Il medaglione insanguinato (Perche?!) / The Night Child / The Cursed Medallion

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!

Michael Williams – ein Dokumentarfilmer fürs Fernsehen – hat den Tod seiner Frau noch immer nicht verwunden. Die stürzte nämlich aus unerklärlichen Gründen in Flammen stehend aus einem Fenster ihres Hauses. Um sich durch Arbeit abzulenken reist er mit seiner kleinen Tochter Emily und deren Kindermädchen Jill Perkins von London nach Spoleto, Italien, um einen Film über die Präsenz des Teufels in Kunst zu drehen. Sein besonderes Interesse gilt dabei einem Gemälde, das in einer Villa aus dem 18. Jahrhundert aufbewahrt wird, in der zweihundert Jahre zuvor ein tragisches Ereignis stattgefunden hatte. Das Gemälde – das eine Szene widerspiegelt, die dem Tod von Williams Frau unheimlich ähnelt – soll das Werk Satans sein. Mithilfe der schönen Joanna, mit der er eine romantische Beziehung eingeht, beginnt Michael mit der Arbeit an der Dokumentation. Allerdings muss er feststellen, dass der Teil des Filmmaterials, der das Gemälde darstellt, von einem „technischen Fehler“ ruiniert wurde. Entgegen dem Rat der seltsamen Gräfin Cappelli – die ihn beschwört, diesen verfluchten Gegenstand nicht in seine Dokumentation einfließen zu lassen – widmet sich William unbeirrt seiner Arbeit, was jedoch tragische Folgen hat: Jill, die unglücklich in ihn verliebt ist, wird ermordet und auch Joanna entgeht nur knapp einem Mordanschlag. Letztendlich stellt sich heraus, dass Emily – die sich krankhaft an ihren Vater bindet – die Reinkarnation des kleinen Mädchens ist, dessen Ende auf dem Gemälde verewigt wurde.

Obwohl er oberflächlich mit Der Exorzist in Verbindung gebracht wird, geht Massimo Dallamanos einziger richtiger Gothic-Horror-Film tatsächlich einen ganz anderen Weg. Ähnlich wie in Marcello Aliprandis Un sussurro nel buio (Ein Schrei im Nebel, 1976) geht es in Il medaglione insanguinato um einen Vater / Tochter Konflikt, der sich hier gewalttätig und destruktiv gestaltet. Das Skript (von Dallamano, Franco Marotta und Laura Toscano verfasst) dreht sich um die „kleine“ Emily Williams (Nicoletta Elmi), die krankhaft eifersüchtig auf ihren verwitweten Vater ist. Der englische Filmemacher Michael Williams (Richard Johnson) reist mit ihr und dem Kindermädchen Jill Perkins (Ida Galli als Evelyn Stewart gelistet) nach Umbrien, wo er im kleinen Städtchen Spoleto einen Dokumentarfilm über dämonische Kunst dreht und sich währenddessen ganz besonders von einem Gemälde fasziniert zeigt, das angeblich vom Teufel höchstpersönlich gemalt worden sein soll. Zusätzlich zum Element der Malerei oder der Kunst im Allgemeinen als Mittel die dunklere Seite der menschlichen Natur offenzulegen, stellt Dallamano die Kollision zwischen Vergangenheit und Gegenwart anhand des typischen gothic Themas des Reisenden in einem fremden Land dar, der mit einem Mysterium konfrontiert wird, dessen Lösung sein eigenes Schicksal betrifft, was sich nicht unähnlich zu Pupi Avatis meisterhaftem La casa dalle Finestre che Ridono (Das Haus der lachenden Fenster, 1976) verhält. Das Drehbuch erinnert auch an frühe Klassiker wie Mario Soldatos Malombra (1942), der ziemlich offensichtlich in der Szene zitiert wird, in der Gräfin Cappelli (Lila Kedrova) Emilys Geist dabei beobachtet, wie sie Klavier spielt und anschließend ihre Liebesbriefe im Klavierkasten versteckt, genauso wie es auch Marina di Malombras Vorfahrin Cecilia tut.

