Leichen muß man feiern, wie sie fallen / Giallo napoletano / Atrocious Tales of Love and Death

Der abgebrannte Mandolinenspieler Capece nimmt einen geheimnisvollen Auftrag an. Er soll um fünf Uhr morgens vor einem bestimmten Haus eine Serenade spielen. Während er die Saiten zupft, fallen Schüsse. Ein Mann stürzt tot aus dem obersten Stockwerk. Zwar kann Capece Kommissar Voghero davon überzeugen, dass er nicht der Täter ist, doch fortan gibt es immer, wenn er die Melodie spielt, eine weitere Leiche. Der Neffe des ersten Opfers, der Dirigent Navarro, beauftragt Capece die Morde aufzuklären… (Donau Film)

Sergio Corbuccis einziger Ausflug in den Bereich des Giallo beginnt mit einem aussagekräftigen Bild: einer Nahaufnahme von Schwarz-Weiß-Bildern des Regisseurs Alfred Hitchcock und des Komödien-Schauspielers Totò, die nebeneinander zu sehen sind. Der Kontrast ist als passend zu bezeichnen, da Leichen muss man feiern, wie sie fallen eine Mischung aus Thriller- und Komödien-Elementen darstellt. Die Geschichte wurde vom Regisseur entworfen und spielt sich auf angenehm merkwürdige Art und Weise ab. Es sind einige brauchbare „rote Heringe“ sowie genügend Mord und Totschlag vorhanden, um zu bestätigen, dass sich Corbucci nicht unvorbereitet auf Giallo-Terrain wagte. Der Film erforscht zwar weder die schäbigen, noch die brutalen Bereiche des filone, funktioniert aber dennoch als befriedigendes Whodunit, während er einige der „Genre“-Konventionen auf gut gelaunte Art und Weise zum Einsatz bringt. Die starken Charakterisierungen tragen zur Attraktivität des Films bei. Raffaele Capece kann als ein sympathischer Protagonist beschrieben werden. Er ist Musiker und ein echter Pechvogel, der es versteht dank seiner Schlagfertigkeit zu überleben.

Er wird von einigen zwielichtigen Geschäftspartnern, denen er einen Gefallen schuldet, ins Chaos gestürzt und stellt seine eigenen Ermittlungen nur an, um seine eigene Haut zu retten. Im Gegensatz zum typischen Argento-Protagonisten, der von einem krankhaften Zwang angetrieben wird, ist Capeces Motivation daher rein praktischer Natur. Er verehrt den angesehenen Dirigenten Victor Navarro und ist überrascht, als der Maestro in das Mysterium verwickelt wird. Die beiden Männer teilen eine ähnliche Liebe zur Musik und einen vergleichbaren körperlichen Defekt, nämlich ein lahmes Bein. Doch wie die beiden ihr jeweiliges Handicap erlangt haben, wird bedeutend kontrastiert: Raffaele litt als Kind an Polio, während Victor sich das Bein beim Polo spielen verletzte. Die Symbolik ist offensichtlich, da Raffaeles von Armut geprägter Hintergrund im Gegensatz zu dem des viel wohlhabenderen Victor steht. Lucia Navarro fungiert in der Geschichte als die ultimativ schöne sowie mysteriöse Frau, wobei sich zeigt, dass sie tatsächlich die Frau von Victors drogenabhängigem Sohn Walter ist.

