That’s Sexploitation! – Berlinale Special

Unsere Reise durch die Filmgenres geht weiter, dieses mal mit einer Dokumentation über ein Sub-Genre. Vor einigen Wochen hatte ich ja schon einige Dokus unter die Lupe genommen, z.B. American Grindhouse und Not Quite Hollyood. Als Drop Out Cinema zu einer Vorführung am Rande der diesjährigen Berlinale einlud, konnte ich nicht nein sagen. THAT’S SEXPLOITATION! ist eine Produktion von Something Weird Video, dessen Gründer Mike Vraney anfang diesen Jahres leider verstarb. Die Firma hatte über Jahrzehnte Exploitation Material archiviert, aufbereitet und vertrieben (siehe Artikel, externer Link). Die Doku über das Sexploitation Kino von 1930 bis etwa 1970 ist ein Werk von Liebhabern für Liebhaber. Es ist eine Reise in die „Penny Arcades“ und die „Grindhouses“ der New Yorker 42nd street.

Something Weird Video

Regisseur Frank Hennenlotter, selbst Exploitation Filmemacher der alten Schule (Basket Case, Frankenhooker), führt durch die Recherchen. Beginnen tut die Geschichte in den 20ern, als das Bewegtbild anfing, die Masse zu erreichen. Schon damals wussten kreative Köpfe Geld damit zu verdienen, so viel weibliche Haut zu zeigen, wie nur eben möglich. Der mittlerweile leider ebenfalls verstorbene David F. Friedman erzählt wie es dazu kam, dass die „Erziehungsfilme“ der 30er zum Kassenschlager wurden, und sich die „Exploitationeers“ aufmachten, das System auszureizen. Die Menschen standen Schlange für die neuesten „Loops“, kleine 10-Minüter sich räkelnder Frauen in Unterwäsche. Die damalige Zeit war prüde und wirtschaftlich im Umbruch, das Mainstreamkino konnte diesen Thrill nicht bieten. Unter dem Deckmantel von Sex-Hygiene und Drogen Aufklärung wurden also billig produzierte Filmchen, die nach heutigen Maßstäben kaum irgendwas zeigten, massenweise vertrieben  und ein wahrer Hype ausgelöst. Als mit dem Zweiten Weltkrieg auch noch das Pin-Up Girl zur Kukturikone wurde, und man anfing, die Burlesque Shows abzufilmen, war das Sexploitation Kino nicht mehr aufzuhalten. In den 50ern begann man, die schon von den Nazis begonnenen FKK Filme auszuschlachten.

In den 50ern schließlich lernte die Industrie auch, zu diversifizieren. So entstanden verschiedene Bereiche des Sexploitation Films. Die harmlosen „Cuties“ wurden später abgelöst durch die Gewalt und Vergewaltigung zelebrierenden „Roughies“. Beide hatten gemeinsam, dass eigentlich kein Sex zu sehen war. Aber genau das ist ja eigentlich der Clou an diesem Genre, es wurde ja das Thema Sex quasi zur Vermarktung und Rechtfertigung „ausgebeutet“. Sex selbst konnte man kaum zeigen. Aber auch das änderte sich. Die Gerichtsurteile, die erst Nacktheit für generell legal erklärten, und dann die vielen Verfahren die dem in den USA dezentralen Zensursystem langsam die Grenzen aufzeigten, führten dazu, dass man immer weiter ging. So etablierten sich auch langsam diejenigen Produktionen, die sich gegen Ende der 60er dann in den Pornofilm entwickelten, der das Genre schlussendlich zersetzte (warum ich das nicht ganz glaube, weiter am Ende des Artikels).Sexploitation

Hennenlotter und Friedman erzählen ausführlich, mit welchen Kuriositäten das Genre aufwarten konnte. Die bereits erwähnten Loops konnte man für wenige Cent an Maschinen in den Spielhallen gucken. In den 60ern schließlich wurden reihenweise Drogenfilme und Psychedelia produziert. Es gab Filme von nackten Frauen auf dem Mond, nackten Ureinwohnern die von Affen entführt wurden, Kinos deren Erfolg durch die Decke ging als sie anfingen, europäische Arthouse Filme zu zeigen (die für US Verhältnisse sehr freizügig waren), und so weiter. Besonders witzig ist auch, wie die Major Studios damals auf diesen Boom reagierten. Schließlich spielten einige dieser Filme so viel Geld ein, wie so mancher Hollywood Blockbuster heute (inflationsbereinigt). So produzierten am Ende auch die großen Studios Sexploitation Filme, verkauften diese aber, nachdem man merkte was man da finanziert hatte.

