Die Banditen von Mailand / Banditi a Milano / The Violent Four

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!

Mailand, 25. September 1967. Nach einem missglückten Überfall und einer Verfolgungsjagd durch die Straßen Mailands kann eine Bande von Bankräubern letztendlich Dingfest gemacht werden. Kommissar Basevi veranschaulicht einem Filmteam, wie Laster und Kriminalität in einer riesigen Stadt mit hohem technologischen Potenzial und weitreichendem wirtschaftlichen Wohlstand wachsen und gedeihen können. Anschließend rekonstruiert der Film die Hintergrundgeschichten der vier Banditen und verfolgt die Vorbereitung sowie Durchführung des Raubüberfalls. Angeführt wurde das Quartett von Pietro Cavallero, einem ehemaligen Partisanen – klug und anmaßend – der sich als Geschäftsmann ausgab und ein Doppelleben führte, während einer seiner Männer ein 17-jähriger Junge war. Cavallero und Sante Notarnicola entgehen zunächst einer Gefangennahme, während die beiden anderen Komplizen festgenommen werden. Nach einer achttägigen Fahndung auf dem Land werden Cavallero und Notarnicola umstellt und ergeben sich schließlich der Polizei.

Nach dem politischen Western Requiescant (Mögen sie in Frieden ruhen, 1967) mit Lou Castel in der Hauptrolle, bedeutete Die Banditen von Mailand Carlo Lizzanis Rückkehr ins zeitgenössische Italien mit einem seiner bisher ambitioniertesten Filme. Wie bei Svegliati e uccidi (Feuertanz, 1966) entschied sich der Regisseur für die Adaption einer berüchtigten True-Crime-Geschichte, um die ersten Beispiele modernen Gangstertums in Italien wie Prostitution und Glücksspiel, die Eskalation von Raubüberfällen sowie eine wachsende, gewalttätigere Unterwelt aufzuzeigen. War Luciano Lutring – der „Maschinengewehr-Solist“ aus Feuertanz – noch von Not getrieben gewesen, so lassen sich die titelgebenden Banditen von Mailand ausschließlich von Profitgier motivieren. Zuvor hatte es hauptsächlich in der ländlichen Umgebung Italiens klassisches Banditentum gegeben oder Kriegsveteranen des Zweiten Weltkriegs waren aufgrund fehlender Perspektiven zu Verbrechern geworden, doch im Italien der 60er Jahre entstand ein professionelles Gangstertum, ein Phänomen, das sich in erster Linie in wohlhabenden Gesellschaften, wie im Nordamerika der 20er Jahre finden ließ. Carlo Lizzani wollte nicht einfach nur einen Actionfilm drehen, sondern einen Film, der auch den sozialen Kontext Italiens widerspiegelt und mit einem ganz bestimmten realistischen sowie soziologischen Setting ausgestattet ist.

Die Banditen von Mailand basiert auf einem misslungenen Banküberfall vom 25. September 1967 in Mailand, bei dem die Banditen von Pietro Cavallero angeführt wurden, der im Film von Gian Maria Volonté verkörpert wird. Die vier Gangster (Cavallero, Sante Notarnicola, Adriano Rovoletto und der minderjährige Donato Lopez) haben viele Banken ausgeraubt und dabei immer wieder dieselbe Technik angewendet: drei Überfälle am selben Tag, in geringem Abstand voneinander. Je größer das Risiko, desto größer waren dabei die Chancen unentdeckt davonzukommen, da die Polizei gleichzeitig an mehreren Fronten kämpfen musste und dabei gehörig durcheinander geriet. Zwischen den Raubüberfällen führten Cavallero und seine Männer ein normales bürgerliches Leben. Niemand verdächtigte sie. Der Job in Mailand war Cavalleros insgesamt siebzehnter. Rovoletto, der Fahrer, wartete in einem Fiat 1100 – den er von einem nahegelegenen Parkplatz gestohlen hatte – auf seine Komplizen, doch ein Ladenbesitzer bemerkte suspektes Verhalten und rief die Polizei. Es folgte eine lange, wilde Verfolgungsjagd durch ganz Mailand, die mit vier Toten und 22 Verletzten endete. Schließlich wurde das Auto der Banditen gerammt und prallte gegen einen Baum. Rovoletto – mit einem durch eine Polizeikugel verwundeten Arm – versuchte in der Menge unterzutauchen, wurde aber erkannt und wäre beinahe gelyncht worden. Seine Komplizen konnten fliehen, doch ihre Tage waren gezählt. Donato Lopez, der jüngste des Quartetts, wurde am folgenden Tag in seiner eigenen Wohnung unter den Augen seiner Mutter festgenommen. Cavallero und Notarnicola flohen aufs Land, wobei es zu einer Schleppnetzfahndung kam, die acht Tage später, am 3. Oktober 1967, in einem verlassenen Stellwerkshäuschen etwa 100 km von Mailand entfernt ihr Ende fand.

