Pensione Paura / Hotel Fear

Während des Zweiten Weltkriegs sehen sich Marta und ihre Tochter Rosa dazu gezwungen sich um das Familienunternehmen zu kümmern, während der Vater in den Kampf ziehen musste. Zwielichtige Typen bevölkern das Hotel, das die beiden Frauen führen, aber da es sich dabei um ihre einzige Geldquelle handelt, können sie es sich nicht leisten, die Leute einfach wegzuschicken. Als Marta stirbt, muss sich Rosa alleine für das Hotel verantwortlich zeigen. Einer der Gäste, Rodolfo, hat es sich zum Ziel gesetzt, das junge Mädchen zu entjungfern. Zwischenzeitlich beginnt jedoch ein Mörder die Gäste abzumurksen…

Jeder, der jemals Francesco Barillis bizarren psychologischen Grenzgänger-giallo bzw. Horrorfilm Il profumo della signora in nero (Das Parfüm der Dame in Schwarz, 1974) gesehen hat (der oft als giallo pseudofantastico aufgeführt wird, vgl. Scheinpflug, 2014, Seite 16-17; 152-154: Genre-Mixing und Genre-Hybridität), wird nicht überrascht sein, dass sein einziger „echter“ giallo, Pensione Paura, ein recht unorthodoxes Beispiel für den filone darstellt. Aus diesem Grund werden wohl eher traditionellere Genre-Fans von dem Film enttäuscht sein, obwohl sich seine Vorzüge reichhaltig sowie vielfältig gestalten. Die Kulisse des Films erweist sich, unter anderem, als recht ungewöhnlich. Obwohl Pupi Avatis satirischer Tutti defunti … tranne i morti (Neun Leichen hat die Woche, 1977) in den späten 40er Jahren spielt, bezog er sich nicht ausdrücklich auf den Zweiten Weltkrieg. Barillis Film hingegen ist untrennbar mit dem Schrecken und dem Chaos des Krieges verbunden. Das Hotel liegt auf dem Land, weit weg von den Attraktionen der Großstädte, doch der Schatten des Krieges breitet sich auch hier weit über der Erzählung aus.

Die Nahrungsmittelversorgung ist begrenzt, die Anzahl der Männer und Frauen, die beim Militär dienen, verringert den Zustrom potenzieller Gäste, während die Geräusche von Kampfflugzeugen sporadisch daran erinnern, was sich in der Welt abspielt. Barilli erforscht auch das Thema des Faschismus, da sich herausstellt, dass Rodolfo mit den Schwarzhemden unter einer Decke steckt. Rodolfo repräsentiert einen besonders gemeinen und verabscheuungswürdigen Charakter. Er benutzt seine Geliebte, um an ihren Schmuck zu gelangen und lässt sie fallen, sobald es ihm gelungen ist, die Diamanten an ein paar faschistische Aktivisten gegen ein Bündel Bargeld und einen gefälschten Pass einzutauschen. Sein schräges Interesse an Rosa explodiert förmlich im schrecklichsten set-piece des Films, als er seine alternde Liebhaberin benutzt, um das junge Mädchen in ihr Schlafzimmer zu locken, wo er sie vergewaltigt, während die ältere Frau sein nacktes Hinterteil streichelt. Dabei handelt es sich um eine düstere sowie kraftvolle Szene, die es gnädiger weise versteht Erotik mit schlechtem Geschmack zu vermeiden. Der Zuschauer schlägt sich fest auf Rosas Seite, als sie dabei traumatisiert wird, „eine Frau zu werden“.

Rodolfo repräsentiert somit einen besonders abscheulichen Teil der Gesellschaft, der die Menschen um sich herum ohne jeglichen Skrupel für ein bisschen Komfort und Luxus verrät und verkauft. Wie bereits erwähnt, handelt es sich hier um einen sogenannten Grenzgänger-giallo, der die Thriller-Elemente eher gedämpft hält, während Barillis Betonung auf Stimmung, Atmosphäre und Charakterisierung auf Kosten von grellen Schockeffekten bei einigen Zuschauern nicht unbedingt gut ankommen wird. Trotzdem wurde der Whodunit-Aspekt der Handlung zufriedenstellend ausgearbeitet, wobei sich die verschiedenen twists & turns, die der Plot in seinem letzten Abschnitt nimmt, wirklich überraschend gestalten. Die Gewaltausbrüche werden schnell und auf eine unangenehme und nachlässige Art und Weise präsentiert, doch der Regisseur verweilt aus Sensationsgründen nicht allzu lange darauf. Die Vergewaltigungsszene ist als weitaus beunruhigender zu bezeichnen als jede der Mord-Sequenzen, was wohl auch so sein sollte. Barilli führt mit großer Sorgfalt und Präzision Regie.

Die Visuals sind kunstvoll komponiert, während sich Gualtiero Manozzis fachkundige Kinematographie in sinnlichen Texturen wälzt: Der Schlamm, mit dem zwei der Opfer bedeckt sind; der Schweiß, der auf Rodolfos Rücken glitzert, als er gerade Rosa vergewaltigt; die Blutlache, in die Rosa mit bloßen Füßen hineintritt; das farbige Licht spielt die Konturen der Art Direktion aus usw.. Die Produktionswerte sind durchweg als solide zu beschreiben, wobei sich die Musik von Adolfo Waitzman effektiv vom Understatement zum Frenetischen bewegt. Der argentinische Komponist arbeitete auch an europäischen Horrorfilmen wie León Klimovskys Doctor Jekyll y el Hombre Lobo (Die Nacht der blutigen Wölfe, 1972), Jess Francos Al otro lado del espejo (The Other Side of the Mirror) und Claudio Guerin Hills Grenzgänger-giallo La campana del infierno (Ein Toter lacht als letzter, beide 1973).

