Der Musterschüler / Apt Pupil

Der 16jährige High-School-Absolvent Todd Bowden will seinen Augen nicht trauen: Mitten im Abend-Bus sitzt ihm der vor Jahrzehnten untergetauchte Nazi-Verbrecher Kurt Dussander gegenüber. Unerkannt wohnt der Massenmörder in der gleichen Stadt wie Todd. Der Junge beginnt, den alten Mann zu erpressen: Will er nicht an die Behörden ausgeliefert werden, muss er Todd in allen Einzelheiten von seinen vielen Gräueltaten berichten. Dussander willigt ein, doch schon bald muss Todd erkennen, dass er in der bizarren Beziehung längst nicht mehr den Ton angibt – und sein Leben nur noch an einem seidenen Faden hängt. (Sony Pictures Home Entertainment)

Man stoppe alle Pressen, Mr. und Mrs. Amerika sowie alle Schiffe auf See! . . . Diese Rezension beginnt mit der faszinierenden Deklaration, dass es einem Werk von Stephen King tatsächlich gelungen ist, sich auf die Leinwand zu transferieren und dabei nicht zu einer Travestie zu verkommen, die in sich selbst zusammenfällt! Ok, ok, es gibt schon einige wenige gute Adaptionen, doch hier soll die Rede von Der Musterschüler sein, der gleichnamigen Verfilmung einer Novelle von Herrn König (in seinem Buch Different Seasons / Frühling, Sommer, Herbst und Tod enthalten), die alte schwarze Magie entfaltet und sein Publikum immer tiefer in ein Inferno unkalkulierbaren Schreckens hineinzieht.

Der Musterschüler des Titels ist Todd Bowman (Brad Renfro), ein verwöhnter High-School Schüler in seinem Abschlussjahr (obwohl er erst sechszehn Jahre alt ist), der den Verdacht hegt, dass ein älterer Nachbar, Arthur Denker (Ian McKellen), möglicherweise der gesuchte Nazi-Verbrecher Kurt Dussander ist. Innerhalb kürzester Zeit recherchiert Todd in der Bibliothek über den Hintergrund seines Verdächtigen, nachdem er im Geschichtsunterricht mit dem Holocaust und seinen Schrecken konfrontiert worden ist. Unter dem dämlichsten Vorwand („Ich bringe Ihnen Ihre Zeitung.“) stellt er sich bei Denker vor und offenbart dem älteren Herrn, er wisse, dass es sich bei ihm um Kurt Dussander handelt. Sollte Dussander nicht nach Todds Willen handeln, wird der sich an die zuständigen Behörden wenden und alle Informationen übergeben, die er über ihn gesammelt hat. Der Preis für Todds Schweigen? Dussander soll Todd von ALLEN Gräueltaten berichten, die er an seinen Opfern in verschiedenen Konzentrationslagern begangen hat.

Der Musterschüler repräsentiert ein weiteres in einer langen Reihe von psychologischen Dramen, in denen der Jäger dem Gejagten gegenübersteht, so wie bei Jagdhund und Fuchs oder Katze und Maus. Hier handelt es sich allerdings um einen ultimativen Wettbewerb, bei dem zwei hochintelligente Menschen gegeneinander antreten, um den ultimativen Preis zu erringen: die Kontrolle über den Kontrahenten zu dominieren. Ian McKellen liefert als Dussander eine fein geschliffene Darstellung des mürrischen deutschen Gentlemans ab, der die Höllenhunde entfesselt und ein Gefühl von Deja Vu entwickelt, als er von Todd aufgefordert wird in der Uniform eines Nazioffiziers zu marschieren. McKellen gelingt es all seine Fähig- sowie Fertigkeiten in einer glaubwürdigen und kalkulierten Leistung zu bündeln, die das Böse offenlegt, das innerhalb der Menschheit wohnt. Dussander war ein Mann, der die Macht über Leben und Tod in seinen Händen hielt und nun auf eine jämmerliche Existenz in einem Bungalow irgendwo in den USA reduziert worden ist, wo er nur noch die Zeit tot schlägt, viele Zigaretten und viel Alkohol konsumiert.

Wenn Renfro und McKellan sich den Bildschirm teilen und versuchen sich gegenseitig mit verbalen Beleidigungen schachmatt zu setzen, bewegen sie sich in ihrer Komplexität und Textur, um eine Verteidigungsmauer um sich herum auf zu bauen, die es schafft einer Belagerung stand zu halten, bis man selbst der endgültige Sieger ist. Zu sagen, dass Todd mehr bekommt, als er jemals erwarten konnte, müsste als eine große Untertreibung verstanden werden, während es sich um eine Entscheidung handelt, die den Verlauf seines Lebens (wie er es kennt) für immer verändern wird. Renfro kreiert eine Vorstellung, die vom unsicheren, jedoch aggressiven Teenager bis zu einer Maschine aus Stahl reicht, die Überzeugungen so leicht ausspuckt, wie die Nacht dem Tag folgt. Ihm gelingt es, ein Frankenstein-Monster zu erschaffen und wird dabei selbst zu einem.

Regisseur Bryan Singer konnte noch nicht viel Erfahrung vorweisen, doch mit dieser Produktion hat er bewiesen, dass er bereits in der Lage war ein Stimmungsstück zu kreieren, das wie ein ansteckender Ausschlag keimt und keimt und keimt. Singer hält seine Besetzung in Schach und die Zügel fest in der Hand, lässt seinen beiden Hauptcharakteren allerdings ein gewisses Maß an Freiheit. Die dunklen Farben, die leicht mit Licht besprenkelt werden, könnten als Elemente von Gut und Böse ausgelegt werden und stammen aus der Palette des Kameramanns Newton Thomas Sigel. Kathleen McKernins art direction und Jennifer Herwitts set direction berichten von den heruntergekommenen Straßen und Umgebungen, die Dussanders Leben geworden sind, während er nach Anonymität vom Rest der Welt sucht.

Der Musterschüler ist einer dieser seltenen Filme, die den Eindruck eines ungemessenen Zugangs zu sich selbst erwecken, einer dieser seltenen Filme, die heute erscheinen und morgen schon wieder verschwunden sind, deren Wirkung jedoch noch lange nach dem Abspann spürbar ist. Schwärze füllt den Bildschirm und man geht wieder anderen Beschäftigungen nach.

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 2.35:1
  • Alterseinstufung: Freigegeben ab 16 Jahren
  • Medienformat: PAL, Breitbild, Dolby, Surround-Sound
  • Laufzeit: 1 Stunde und 47 Minuten
  • Darsteller: Sir Ian McKellen, Brad Renfro, Bruce Davison, Elias Koteas, Joe Morton
  • Untertitel: Englisch, Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Ungarisch, Isländisch, Hebräisch, Türkisch, Dänisch, Schwedisch, Finnisch, Norwegisch, Niederländisch, Griechisch
  • Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
  • Studio: Sony Pictures Home Entertainment

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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