Lucia ist Krankenschwester, weswegen sie ihr Status als Mitglied der Arbeiterklasse sofort vom Ästheten Victor und seinem allgemein trägen (und fehlgeleiteten) Nachkommen trennt. Sie erweist sich als eine Frau von enormen Willen sowie Einfallsreichtum und bereitet Victor als solche einiges an unerwarteten Schwierigkeiten. Im Gegensatz dazu ist Kommissar Voghera als eine scharfsinnige Parodie auf den bösartigen Bürokraten mit einem Händchen für Prahlerei zu sehen, jedoch mit wenig echtem gesundem Menschenverstand. Vogheras Interaktionen mit dem listigen Raffaele bereiten echte Freude, da es der kleine Musiker bestens versteht ihn auf Schritt und Tritt zu überlisten und sich gleichzeitig in der Kunst der Deduktion als weitaus gewitzter zu erweisen. Im Gegensatz zu einer Reihe von komödiantischen Thrillern dieser Zeit – darunter Stenos Doppio delitto (Vom Blitz getroffen, 1977), auch mit Marcello Mastroianni – passt Giallo napoletano aufgrund seiner fröhlich krankhaften Veranlagung durchaus in das „Genre“.

Der Gewaltquotient ist ziemlich niedrig angesetzt, besonders wenn man die sadistische Note betrachtet, die Corbucci in seinen Italo-Western an den Tag legt (man denke nur an die Schrecken, die Django widerfahren), doch die Reihe von Morden kombiniert mit der endgültigen Enthüllung der Motivation des Mörders verwurzelt den Film fest im Bereich des Giallo. Corbucci legt zwar einen Großteil des Films zum Lachen an, Spannung wird jedoch trotzdem durch die Sympathie des Publikums für Raffaele und dem Wunsch generiert, dass er seine Unschuld beweisen kann. Corbucci lenkt den Film mit Blick auf Tempo und komödiantisches Timing. Glücklicherweise sind die Witze auch wirklich lustig und wurden gut in das Material integriert. Die italienische Komödie lässt sich nicht immer optimal für ein ausländisches Publikum übersetzen, doch der bissige Dialog und die fachmännischen Darbietungen lassen diesen Streifen zu einer willkommenen Ausnahme werden. Luigi Kuveillers elegante Kinematographie liefert beeindruckende Bilder ab, während Riz Ortolanis eingängige Musik einen willkommenen Bonus darstellt. Er zitiert sogar seinen beliebtesten Hit, wobei der Oscar-nominierte Track „More“ aus Mondo Cane (1962) einmal im Radio zu hören ist.

Marcello Mastroianni, der als Raffaele Capece eine tolle Vorstellung abliefert, führt die herausragende Besetzung an. Mastroianni hatte ein besonderes Talent dafür charmante Charaktere zu spielen, was hier mit absoluter Sicherheit der Fall ist. Der Schauspieler gab sich nie damit zufrieden, sich auf sein gutes Aussehen zu verlassen und fühlte sich in der Tat unwohl damit, wenn die Presse darauf bestand, ihn als „Latin Lover“ zu porträtieren. Eine solche Charakterrolle muss ihm daher besonders willkommen gewesen sein. Er ist durchweg lustig sowie sympathisch und hat auch einige seltsam berührende Momente zu bieten, wenn der Wunsch seines Charakters nach Wohlstand und Erfolg in den Vordergrund rückt. Die wunderschöne Ornella Muti macht eine sehr gute Figur als Lucia Navarro. Der Charakter ist zunächst rätselhaft angelegt worden, vertieft sich jedoch und wird im Verlauf der Geschichte immer interessanter. Muti vermittelt die innere Stärke und den Groll der Figur gegenüber ihren snobistischen Schwiegereltern sehr effektiv und zeigt auch in ihren Szenen mit Mastroianni ein Gespür für komisches Timing.

