Ingenium – Die Vergangenheit wird zum Albtraum

Felicitas und Natascha teilen als Waisen und beste Freundinnen eine schicksalhafte Vergangenheit: Während Natascha in einer Irrenanstalt ihr Dasein fristet, kämpft Felicitas gegen wiederkehrende Albträume, deren Ursprung sie sich nicht erklären kann. Bis ihr Leben eines Tages vollends Kopf steht, als sie im Urlaub die Thailänderin Gai kennenlernt, die kurz darauf vor ihren Augen bei einem Überfall ermordet wird. Nach Felis Rückkehr nach Berlin kommen zu ihren Albträumen nicht nur Erinnerungslücken dazu, sie findet auch eine Nachricht auf ihrem Handy, die ihr Gai kurz vor ihrem Tod hinterlassen hat. Um diese zu entschlüsseln, benötigt Feli aber die Hilfe von Natascha – und bringt damit eine Kettenreaktion in Gang, die beide Frauen erkennen lässt, dass ihr Leben einer einzigen Lüge gleicht, aus der es keinen einfachen Ausweg zu geben scheint. Denn das Geheimnis ihrer Vergangenheit ist viel größer, als Feli es jemals erahnt hätte… (Camera Obscura)

Beeindruckend! Ingenium, der Film von Regisseur Steffen Hacker aus dem Jahr 2018 gelingt es doch tatsächlich sein Publikum wirklich in die fernen Orte Berlins und Thailands zu entführen, was eine willkommene Abwechslung in dieser Zeit der Selbstquarantäne darstellt. Ingenium versteht es zu begeistern und einige herzrasende Momente zu produzieren, die berühmten amerikanischen Actionfilmen nahe kommen, allerdings abzüglich der frechen one-liners. Ingeniums Thema gestaltet sich nämlich ziemlich ernst, da sich der Hintergrund der Geschichte um unfreiwillige wissenschaftliche Forschung handelt und seine Charaktere mit Kindheitstraumata und Gedächtnisverlust zu kämpfen haben. Es handelt sich glücklicherweise nicht um ein Stranger Things für Erwachsene, denn Ingenium beginnt auf seine einzigartige Art und Weise als Mysterium und verwandelt sich in einen perfekt verschmolzenen Psycho-Sci-Fi-Thriller. Die Hauptrolle übernimmt Esther Maaß als „Feli“, eine junge Frau, die als Kind bei einem schrecklichen Unfall ihre Eltern verloren hat und in einem Waisenhaus aufgewachsen ist.

In der Therapie erinnert sie sich an ihre beste Freundin Natascha (Judith Hoersch), mit der sie im Waisenhaus aufgewachsen ist, sich aber inzwischen von ihr entfremdet hat, da Natascha in einer Irrenanstalt eingesperrt ist. Feli beschließt, den Urlaub nachzuholen, den sie schon immer zusammen mit Natascha machen wollte und packt ihre Sachen für Thailand, wo sie die zuvorkommende junge Thailänderin Gai für eine Nacht voller spontanem Spaß kennenlernt. Allerdings entwickelt sich der Urlaub von spaßig zu Furcht erregend, da Gai ermordet wird, was dazu führt, dass Feli ein mysteriöses Foto zugespielt wird, das angeblich den Schlüssel zu ihren lückenhaften Erinnerungen enthält. Als die Fassade ihrer Welt zu bröckeln beginnt, muss Feli die Wahrheit über ihre eigene Identität herausfinden, bevor sie sich der Wahrheit der Menschen in ihrem Leben stellen kann.

Die anfängliche Actionszene erzeugt gemischte Gefühle, sie ist zwar sehr gut choreografiert, doch die dazugehörige Musik klingt wie aus einem Blockbuster-Actionfilm, der nicht richtig zu Ingeniums Kinematographie passt – vielleicht wäre es besser gewesen, einfach ohne Musik zu arbeiten und sich darauf zu konzentrieren, dass die Klangmischung Schläge und Atmung während der Kampfsequenzen betont. Der Film mag auf der einen Seite sein geringes Budget aufgrund seiner gewählten Musik offenbaren, auf der anderen Seite überrascht er, indem er aussieht wie ein Tony Scott Film, der es wagt, eine weibliche Hauptrolle auf zu bieten. Es handelt sich nicht gerade um einen „feministischen Film“ an sich, doch das Publikum lernt die Intelligenz und die Stärke der immer vollkommen bekleideten weiblichen Charaktere zu schätzen, da die Abhängigkeit vom Sexappeal damit vermieden wird, was bei so vielen Actionfilmen mit weiblicher Hauptrolle nicht der Fall ist.

