Pier Paolo Pasolini

Pier Paolo Pasolini

Pier Paolo Pasolini war italienischer Schriftsteller, Poet, Theoretiker und letztlich Filmemacher. Er wäre im März letzten Jahres 100 Jahre alt geworden. Alt ist er leider jedoch überhaupt nicht geworden, denn er wurde 1975 ermordet. Anhand der kürzlich erschienenen Sammleredition von Plaion Pictures wage ich mich (erstmals) an sein Werk, das Zeit seines Lebens von Skandalen, Kontroversen aber auch kritischer Wertschöpfung gezeichnet war. Gerade die Befassung mit der oft von Armut gekennzeichneten Nachkriegsgesellschaft als eines seiner zentralen Fokuspunkte machen seine Filme sehr besonders und sind in der italienischen Kulturgeschichte wichtige Zeitdokumente. Seine Filme waren Skandale, sie hielten der italienischen Gesellschaft der Nachkriegszeit einen Spiegel vor und was die Zuschauer sahen, verstörte sie, so der Klappentext. Das trifft es auf den Punkt.

Leider bin ich selbst wahrlich kein Experte in Sachen Pasolini sondern versuche mich hiermit selbst erstmals an seinem Werk, aber ich hoffe mit meinem kurzen Abriss durch die Filme in dieser neuen Sammleredition von Plaion Pictures anderen Filmfans eine Inspiration zu sein dies ebenfalls zu tun. Vielleicht gibt es auch ein paar alte Pasolini-Hasen die in den Kommentaren korrigieren was ich alles falsch aufgefasst habe.

„Es ist gar nicht nötig, Pasolini immer zu verstehen, um von seinem Werk gefesselt zu sein.“

The New York Times

Accatone (1961)

Accattone

Vittorio (Franco Citti), der sich gernde „Accattone“, der Bettler, nennt, ist ein Nichtsnutz und Überlebenskünstler, der sich zunächst um die Familie kümmert seit sein Bruder im Knast ist. Dann rutscht er aber tiefer in Arbeitslosigkeit und Abneigung ab, erst recht nachdem Kumpanen seines Schwagers ihm und dann Maddalena, seiner Prostituierten, übel mitspielen. Er findet keine Arbeit, seine Familie weist ihn ab, und ist weder als Dieb und noch als Bettler gut. Er erntet Hass und Spott. Er versucht es zwar erneut als Pimp und dann Dieb, doch ohne Erfolg…..

Von vielen gefeiert und damals recht kontrovers, ist Pasolini’s Regiedebut aus heutiger Sicht möglicherweise doch etwas ernüchtern. Mich jedenfalls hat der Film nicht so umgehauen, weil deutlich weniger episch, als der nicht ganz unähnliche Rocco und seine Brüder beispielsweise. Accatone ist deprimierend, tragisch aber auch in gewisser Weise melancholisch und teilweise durchaus hinreissend. Pasolini versammelt eine gute Crew um sich rum, darunter die beiden Regieassistenten Bernard Bertolucci (1900) und Leopoldo Savona (Django – Gott vergib seinem Colt) und für die Aufnahmen ist kein geringerer als Tonino delli Colli (Spiel mir das Lied vom Tod) verantwortlich gewesen. Citti spielt gut, aber es ist kein liebenswerter Charakter und letztlich ist der Film etwas zu schwer verdaubar um wirklich zu begeistern, so ging es jedenfalls mir. Unverkennbar aber seine Schönheit, das gute Gespür für Personen und die wunderbare Umsetzung für ein Regiedebut. Ich fand, der Film verlor am Ende etwas an dem wenigen Schwung den er hatte, aber er machte mich neugierig auf weitere Filme des Regisseurs.

Die BluRay bietet recht gutes Bild und Ton auf Deutsch und Italienisch, optionale deutsche Untertitel. Zu den Extras gehört das Featurette „Rom und Pasolini“ (15 min) über Regisseur und Werk, das schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat aber bei dem eine einige Leute zu Wort kommen, sowie ein italienischer Trailer und eine Bildergalerie. Der Film ist etwa 116 Minuten lang.

