Das Urteil von Nürnberg

Das Urteil von Nürnberg (Judgment at Nuremberg) ist ein preisgekröntes Gerichtsdrama von Stanley Kramer aus dem Jahr 1961.

Richter Haywood (Spencer Tracy) trifft 1948 im vom Krieg noch zerstörten Nürnberg ein, um dem Tribunal der Nürnberger Prozesse vorzusitzen. Unterstützt von dem jungen Adjutanten Captain Byers (William Shatner) bereitet er sich auf die undankbare Aufgabe vor, einen Prozess gegen eine Gruppe von Richtern (darunter der angesehene Jurist Ernst Janning, gespielt von Burt Lancaster) zu leiten. Die Anklage führt der energische Colonel Lawson (Richard Widmark) der an den Mittätern ein Exempel statuieren will. Die Verteidigung übernimmt der junge Strafverteidiger Hans Rolfe (Maximilian Schell). Der führt dem Gericht und der Öffentlichkeit sein Hauptargument vor Augen: wenn man diesen Richtern, die nach zu der Zeit gültigem Recht geurteit haben, überhaupt so etwas wie Schuld beweisen könne, dann würde man dem ganzen deutschen Volk Schuld zuweisen. Der Prozess belastet den alten Richter schwer, denn er rollt einerseits unglaubliche Greueltaten der Nazis auf, andererseits versucht er, zu verstehen was passiert ist, und freundet sich unter anderem mit der Witwe des Wehrmachtsoffiziers an, in dessen Villa er untergebracht ist. Doch seine Rendezvous mit Madame Bertholt (Marlene Dietrich) erleichtern die Bürde nicht, letztlich über seinesgleichen richten zu müssen….

Wie viele der hier fiktiven, aber auf realen Personen beruhenden, Charaktere ist Richter Hayward (in der Filmversion) nicht der einzige Protagonist der es nicht leicht hat (von den Zeugen mal ganz abgesehen). Auch Rolfe hat es nicht leicht, da Janning längst seine Realität eingesehen hat und im Gegensatz zu einigen seiner fanatischeren Kollegen so etwas wie Schuld fühlt. An der Anklage von Colonel Lawson zehren längst die neuen Parameter des kalten Krieges: Man übt Druck auf ihn aus, kein zu hartes Urteil anzustreben, denn man bräuchte jetzt ein starkes deutsches Volk um gegen den Kommunismus und die Spaltung des Landes zu widerstehen. Das Nachkriegsdeutschland, zerrissen zwischen Sühne und Neuanfang ist in Judgment at Nuremberg die Kulisse für ein erstaunliches Gerichtsdrama, das mit wenigen Locations auskommt und ganz und gar von den starken schauspielerischen Leistungen (allen voran die beeindruckende Performance von Schell) lebt.

Derartige Gerichtsdramen, wie auch z.B. 12 Angry Men, erlauben es Filmemachern, ihren Mimen einen Krieg der Worte austragen zu können. Messerscharfe Dialoge auch hier, die hier umso mehr wiegen, da es sich um echte Begebenheiten handelt und ein Thema das hochgradig wichtig und – vor allem damals – kontrovers ist bzw. war. Die Nürnberger Prozesse sind zwar einerseits bis heute ein Modell, u.a. der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat seine Existenz diesen Erfahrungen zu verdanken, dennoch plagen Abwägungen zwischen Aufarbeitung und Versöhnung die post-Konflikt Situationen von Krisengebieten bis heute. Es gibt einen schmalen Grat zwischen „Siegerjustiz“ und objektiver Rechtsprechung. Das ist es auch was im Film letztlich, jedenfalls im Hintergrund, wie ein Damokles-Schwert über dem Verfahren liegt: viele der tatsächlichen Täter konnte man nicht mehr vor Gericht stellen, was also tun mit den Stellvertretern, den Mittätern, den Wegguckern, den Ermöglichern und den Gehorsamen? Fällt man ein Urteil über letztlich alle? Die Geschichte zeigte, was auch im Abspann thematisiert wurde, dass fast keiner der Verurteilten seine Strafe absaß, und die Geschichte lehrt uns auch dass man sich noch Jahrzehnte schwer tat, Nazi-Entscheider zur Rechenschaft zu ziehen, die fast bis in die 80er wieder im deutschen Staatsapparat ihren Dienst taten. Der Ost-West-Konflikt bescherte der Entnazifizierung ein frühes und jähes Ende. Und während die Fritz Bauers und Guido Knopps dieser Welt jeweils auf ihre Art einen entscheidenden Teil für die Aufarbeitung der Vergangenheit beitrugen, liest man bis heute Artikel über die Schwierigkeiten, beispielsweise die Adenauer Akten einsehen zu können, in dessen Regierung sich sehr schnell sehr viele Nazis wiederfanden. Aber ich schweife schon ab… eine Geschichtsstunde soll das ja nicht werden.