Die Banditen von Mailand erschien im Frühjahr 1968, gleichzeitig mit der ersten Instanz des Mailänder Schwurgerichts, das Cavallero, Notarnicola und Rovoletto zu lebenslanger Haft verurteilte, während Lopez zwölf Jahre und sieben Monate aufgebrummt bekam. Wie bei seinen früheren Kriminalfilmen aus den 50er und 60er Jahren (wie Il gobbo / Der Bucklige von Rom und dem bereits erwähnten Feuertanz) lässt sich Lizzani von der neorealistischen Lehre inspirieren und schwenkt von der Chronik eines einzelnen Ereignisses zurück auf die sozialen Probleme, die diese verbrecherischen Außenseiter hervorgebracht haben. Hier wählt der Regisseur jedoch einen eher zum Nachdenken anregenden Ansatz. Der Film beginnt mit einem halbdokumentarischen Prolog, der an eine Fernsehreportage erinnert: Aufnahmen in der Menschenmenge, der großzügige Einsatz von Zoom und Handkamera vermitteln den Eindruck von Unmittelbarkeit und Perspektive. Doch dann ändert sich der Ton des Streifens ziemlich abrupt. Ein recht selbstgefällig wirkender Kommissar (Tomas Milian) führt ein Filmteam durch eine Reihe von Sketchen, die alltägliche Episoden des kriminellen Lebens nachstellen: Ein Nachtclubbesitzer weigert sich Schutzgeld zu zahlen, woraufhin sein Laden zerstört wird; eine Prostituierte (Margaret Lee) wird von ihren Zuhältern bei lebendigem Leibe verbrannt und so weiter. Lizzanis These ist währenddessen offensichtlich zu erkennen, denn in einer Szene interviewt das Filmteam einen älteren, ehemaligen Bankräuber (Luigi Rossetti), der den Unterschied zwischen alter und neuer Kriminalität mit den Worten „Früher waren wir noch eher Gentlemen“ auf den Punkt bringt.

Dem pseudoobjektiven Ansatz stehen jedoch die stilisierten set-pieces (wie in der Nachtclubszene, in der comic-strips den Anblick der Schläger verschleiern, die die Lokalität auseinandernehmen) und die oft unpassenden Details (wie das R&B-Lied La pelle nera von Nino Ferrer gesungen, das während der Züchtigung und dem anschließenden Tod einer Prostituierten gespielt wird). Darüber hinaus setzt Lizzani auf einen unrealistischen Comic-Stil mit grotesken Anklängen: Die Geschichte der toten Prostituierten wird wie in einem Fotoroman mit vielen Klischees erzählt, während es sich in einer weiteren Szene um ein Telefonat zwischen dem Kommissar und einer Nymphomanin dreht (gespielt von Carla Gravina, damals Volontès Geliebte), die geradezu als urkomisch bezeichnet werden kann. Es handelt sich dabei um eine unangenehme, gewagte Entscheidung, die den Zuschauer irgendwie überrascht und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films viele Kritiker verwirrt haben muss. Erst nach einem so langen und irreführenden Aufbau wird die Hauptfigur des Films vorgestellt. Ähnlich wie Luciano Lutring repräsentiert auch Pietro Cavallero (gespielt vom außergewöhnlichen Gian Maria Volontè) ein Kind seiner Zeit. Er ist ein ehemaliger Partisan und linker Militant, der sowohl seine Partei als auch seinen politischen Kampf aufgegeben und sich als kriminelles Individuum neu erfunden hat, indem er sein Wissen über Guerillakriege zum Einsatz brachte. Diese Art des großstädtischen Banditentums zeichnet sich durch ein individuelles und konsumistisches Gefühl der Kompensation aus, auch wenn es im Gegensatz zum ländlichen Gegenstück in Lizzanis folgendem Film Barbagia – La società del malessere (Der blauäugige Bandit, 1969) in den Farben von sozialer Rebellion gemalt worden ist.

