Das Geheimnis der jungen Witwe / La morte non ha sesso / A Black Veil for Lisa

Inspektor Franz Bulov muss in einer Serie von Morden ermitteln, während ihn seine zum Scheitern verurteilte Ehe stark belastet. Als sich die Ermittlungen recht schwierig gestalten, wird Bulov von seiner extremen Eifersucht auf seine viel jüngere Frau Lisa an den Rand des Wahnsinns getrieben. Dem Inspektor gelingt es schließlich den Auftragskiller Max Lindt mit den Morden in Verbindung zu bringen, doch anstatt ihn zu verhaften, beschließt er den jungen Mann anzuheuern, um sein häusliches Problem ein für alle Mal zu lösen…

Das Geheimnis der jungen Witwe ist eine italienisch / deutsche Koproduktion, die in Deutschland als Teil der Edgar-Wallace-Reihe vermarktet wurde und den ersten giallo von Kameramann sowie Regisseur Massimo Dallamano repräsentiert. Der Film wird zwar nicht annähernd so sehr verehrt wie seine späteren Werke Cosa avete fatto a Solange? (Das Geheimnis der grünen Stecknadel, 1972) und La polizia chiede aiuto (Der Tod trägt schwarzes Leder, 1974), stellt jedoch einen recht raffinierten und geschickt inszenierten Thriller mit klasse Besetzung dar. Die Kulisse ist Hamburg, wobei Dallamano und Kameramann Angelo Lotti (der ein wenig später Jess Francos Meisterwerk Paroxismus / Venus im Pelz von 1969 fotografieren sollte) dafür sorgen, dass die Stadt gut in Szene gesetzt wird. Dabei gibt es für aufmerksame Zuschauer auch ein kleines Kuriosum zu entdecken, denn in einer frühen Szene (einem sogenannten establishing-shot) kann man auf Hamburgs Straßen relativ kurz braun uniformierte Soldaten sowie Offiziere mit roten Armbinden erspähen. Christian Keßler spekuliert in diesem Zusammenhang darüber, ob dies „vielleicht einen subversiven Kommentar Dallamanos“ darstellen könnte, da ein Regisseur sowas normalerweise nicht übersieht (siehe Seite 37. Keßler, C. 2020. Gelb ist die Nacht. Berlin: Martin Schmitz Verlag). Wie es auch bei Dallamanos späteren gialli der Fall ist, wurzelt der Film in psychosexuellen Neurosen. Franz Bulov (John Mills) ist ein erfahrener Polizeiinspektor, der seine Arbeit mit sehr viel Leidenschaft ausübt, was allerdings zu Spannungen mit seiner Frau Lisa (Luciana Paluzzi) führt. Als Lisa damit beginnt sich immer mehr von ihm zu entfernen, kommt Bulov zur Überzeugung, dass sie nichts Gutes im Schilde führt.

Dallamano verschleiert ihre Aktionen jedoch bis spät in den Film hinein, während er Bulovs Überzeugung, sie sei von ihm gelangweilt und suche woanders nach Nervenkitzel, immer weiter anwachsen lässt. Bezeichnenderweise wird Lisa vom Regisseur nicht dämonisiert, denn es macht vielmehr den Anschein, als würden ihre eventuellen Untaten von der zunehmenden Paranoia, dem Misstrauen sowie der Gewalt ihres Mannes diktiert werden. Obwohl Bulov den erzählerischen Mittelpunkt des Films darstellt, wird das Publikum dennoch nicht dazu ermutigt hundertprozentig auf seiner Seite zu stehen. Letztendlich ähnelt er im Geiste eher der Figur des Kommissars den Farley Granger in Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile (Schön, nackt und liebestoll, 1972) verkörpert; einem Mann, der ebenfalls bereit dazu ist „Gerechtigkeit“ zu korrumpieren, um sich an seiner treulosen Ehepartnerin zu rächen. Der Unterschied zwischen den beiden Streifen besteht allerdings darin, dass der spätere Film eine solche Tat zu akzeptieren scheint, während Dallamano eher versucht zu suggerieren, dass Bulovs Vorhaben bzw. Verhalten nicht zu tolerieren ist.

