Der Fall Paradin

Titel

Die schöne Mrs. Paradin ist angeklagt ihren älteren und noch dazu blinden Mann vergiftet zu haben. Mit der Verteidigung wird der Anwalt Keane beauftragt. Dieser ist zwar verheiratet, erliegt aber binnen kürzester Zeit den Reizen seiner Mandantin und gerät so zunehmend unter ihren Einfluss. Der Fall Paradin wirft den Zuschauer relativ schnell in die Ausganssituation, welche die Verhaftung Miss Paradins ist. Diese schnelle Einführung ihres Charakters wird durch eine romantisierende mit melancholischer Musik untermalten Szene vollzogen. Sie sitzt dabei an einem Flügel in ihrer Villa und scheint völlig in Gedanken versunken zu sein. An der Wand thront ein Gemälde ihres verstorbenen Mannes. Kurz darauf treten zwei Polizeibeamte zu ihr ins Zimmer und teilen ihr mit, dass sie unter Verdacht stehen würde, ihren Mann vergiftet zu haben.

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Hitchcock schafft (wie so oft) eine beruhigende Atmosphäre, um den Zuschauer in Sicherheit zu wiegen, die kurz darauf meist durch eine desillusionierende Szene zerstört wird. Dabei kann man auch bei diesem Film Hitchcocks nicht von einem mit Geschehnissen gefüllten Film sprechen. Vielmehr fokussiert sich Hitchcock auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die eigentliche Handlung tritt dabei in den Hintergrund und der Kriminalfall wird zweitrangig. In diesem Fall ist die Lösung des Falles sogar recht vorhersehbar, jedoch durch das ambivalente Verhältnis von Rechtsanwalt Anthony Keane (Gregory Peck) zu seiner Klientin, der Angeklagten Miss Paradin (Alida Valli), psychologisch reizvoll. Damit konzentriert sich der Film, wie auch in anderen Werken des Masters of Suspense, auf die Konflikte und Probleme hinter der nach außen hin oft undurchdringlichen reinen und unschuldig wirkenden bürgerlichen Fassade. Er schockt den Zuschauer nicht durch die Taten, die nach außen hin gezeigt werden, sondern impliziert dem Film eine sozialkritische Note, indem er die Probleme der Menschen in den Vordergrund rückt. Dabei ist der „Fall Paradin“ mehr ein Beziehungsdrama als ein Kriminalfall, das die Fehlbarkeit des Menschen enttarnt und am Ende in den Vordergrund stellt, dass Menschen in Zwangslagen oft trieb- und emotionsbetont handeln und sich eben nicht immer durch die natürliche Vernunft leiten lassen können, die seit dem 18. Jahrhundert durch Immanuel Kant allgemeine gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat.

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Die Gesellschaft und ihre Konventionen sind es, die den Menschen einschränken und unfähig machen frei zu handeln. Natürlich sollte das freie Handeln, sobald es in ungesetzliche Bahnen gerät, eine Einschränkung erfahren. Doch ist es auch richtig Menschen, die in Zwangslagen im Affekt handeln als verbrecherische Menschen zu verurteilen? Vielleicht unterstelle ich dem Film, dass Hitchcock so viel Kritik äußern wollte, obwohl andere seiner Filme, wie beispielsweise „Der Falsche Mann“ (1956) oder „Ich beichte“ (1953), dies in einem größeren Maße tun. Doch auch im Vergleich sind diese drei Filme zum Thema Justiz, menschlichem Verhalten und Schicksal sehr interessant, spielt doch in allen drei Filmen das Gericht eine eklatante Rolle.

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Doch nach diesem Exkurs nun wieder zurück zum Film. Hitchcock gestaltet die Verquickung von privaten Beziehungen und gerichtlichem Gerechtigkeitskampf stringent, lässt den privaten Rahmen der Geschehnisse aber größer ausfallen und beschränkt sich auf den gerichtlichen Part, vor allem am Ende des Filmes. Dabei gelingt es ihm durch die Besetzung des hervorragenden Gregory Peck, für die Rolle des Anwaltes, einen interessanten aber nicht aktiv vordergründig agierenden Hauptprotagonisten zu präsentieren. Sowieso ist die Justiz in diesem Fall der einzig wirklich aktive Part, der das Geschehen bzw. die gesamte Lage prekär gestaltet. Sowohl die Angeklagte Miss Paradin (Alida Valli), die perfide versucht den Anwalt durch ihr distanziert kühles Auftreten mehr und mehr für sich zu gewinnen, als auch Anwalt Keanes Frau, die liebreizend und menschlich reagiert, sind eher von Passivität in ihrem Handeln eingeschränkt. Dies liegt daran, dass alle handelnden Personen in ihrem Umfeld gefangen sind. Miss Paradin ist eingesperrt und kann nur in den Räumlichkeiten des Gefängnisses ihre „Macht“ ausüben. Miss Keane ist liebevoll und nach außen hin die perfekte Ehefrau, die aber aus Liebe zu ihrem Mann von einer großen Eifersucht befallen ist und sich dadurch in einem immanenten Konflikt befindet, der dem „Fall Paradin“ inhärent ist. Damit schwebt der Gerichtsfall, wie ein böses Omen, ständig wie ein bedrohlicher Sturm über der Ehe von Keane und seiner Frau.

