Die Farben der Nacht / Tutti I Colori Del Buio

Nach einem schweren Unfall, bei dem sie ihr ungeborenes Kind verlor, wird eine junge Frau von grausigen Alpträumen geplagt. Ihre Schwester rät ihr, die Hilfe eines Psychiaters in Anspruch zu nehmen, doch auch das hilft nichts. Schließlich gerät die junge Frau in die Fänge einer seltsamen Okkultismus-Gruppe, in der Hoffnung, dort den Ursprung ihrer quälenden Visionen zu finden. Doch plötzlich kommt es zu den merkwürdigsten Todesfällen in ihrer Umgebung und hinter allem scheint die mysteriöse Sekte zu stehen. Es scheint, als würden ihre schlimmsten Alpträume wahr werden.

Trotz seines italienischen Ursprungs, seines widersinnigen Titels und seiner Vermarktung auf den modernen Medien, stellt Die Farben der Nacht keinen giallo im klassischen Sinne dar. Stattdessen handelt es sich eher um einen Cousin zweiten Grades des giallo – einen „lasst uns einer hübschen Dame beim Verrückt werden zusehen“ Flick, eine Art Ausläufer der großen Strömung, für den die Italiener bedauerlicherweise nie ein Wort erfunden haben, um ihn prägnanter zu beschreiben. Doch dazu später mehr. In dem vorliegenden Exemplar ist es Edwige Fenech, die ihren Verstand verliert, als sie mit einem satanischen Kult in Kontakt gerät. Sergio Martino orientiert sich dabei offensichtlich an Rosemary’s Baby, wobei er allerdings auf den subtilen, schleichenden Terror der Vorlage verzichtet und stattdessen versucht einen Film zu konstruieren, der fast ausschließlich aus dem fieberträumerischen Material besteht, das Polanski über seinen gesamten Film hinweg sorgfältig aufgeteilt präsentiert. Martinos Film wird mit einer unheimlichen Landschaftsaufnahme eröffnet, die in schwaches Tageslicht gehüllt ist, das nach und nach immer trüber wird bis es in völliger Dunkelheit mündet, fast so, als ob man langsam einschlafen würde. Was vollkommen angemessen ist, da man nun in einen Alptraum mit surrealen Bildern einer schwangeren Frau hineingeworfen wird und schnell erkennt, dass dieser Alptraum von Jane Harrison (Edwige Fenech) geträumt wird – sie hat vor kurzem ihr ungeborenes Kind bei einem Autounfall verloren und versucht seither, gemeinsam mit ihrem Freund Richard Steele (George Hilton), damit fertig zu werden. Dies bildet den grundlegenden Kern von Tutti I Colori Del Buio; wie in Rosemary’s Baby, folgt man im Grunde Jane, wie sie allmählich ihre Vernunft verliert. Sie sucht Hilfe bei einem Psychologen (George Riguad) und ihrer Schwester (Nieves Navarro, hier als Susan Scott), die ihr beide versichern, dass sie nicht verrückt ist, obwohl ihr von einem verstörenden Kerl mit stechend blauen Augen (Ivan Rassimov) nachgestellt wird. Dieser unheimliche Fremde jagt über verschiedene Standorte hinweg hinter ihr her, was zu einigen schwindelerregenden, schauderhaften Verfolgungssequenzen führt, wobei sich der Innenraum des Wohngebäudes – vor allem der Aufzug und die Treppe – unweigerlich in ein Kaleidoskop des Terrors verwandelt. Martino facht diese Momente konsequent mit den grellen Elementen einer anhaltenden alptraumhaften Atmosphäre an, die wunderbar dazu beiträgt, die Grenzen zwischen Traum und Realität zu verwischen. Er übertreibt es ein wenig, als er beginnt Träume in Träumen zu verstecken; ein Trick, der letztendlich nervig wird und den schwächsten Aspekt von Die Farben der Nacht offenbart: das vergleichsweise schlaffe Skript, das beinahe nichts Anderes als eine Sammlung dieser psychedelischen Momente bereit hält – so, als würde jemand einen Traum in dem Sinne wiedergeben, dass echte Logik oder Erklärungen in Träumen nie stattfinden.