Das Geheimnis der jungen Witwe hat nur wenig an Gewalt und Blut zu bieten, gleicht dies aber mit guten schauspielerischen Leistungen, nachvollziehbaren Charakterentwicklungen und ansprechender Atmosphäre mehr als aus. Glücklicherweise konnte Dallamano diese Elemente auch auf seine weiteren Filme übertragen, was ihn zu einem der seltenen italienischen Exploitation-Regisseure macht, die versuchten ihren Filmen ein wenig Substanz zu verleihen. Leider wurde die Wirkung des Films geschmälert, als er von der Commonwealth United Corporation (einer Abteilung von American International Pictures) für die Veröffentlichung in den USA erworben wurde. Commonwealth sollte auch Kürzungen und verschiedene Änderungen an Jess Franco Filmen wie Der heiße Tod (1969) sowie dem bereits erwähnten Venus im Pelz vornehmen und verschwendete keine Zeit damit dasselbe mit Dallamanos Thriller zu tun. Die Originalfassung weist eine Länge von etwa 95 Minuten auf, während die US-Fassung um ca. sieben Minuten gekürzt wurde. Zusätzlich zu diesen Kürzungen wurde der Film von Richard Markowitz komplett neu vertont, einschließlich eines kitschigen Titelsongs für den Abspann.

Die Originalversion wurde mit einem hervorragenden Soundtrack von Giovanni Fusco & Gianfranco Reverberi ausgestattet, der es wirklich versteht die Handlung voranzutreiben – im Gegensatz zur Markowitz-Musik, die jegliche Energie vermissen lässt. Die italienische Fassung verzichtet auf die Flashback-Struktur, die der US-Fassung auferlegt wurde und hält so das Schicksal einer der Hauptfiguren im Geheimen, während sie allerdings auch noch einige Nahaufnahmen der Augen des Mörders bereit hält (mit etwas dunklem Make-up versehen), die dessen Identität dennoch viel zu früh im Film offenbaren. Der ganze Sinn des Endes wird in der US-Version zudem vollkommen falsch interpretiert, wodurch die ironische Note von Dallamanos ursprünglichem Ausblenden ganzheitlich verloren geht. Die Produktionswerte sind durchweg als hervorragend zu bezeichnen, mit Ausnahme einiger wenig überzeugender process shots während der Autofahrszenen. Abgesehen von diesem kleinen Problem sieht der Film großartig aus und bringt Dallamanos übliche Sorgfalt bezüglich der Bildsprache und dem Aufbau der Geschichte wunderbar zur Geltung. In vielerlei Hinsicht handelt es sich hier um einen relativ frühen giallo, der unbedingt (wieder-) entdeckt werden sollte.

Regisseur Massimo Dallamano wurde 1917 geboren. In den 1940er Jahren trat er als Kameramann in die Welt des Filmemachens ein und erzielte in dieser Funktion seine größten Erfolge mit Sergio Leones Per un pugno di dollari (Eine Handvoll Dollar, 1964) und Per qualche dollaro in più (Für ein paar Dollar mehr, 1965). Sein Spielfilmdebüt als Regisseur gab er mit dem hervorragenden Italo-Western Crepa tu… che vivo io! (Bandidos, 1967) und verbrachte einen Großteil seiner Regiekarriere damit zwischen erotischen Themen wie Le malizie di Venere (Venus im Pelz, 1969) und gialli wie diesem hier hin und her zu schwanken. Genauso wie Mario Bava vor ihm, erwies sich Dallamano als Regisseur ebenso fähig wie als Kameramann, doch seine Karriere wurde 1976 durch einen Autounfall, bei dem er ums Leben kam, im Alter von nur 59 Jahren leider viel zu früh beendet. Die Riege der Schauspieler wird von John Mills angeführt, der als deutscher Polizeiinspektor mit hitzigem Temperament eine etwas ungewöhnliche Besetzung zu sein scheint, sich aber voll und ganz der Rolle hingibt und eine denkwürdige Vorstellung abliefert.

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, die solche doch recht gut bezahlten Engagements nur allzu gerne annahmen, um dann uninspirierte Arbeit abzurufen, schien sich Mills voll und ganz in dieses Projekt eingebracht zu haben. Er versteht es bestens zum Ausdruck zu bringen wie seine Figur immer wieder den Bezug zur Realität verliert und schafft es seinen Polizeiinspektor ausreichend erbärmlich erscheinen zu lassen, ohne sich zu sehr um die Sympathie des Publikums zu bekümmern. Mills wurde 1908 in England geboren und begann seine Karriere im Showbusiness als Varieté-Tänzer. 1932 gab er sein Filmdebüt und erarbeitete sich einige prestigeträchtige Filmaufträge, darunter die beliebte MGM-Produktion Auf Wiedersehen, Mr. Chips (1939). Anschließend spielte er die Hauptrolle im erfolgreichen Kriegsdrama In Which We Serve (1942) unter der Regie von Noel Coward und David Lean. Mit Lean arbeitete er noch an vielen weiteren Filmen zusammen, wie zum Beispiel Die großen Erwartungen (1946) und Ryans Tochter (1970), für den er sogar einen Oscar erhielt.

