Gangster sterben zweimal / Gangsters ’70 / Days of Fire

Harte Action, kaltes Blut und heiße Diamanten – das ist Fabio Destil, zuletzt zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zeit genug, den spektakulärsten Coup seines Lebens zu planen. Kaum auf freiem Fuß, stellt er eine Gruppe Verbündeter zusammen, jeder ein As auf seinem Gebiet. Gemeinsam wagen sie das Verbrechen des Jahrhunderts. Der Plan, bis ins kleinste Detail organisiert und minuziös durchgeführt, scheint aufzugehen. Doch dann macht die Bande einen Fehler und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Denn die letzte Kugel kennt ihr Ziel… (Forgotten-Film-Entertainment)

Neben dem soziologischen Ansatz von Carlo Lizzanis Banditi a Milano (Die Banditen von Mailand, 1968) und dem „amerikanischen Weg“ von Duccio Tessaris I bastardi (Der Bastard, 1968) oder Giuliano Montaldos Gli intoccabili (American Roulette, 1969) gibt es noch eine dritte Route, die in die Richtung des italienischen Polizei- und Gangsterfilms führt. Diese dritte Route beschreitet zum Beispiel Mino Guerrinis Gangster sterben zweimal. Guerrini war ein ehemaliger Journalist, der hinter der Kamera mit dem interessanten modernen Gothic-Stück Il terzo occhio (Das dritte Auge, 1966) mit Franco Nero debütierte, das später von Aristide Massaccesi / Joe D’Amato als Buio Omega (Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf, 1979) neu aufgelegt wurde. Guerrinis folgende Filme wurden beide von Fernando Di Leo geschrieben: Omicidio per appuntamento (Agent 3S3 setzt alles auf eine Karte, 1967), basierend auf dem Roman Tempo di Massacro (Zeit des Massakers) des produktiven sizilianischen Schriftstellers Franco Enna, repräsentiert einen sardonischen, zuweilen fast experimentellen film noir, der mit rassigen Pop-Bildern sowie viel schwarzem Humor ausgestattet ist und Giorgio Ardisson (Italiens Antwort auf James Bond in Sergio Sollimas Agent 3S3-Filmen) die Hauptrolle spielt.

Gangster sterben zweimal aus den folgenden Jahren stellt eine sehr viel ernstere Angelegenheit dar. Während sich Agent 3S3 setzt alles auf eine Karte farbenfroh und knisternd präsentierte, muss Gangsters ‘70 als verzweifelt und schmerzhaft beschrieben werden – weit entfernt von der allgemeinen Euphorie des italienischen Genrekinos der 60er Jahre. Guerrini und Di Leo beschäftigen sich genauso mit der französischen polaren Mythologie des romantischen Versagens, so wie mit dem unerbittlichen Erzählmechanismus aus John Hustons Asphalt-Dschungel (1950) und Stanley Kubricks The Killing (Die Rechnung ging nicht auf, 1956). Gangster sterben zweimal wurde von Di Leo ursprünglich für einen amerikanischen Produzenten geschrieben und stellt uns eine eigenartige Bande von Verlierern vor: einen älteren Gangster (Joseph Cotton), der aus dem Gefängnis entlassen wird und einen weiteren Coup plant, ohne zu bemerken, dass sich die Zeiten geändert haben und jüngere Gangster ihn nicht mehr respektieren; einen Kartenbetrüger mittleren Alters (verkörpert vom großartigen Charakterdarsteller Giampiero Albertini), der sich darin täuscht, immer noch ein Poker-Ass zu sein; einen drogenabhängigen Meisterschütze (Giulio Brogi), der sogar seine olympische Goldmedaille gegen eine Dosis Heroin eintauscht; und ein verblasstes Film-Sternchen, das gerade einen Selbstmordversuch unternommen hat (Franca Polesello) und an dem Überfall als Stewardess verkleidet teilnimmt (um die Diamantenkuriere in eine Falle zu locken), weil dies die einzige Rolle ist, die ihr seit einiger Zeit angeboten wurde.

