet. Der Film persifliert den obligatorischen Charakter starrer Konventionen, ohne dabei respektlos mit der Form oder den Charakteren umzugehen.

Kill! fühlt sich auf jeden Fall wie ein Produkt aus dem Jahr 1968 an und zwar nicht in einem offensichtlich anarchischen Sinne (Okamoto behält die gewaltsame Kontrolle über selbst die sporadischen Unterbrechungen), sondern aufgrund der seltsam freundlichen Atmosphäre maskuliner Konventionen, die sich hier am Ende ihrer Kräfte befinden. Vom ersten Sandsturm an, der existenzielles Unwetter ankündigt, erreicht der Film einen Schnittpunkt von Übertreibung und emotionsloser Würdelosigkeit – eine praktizierte Trostlosigkeit, die für einen gewitzt komischen Effekt auf die Spitze getrieben wird. Das einzige, was auf den Straßen einer heruntergekommenen Stadt herumirrt, ist ein einzelnes dürres Huhn. Auf der Jagd nach eben diesem Huhn stößt der ausgehungerte, verbohrte Hanjiro (Etsushi Takahashi) auf Genta (Tatsuja Nakadai), wobei es zwischen den beiden verwahrlosten Kämpfern zu einem vaudevillianischen Verhältnis kommt. Während sie in den Kampf zwischen konkurrierenden Fraktionen hineingezogen werden und auf entgegengesetzten Seiten landen, untergräbt ihre Ambivalenz jede Pflicht, Ehre oder bürgerliche Autorität – sie sind ein paar überalterte Botenjungen, die nur versuchen in einer Welt zu überleben, die spürbar langsam zusammenbricht.

Auch Genta bietet einen ziemlich schmutzigen, unrasierten, unheilvollen sowie verlegenen Anblick und repräsentiert – mit weit aufgerissenen Augen – quasi das Gegenstück zu Nakadais makellos rücksichtslosem Narzissten aus Dai-bosatsu tôge (Sword of Doom, 1965). Im Laufe des Films versorgt er das Publikum mit einer gemächlichen Studie über den Wandel seiner Weltanschauung. Genta stellt ein Wunderwerk von lässiger, gewinnbringender List dar, das sich in einem Moment als allwissend offenbart und im nächsten mit mindestens fünfzig IQ-Punkten weniger um die Ecke kommt. Er ist ein Vermittler, der durch verschiedene Hintergründe paddelt, Verrat aufdeckt und es bestens versteht heikle Situationen mit einem arglosen, hilfsbereiten Grinsen zu manipulieren. „Töte mich nicht wirklich … sage nur, dass Du es getan hast“, rät Genta seinem Gegenüber Hanjiro auf sinnvolle Art und Weise, als dieser geschickt wird, um ihn auszulöschen. Hanji ist zwar übereifrig, doch zudem pragmatisch veranlagt, aufgeschlossen und hat einen lustigen Fetisch für Schmutz sowie Dreck: „Ich will ein Mädchen, das nach Erde riecht“, ist sein wehmütiger Wunsch im Bordell, weswegen er außer sich vor Freude ist, als er einer Frau das Make-up abschrubbt und somit auf für ihn „fruchtbaren Boden“ trifft.

Kill! ist mit Sequenzen vollgepackt, wie der, in der der unwirtliche Samurai den hungernden Mann auf die einzige Lebensmittelquelle der Stadt verweist, ein Lokal, in dem der nur eine erhängte Frau vorfindet (die Zeiten müssen hart sein, wenn Köche in ihrer eigenen Gaststätte Selbstmord begehen). Ein windgepeitschter Hinterhalt wird aus der Perspektive eines krächzenden Gangsters dargestellt („Tod allen Samurai!“), während sich ein entsetzter Genta durch die verstümmelten Körper windet, um zu einem sichereren Versteck gelangen zu können (sein beschämter Blick, als er durch Holzlatten lugt, ist eines der eloquentesten Bilder des Films). Am anderen Ende des Spektrums kann nichts Gentas utilitaristische Schamlosigkeit toppen, als er den Klang von Hufschlägen imitiert, um einen Verräter glauben zu lassen, ihm seien Reiter auf der Spur. Wie an vereinzelten Szenen erkennbar, scheint Kill! beinahe ein Vorläufer der Sketch-Comedy-Mentalität zu sein, die auf unterschiedliche Weise Monty Pythons Die Ritter der Kokosnuß (1975), Takeshi Kitano und John Belushis berüchtigte Samurai Figur (Saturday Night Live) hervorbringen würde.