Er wurde 1976 zum Ritter geschlagen und arbeitete noch sehr lange im Filmgeschäft, bevor er 2005 im Alter von 97 Jahren verstarb. Die Rolle der Lisa übernimmt Luciana Paluzzi, die in den 1960er Jahren zu einer echten sogenannten „Sexbombe“ aufstieg. Sie wurde 1937 geboren und begann Anfang der 1950er Jahre in der Filmbranche zu arbeiten. Ihre wunderschönen Gesichtszüge und feuerrotes Haar machten sie zu einer beliebten Präsenz, doch sie verkörperte weitaus mehr als nur ein hübsches Gesicht, denn sie konnte auch sehr gut schauspielern. Paluzzi trat in einer Vielzahl von Filmen auf, darunter Rückkehr nach Peyton Place (1961) mit ihrem damaligen Ehemann Brett Halsey. Ihren größten internationalen Erfolg hatte sie jedoch als sexy Femme Fatale Fiona in der James-Bond-Extravaganz Feuerball (1965). Sie blieb bis weit in die 1970er Jahre als Schauspielerin tätig und hatte einen ihrer letzten Auftritte im giallo / poliziottesco Hybriden …a tutte le auto della polizia… (Calling All Police Cars, 1975), bevor sie 1978 in den Ruhestand ging. Der zweite Hauptdarsteller ist der österreichische Schauspieler Robert Hoffmann, der den doppelzüngigen Max Lindt spielt.

Der 1939 geborene Schauspieler hatte seinen Durchbruch mit der Hauptrolle in der französisch-westdeutschen Fernsehserie Les aventures de Robinson Crusoë (Robinson Crusoe, 1964–1965). Hoffmanns attraktives Erscheinungsbild verhalf ihm in den 1960er Jahren zu einigen interessanten Rollen, unter anderem in Giuliano Montaldos überragendem Ad ogni costo (Top Job, 1967) mit Janet Leigh und Klaus Kinski sowie später in Maurizio Pradeauxs Passi di danza su una lama di rasoio (Die Nacht der rollenden Köpfe, 1973) und Umberto Lenzis Spasmo (1974). Weder Paluzzi noch Hoffmann können es mit der von Mills aufgebotenen Intensität aufnehmen, aber es gelingt ihnen dennoch solide und glaubwürdige Vorstellungen abzuliefern. Bleibt noch anzumerken, dass es sich hier wohl um einen der (wenn nicht sogar DEN) ersten giallo mit offensichtlicher Werbung für J&B Scotch Whisky zu handeln scheint. Das Unternehmen existiert in der einen oder anderen Form seit Mitte des 18. Jahrhunderts und ist Kennern des europäischen Kultkinos für seine allgegenwärtige Präsenz in Dutzenden von gialli, poliziotteschi und Sexkomödien der 1960er und 70er Jahre bekannt. Der Inhalt der vertrauten grünen Flasche mit einem gelben (wie passend!) Etikett wird mehrmals von Mills‘ Charakter konsumiert … und sie sollte in vielen weiteren gialli zu einem Requisit werden, das genauso geläufig ist wie die schwarzen Lederhandschuhe eines Mörders.

Extras und Besonderheiten:

• 1080p Präsentation des Films auf Blu-ray
• Unkomprimiertes LPCM-Audio
• Optionale englische SDH-Untertitel
Yellow is the New Black – Rachael Nisbet über A Black Veil For Lisa: Ein Interview mit Film Journalistin Rachel Nisbet
Lifting the Veil – Remembering Massimo Dallamano’s A Black Veil For Lisa: Ein Interview mit Film Journalist John Martin
• Kinotrailer
• Wendecover mit alternativem italienischem Motiv

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Seitenverhältnis: 16:9 – 1.78:1
Regisseur:‎ Massimo Dallamano
Medienformat: ‎PAL
Laufzeit: ‎1 Stunde und 28 Minuten
Darsteller: John Mills, Luciana Paluzzi, Robert Hoffmann
Untertitel: ‎Englisch
Sprache: ‎Englisch (Dolby Digital 2.0)
Studio: 88 Films

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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