Gastmahl der Liebe / Comizi d’Amore (1964)

Pier Paolo Pasolini

Während im oben genannten Film Armut das Hauptthema war ist es jetzt (die Tabuisierung von) Sexualität und Moral in der breiten Gesellschaft und in gewisser Weise auch ein (vermeintliches) Bildungsdefizit vor allem in der weniger wohlhabenden Gesellschaftsschicht. Dazu ist der Film in einer Art Cinema Verite Stil gemacht, besteht aus echten Interviews und Beobachtungen. Der film wird dann eine Art Episodenfilm, der fast nur aus Interviews besteht, dann aber Erstaunliches hervorbringt. Untermalt unter anderem durch Musik von Elvis Presley zeigt sich, dass die Befragten sehr heterogene Ansichten, teilweise gar für die frühen 60er sehr progressive Ansichten hatten. Gleichzeitig aber bohrt Pasolini tief in Vorurteile oder tradierte Ansichten, ein wirklich super interessantes Portrait einer Gesellschaft zwischen Vergangenheit und Fortschritt. Dabei bewegt er sich mit scheinbar banalen Fragen immer näher an den Kern, ob nämlich zum Beispiel (das waren ja auf dem Papier die Jahre des Wirtschaftswunders und der Volksabstimmung über die Legalisierung von Scheidung) so etwas wie ein Konsens darüber herrscht was die gesellschaftlichen „Normen“ sind, und ob letztlich der wirtschaftliche Fortschritt auch jenseits wirtschaftlicher Faktoren in Form von progressiven Werten in der Bevölkerung ankam oder nicht (Pasolini würde wohl sagen: nicht).

Wenn man das Experiment heute wiederholen würde, sähe das Ergebnis vermutlich ähnlich aus. So mancher Interviewschnipsel ist natürlich ein grauenhaftes Zeugnis über den Zustand der Menschheit, aber so viel hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht getan (unter anderem sind heute in Italien wieder protofaschisten an der Macht die unter anderem wegen erzkonservativer Familien-„Werte“ gewählt wurden). Was als Belege für ein Defizit an Sexualerziehung und eine Dominanz konservativer ländlicher Werte beginnt ist letztlich also nicht in erster Linie ein guter Spielfilm, denn das ist es nicht, sondern ein höchst interessantes Zeitdokument mit dem Kino als Medium, in dem Pasolini als Beobachter der Italienischen Gesellschaft seinen Streitschriften ein audiovisuelles Beweisstück an die Hand liefert.

Die BluRay bietet den Film auf Italienisch mit optionalen dt. Untertiteln. Bild und Ton sind Okay aber nicht hervorragend, wobei schon das Ausgangsmaterial etwas geringer produziert war da es ja im Dokumentarfilmstil entstand größtenteils. Die Extras bestehen aus dem Featurette „Umfragen und Vorurteile“ (17min) mit vielen Interviews von Zeitzeugen und Experten – sehr sehenswert, sowie dem italienischen Trailer und eine Bildergalerie. Der Film läuft 92 Minuten.

Große Vögel, kleine Vögel / Uccellacci e Uccellini (1966)

Der Film ist eine Art Parabel. Wir sehen Marcellino (Totò) und den jungen Ninetto (Ninetto Davoli) durch den kargen Stadtrand spazieren, vorbei an unfertigen Autobahnrampen. Als sich ein sprechender Rabe zu den beiden gesellt wird es abstrus: dieser erzählt ihnen von den Problemen der Welt und illustriert das mit einer Geschichte von zwei Mönchen, die Vögel zum Christentum bekehren sollen. Doch irgendwann haben die beiden das neunmalkluge Federvieh satt…. und statt der schwierigen Fragen des Lebens, von Moral und Verantwortung, wenden sich die beiden lieber irdischen Freuden zu, praktisch dass sie Luna (Femi Benussi) über den Weg laufen….