Tatsuja Nakadais Leinwandpräsenz repräsentiert einen japanischen Alain Delon, obwohl seine markanten Matinee-Idol-Gesichtszüge (mit diesen Wangenknochen könnte man Glas schneiden) disparatere, anpassungsfähigere Züge aufweisen. Das Fehlen einer leicht quantifizierbaren Identität – der Schlüssel zu einer relativ konsistent fundamentalen Persönlichkeit – verwehrte ihm möglicherweise die internationale Anerkennung eines Delon oder eines Toshiro Mifune. Nakadai arbeitete normalerweise auf idiomatischem Terrain – mit solchen Regisseuren wie Hideo Gosha, Masaki Kobayashi, Hiroshi Teshigahara sowie Okamoto und Kurosawa – außerhalb seines Heimatlandes und konnte nie vollständig aus Mifunes übermächtigem Schatten treten, selbst dann nicht, als er den großen Schurken in Kurosawas Kagemusha – Der Schatten des Kriegers (1980) und Ran (1985) vertrat. Seine intensive Rolle als Mann mit einem chirurgisch generierten Maskengesicht in Teshigaharas Tanin no kao (The Face of Another, 1966) stellt in vielerlei Hinsicht eine treffende Metapher für seine Schauspielkarriere dar: Von Film zu Film versuchte er sich mit unterschiedlichen Looks, Ausdrucksmethoden und Strategien zu präsentieren. Anders als der sprichwörtliche Schwertkämpfer, der nur einer einzigen Schule folgt, war er eher als ein schlichter Handwerker zu bezeichnen, der eben jede Technik einsetzt, die dem jeweiligen Kontext gerade angemessen erscheint.

Kihachi Okamoto, der Anfang 2005 verstarb, gehörte der Kriegsgeneration an, wodurch seine Einstellung zur Gewalt wesentlich geprägt wurde, da er sich aus nächster Nähe mit deren sinnlosen Möglichkeiten auseinandersetzen musste (man siehe den erschreckend leeren, selbstzerstörerischen „Triumph“ am Ende von Samurai / Samurai Assassin, 1965). In der westlichen Welt dürfte er vor allem für den majestätischen Sword of Doom bekannt sein, der sich wie ein nihilistisches John-Ford-Projekt anfühlt, ein Anti – The Searchers (1956), in dem Nakadais vollkommen zerstörerischer, todeswahnsinniger Samurai in seiner eigenen schuldbeladenen Vergangenheit gefangen ist. Kill! durchbricht auf ansprechende Art und Weise den toten Punkt, der in weiten Teilen des Chanbara– oder Schwertkampf-Genres (einschließlich Okamotos eigenen Werken) zwischen ikonoklastischem Revisionismus auf der einen und düsterer Verherrlichung auf der anderen Seite zu finden ist. Hier wird das Heroisch-Obsessive durch das ironisch sowie neurotisch Lächerliche ersetzt, was jeden subtilen Hinweis in Richtung feudaler Nostalgie auslöscht. Wie Genta es selbst ausdrückt: „Töten oder getötet werden – beides würde nur einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen.“

Da nur ein Bruchteil von Okamotos beinahe vierzig Filmen außerhalb Japans Verbreitung fand, sollte sein Ruf als Samurai-Spezialist angesichts einer langen Erfolgsgeschichte mit mandschurischen Grenzwestern, Yakuza-Streifen, UFO-Parabeln und Kamikaze-Protestkomödien angepasst werden. Eine ganze Reihe merkwürdiger Filme, darunter Nikudan (The Human Bullet, 1968), Burû Kurisumasu (Blue Christmas, 1978) und der bizarrste von allen, Jazz Daimyo (1986), wurden außerhalb seines Heimatlandes kaum oder gar nicht beachtet. Jazz Daimyo, der davon handelt, wie sich ehemalige Sklaven im Shogunat des 19. Jahrhunderts breit machen und somit (höchst anachronistisch) Dixieland ins alte Edo bringen, hat eine verlockende Prämisse, die auf eine schelmische, unvorhersehbare Sensibilität hinweist, die weit über die Standardschablone des gewöhnlichen Säbelrasselns hinausgeht.