Das meiste davon ist darauf zurückzuführen, wie Tutti I Colori Del Buio am ehesten von Rosemary’s Baby abweicht. Das erdrückende Innere des Apartmentgebäudes wird oft verlassen, während der Zuschauer schon früh in das satanische Element eingeführt wird; was tatsächlich nichts Heimtückisches darstellt, da sich Jane willentlich auf die Botschafterin des Kults, Mary (Marina Malfatti), einlässt. Dies führt dazu, dass Fenechs Charakter ziemlich begriffsstutzig porträtiert werden muss, um ihre Handlungen rechtfertigen zu können, aber es resultiert auch gleichzeitig in all den bizarren Dingen, die der Kult zu bieten hat. Es wäre eben einfach noch toll gewesen, wenn das alles wenigstens in einer halbwegs sinnvollen Art und Weise verbunden worden wäre; denn das einzige wirklich ersichtliche Mysterium wird durch die von Rosemary’s Baby informierten residual Ängste erzeugt – natürlich soll Janes Freund Richard verdächtigt werden, da John Cassavettes ja schließlich auch Mia Farrow hintergeht. Eine echte Überraschung gibt es lediglich gegen Ende, wenn sich herausstellt, dass die Ereignisse wegen etwas Anderem orchestriert wurden. Erst jetzt nimmt der Film giallo Merkmale wirklich für sich in Anspruch (speziell die Kleidung des Mörders und die Thematiken von Ehebruch, Erpressung und Mord), indem diese in die Geschichte über den Hexenkult eingebettet werden, allerdings weitgehend unentwickelt bleiben. An dieser Stelle soll nun der Versuch unternommen werden kurz zu erörtern wie der giallo filone Die Farben der Nacht im Zyklus der Strömung giallo eingeordnet werden kann.

