Murder Rock / Murderock – Uccide a passo di danza

Eine geheimnisvolle Mordserie gibt der New Yorker Polizei Rätsel auf. Kommissar Borgess steht vor einem Rätsel. In einer Tanzschule, in dem ehrgeizige junge Leute auf eine Weltkarriere vorbereitet werden, geschieht ein Mord nach dem anderen. Einige Mädchen werden immer nach dem gleichen Schema auf grauenvolle Weise umgebracht. Wer ist der Täter? Schulleiter Dick Gibson, der ständig Verhältnisse mit seinen Schülerinnen hat? Tänzer Willy, der mit zwei der Mordopfer bis zuletzt zusammen war? Oder ist der Mörder woanders zu suchen? (X-Rated)

Nach der Empörung, die Lo squartatore di New York (Der New York Ripper, 1982) entfachte, begann Lucio Fulci für eine gewisse Zeit sanftere Filme zu drehen. Vielleicht war er von der Reaktion gegen seinen bisher extremsten Film eingeschüchtert worden, oder er war einfach nur gelangweilt von all dem Exzess und beschloss andere Optionen zu verfolgen. Was auch immer seine Gründe gewesen sein mögen, er konnte es so oder so ohnehin nur falsch machen. Kritiker und Publikum hatten zwar das Gefühl er hätte es mit Der New York Ripper etwas übertrieben, beklagten aber ebenso lautstark er sei mit Murder Rock nicht annähernd weit genug gegangen. Der Film setzt den Dialog über Amerika fort, den Fulci mit Der New York Ripper begann. Im Ripper sprechen die Charaktere vom Bedürfnis in ihrem jeweiligen Bereich die Besten sein zu wollen; in ähnlicher Weise werden die Figuren in Murder Rock von dem Wunsch angetrieben die Besten auf ihrem speziellen Gebiet sein zu müssen. Fulci entwirft damit zwar nicht unbedingt ein antiamerikanisches Thema, doch er kritisiert die Art und Weise, wie Menschen innerhalb dieser Kultur oft unter Druck gesetzt werden, um jeden Preis erfolgreich sein zu müssen. Während diese dog-eat-dog Mentalität in den früheren Film eher subtil integriert wurde, steht sie bei Murder Rock ganz klar im Mittelpunkt. Fulci und seine Mitautoren hauen dem Zuschauer ihre Botschaft zwar nicht allzu offensichtlich um die Ohren, fügen jedoch genügend Subtext hinzu, der das Interesse für diejenigen erhöht, die bereit sind unter der Oberfläche zu kratzen. Leider ist die Handlung ziemlich generisch geraten. Die Charaktere bleiben zum größten Teil unterentwickelt und Spannung wird nicht annähernd so stark erzeugt wie in früheren Gialli des Regisseurs. Murder Rock ist jedoch auf keinen Fall die filmische Katastrophe, die manche Kritiker aus dem Streifen gemacht haben. Letztendlich stellt er die letzte wirklich professionelle Arbeit eines Regisseurs dar, dessen nachfolgende Filme von schrumpfenden Budgets und schlechtem Gesundheitszustand beeinträchtigt werden würden. Hier scheint er noch in guter Form gewesen zu sein, da er sich vieler Stilmittel bedient, um den wackeligen Plot zu stützen.

Fulci sprach oft von seiner Liebe zu Mario Bava und Murder Rock erlaubt es ihm Bava-ähnliche Sequenzen im Halbdunkel zu drehen, wobei pulsierendes Licht die Szenen von außerhalb der Fenster beleuchtet. Dieses Stilmittel wurde von Bava im Der Wassertropfen-Segment aus I tre volti della paura (Die drei Gesichter der Furcht, 1963) und in der Mordszene im Antiquitätengeschäft aus 6 donne per l’assassino (Blutige Seide, 1964) mit großem Erfolg eingesetzt, doch Fulci geht damit noch weiter. Ein Großteil des Films ist in diesem Stil angelegt. Durch den Einsatz von übertriebenen Lichteffekten, Weitwinkelobjektiven und mobiler Kameraführung erhält der Film eine kinetische Qualität, die glücklicherweise dazu beiträgt, die Schwächen des Skripts annähernd auszugleichen. Die meisten Charaktere fallen entweder durch Ausdruckslosigkeit oder aufgrund übertriebener Heuchelei auf, doch an der Figur des Inspektor Borgess schien Fulci einen Bären gefressen zu haben. Borgess erscheint (bis hin zum schäbigen Regenmantel) wie eine Fortführung von Lieutenant Williams aus Der New York Ripper, doch während Williams als ein Heuchler und Bastard dargestellt wurde, wird Borges weitaus humanistischer porträtiert. Er hat sogar eine Familie, die Fulci auf subtile Art und Weise mit dem Bild von Frau und Kindern auf seinem Schreibtisch zeigt. Borgess ist ein Zyniker, der schon mal grob werden kann, um Informationen zu erhalten, zeichnet sich jedoch auch durch einen trockenen Humor aus. Seine Witze und sein komisch unorthodoxer Stil tragen wesentlich dazu bei, die ansonsten funktionell gehaltenen Ermittlungsszenen aufzulockern. Wären die weiteren Charaktere mit ähnlichem Witz und Sensibilität entwickelt worden, hätte der Film mit Sicherheit davon profitieren können.