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Dabei ist Miss Paradin eine Art Sirene, die den Anwalt ohne eigenes physisches zutun beeinflusst und lediglich rhetorische Mittel, und diese in Maßen, verwenden muss, um die Fäden einer Intrige zu spinnen, die letztendlich keine ist, da es in der Realität keine gibt. Dabei wirkt der gesamte Fall am Ende in seiner Auflösung nur paradox und dazu gedacht den jungen erfolgreichen Anwalt Keane (Gregory Peck) zu kompromittieren, nachdem dieser Miss Paradin nur im geringen Maße auf eine diskreditierende Affäre angesprochen hat, die am Ende zum Mittelpunkt der Verhandlung wird.
„Der Fall Paradin“ wird durch den Konflikt zwischen der Justiz und den Personen, die an dem Fall Paradin beteiligt sind, auch zu einem Drama, in dem es um „Stolz und Vorurteil“ geht. Denn auf der einen Seite steht die Justiz und die Öffentliche Meinung, die durch Gericht und Medien beeinflusst wird und auf der anderen Seite steht Miss Paradin (Alida Valli), die zu stolz ist, um einen tieferen Blick in ihre Seele zu gewähren, vor allem ihrem eigenen Verteidiger gegenüber.

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Präsent ist im gesamten Handlungsverlauf auch die bezaubernde Ann Todd, die die Rolle der Miss Keane spielt. Sie ist liebreizend, nett, vielleicht naiv, hat zum eigentlichen weltlichen Geschehen aber eine innere Distanz und ist in der Stadtvilla wie in einem goldenen Käfig gefangen. Charles Laugthon spielt den Richter. Er gibt dieser recht eindimensionalen Rolle durchaus mehrere Facetten und schafft es in der kurzen Spielzeit, die er im gesamten Film hat, einen nicht vielschichtigen aber kantigen Charakter zu formen. Dabei ist es seiner Figur zuträglich, dass sie im Privatleben sowie im öffentlichen Leben (als Richter) gezeigt wird.

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Bei Hitchcocks Filmen neigt man an einigen Stellen zu mehr Kritik, natürlich auf hohem Niveau, da er allgemeinhin als Meisterregisseur gilt. Das Problem des „Fall Paradin“ ist vermutlich letztendlich die Dialoglastigkeit. Diese kann auch nicht immer durch die hervorragenden Schauspieler weggeredet werden, da die Geschichte an sich recht behäbig daher kommt und erst im letzten Drittel wirklich Spannung aufbauen kann. Damit ist auch ein Sprung im Film erkennbar, der von dem anfänglichen Drama in einen relativ spannenden Gerichtsthrilller mündet. Die Atmosphäre des Filmes bleibt vielleicht zu neutral und die Kameraführung von Lee Garmes, unter der Führung Hitchcocks, zu unspektakulär. Hinzukommt, dass durch die vielen Szenen, die in Gebäuden spielen, ein sehr kammerspielartiger Gesamteindruck entsteht, was aber nicht heißt, dass „Kammerspiel“ eine negative Konnotation haben soll.

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Insgesamt stellt dieser Film im Schaffen Hitchcocks kein Meisterwerk dar. Doch ist er, wie viele andere auch, ein wichtiger Schritt in die Richtung dieser Meisterwerke, die der „Master of Suspense“ noch erschaffen sollte. Gerade, dass sich Alfred Hitchcock in seinen späteren Filmen weniger auf die Justiz konzentrierte und das Bürgerliche in den Fokus rückte, gab diesen eine deutlich agilere und erfrischendere Note, da die Themen von Vertigo, Psycho, oder Das Fenster zum Hof zeitloser wirken und eher „Thriller Märchen“ sind, die durch ihre gesamte Atmosphäre nichts an Frische verloren haben. (dieser Text wurde von JANEK REKOS verfaßt)

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