Wie der krimi, muss sich auch der giallo den Vorgaben der kartesischen Logik unterwerfen, egal wie barock die Aufklärung des Verbrechens auch sein mag. Die meisten dieser Filme vermeiden es ganz bewusst eine übernatürliche Erklärung für die Delikte zu Gunsten einer rationelleren zu präsentieren. Übernatürliche Elemente mögen als Begründung für die Morde angegeben werden (wie in Crispinos Autopsy), der Mörder ist jedoch immer menschlich. Nimmt man die exploitativen Aspekte der Kriminalliteratur etwas genauer unter die Lupe, nämlich die grafische Darstellung von Gewalt und Mord, werden diese giallo Filme oft direkt mit dem Horror-Genre verbunden, obwohl die Beteiligung irgendeiner übernatürlichen Kraft fehlt. Es existiert allerdings eine kleine Zahl von gialli-artigen Filmen, die von der visuellen Rhetorik des giallo übernehmen, diese Rhetorik aber im Zusammenhang eines eher traditionellen übernatürlichen Horrorfilms verorten. Kim Newman deklariert diese Filme auf eine sehr angemessene Art und Weise als giallo-fantastico (vgl. Newman, 1986a, Seite 23). Das wahrscheinlich beste Beispiel für diesen filone ist Dario Argentos Phenomena (1985), worin dem traditionell gekleideten giallo Killer von dem traditionellen Amateur-Detektiv nachgespürt wird. Der ist in diesem Film die junge Jennifer (Jennifer Connelly), die telepathisch mit Insekten kommunizieren kann und durch diese Fähigkeit in der Lage ist den Mörder ausfindig zu machen. Maitland McDonagh bezeichnet Phenomena als einen giallo mit paranormalen, wenn nicht sogar phantastischen Grundlagen (vgl. McDonagh, 1994, Seite 187). Mario Bavas Operazione paura (Die toten Augen des Dr. Dracula, 1966) konstituiert einen typischen Conan Doyle „murder-mystery“ Plot, in dem der Detektiv versucht zu widerlegen, dass eine Reihe von Selbstmorden durch die Begegnung mit einem Geist ausgelöst wurde. Doch der Geist eines jungen Mädchens sucht tatsächlich ein deutsches Dorf heim und zwingt jeden, der sie zu Gesicht bekommt, sich selbst umzubringen. Eine „Mörder-Katze“ treibt in Lucio Fulcis Il gatto nero (The Black Cat, 1981) ihr Unwesen, trotz aller giallo Anleihen. Wohingegen Hexen und giallo Mörder (wie in Die Farben der Nacht) auch in José Mariá Elorrietas Las amantes del diablo (Tanz des Satans, 1971) und Riccardo Fredas Follia omicida / L’Obssesione che uccide (Murder Obsession / The Wailing, 1981) eine gewichtige Rolle spielen, während Aldo Lados La corta notte delle bambole di vetro (Malastrana, 1971) von einem satanischen Sex-Kult handelt. Peter Scheinpflug differenziert in diesem Zusammenhang den Giallo-Gothic-Horror-Hybriden mit übernatürlichen Phänomenen wie die oben genannten, hier giallo fantastico, noch etwas strenger, indem er Filme, „die das Gothic-Horror-Narrativ nachträglich als Plot in einem Giallo-Narrativ demaskieren“ wie Riccardo Fredas Lo spettro (The Ghost, 1963), Emilio Miraglias La notte che Evelyn uscì dalla tomba (Die Grotte der lebenden Leichen, 1971), La morte negli occhi del gatto (Sieben Tote in den Augen der Katze, 1973), La dama rossa uccide sette volte (The Red Queen Kills 7 Times, 1972), Tutti i colori del buio (Die Farben der Nacht, 1972) oder Il profumo della signora in nero (The Perfume of the Lady in Black, 1974) als giallo pseudofantastico deklariert (vgl. Scheinpflug, 2014, Seite 16-17; 152-154: Genre-Mixing und Genre-Hybridität). Der giallo fantastico sowie der giallo pseudofantastico ist vergleichsweise selten, sehr sehenswert und wichtig genug, um zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher besprochen zu werden.

Achtung Spoiler !!!

Bleiben die giallo Elemente auch weitgehend unentwickelt, so kreiert Martino auf den zweiten Blick doch ein ansprechend ambivalentes Szenario. Mit Die Farben der Nacht stellt er das hexerische Heidentum als etwas inhärent Böses und Gefährliches dar. In einer Sequenz – wo man sich auch nicht sicher sein kann, ob es sich um ein wirkliches Ritual handelt, oder „nur“ um eine von Janes Halluzinationen – kann man beobachten wie der Anführer des Kultes (Julian Ugarte) eine hundeähnliche (?) Kreatur opfert, bevor er Jane zwingt dessen immer noch warmes Blut zu trinken; aus der Grausamkeit wird hier ein Symbol des Bösen. Der Leutnant des Hexen-Covens, Mark (Ivan Rassimov), ein Mann mit stechenden, wolfähnlichen Augen, ermordet drei Menschen, die versuchen Jane aus den Klauen des Kults zu befreien, indem er sie mit einem zeremoniellen Dolch ersticht. Diese Beschreibung von Hexenkunst ist typisch für den Horrorfilm, doch es sind die Aktionen von Janes Partner, Richard, die beginnen die mutmaßliche Polarität zwischen „guten, normalen“ Menschen und „bösen, sündhaften“ Satanisten zu komplizieren: Um Jane und vor allem sich selbst vor den hinterhältigen Heiden beschützen zu können, tötet Richard genauso oft wie Mark, der von ihm mit einer Mistgabel erstochen wird. Janes Schwester Barbara erschießt er, weil sie heimlich auch ein Mitglied des Covens ist und letztendlich schubst er noch den satanischen Anführer vom Dach in den Tod. Wenn Richard genauso viele Leute umbringt, wie die Anhänger des Kultes, worin besteht dann der Unterschied zwischen den Parteien? Richard foltert zwar keine Opfertiere, hat jedoch eine Affäre mit Barbara – während deren Schwester versucht sich von dem Verlust ihres gemeinsamen Babys zu erholen – die er beendet, indem er sie einfach abknallt. Tutti i colori del buio verunglimpft Hexenkunst als eine teuflische Praktik, doch die Handlungen der angeblich heroischen Charaktere untergraben diese moralische Gewissheit.