Für alle Beteiligten bedeutet der neue „Job“ die Erlösung eines ganzen Lebens. Es geht nicht nur um Geld, sondern darum sich selbst zu beweisen, dass man noch lebt und nicht vom Leben und einer sich viel zu schnell drehenden Welt eingeholt worden ist: der italienische Originaltitel Gangsters ’70 spielt bereits auf das folgende Jahrzehnt und die sich schnell verändernde Unterwelt an, die Gangster des alten Stils (wie Destil) zerquetscht und wegfegt. Di Leo und Guerrini bestehen auf wichtige Themen wie Niederlage, Verrat, Würde und Respekt vor sich selbst. Gangster sterben zweimal vermittelt jedoch einen Pessimismus, der keinen Raum für Hoffnung lässt. Die namenlosen Protagonisten des Films – sie kennen sich nur unter ihren oft grotesken Spitznamen: “Mezzo Miliardo” (Eine halbe Milliarde), “Sempresi” (Der Ja-Sager), “Il Viagiatore” (Der Passagier) – sind nicht weit von Gu aus Jean-Pierre Melvilles Le deuxième souffle (Der zweite Atem, 1966) oder Jansen aus Le cercle rouge (Vier im roten Kreis, 1970) entfernt. Gangster sterben zweimal hat ein halbes Dutzend denkwürdiger Charaktere zu bieten, darunter einen grausamen Verbrecher-Boss mit voyeuristischen und inzestuösen Tendenzen (Bruno Corazzari), der wie eine Blaupause für Di Leos nachfolgende Bösewichte rüberkommt.

Der Stil ist viel kontrollierter als vom Regisseur gewohnt, obwohl Guerrini seine bevorzugten Stilmerkmale nicht aufgibt: nervöse Schnitte, Sequenzaufnahmen, Einsatz von Zeitlupen und ein erfinderischer Einsatz von Handkameras werden bestens genutzt, begleitet von Egisto Macchis bemerkenswert experimentellen Musik: ein beeindruckendes Beispiel für Guerrinis Technik zeigt sich in der Szene, in der Albertini in Zeitlupe zu Macchis verzerrtem elektronischen Musikstück und verschiedenen Percussions brutal zusammengeschlagen wird. Die erste Hälfte des Films ist ziemlich unberechenbar strukturiert mit vielen Ablenkungen von der Haupthandlung, wie zum Beispiel Brogis Treffen mit einem Drogendealer (gespielt von Guerrini selbst) im Park, der sich als rücksichtsvoller Vater ausgibt, indem er sich um den kleinen Jungen eines anderen kümmert, um keinen Verdacht zu erregen; Brogis Nachtwanderungen während er auf cold turkey ist oder Cottons kurze, aber berührende Begegnung mit einer alten Flamme (Vivian Stapleton).

Die straffere zweite Hälfte wird vom langwierigen, spannenden Überfall am Flughafen und dem anschließenden Showdown mit der rivalisierenden Bande in einem Keller dominiert: Letzterer repräsentiert eine kraftvolle, unangenehme und blutige Sequenz, die die Art von blutbesudelten Details aufweist (wie bei einem Mann, dem gerade ins Gesicht geschossen wurde), die von Arthur Penns Bonnie und Clyde (1967) eingeführt wurde und gleichzeitig eine deutliche Abkehr von der übertriebenen, jedoch fröhlich spöttischen Gewalt markiert, die den italienischen Western charakterisiert. Gangsters ’70 endet jedoch nicht mit dem Massaker, da Di Leo und Guerrini den Plot wiederbeleben, indem sie Brogis und Polsellos verzweifelter Flucht an die jugoslawische Grenze folgen, durch neblige Straßen und öde Winterlandschaften, einem road-movie ähnlich. Eine unerwartete, ergreifende Coda verleiht der Geschichte mehr Tiefe und Pathos und betont gleichzeitig die ursprüngliche Herangehensweise der Macher an das Genre.