Der Film sieht, dank der Beleuchtung von Giuseppe Pinori und Fulcis interessantem Einsatz von Framing und Kamerabewegung, großartig aus. Dies sollte eines der letzten Male sein, in dem sein Gespür für das Visuelle zum Ausdruck kam. Die verschiedenen Mordsequenzen sind unblutig gehalten – der Mörder sticht mit einer reich verzierten Hutnadel durch die Brustplatten seiner Opfer, um deren Herzen zu penetrieren – wobei Nacktheit überraschend dezent präsentiert wird. Die Verwendung von trippigen Traumsequenzen und einer weiblichen Protagonistin, die von ihrem eigenen Tod träumt, erinnert schon sehr an A Lizard in a Woman’s Skin (1971), doch während der hier besprochene Titel diesem Juwel nicht im Geringsten gerecht werden kann, repräsentiert er dennoch einen soliden und angenehmen späten Eintrag in Fulcis Filmografie. Der Soundtrack von Keith Emerson beeinträchtigt allerdings den Gesamteindruck. Der beliebte Musiker, der vor allem für seine Arbeit mit dem Progressive-Rock-Trio Emerson, Lake und Palmer bekannt war, wurde von Dario Argento mit dem Score zu Inferno (1980) beauftragt und leistete damit sehr gute Arbeit. Hier wurde er jedoch eingestellt, um einen kitschigen Soundtrack abzuliefern, der zu dem Breakdance-Wahnsinn passen sollte, der damals von Adrian Lynes Welterfolg Flashdance (1983) losgetreten wurde. Die Ähnlichkeiten von Murder Rock und diesem beliebten Stück Schmalz führten dazu, dass der Streifen in einigen Gebieten Slashdance genannt wurde. Der Tanzszenen sind zum Glück nicht zu viele zu „bestaunen“ aber Emersons Songs führen zwangsläufig zu einer Mischung aus Stöhnen und Spott. Seine konventionellen Suspense-Cues entsprechen eher dem filone und dessen Codes, doch Songs wie „Tonight is Your Night“ und „Streets to Blame“ kann man ihm nur schwer vergeben.

Olga Karlatos liefert als Candice eine eher flache Vorstellung ab. Sie soll eigentlich die nominelle Heldin des Films sein, wird aber mehrdeutig dargestellt, was aus ihr eine ziemlich interessante Figur hätte machen können, wenn Karlatos es verstanden hätte die Anforderungen der Rolle besser zu meistern. Olga Vlassopulos, 1947 in Athen geboren, änderte ihren Namen in Karlatos und begann Mitte der 60er Jahre in italienischen Filmen aufzutreten. Ihre Rollen bekam sie wohl hauptsächlich aufgrund ihrer wunderschönen Erscheinung, denn ihre Schauspielerei war nur selten mehr als angemessen zu bezeichnen. Sie trat in Enzo G. Castellaris spätem Italo-Western Keoma (1976) auf, bevor sie mit Fulci an Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies (1979) arbeiten sollte. In Sergio Leones letztem Meisterwerk Es war einmal in Amerika übernahm sie nur eine sehr kleine Rolle und spielte die Mutter (!) von Prince in dessen Eitelkeitsprojekt Purple Rain (beide 1984). Mitte der achtziger Jahre zog sie sich aus dem Filmgeschäft zurück. Die Besetzung der Nebendarsteller wird von so verlässlichen Genreveteranen wie Ray Lovelock und Claudio Cassinelli angeführt, während Fulci als Talentagent einen Cameo-Auftritt hat. Den besten Eindruck unter den Schauspielern macht allerdings der mephistophelisch aussehende Charakterdarsteller Cosimo Cinieri als Inspektor Borgess. Cinieris ungewöhnlicher Auftritt würzt den Film mit einer dringend benötigten Brise an Humor und Menschlichkeit, wobei er seinen Co-Stars mühelos die Show stiehlt. Er wurde 1938 in Taranto geboren und trat ab 1971 in Filmen auf, wo er sich zu einem von Fulcis Favoriten entwickelte, der ihn für mehrere Filme in kurzer Zeit verpflichtete: Der New York Ripper, Manhattan Baby (beide 1982), Die Schlacht der Centurions (1983) und Murder Rock (1984). Diese hier war sicherlich die bedeutendste seiner Rollen für Fulci und er macht das Beste daraus. Cinieri ist weiterhin in italienischen Filmen und fürs Fernsehen aktiv. Leider würde Murder Rock das Ende der Verbindung Fulci und Giallo bedeuten. Seine Gialli sind im Großen und Ganzen bemerkenswert gut gemacht und auch wenn der hier besprochene einen verhältnismäßig schwachen Abschluss seiner Karriere innerhalb des Zyklus darstellt, ist er immer noch besser als ein Großteil der nachfolgenden Produktionen. Lucio Fulci starb 1996, doch sein Erbe lebt weiter.

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Darsteller: Olga Karlatos, Ray Lovelock, Claudio Cassinelli
Regisseur(e): Lucio Fulci
Format: Limitierte Auflage
Sprache: Italienisch (Dolby Digital 2.0), Deutsch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Deutsch
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 1.77:1
FSK: Nicht geprüft
Studio: X-Rated
Produktionsjahr: 1984
Spieldauer: 93 Minuten

Der Videokommentar von Prof. Dr. Marcus Stiglegger und das extra dicke, 20-seitige tenebrarum-Booklet mit dem Titel „The New York Stabber oder Slashdance What a feeling“ von Filmanalytiker Martin Beine sind wieder einmal enorm sehens- bzw. lesenswert !!!

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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