Il medaglione insanguinato wird von manchen recht fragwürdig als teils Mario Bava, teils Sigmund Freud beschrieben und bedient sich tatsächlich des Stils sowie der Sprache des Melodrams – weichgezeichnete Bilder, figurative Manierismen, Touristenaufnahmen – und wirkt wie eine perverse Neuinterpretation der zeitgenössischen Schmachtfetzen, in deren Mittelpunkt unglückliche oder kranke Kinder stehen, wie in L’ultima neve di primavera (Der letzte Schnee des Frühlings, 1973, Raimondo Del Balzo), Il venditore di palloncini (Der Luftballonverkäufer, 1974, Mario Gariazzo) und Bianchi cavalla d’agosto (White Horses of Summer, 1975, Raimondo Del Balzo), alle mit dem blonden Renato Cestiè in der Hauptrolle. In vielerlei Hinsicht repräsentiert Nicoletta Elmi die dunkle Hälfte der von Cestiè gespielten, dem Untergang geweihten Kinder, wobei ihr unheimliches Aussehen, ihr rotes Haar und ihre leicht böswilligen sommersprossigen Gesichtszüge sie zur idealen Wahl für eine Reihe von gialli und Horrorfilmen machten, die in diesen Jahren gedreht wurden. Während Il venditore di palloncini eine metaphysische Herangehensweise an die Geschichte verfolgt, indem er den von James Whitmore gespielten Ballonverkäufer zu einer barmherzigen Inkarnation des Grim Reaper macht, überlässt Dallamano die arme Emily vollkommen den bösen Mächten.

Im Gegensatz zu Gariazzos Film, der damit spielt, ob eine übernatürliche Präsenz überhaupt existiert oder nicht, stellt Il medaglione insanguinato das fantastische Element nie in Frage – was die pleonastischen Rückblenden beweisen, in denen Emily als Reinkarnation einer Hexe identifiziert wird; ein weiteres Element, das sich auf die frühe italienische Gotik zurückführen lässt – sondern nutzt es auf interessante Art und Weise, um ein Gefühl von Unvermeidlichkeit sowie bevorstehender Tragödie heraufzubeschwören, welches die Geschichte von den ersten Szenen an dominiert und in einem düsteren Doppeltod-Tableau gipfelt, das an den Hammer-Film Hände voller Blut von 1971 erinnert. Die inzestuösen Implikationen (die teilweise Mario und Lamberto Bavas Schock vorausdatieren) gestalten sich für heutige Verhältnisse überraschend milde, waren damals allerdings der Hauptgrund für die Altersfreigabe ab 18 Jahren seitens der italienischen Zensurbehörde, obwohl das letzte Epigraph eine offensichtliche moralische Warnung enthält. Formell gesehen ist Il medaglione insanguinato als ein vollendeter Film zu bezeichnen, wie alle von Dallamanos Werken. Franco Delli Collis Kinematographie erweist sich als recht elegant, mit einer Dominanz von kalten Blau-, Grau- und Violett-Tönen, die die dekadente, herbstliche Atmosphäre des Films hervorragend zur Betonung bringen (Dreharbeiten fanden im Herbst 1974 statt), wobei der Streifen sehr passend von Stelvio Ciprianis wunderschönem Soundtrack komplementiert wird.

