Space is the Place

Bereits in den 1910er Jahren propagierte der Panafrikanist Marcus Garvey die Idee der Rückführung der Black Community in den USA nach Afrika. Zu diesem Zweck gründete er eigens eine Schifffahrtsgesellschaft, die Black Star Line – die wenige Jahre später Konkurs anmelden musste und ihrem Gründer wegen betrügerischen Bankrotts eine mehrjährige Haftstrafe einbrachte.

1970 verfilmte Ossie Davis (u.a. Gordon‘s War) die Detektivgeschichte Cotton Comes to Harlem, bei dem es in einem Nebenplot um Reverend Deke O’Malley (Calvin Lockhart) geht, der den Bewohnern von Harlem Anteile an dem Back-to-Africa Projekt und dem Schiff The Black Beauty verkaufen will. Schließlich stellt es sich als großer Schwindel heraus und dadurch auch als bissig-satirische Kritik an der Idee von Marcus Garvey.

1974 nun erscheint der Film Space is the Place der zumindest eine ähnliche Grundprämisse verfolgt. Regie führte John Coney, dessen einzige Filmarbeit dies bleiben sollte – bis auf einen kurzen Musikclip 2016 mit Pink Floyd. Hauptrolle, Musik und Drehbuchmitarbeit übernahm dabei der avantgardistische Jazz-Künstler Sun Ra, der sich selbst verkörpert.

Nachdem er bei einer Europareise vermeintlich verschollen ging, sich in Wirklichkeit aber auf eine interstellare Reise begab, entdeckt er einen Planeten voller unberührter Natur und Einwohnern mit Spiegeln anstatt Gesichtern. Sichtlich (oder auch nicht) begeistert beschließt er Mitglieder der Black Community zu diesem Planeten zu transportieren, auf dem sie sich fernab der Weißen Obrigkeit und der Unterdrückung durch diese entfalten können. Im nächsten Schnitt ist er als Jazz-Pianist im Chicago der 1940er zu sehen, wie er den Nachtclub mit der Macht seiner Musik buchstäblich zum explodieren bringt. Schließlich ist nur noch The Overseer (Ray Johnson) anwesend, der sich als leibhaftige Personifizierung der schlechten Eigenschaften der Black Community herausstellt. Es entspinnt sich ein Kartenspiel zwischen Sun Ra und dem Overseer um das Schicksal eben jener Community in bester Das siebente Siegel-Manier.

Allgemeinhin wird Melvin Van Peebles‘ Film Sweet Sweetback’s Baadasssss Song als Befreiungsschlag des Afroamerikanischen Filmes und Startschuss des Blaxploitation Kinos gesehen. Van Peebles gelang es politische Botschaften mit einer surrealistisch anmutenden Ästhetik zu verbinden, die sich in Abkömmlingen wie Superfly oder Coffy so nicht wieder gefunden haben. Space is the Place schaltet hier allerdings noch einen Gang höher, indem er in die an sich schon explosive Blaxploitation-Szene, die immer zwischen politischem Aktivismus und harter Genrekost hin und her schwingt, einen Film entlässt, der das Ganze noch mit Science Fiction-Motiven, psychedelischer Bildsprache und philosophischen Gedanken anreichert.

Dieser Mix wirkt an einigen Stellen durchaus etwas zusammengewürfelt, da der Ursprung des Films in einer Konzertaufzeichnung von Sun Ra and His Arkestra liegt und im weiteren Verlauf mit Handlungsszenen erweitert/gestreckt wurde. Durch die Beteiligung verschiedener Akteure trafen so fantastische Elemente und Konventionen des Blaxploiation-Kinos zusammen und entwickelten sich zu einem Filmdokument, das es in dieser Art sicherlich kein zweites Mal geben könnte. Dementsprechend ungewöhnlich oder auch laienhaft kommt er an manchen Stellen daher, doch im Endeffekt fügt es sich zu einem einzigartigen Filmerlebnis zusammen.

Der Soundtrack spielt dabei, wie zumeist im Black Cinema, eine entscheidende Rolle. Waren es aber sonst Motown-Klänge eines Marvin Gaye, James Brown oder Isaac Hayes, die die Filme untermalten, so ist es in diesem Fall Sun Ras avantgardistischer Jazz, der für die richtige Vertonung sorgt. Die Musik erhält aber zusätzlich noch eine wichtige dramaturgische Aufgabe. Denn das Geheimnis, das Sun Ra von seiner Weltraumreise mitgebracht hat und das ihm die Weiße Obrigkeit der NASA notfalls mit Gewalt wegnehmen will, ist, dass er die Musik als Antrieb seines Raumschiffes nutzt.

Das ist natürlich als eine Metapher zu sehen, die sich zum einen gegen die sich immer weiter anstachelnde Radikalität und Gewaltbereitschaft z.B. der Black Panther stellt und zum anderen eine Entwicklung widerspiegelt, die zur selben Zeit in den afroamerikanischen Wohnorten der Ostküste der USA stattfand: Die Entstehung von Hip Hop als Konfliktlösung durch Musik und Kreativität, der sich wiederum aus Jazz, Soul und Funk speiste.

Space is the Place kann insofern als ein Schlüsselwerk des Afroamerikanischen Kinos in den 1970er Jahren gesehen werden, da nicht nur einfach dieselben Ästhetiken und Konventionen neu aufgekocht wurden, sondern tatsächlich so etwas wie eine Alternative geschaffen wurde – eine alternative Denkposition und ein alternativer Blaxploitation-Film.

Rapid Eye Movies haben dieses Werk in einer restaurierten Fassung auf DVD und BluRay veröffentlicht. Abgetastet von der letzten existierenden 35mm-Kopie und erstmals im originalen Bildformat neu aufgearbeitet, dabei aber nicht kaputt-restauriert mit Weichzeichnungsfiltern und dergleichen, erscheint das Film nun in einem wunderbaren Zwischenspiel von Zeitgeist und Bürgerrechtsbewegung, von Kino und Musik.

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  • Darsteller: Christopher Brooks, Raymond Johnson, Barbara Deloney, Erika Leder, Sun Ra Arkrestra
  • Regisseur(e): John Coney
  • Untertitel: Deutsch
  • Bildseitenformat: 4:3 – 1.33:1
  • Anzahl Disks: 2
  • FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
  • Studio: Rapid Eye Movies
  • Produktionsjahr: 1974
  • Spieldauer: 81 Minuten

Videohuette

Bei Hermann alias Videohuette ist die Zeit scheinbar stehen geblieben, von Blaxploitation über VHS-Obskuritäten zu St. Pauli-Krachern und Neuem Deutschen Film kann alles dabei sein - manchmal verirrt sich aber auch ein Film neueren Baujahrs zu ihm.

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