Gangster sterben zweimal blieb jedoch von Kritikern und Publikum gleichermaßen unbemerkt. 1968 war das Jahr von Erotik-Thrillern mit teuflischen Liebhabern und exponentiell zunehmend nackter Haut. Guerrinis Film wurde schon bald vergessen und erst gegen Ende der 90er Jahre viel zu spät wiederentdeckt. Letztendlich stellt der Film ein grundlegendes Werk im Kontext des italienischen Polizei- und Gangsterfilms dar, nicht zuletzt, weil er den Weg für Fernando Di Leos spätere Werke ebnete.

Forgotten-Film-Entertainment präsentiert Gangster sterben zweimal als #2 im Rahmen ihrer Italo-Cinema-Collection erstmals ungekürzt als restaurierte 2K Neuabtastung (HD-Weltpremiere!), die wirklich sehr gut gelungen ist. Das Bild (1080p / 2.35:1 Cinemascope) sieht super aus und gibt keinen Anlass zum Meckern. Es ist klar, die Farben froh und der Kontrast ordentlich. Auch Bildschäden konnten so gut wie komplett entfernt werden. Beim Ton (DTS-HD Master Audio) liegen mit der deutschen (Mono 1.0) und italienischen (Mono 1.0) zwei Spuren vor, die sich beide gut hören lassen. Für Freunde des italienischen Originaltons sind deutsche Untertitel anwählbar. Außerdem kann der Film in der deutschen (100:47 Minuten) und Italienischen (102:46 Minuten) Schnittfassung begutachtet werden! Die Extras bestehen aus dem deutschen Kinotrailer, umfangreichen Bildergalerien mit seltenem Bildmaterial (deutsches sowie italienisches Aushangmaterial; deutscher Werberatschlag; Drehortvergleich), gelöschten Szenen, alternativen Szenen und einem 48-seitigen (!) Booklet mit Texten von Christian Keßler (Die besten Pläne von Mäusen und Männern) und Roberto Curti (Mino Guerrini. Ein Marsianer in Cinecittà; Heist Movie All‘Italiana). Neben einer schieren Fülle an Informationen über Film, Regisseur, Schauspieler und die Dreharbeiten wartet das wunderbar designte sowie äußerst unterhaltsam und interessant zu lesende Booklet auch mit einigen Bildern auf. Gleich zwei Audiokommentare wurden der Veröffentlichung spendiert und zwar einmal mit Robert Wagner (nein, nicht der aus Hart aber herzlich) & David Leuenberger sowie mit Udo Rotenberg & Konstantin Hockwin. Beide Audiokommentare haben natürlich ihre ganz eigenen, unterschiedlichen Qualitäten, wobei beim Letzteren der experimentelle Versuch unternommen wird mal von einer sehr nahen Filmanalyse im Zweiergespräch wegzugehen, um auf Basis dieses Films etwas breiter über das italienische Kino zu sprechen. Die Scheibe wird in einem sehr ansprechend gestalteten und stabilen Papp-Schuber (dem Forgotten-Film-Deluxe-Schuber) ausgeliefert, der in keinem Sammlerregal fehlen darf. Auch ein Wendecover mit alternativem Motiv wurde nicht vergessen. Der Film ist bisher in noch keiner besseren Verfassung erhältlich gewesen und wird es vermutlich auch in Zukunft nicht sein. Liebhabern des italienischen Kinos der 60er bis 80er Jahre im Allgemeinen und Polizei- und Gangsterfilm Fans im Speziellen sei eine absolute Empfehlung ausgesprochen.

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 2.35:1
  • Alterseinstufung: Nicht geprüft
  • Regisseur: Guerrini, Mino
  • Medienformat: Breitbild
  • Laufzeit: 1 Stunde und 41 Minuten
  • Darsteller: Cotten, Joseph, Polesello, Franca, Albertini, Gianpiero, Brogi, Giulio, Albertini, Giampiero
  • Untertitel: Deutsch
  • Sprache: Italienisch (DTS HD 1.0), Deutsch (DTS HD 1.0)
  • Studio: Forgotten-Film-Entertainment

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Diese Edition sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von Forgotten-Film-Entertainment zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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