Luc Merenda spielt großartig als der abstoßende Rodolfo. Merenda untergräbt hier sein üblicherweise heldenhaftes Leinwandimage, indem er einen schäbig aussehenden Schnurrbart trägt und seine Haare zurückgelt. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine physische Transformation, da er sich zusätzlich in den abscheulichsten Charakter seiner Karriere verwandelt. Francisco Rabal liefert eine gute Vorstellung als Martas Liebhaber ab, der den Film über isoliert von den anderen Charakteren verbringt, da er Angst um sein Leben hat. Der Deserteur befürchtet nämlich entdeckt und für seine Feigheit hingerichtet zu werden. Rabal gelingt es, den Charakter sympathisch rüberkommen zu lassen, obwohl er nicht ganz das ist, was er anfangs erscheinen mag. Der Film gehört allerdings ganz alleine Leonora Fani. Sie hat einfach einen brillanten Auftritt als die vielschichtige Rosa. Zuerst erkennt man in ihr eine naive Träumerin, doch die ihr zugefügten Schrecken lassen sie schnell erwachsen werden. Sie erweist sich als belastbar, willensstark und in der Lage, sich gegen die verschiedenen unangenehmen Charaktere zu behaupten, mit denen sie zu kämpfen hat.

Fani wurde 1954 in Cornuda, Venetien, Italien geboren und trat seit Anfang der 70er Jahre in Filmen auf. Einer ihrer frühesten Auftritte hatte sie im bizarren Bestialità (Dog Lay Afternoon, 1976), der entgegen seinem Titel keine Softcore-Parodie auf Sidney Lumets fesselnden Dog Day Afternoon (Hundstage, 1975) darstellt. Stattdessen erzählt der Streifen die Geschichte eines jungen Mädchens, das traumatisiert wird, als sie ihre Mutter beim Sex mit dem Familienhund beobachtet! Fani trat im Grenzgänger-giallo Perché si Uccidono (La merde, 1976) und in Stelvio Massis poliziottesco Il conto è chiuso (In den Klauen der Mafia, 1976) auf. Auch in einem der schäbigsten aller gialli, Giallo a Venezia (1979), spielte sie mit. In den 80er Jahren verabschiedete sie sich aus der Filmbranche, um vermutlich ein häusliches Leben zu führen. Francesco Barilli wurde 1943 in Parma geboren. In den 60er Jahren trat er als Regieassistent in die Welt der Filme ein und arbeitete u.a. mit Pier Paolo Pasolini an Uccellacci e uccellini (Große Vögel, kleine Vögel, 1966).

Barilli war auch Schauspieler in solchen Filmen wie Bernardo Bertoluccis Prima della rivoluzione (Vor der Revolution, 1964) und sollte weiterhin sporadisch auf dem Bildschirm erscheinen, u.a. in Carlo Vanzinas Sotto il vestito niente – L’ultima sfilata (The Last Fashion Show, 2011). Er begann in den 70er Jahren als Drehbuchautor zu arbeiten, wobei sein erster Kontakt mit dem giallo zustande kam, als er am Drehbuch für Aldo Lados Chi l’ha vista morire? (The Child – Die Stadt wird zum Alptraum, 1972) mitarbeitete. Sein Regiedebüt gab er mit Il profumo della signora in nero, der am ehesten als Horrorfilm im Roman Polanski Stil beschrieben werden kann. Pensione Paura repräsentiert den Nachfolger, was auf weitere gute Filme von ihm hoffen ließ, doch seine Karriere kam nie richtig in Fahrt. Seine Filme spielten eben einfach nicht das gleiche Geld ein, wie die von Dario Argento. Sein bewusst ungewöhnlicher Ansatz hat ihn bei vielen Fans der italienischen Horrorszene nicht gerade beliebt gemacht. Zuletzt hat er zum Horrorfilm La casa nel vento dei morti (Das Haus im Wind der Toten, 2012) beigetragen, sowohl als Schauspieler als auch als „Special Guest Director“. Was dies bedeutet, ist jedoch offen für Spekulationen.

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  • Darsteller: Luc Merenda, Francisco Rabal, Leonora Fani, Jole Fierro, Carlo Trotti
  • Regisseur(e): Francesco Barilli
  • Sprache: Deutsch, Italienisch
  • Region: Region 2
  • Bildseitenformat: 1.66:1
  • Anzahl Disks: 2
  • Studio: X-Rated
  • Spieldauer: ca. 100 Minuten
  • Bonusfilm: Das Haus der Angst / La Casa Della Paura / The Girl in Room 2A

Ausstattung:
– Erstmalig in deutscher Sprache! —> die Synchro kann durchaus als recht gelungen bezeichnet werden.
– Exklusiver Audiokommentar von Pelle Felsch und Stefan Jung —> wurde sehr unterhaltsam sowie enorm informativ eingesprochen.
– Original Kinotrailer
– Eurocult Booklett von Prof. D. Marcus Stiglegger mit einem zusätzlichen Gasttext von Christian Kessler! —> beide Texte sind voller Informationen zum Film und lassen sich wunderbar lesen. 
– Original Werbematerial

Die Screenshots stammen nicht von dieser Edition !!!

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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