Von dem gesungenen Vorspann über die Laiendarsteller bis zum sprechenden Raben, der Film verlangt einem einiges ab, ich musste mich ehrlich gesagt durch die 88 Minuten Laufzeit wahrlich kämpfen muss ich zugestehen. Die schwarz-weiß Bilder (auch hier wieder unter anderem von Delli Colli) sind nicht so schön wie bei den vorher besprochenen Filmen, die Musik von Ennio Morricone ist zwar einigermaßen bekannt unter Kennern, aber kann auch nicht so ganz überzeugen finde ich. Hier trifft auf den Namen Pasolini ein weiterer großer Name des italienischen Kinos: Toto, der bekannte Komiker, der für diese Rolle gar mit einen Golden Globe ausgezeichnet wurde. Warum, erschließt sich mir nicht. Aber das ist vielleicht ein Fall von schlechter Alterung: ich fand den Film weder besonders smart, noch irgendwie lustig, noch unterhaltsam oder ansprechend. Unverkennbar natürlich die Versuche, essayhaft sich mit diversen Themen zu befassen, vom Marxismus bis hin zu Leben und Tod, Katholizismus und vielem mehr, aber es bleiben irgendwie Versatzstücke. Es ist irgendwie ein Märchen, aber ein schwer zugängliches.

Die Bluray lässt einen den Film in OmU oder dt. Synchro gucken. Das Bild sieht okay aus, ist aber teilweise ein wenig graue Suppe da es ein wenig an Auflösung fehlt vor allem in den Totalen. Für einen Film von 1966 könnte man sich etwas mehr erwartet, aber das ist insgesamt schon okay. Der Ton klingt auch in Ordnung. Zu den Extras gehört eine Einführung des Kritikers und Filmemachers Mario Sesti (3min), das Featurette „Die Welt von Toto“ (5min) das ebenfalls Sesti zusammengeschnitten hat und so eine Art Highlight-Reel ist und die Vielfalt von Toto unterstreicht. Hinzu kommt eine Folge von der „Iero, oggi, domani“ Wochenschau (5min) die sich mit Pasolini befasst. Alle drei haben deutsche Untertitel. Dann gibt es noch den Originaltrailer und eine Bildergalerie.

Edipo Re / Bett der Gewalt (1967)

In diesem Film (wir wechseln zum Farbfilm, und gedreht wurde in Marokko) befasst sich Pasolini mit Vater-Kind bzw. Mutter-Kind Beziehungen und verfilmt in gewisser Weise Sophokles‘ König Ödipus auf seine Art und Weise. Dabei springen wir von einer Aufnahme aus der Gegenwart, in der ein Vater gewissen Groll gegenüber eines Neugebohrenen hegt, in eine fiktive Vergangenheit in der, ermutigt von einer Prohezeihung, Ödipus (Citti) den Vater tötet um die Mutter zu lieben und dadurch gleichsam den Thron zu erklimmen. Er wird der „Edipo Re“… doch es gibt Zeugen für seine Tat…..

Was ein seltsamer Film. Ich sage es ganz ehrlich, viel damit anfangen konnte ich nicht. Die Themen wie Vatermord, Liebe zur Mutter, etc… lagen Pasolini wohl sehr nahe, und sind auch in der italienischen Kultur generell ganz wichtige Themen, aber wenn man nun kein Faible für die Vorlage hat, dürfte sich der Genuss hier eher in Grenzen halten. Erzählerisch und filmisch bietet Edio Re nicht beste Unterhaltung. Bei 104 Minuten Spielzeit wird das ein zähes Geschäft, und ich habe per se nicht ein Problem mit sperrigen Themen. Es ist aber schön wieder Citti zu sehen (Accatone), und bei der Produktion hat wohl auch Dino de Laurentiis seine Finger im Spiel gehabt. Das zeigt sich dann auch ein wenig in der Opulenz des ganzen, aber es ist einfach zu bizarr.