Tatsächlich beschreibt Okamotos Akzentuierung auf ausgefallene, koboldhafte Darbietungen in Kill! eine ausgeprägte Affinität für Samurai-/Yakuza-Mythologien und Jazz, die oft ignoriert wird: das malerische Bild eines einsamen Mannes mit Schwert, der gleichzeitig in die drängelnden Texturen und formalisierten Ensemblemuster von Snare-Musik versunken ist. „Jazziness“ wird normalerweise in Form von urbaner Action, Noir-Settings, synkopiertem Schnitt und boppiger visueller Grammatik (seltsame Winkel, modulares Dekor, Trickbeleuchtung) wahrgenommen, wird hier jedoch durch gedämpftere, indirektere Mittel rübergebracht. Besonnene Nahaufnahmen (Nakadais traurige Augen sprechen Bände – der widerstrebende Killer als gefühlvolles Genie) werden mit kognitiv dissonanten jump cuts unterstrichen, während sich ein im Nebel niedergeschossener Samurai wie ein Stepptänzer bewegt, der auf seinem eigenen Grab ein Solo zum Besten gibt. Reisende und virtuose Schwertkämpfer liefern sich Schwertkampf- und Anstarr-Wettbewerbe, wobei geheimnisvolle stilistische Loyalitäten analysiert sowie Nachtclub-/Bordelltouren genossen werden. Außerdem gibt es zahlreiche Demonstrationen unheimlicher Geschicklichkeit zu bewundern.

Der Ton von Kill! ist als eine Parallele zu den gleichzeitig humorvollen und elegischen Kompositionen/Arrangements zu sehen, die Carla Bley für Gary Burtons Album A Genuine Tong Funeral aus dem Jahr 1968 beigesteuert hat. Er arrangiert diese Orchesterqualitäten entlang eines Bogens würdevoller Manierismen, präzise überzogener Töne und treibender Exzentrizität quasi neu. Die wild choreografierte Musikshow im Bordell (und die Festival-Reprise, die kurz in das abschließende „Frei für alle“ übergeht) hat außergewöhnlichen Schwung zu bieten, der sich mit der gesamten komprimierten Kakophonie einer Sun-Ra-Nummer noch fantasievoller und vielseitiger gestaltet: ein wirbelndes Fest aus Gesängen, Schreien, rhythmischen Ohrfeigen, Tänzern und Shamisen-klimpernden Geishas.

Nieder- und zusammengeschlagen wird der vagabundierende Genta als der „Mann ohne Namen“ präsentiert – der einen gutaussehenden Fremden, schmuddeligen Verlierer, desillusionierten Idealisten/Clown und einfallsreichen Kämpfer in einem repräsentiert. „Schöne Einführung“, sagt er zu dem langatmigen Diener und wendet sich damit sowohl an das Publikum, als auch an den unglücklichen Vortragenden. Obwohl Kill! in erster Linie die Chanbara-Kenner ansprechen dürfte, gelingt es dem Streifen gleichzeitig den Genre-Einsteiger mit einem guten Crashkurs zu versorgen. „Ich bin Genta“, sagt unser jedermanns Held und wischt somit die zeremonielle Etikette beiseite. „Keine Einführung.“

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  • Seitenverhältnis: ‎16:9 – 2.35:1, 16:9 – 1.77:1
  • Alterseinstufung: ‎Freigegeben ab 12 Jahren
  • Medienformat: PAL
  • Laufzeit: 1 Stunde und 54 Minuten
  • Untertitel: ‎Deutsch
  • Sprache: ‎Japanisch (Dolby Digital 2.0)
  • Studio: Rapid Eye Movies

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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