Die allgemeine Stimmung erinnert an Nicolas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973), der vielleicht den größten Einfluss auf den hier besprochenen Film gehabt hat, wie auch Kritiker zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung festgestellt haben. Der Regisseur (der kurz in der Flughafenszene als der Mann auftritt, der Joanna Cassidys Schönheit kommentiert) macht reichlich Gebrauch von seinen typischen handgeführten langen Einstellungen, erzielt damit dynamische Ergebnisse und bringt die umbrischen Schauplätze wie Spoleto und die nahegelegene monumentale Porte delle Torri bestens zur Geltung. In einer frühen Szene, die in London spielt, verwendet Dallamano sogar Auguste Rodins berühmte Skulptur Die Bürger von Calais, um die erste Rückblende einzuleiten und schneidet währenddessen von Rodins starren Gesichtern zu der wütenden Menge, die in Emilys Visionen vorkommt – ein weiterer Beweis für des Regisseurs Gespür für starke visuelle Ideen. Auch die erotischen Zwischenspiele sind gekonnt in Szene gesetzt worden und zeigen eines der Hauptmerkmale von Dallamanos Schaffen auf, das Werke wie Le malizie di Venere (Venus im Pelz, 1969), Das Bildnis des Dorian Gray (1970), Innocenza e turbamento (Innocence and Desire, 1974) und La fine dell‘innocenza (Annie Belle – Zur Liebe geboren, 1976) geprägt hat.

Dennoch kann die äußerst gekonnte Regieführung die vielen Mängel und recycelten Ideen des Drehbuchs nicht überwinden. Die im Weitwinkel aufgenommenen Rückblenden mit schwach ausstaffierten Statisten erweisen sich als enttäuschend kostengünstig inszeniert, während die mysteriöse Nebenhandlung um Jills Ermordung nicht das hält was sie verspricht und nur mit einigen wieder übereilt runtergekurbelten Rückblenden erklärt wird. Auch der Dialog deckt von banal bis unangenehm alles ab. Außerdem kommt Johnson, der sich bereits im Herbst bzw. Winter seiner Karriere befand, als Liebesobjekt dreier unglücklicher Frauen enorm fehlbesetzt rüber. Wie etliche von Dallamanos Filmen war auch Il medaglione insanguinato hauptsächlich für den ausländischen Markt konzipiert worden und profitiert von einer zur damaligen Zeit beliebten Riege von Schauspielern. Produzent Fulvio Lucisanos finanzielle Unterstützung ermöglichte die Besetzung von Richard Johnson, der auch die Hauptrolle in Ovidio Assonitis‘ unheimlich(lustig)em Chi sei? (Wer bist Du? / Vom Satan gezeugt, 1974) gespielt hat sowie die von Joanna Cassidy, die u.a. auch in Stuart Rosenbergs Massenmord in San Francisco und John Flynns Revolte in der Unterwelt (beide 1973) zu sehen ist. Der Film wurde in Italien offiziell als Perché?! veröffentlicht, bevor er in Il medaglione insanguinato umbenannt wurde. Im Heimatland des Regisseurs erzielte er mittelmäßige Erfolge und sollte sich als Dallamanos vorvorletzter Film erweisen, denn anschließend führte er noch bei dem bereits erwähnten Annie Belle – Zur Liebe geboren und dem hervorragenden poliziottesco Quelli della calibro 38 (Kaliber 38 – Genau zwischen die Augen) Regie, bevor er am 14. November 1976 bei einem Autounfall ums Leben kam.

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Regisseur: Massimo Dallamano
Medienformat: Breitbild, Import, PAL
Laufzeit:‎ 88 Minuten
Darsteller: Richard Johnson, Ida Galli, Edmund Purdom, Riccardo Garrone, Joanna Cassidy
Untertitel: ‎Englisch
Sprache: ‎Italienisch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)

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Seitenverhältnis:‎ 16:9 – 2.35:1, 16:9
Regisseur:‎ Massimo Dallamano
Medienformat: Import
Laufzeit:‎ 1 Stunde und 27 Minuten
Darsteller:‎ Evelyn Stewart, Joanna Cassidy, Lila Kedrova, Richard Johnson, Nicoletta Elmi
Untertitel: ‎Italienisch, Englisch
Sprache: ‎Italienisch (Dolby Digital 2.0)
Studio: ‎RAI CINEMA S.P.A.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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