Im Gegensatz zu Lutring machten Cavallero und seine Bande jedoch ihre Hausaufgaben und versteckten ihre kriminellen Aktivitäten hinter dem seriösen Deckmantel einer Geisterfirma, einschließlich einer attraktiven Sekretärin. Lizzani erzielt unvergessliche Ergebnisse, indem er einen kultivierten Banditen darstellt, der Camus liest und eine Sprache zur Anwendung bringt, die der eines kommunistischen Politikers ähnelt, ein linkes Lexikon, dessen Inhalt nicht mehr geteilt wird. Cavallero suhlt sich zudem ganz offensichtlich in seinem Hochmut und seiner Überheblichkeit, denn nach der Verhaftung prahlt er vor Journalisten immer wieder mit seinen Heldentaten. Doch hinter seinem Größenwahn bleibt die Unscheinbarkeit seiner Tätigkeit bestehen. Im Vergleich zur rücksichtslosen und sich immer weiter ausbreitenden organisierten Kriminalität sind Cavallero und seine Komplizen bestenfalls als willige Amateure zu bezeichnen. Der Regisseur versteht es besonders gut, die patzige, prosaische und kleinbürgerliche Natur dieser nord-italienischen Gangster darzustellen: Am Morgen vor ihrem letzten Job stehen Cavallero und seine Männer früh auf, reisen von Turin nach Mailand und frühstücken wie gewöhnliche Pendler in einer Bar. Gegen Ende, während sie sich vor der Polizei verstecken, ziehen Cavallero und sein Kumpel Notarnicola eine Bilanz ihrer kriminellen Aktivitäten, als wären sie normale Geschäftsleute. „Fünf Jahre Arbeit, das macht 17 Überfälle, 75 Millionen Lira. 14 Millionen Lira pro Jahr geteilt durch drei, das sind jeweils etwa vier Millionen Lira … sagen wir 300.000 Lira pro Monat.“ „Dann sind da noch die Ausgaben, das Büro, Autos, Autobahntickets, Abendessen … mein Freund, ein Bandit zu sein ist ein teurer Spaß!“

Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung galt die Tatsache, dass Die Banditen von Mailand unmittelbar nach realen Ereignissen gedreht worden ist, als sein größtes Manko. Kritiker nannten ihn einen dynamischen und lebendigen Film, dem es jedoch an wirklicher Tiefe mangele. Über vierzig Jahre später scheint dies allerdings die wahre Stärke von Lizzanis Streifen zu sein. Die soziologische Analyse in Echtzeit offenbart ein elektrisierendes Klima und eine derartige Spannung, sodass diese im Begriff ist sich in einer Explosion zu entladen, wie die beeindruckenden Szenen der revoltierenden Menge zeigen, die versucht Rovoletto zu lynchen. Im Gegensatz zu Feuertanz hat Die Banditen von Mailand eine komplexere sowie vielschichtigere Erzählkonstruktion mit einer Reihe von Rückblenden zu bieten, die sich hauptsächlich um Rovolettos Verhör drehen. Die Sequenzen des Banküberfalls und der anschließenden hektischen, äußerst gut gefilmten Verfolgungsjagd (ein Novum in einem italienischen Film, das enorm zum Erfolg des Flicks beigetragen hat) legen eine Dynamik und visuelle Kraft an den Tag, die auch heute noch äußerst relevant sind. Außerdem versteht es der Regisseur bestens erstklassige Aufnahmen vom Zentrum Mailands abzuliefern.

Auch die Schauspielerei ist als hervorragend zu beschreiben. Neben Volontès kraftvoller Darbietung und dem stets zuverlässigen Tomas Milian in einer Nebenrolle, stellte Lizzani eine tolle Nebenbesetzung zusammen, zu der auch ein sehr junger Ray Lovelock gehört, der sich zu einem der beliebtesten Gesichter des Genres entwickeln sollte. Auch der ehemalige Sänger und nun Schauspieler Don Backy (richtiger Name Aldo Camponi), der im folgenden Jahr erneut mit Lizzani an dem ländlichen Banditendrama Der blauäugige Bandit zusammenarbeiten sollte, bevor er sich mit derben Komödien aus dieser Zeit weiterhin an der Schauspielerei versuchte. Eine andere starke Vorstellung lieferte Backy in Mario Bavas Cani arrabiati (Tollwütige Hunde, 1974) als psychotischer Bankräuber ab. Lizzani selbst hat einen Cameo-Auftritt als Polizeibeamter, während die noch sehr junge Agostina Belli das Mädchen spielt, das Cavallero und seine Männer nach dem Raubüberfall als Geisel nehmen. Beim Konsum von Die Banditen von Mailand überkommt einen irgendwie das Gefühl, dass damals die Zeit einfach reif war, für die Geburt eines italienischen Krimigenres mit eigenen originellen und glaubwürdigen Merkmalen. Lizzanis Film ist eng mit der Chronik seiner Zeit verbunden, er spielt in entsprechenden urbanen Kontexten, doch was noch viel wichtiger ist: Er vermittelt eine Ausdruckskraft, die den ausländischen Vorbildern in nichts nachsteht.

Es bleibt zu wünschen, dass diesem Film eine angemessene Veröffentlichung spendiert wird !!!

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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