Die BluRay bietet ganz ordentliches Bild, obgleich die Farben nicht immer perfekt abgestimmt sind. Der Filmlook bleibt präserviert und die Details und Kontraste sind auch in Ordnung. Sieht nicht glorreich aus, aber total okay finde ich. Der Ton ist ebenfalls in Ordnung, haut aber niemanden vom Hocker (Italienisch gestestet). Es gibt auch eine deutsche Synchronfassung, und natürlich deutsche Untertitel. Auch hier sind ein paar Extras an Bord. Das Featurette „Pasolini in Sant’Angelo Lodigiano“ (16 min) berichtet mit Zeitzeugen vom Dreh des Films. Hinzu kommt der italienische Trailer, ein deutscher Vorspann und eine Bildergalerie.

Ostia (1970)

Die Brüder Bandiera und Rabbino verdingen sich als (schlechte) Diebe, seit sie als Kinder ihren Vater umgebracht haben, ein Trauma das sie bis heute beschäftigt. Als die beiden und ihre Kumpels eine junge Dame auffinden und nach Hause bringen, beginnen die drei eine neue Freundschaft und ziehen durch die Lande, bis die beiden letztlich für Diebstahl im Knast landen….

Ostia ist von und mit Sergio Citti (Accatone) und auch sein Regiedebut. Das Drehbuch und die künstlerische Leitung hatte Pasolini übernommen, und auch wenn es für Citti ein sehr persönlicher Film ist bzw. war, trägt dieser sehr stark Pasolinis Handschrift (stärker definitiv als spätere Filme von Citti). Auch hier haben wir es mit einem Film zu tun der mehr für visuelle Poesie und Meditation übrig hat als für klassische Erzählstrukturen. Die Verarbeitung von Kindheitstraumata, die Behandlung von Kindern und auch von Frauen durch die von frustrierten Männdern dominierte Nachkriegsgesellschaft stehen im Zentrum eines Films der teilweise verwundert, teilweise schockiert, und – wie ich finde – in wenigen Momenten durchaus fasziniert. Untermalt von einem Score von Francesco de Masi (Töte alle und kehr allein zurück), aber nach meinem empfinden auch etwas zu bizarr und langatmig, stellt Ostia ein interessantes Regiedebut dar und einen guten Abschluss dieser Box.

Die BluRay bietet solides Bild, das aber nicht immer scharf genug aussieht. Farblich ist es gut, manchmal etwas blass. Unterm Strich zufriedenstellend aber nicht überragend. Ähnlich ist es beim Ton, hier gibt es wieder OmU oder Synchronfassung, das ganze klingt völlig zufriedenstellend. Kern der Extras ist das Featurette „Ein Film für Poeten“ (28min) von Koch Media selbst, in dem unter anderem de Masis Sohn sowie Fabio Melelli (der Filmhistoriker)zu Wort kommen. Außerdem gibts den italienischen Trailer und eine Bildergalerie.

Fazit

Plaion Pictures tut Neugierigen und Pasolini-Nerds gleichermaßen einen großen Gefallen mit dieser Zusammenstellung. Es ist nicht die ultimative alles-über-Pasolini Collection, aber ein repräsentativer, vielfältiger und interessanter Einblick in das Werk des Mannes. Ein Booklet, das mir hierfür nicht zur Verfügung stand, bereichert die Box und das Eintauchen in seine Filmografie. Auf fünf BluRays kommt diese Box zum in etwa 100. Geburtstag von Pasolini und für mich war es wie oben schon einige male angesrissen der erster Ausflug in das Schaffen des Künstlers. Ich fand die Reise interessant, zum Nachdenken anregend, bereichernd, aber doch auch oft recht zähl und schwer zugänglich. Am meisten Spaß hatte ich mit den älteren Werken.

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Paolo Pasolini
Die BluRays wurden uns zur Verfügung gestellt.

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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