Victor Navarro wird vom angesehenen Michel Piccoli hervorragend verkörpert. Sein Gespür einen intellektuellen aber dekadenten Charakter zum Ausdruck zu bringen kommt hier sehr gut zum Tragen, da sein Victor auf Raffaele und die anderen „minderwertigen“ Neapolitaner herabblickt. Piccoli wurde 1925 in Paris geboren. Er begann mit Bühnenschauspiel, bevor er 1945 sein Filmdebüt gab. Piccolis frühe Karriere ist als nicht allzu beeindruckend zu beschreiben, doch mit La mort en ce jardin (Pesthauch des Dschungels, 1956) begann er eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem großen surrealistischen Filmemacher Luis Buñuel, die Klassiker wie Le journal d’une femme de chambre (Tagebuch einer Kammerzofe, 1964), Belle de jour (Belle de Jour – Schöne des Tages, 1967) und Le charme discret de la bourgeoisie (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, 1972) umfassen sollte. Piccolis ursprünglicher Filmdurchbruch sollte 1963 stattfinden, als Jean-Luc Godard ihn als den unentschlossenen Drehbuchautor in Le mépris (Die Verachtung, 1963) besetzte. Piccoli pendelte zwischen kommerziellen Aufträgen sowie „Arthouse“-Ware und trat unter anderem in Basil Deardens Masquerade (Agenten lassen bitten, 1965), Mario Bavas Diabolik (Gefahr: Diabolik!, 1968), Alfred Hitchcocks Topaz (Topas, 1969), Marco Ferreris La grande bouffe (Das große Fressen, 1973) und Elio Petris Todo Modo (1976) auf. Piccoli spielte seine letzte Rolle im sogenannten sleeper hit Holy Motors (2012) und verstarb im Mai 2020.

Regisseur Sergio Corbucci wurde 1926 in Rom geboren. Er hat sein Interesse an Filmen zu einer Karriere gemacht, indem er zunächst als Filmkritiker gearbeitet und dann selbst den Sprung zum Filmemacher geschafft hat. Sein Regiedebüt gab er 1951 und er etablierte sich bald als fähiger Arbeiter in verschiedenen Genres wie Pepla (Il figlio di Spartacus / Der Sohn des Spartakus, 1962) und Komödien (Totò, Peppino e … la dolce vita / Totò, Peppino und das süße Leben, 1961). Seinen ersten Western, Massacro al Grande Canyon (Keinen Cent für Ringos Kopf, 1964), inszenierte er unter dem Pseudonym Stanley Corbett. Bei Django (1966) führte er unter seinem eigenen Namen Regie und etablierte sich dabei für eine Legion hingebungsvoller Italo-Western-Fans als „der andere Sergio“. Sollte Sergio Leone der unbestrittene König des Genres gewesen sein, dann war Corbucci sein Kronprinz. Sein Stil vermischte das Poetische mit dem Chaotischen, das Kunstvolle mit dem Unordentlichen, wobei grausame Gewalt und ein nihilistischer Einschlag oft mit grotesker Komödie kontrastiert wurden. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts lieferte Corbucci eine Reihe herausragender Titel im Western-Genre, darunter Il grande silenzio / Leichen pflastern seinen Weg, Il mercenario / Mercenario – Der Gefürchtete (beide 1968), Gli Specialisti (Fahrt zur Hölle ihr Halunken, 1969) sowie Il Mercenario (Mercenario – Der Gefürchtete, 1970) und La banda J. & S. – Cronaca criminale del Far West (Die rote Sonne der Rache, 1972). Als der Western in Italien aus der Mode kam, wechselte Corbucci mit weniger Erfolg zu anderen Genres. Leichen muss man feiern, wie sie fallen ist der einzige Giallo, den Corbucci jemals inszenierte, obwohl er als Co-Autor von Mario Bavas La ragazza che sapeva troppo (The Girl Who Knew Too Much, 1963) am ersten der „echten“ filmischen Gialli beteiligt war. Corbucci starb 1990 im Alter von 63 Jahren.

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  • Seitenverhältnis : 16:9 – 1.77:1, 16:9 – 1.78:1
  • Alterseinstufung : Freigegeben ab 12 Jahren
  • Regisseur : Corbucci, Sergio
  • Laufzeit : 1 Stunde und 59 Minuten
  • Darsteller : Mastroianni, Marcello, Muti, Ornella, Piccoli, Michel, Araya, Zeudi, Capucine
  • Untertitel: : Deutsch
  • Studio : Donau Film
https://www.youtube.com/watch?v=kpY0V4CLvO0

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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