Obaltan – Berlinale Special

Es ist wieder die feierliche Jahreszeit, zu der man sich bei Minustemperaturen aus dem Haus schleicht um sich dem Zauber der Berliner Filmfestspiele hinzugeben. Wie jedes Jahr versuche ich trotz Arbeit wenigstens eine Hand voll Filme zu sehen und berichte dazu auch wieder hier auf Nischenkino. Den Anfang mach eine Rarität. Lange schwer erhältlich, endlich halbwegs vom Korean Film Archive restauriert (mit der einzigen 35mm Kopie die noch existierte), ein gefeiertes Drama und oft als einer der besten koreanischen Filme gefeiert: Obaltan (engl. Aimless Bullet, bzw 오발탄’ im Hangul) ist ein koreanisches Nachkriegsdrama von 1961 unter der Regie von Yu Hyun-mok (Mom, the Star, and the Sea Anemone) dass in einer digital Restaurierten Fassung aufgeführt wurde und das Wiederentdecken dieses Meisterwerks erstmals wieder einer breiten Zielgruppe ermöglicht.

Das bedrückende Drama hat eine ebenfalls bedrückende Geschichte hinter sich. Gedreht wurde dieser in der kurzen demokratischen Periode, genannt die zweite Republik, die 1961 ebenso schnell endete wie sie begann. Dann unterstellte man dem Film dass er den Zustand des Landes nach dem Waffenstillstand so schlecht darstellt und er wurde kurzerhand zensiert und verlor dann an Beachtung. Daher war er auch sehr lange Zeit quasi nicht zu sehen. Regisseur Hyun-mok gilt als einer der drei großen koreanischen Nachkriegs-Filmemacher, neben Kim Ki-young (The Housemaid) und Shin Sang-ok (War and Humanity). Obaltan war sein siebter von letztlich über 40 Filmen. Neulinge werden in diesem Film, und mir ging es auch so, sich an den italienischen Neorealismus erinnert fühlen. Mein erster Gedanke galt Rocco und Seine Brüder, oder Fahraddiebe. Ebenso bedrückend, pessimistisch und melodramatisch ist dieser Film.

Er handelt von Cheol-ho, einem Buchhalter, der mit seinem mickrigen Gehalt seine kranke Mutter, seine Frau und zwei Kinder ernähren muss. Dann leben da noch seine Schwester, die als Prostituierte ihr Geld verdient, und sein Bruder, der Kriegsveteran, in einer schäbigen Hütte im Armenviertel von Seoul. Seine Mutter ist schwer traumatisiert und phantasiert den ganzen Tag, seine Frau ist Schwanger, und sein Sohn verkauft Zeitungen statt in die Schule zu gehen. Das Gehalt reicht gerade mal so für den Unterhalt, oder für eine dringende Zahn-OP, aber nicht beides. So quält er sich mit Schmerzen durch den Tag und sieht kein Land in Sicht. Der Bruder versemmelt erst die Chance, Schauspieler zu werden, dann verliert er seine Geliebte, schließlich versucht er in einem dramatischen Akt an Geld zu kommen. Es geht alles schief, und auch Cheol-ho kommt an dem Tag nach Hause und muss feststellen dass seine Frau bei der Geburt des Kindes verstarb….

Es ist eine bitter Welt die hier aufgezeigt wird. Einerseits das Glitzern der Großstadt, die einige Jahre nach dem Krieg so langsam wieder zum Leben erwacht, mit all denen die den Aufstieg schaffen, andererseits die bittere Armut und Auswegslosigkeit. Besonders schön an dem Film ist der  Einblick in das Südkorea der 60er in dem eben die prosperierende westliche Nachkriegswelt auf die Rückständigkeit der Kriegsberührten trifft. Man vergisst schnell welch grausamer Bruderkrieg der Koreakrieg gewesen ist, mit welch unglaublicher Zerstörung und menschlichen Verlusten er gekämpft wurde. Immerhin hat es bis spät in die 1980er gedauert, bis aus dem Land überhaupt eine halbwegs stabile Demokratie wurde, und wenn man sich die Tagespolitik ansieht ist auch das noch nicht völlig astrein. Sprich, um Korea zu verstehen, muss man auch verstehen was der Krieg für Spuren hinterlassen hat, und da leistet der Film in meinen Augen große Arbeit.

Optisch ist er eine Mischung aus kargen Betonwänden und beklemmenden Hütten sowie etwas Großstadt-Panorama, Lichter und Dunkelheit. Hinzu kommt die Jazzmusik der Bars, das Tröten des Autoverkehrs und hier die sinnlosen Schreie der Großmutter. Der Film ist kein Taxi Driver, aber man fühlt sich ein wenig daran erinnert. Immerhin meint man zu Beginn des Films, es mit einer Geschichte über traumatisierte Kriegsveteranen zu tun zu haben. Mitten drin deutet sich ein Heist-Movie an im Reservoir Dogs Stil, doch letztendlich ist es eine bittersüße Geschichte über jemanden, der keinen Land unter den Füßen gewinnen kann. Das macht den Film unglaublich deprimierend – aber es ist auch ein unglaublich guter Film.


Zu diesem Film-Screening gibt es auch einen Artikel in der TAZ. Weitere Berlinale 2017 Kritiken folgen

Sebastian

Gründer und Inhaber von Nischenkino. Gründer von Tarantino.info, Spaghetti-Western.net, GrindhouseDatabase.com, Robert-Rodriguez.info und FuriousCinema.com

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