Letztlich produziert Sergio Martino mit Die Farben der Nacht einen ziemlich ansprechenden Euro-Horror-Streifen, der trotz schwächelnden Skriptes, hauptsächlich aufgrund der hervorragenden Kinematographie und der gut aufgelegten Schauspieler,  zugegebenermaßen besser als die meisten durchschnittlichen Gothic-Horror-Giallo-Hybriden ist. Edwige Fenech ist als die rabenhaarige Schönheit Jane bezaubernd wie eh und je, wobei man ihre seidige Haut des öfteren dargeboten bekommt. Während hier der Sleaze-Faktor nicht wie bei einigen Pendants in die Höhe getrieben wird, pulsiert der Film vor sexueller Anspannung. Die Gewalt ist nicht so exploitativ und aufwendig gestaltet wie das, was man in einigen gialli der eher klassischen Sorte finden kann, sie verleiht dem Film jedoch schon eine gewisse Grisalität, vor allem wegen des satanischen Zeugs. Die weiteren Darbietungen von den oben genannten Schauspielern fühlen sich oft so mechanisch an wie die Handlung (was wahrscheinlich aber, zumindest teilweise, intendiert war), so dass das Navigieren durch diesen Film mit Stolpern in der Dunkelheit zu vergleichen ist. Was in diesem Fall allerdings nicht unbedingt als negativ betrachtet werden soll.

X-Rated veröffentlicht Die Farben der Nacht als Nummer 22 der X-Rated-Eurocult-Collection im Mediabook (DVD+Bluray) mit zwei verschiedenen Covern. Bild und Ton bewegen sich auf hohem Niveau, da kann man mehr als zufrieden sein. Das Highlight der Extras ist wieder einmal der Audiokommentar von Prof. Dr. Marcus Stiglegger, der die Bedeutung dieses Filmes, seine Vergleiche zu Polanski und Rosemarys Baby und die Analyse darüber, warum dieser Film eine Mischung aus Giallo und Horrorfilm ist, darstellt. Auch das Tenebrarum-Booklet mit einer neuen analytischen Betrachtung des Films von Martin Beine ist enorm lesenswert. Die weiteren Boni bestehen aus dem italienischen und internationalen Trailer, dem englischen Vor- und Abspann, TV-Spots, US-Credits, Werbematerial, einem Fotoroman, einem informativen und unterhaltsamen Interview mit Regisseur Sergio Martino über die Entstehung dieses Filmes, die Auswahl der Schauspieler, den Produktionsumständen und dem ursprünglichen Drehbuch, sowie dem visuellen Audiotrack von Bruno Nicolai „Sabba“. Die italienische Originalfassung kann man zusätzlich mit der deutschen Übersetzung untertiteln und wäre das nicht schon genug, so kann man sich auch noch das informative Tenebrarum-Special Sergio Martino und der Giallo von Martin Beine anschauen bzw. lesen.

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  • Darsteller: George Hilton, Edwige Fenech, Ivan Rassimov, Susan Scott
  • Regisseur(e): Sergio Martino
  • Format: Limited Edition, Widescreen
  • Sprache: Italienisch (Dolby Digital 2.0), Deutsch (Dolby Digital 2.0)
  • Untertitel: Deutsch
  • Region: Region B/2
  • Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
  • FSK: Nicht geprüft
  • Studio: X-Rated
  • Produktionsjahr: 1972
  • Spieldauer: 95 Minuten

Diese BluRay wurde uns freundlicherweise von X-Rated zur Verfügung gestellt.

https://www.youtube.com/watch?v=brl_mEHVXwg

 

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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