Was Kramer hier leistet ist, keinen Film über die Nürnberger Prozesse in ihrer Gänze gedreht zu haben, sondern einen Film über ein Verfahren darin (die sog. Juristenprozesse, der Film arbeitet nicht mit echten Personen). Insgesamt gab es 13 Prozesse gegen Hauptkriegsverbrecher und diverse Neben- und Folgeprozesse. Exemplarisch stellt er an dieser schwierigen Richter-gegen-Richter Situation die juristischen und moralischen Dilemma dieses Kapitels dar. In beindruckenden und nüchternen Schwarz-Weiß Bildern liefern sich Schell, Widmark, Lancaster und Tracy ihre Duelle, bei denen einen trotz der Theatralik noch heute beim zusehen die Spucke weg bleibt.

Besonders interessant ist es, dass der Film in wenigen Teilen zweisprachig ist, dabei aber völlig inkonsequent verkehrt. Die Simultandolmetscherei dieses Prozesses war ein Meilenstein der Zunft, und Englischkenntnisse dürften unter deutschen Juristen in den späten 40ern auch eher Mangelware gewesen sein. Der Film deutet diesen Aspekt an, lässt dies aber dann, wohl zu Gunsten des Filmgenusses, beiseite. Eine interessante Entscheidung des Regisseurs, unter dem der Dokumentarfilm-Effekt des Films etwas leidet, die Dramaturgik allerdings dadurch gewinnt. Ebenfalls interessant natürlich Haywards Versuche, die Deutschen zu verstehen, personifiziert in seiner Beziehung zu Marlene Dietrichs Charakter. Hayward, der bodenständige Staatsdiener einerseits, und Frau Bertholt, die blaublütige Offiziersgattin anderseits. Kurzum: Im Film mangelt es nicht an Zweischneidigkeit, Perspektiven und Aspekten über die man auch Jahrzehnte später weiter grübeln darf.

Die Bluray bietet sehr gute Bildqualität bei der die beeindruckenden schwarz-weiß Bilder und Charaktere sehr gut zur Geltung kommen. Der Ton (PCM 2.0 mono Deutsch und DTS-HD MA 5.1 Englisch, letzteres getestet) mit optionalen deutschen Untertiteln ist wenn auch wenig räumlich dennoch qualitativ sehr solide und macht einiges her. Dem Mediabook liegt natürlich auch noch eine popelige DVD Version bei, sowie ein schönes (eingeklebtes) 24-seitiges Booklet mit einem informativen Aufsatz von Markus Obermann „Anatomie einer Gerichtsverhandlung“ voller wichtiger historischer Kontexte und Einordnungen, wie ich sie oben in meinem Text nur so grob angerissen hatte. Es gibt einige interessante Extras: „Im Gespräch mit Abby Mann und Maximilian Schell“ (19min, Englisch mit dt. Untertitel) ist genau das, ein Gespräch zwischen dem Autor des Films und seinem Star, die sich hier gegenseitig mit Lob überschütten und über die Wirkung und den Erfolg des Films diskutieren. Das ganze hat glaube ich ein paar wenige Jahre auf dem Buckel (in etwa von 2004), ist aber sehenswert. Ebenso „Der Wert eines einzelnen Menschen“ (6min), auch ein Feature mit Abby Mann, wo er einige sehr sehr wichtige Gedanken über den Film los wird, und über die diversen Parallelen die man heute, aber auch unmittelbar damals in Zeiten von McCarthy, feststellen konnte. „Ein Tribut an Stanley Kramer“ (14 min) ist eine interessante kleine Hommage an Kramer, u.a. mit seiner Witwe. Dann gibt es noch Tonspur mit isolierter Filmmusik, den Original Kinotrailer und den deutschen Trailer. Ein guter Audiokommentar z.B. eines Historikers, fehlt leider. Auch die ursprüngliche TV-Version des Materials für die Serie Playhouse 90 hätte man hier eigentlich mit drauf packen können.

Fazit: Ein wichtiges Zeitdokument und zu Recht preisgekröntes Drama, mit Monologen bei denen einem bis heute die Spucke weg bleibt und kontroversen Fragen die bis heute (und vielleicht gar besonders heute wieder) Relevanz haben. Der Film ersetzt keinen ordentlichen Geschichtsunterricht, und vielleicht sollte man hinterher etwas drüber lesen, aber ich will verdammt sein, es ist ein unglaublich guter Film, zu Recht in den diversen Top-Listen.

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Die BluRay wurde uns freundlicherweise von Capelight zur Verfügung gestellt.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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