Doch wie kam es eigentlich zu Sexploitation? Einmal abgesehen davon, dass diese Filmemacher natürlich eine Marktlücke schlossen, ist ein Großteil der Entwicklung der Selbstzensur geschuldet, welche die damalige Zeit prägte. Die Moralvorstellung des eher katholisch geprägten Nordostens und des protestantischen Vorstadt-Mittelstands ließen keinen Raum für sexuelle Freizügigkeit. Obwohl es auf Bundesebene keine offizielle Zensur gab, auferlegten sich viele Bundesstaaten oder Großstädte eigene Regeln – man würde heute Jugendschutzgesetze sagen. Das führte auch dazu, dass von Ort zu Ort unterschiedliche Versionen solcher Filme liefen, und verschiedene Varianten von freizügigen Szenen gedreht wurden. Der Hays Code, der später in der Altersklassifizierung der MPAA mündete die in seiner politisch fragwürdigen Struktur bis heute Bestand hat, war schließlich das Wertegerüst mit dem sich die konservativen Elemente der Unterhaltungsindustrie diesen Enwicklungen aus den Schmuddelkinos wehren wollten. Vergebens.

That's Exploitation! Friedman

Die 60er und 70er letztendlich brachten eine Revolution mit sich was Sexualität, Drogen, Diskriminierung, Pazifismus und Meinungsfreiheit anbelangte, und das machte auch vor der Unterhaltungsindustrie nicht halt. Das Mainstream Kino übernahm viele Elemente dessen was vorher noch Sexploitation war. Das Aufkommen der Hardcore Pornografie führte zu einem Zusammensturz des Marktes für die tatsächlichen Exploitation Filme, und mit dem Aufkommen von Video waren die Grindhouses und Autokinos in den 80ern dann fast von der Bildfläche verschwunden. Auch politisch schwang das Pendel dann wieder zurück. Von der sexuellen Revolution blieb  nicht viel übrig.

THAT’S SEXPLOITATION verbringt viel Zeit mit der Anfangsphase des Genres, und erläutert mit Hilfe von umfangreichem Archivmaterial  die Enwicklung des Sexploitation Films von den Anfängen bis in die 60er Jahre. Es ist wunderbar, dass man Friedman selbst diese Entwicklungen erzählen lässt. Mein Hauptkritikpunkt ist jedoch, dass bei all dem Archivmaterial der Informationsgehalt der Dokumentation etwas auf der Strecke bleibt. Man erfährt wenig Kontext und die Namen beschränken sich eher auf den Blickwinkel von Hennenlotter und Friedman. Das Genre war bei weitem breiter und vielfältiger als von den beiden dargestellt. Die Länge des Films ist erschreckend, wenn man bedenkt (und jetzt greife ich mein Argument von oben auf) dass Sexploitation bei Leibe nicht mit dem Anfang der 70er zu Ende war. Schon wenn es um die 60er geht, wird die Doku auffällig flach und übersichtlich. Die 60er bescherten dem Genre nämlich eigentlich nochmal einen wahren Boom and Erotikfilmen, und es kam eine echte Welle an Filmen dann aus Europa welche den Markt völlig umkrempelten. Man denke an Emmanuelle, den ich vor einigen Monaten hier rezensiert hatte. THAT’S SEXPLOITATION ist klar eine Dokumentation über die Anfänge des Amerikanischen Sexploitation Kinos. Dafür ist es enorm unterhaltsam und sehenswert, aber man muss zur umfangreichen „Ausbildung“ definitiv auch andere Quellen zu Rate ziehen.

Trailer:

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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