Der Flick wurde sehr gut nachbearbeitet, während das Drehbuch von den Schauspielern hervorragend umgesetzt wird, was zu einem enorm kohärenten Streifen führt. Der Film hat ein qualitativ hochwertiges Aussehen, aber auch rohen Kamera-Stil mit ein wenig handheld action zu bieten, damit sich das Publikum mittendrin im Geschehen fühlt. Außerdem erweist sich die Farbgebung als recht schattig, was dazu beiträgt, die dunkle Atmosphäre des Films zu erzeugen. Das Zusammenspiel der mentalen Probleme der Charaktere in Verbindung mit einer Supermacht gestaltet sich enorm interessant, wobei diese Aspekte der Erzählung ein wenig an Glass (2019) erinnern. Sobald sich diese beiden Aspekte überschneiden, wird der Film intensiver – selbst wenn man denkt, der Film ist jetzt vorbei, geschieht etwas noch Intensiveres. Obwohl es normalerweise nicht schätzenswert ist, wenn ein Film auf einem Cliffhanger endet, der offensichtlich einen Plot für eine Fortsetzung erzwingt – eine Fortsetzung sollte vom Publikum und nicht vom Regisseur verlangt werden – könnte man in diesem Fall dennoch dazu neigen, sich eine Fortsetzung dieses Films aufgrund seiner kraftvollen Darstellung des Heroinismus und seiner überraschend spannenden Handlung über zwielichtige wissenschaftliche Forschung sowie Traumata, ansehen zu wollen.

Ingenium ist so interessant, weil es sich um einen deutschen Film handelt, der sich jedoch seltsam amerikanisch anfühlt, mit bekannten Actionfilmaufnahmen und musikalischer Untermalung. Ingenium wurde wie ein On-the-Run Film mit einer Handvoll von Kampfszenen und Verfolgungsjagden gedreht, wobei sich seine Erzählung sowohl bei Science-Fiction-Flicks, als auch bei Psychothrillern anlehnt. Der Streifen hat einige Auszeichnungen erhalten und zwar für die beste Schauspielerin und den besten Science-Fiction-Film, was nicht verwunderlich ist, da Esther Maaß die Zuschauer mit ihrer packenden Vorstellung regelgerecht umhaut. Ingenium repräsentiert mit Sicherheit eine wirklich spannende Angelegenheit und kann auf VOD, BluRay und DVD von jedem angesehen werden, der nach einem aufregenden Femme Fatale, Action, Mystery Flick sucht und sich mit einer leicht unchronologischen Handlung auseinandersetzen kann.

Camera Obscura veröffentlicht Ingenium im limitierten Mediabook mit exklusivem Artwork. Bild (2.35:1 /1080p) und Ton (Dolby Digital 5.1) bewegen sich auf wirklich gutem Niveau, da gibt es nichts zu beanstanden. Deutsche, französische oder englische Untertitel können zugeschaltet werden. Das Bonusmaterial besteht aus den Featurettes The Making of Ingenium und Visual Effects sowie Outtakes, einem Musikvideo und einem Trailer. Insgesamt handelt es sich bei Ingenium um eine tolle Mediabook-Veröffentlichung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

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  • Seitenverhältnis : 16:9 – 2.35:1
  • Alterseinstufung : Freigegeben ab 16 Jahren
  • Medienformat : Breitbild
  • Laufzeit : 1 Stunde und 28 Minuten
  • Darsteller : Maaß, Esther, Hoersch, Judith, Topol, Adrian, De Maeyer, Tony, Kramann, Augistin
  • Untertitel: : Deutsch, Englisch, Französisch
  • Sprache, : Deutsch (Dolby Digital 5.1)
  • Studio : Camera Obscura Filmdistribution

Diese Edition sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von Camera Obscura zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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