La ragazza che sapeva troppo / The Girl who knew too much / Evil Eye

Nora Davis reist nach Rom, um ihre gebrechliche Tante zu besuchen. Während ihrer ersten Nacht dort stirbt die Tante plötzlich. Eine panische Nora flieht aus ihrer Wohnung und wird Zeuge eines Mordes an der Spanischen Treppe. Am nächsten Tag will niemand ihr glauben. Nora ist fest entschlossen dem Gesehenen auf den Grund zu gehen und bittet Dr. Marcello Bassi sowie einen in Ungnade gefallenen Journalisten namens Landini um Hilfe. Der Mörder hat jedoch andere Vorstellungen.

La ragazza che sapeva troppo beginnt passenderweise mit einer Szene an Bord einer Boeing 747, die in Richtung Rom unterwegs ist. Im Flugzeug befindet sich Nora, die dort einen Kriminalroman (The Knife) liest, während sie die Bekanntschaft ihres Sitznachbarn macht, der ihr eine Zigarette anbietet. Regisseur, Kameramann und Co-Autor Mario Bava war es 1962, zu Beginn des Drehs, sicherlich nicht bewusst gewesen, dass The Girl Who Knew Too Much die Kinolandschaft in einen neuen Stil des Thriller-Filmemachens einführen sollte. Während es in Italien zuvor bereits zahlreiche Thriller gegeben hatte, war The Girl Who Knew Too Much der erste, der die reißerischen Zutaten und die Ästhetik der Mondadori-Taschenbücher wirklich übernahm und ein filmisches Äquivalent lieferte. Bava war allerdings nicht vom Original-Drehbuch überzeugt (an dem Größen wie Sergio Corbucci und Franco Prosperi mitgearbeitet hatten, letzterer war damals als Regie-Assistent angestellt), weswegen er sich sogleich daran machte, seinen eigenen makaberen Touch in das Material einzubringen. Das Endergebnis entsprach nicht ganz dem filone, so wie er sich entwickeln würde, doch stellte eine ordentliche Blaupause dar, auf der andere, einschließlich Bava selbst, aufbauen konnten. Das fertige Produkt ist wohl „uriger“ und altmodischer, als die meisten anderen Arbeiten des Regisseurs, auf lange Sicht jedoch nicht weniger bahnbrechend.

Wenn La ragazza che sapeva troppo, als eine Art Skizze für das kommende „Genre“ hervorgeht, so handelt es sich um einen äußerst detaillierten Grundriss. Der Film stellte vor, was eine gängige Zutat werden würde: der Amerikaner im Ausland. Viele der späteren Gialli würden sich in ähnlicher Weise auf „Außenseiter“ konzentrieren, die sich in einem Sumpf aus fremden Gepflogenheiten, juristischer Bürokratie und Sprachbarrieren befinden, die allesamt eine effektive Kommunikation erschweren. Noras Charakter ist allerdings besonders interessant, weil sie gleichzeitig auch noch ein ausgemachter Krimi-Fan ist. Dies führt einen meta-kinematischen Touch ein, den Bava vernünftigerweise nicht voll für einen Comic-Effekt ausspielt. Noras Charakter ist mutig, entschlossen und gut gezeichnet. Mit anderen Worten, sie ist mehrdimensional auf eine Art und Weise, wie es so viele Giallo-Heldinnen (die oft wegen ihrer offensichtlichen fotogenen Eigenschaften besetzt wurden) nicht waren. Tatsächlich ist der Film für seine besseren als üblichen Charakterisierungen im Allgemeinen als bemerkenswert zu bezeichnen. Er ist handlungs- und charakterbasierter, als viele andere Filme des Regisseurs, was es ihm ermöglicht, mit seinen üblichen Mitteln Atmosphäre und Spannung aufzubauen (hauptsächlich beim Beleuchten und Einrahmen einzelner Aufnahmen sowie beim sorgfältigen Umgang mit Ton und Montage). Außerdem wird das Publikum aufgrund ihres Mitgefühls für die Charaktere emotional eingebunden.

Die exzellente Besetzung ist dabei eine enorme Hilfe. Nora wird von Letícia Román sehr gut verkörpert, einer italienisch-amerikanischen Schauspielerin, die im Elvis Presley-Film G.I. Blues (Café Europa, 1960) ihr Filmdebut gab. Románs Filmkarriere war nicht sonderlich lang, wobei The Girl Who Knew Too Much mit ziemlicher Sicherheit, als ihre beste Rolle bezeichnet werden kann. Sie spielt großartig als tapfere Heldin und verleiht einer Figur, die in den falschen Händen nervig hätte werden können, jede Menge Charme. Román warb ihren Freund John Saxon an, um die Rolle des Marcello zu spielen. Saxon war ein weiteres Mitglied der italienisch-amerikanischen Community in Hollywood und befand sich auf einem Karrieretiefpunkt, als er für diesen Film besetzt wurde. Er würde später berichten, dass er nichts von Mario Bava wusste oder kannte aber begeistert war nach Italien zu gehen, um einen Film zu drehen. Er hoffte, dass dieses erste Engagement zu einer „ernsteren“ künstlerischen Kost führen würde; was nicht wirklich geschah, aber es gelang ihm, einige wichtige Rollen in einer Reihe von Genre-Filmen im Italien der 70er und 80er Jahre zu ergattern, einschließlich Dario Argentos Tenebrae (1982) und Umberto Lenzis Napoli violenta (Camorra – Ein Bulle räumt auf, 1976).

Saxons Karriere geht jedoch weit über Genre-Kost hinaus und umfasst denkwürdige Rollen über John Hustons The Unforgiven (Denen man nicht vergibt, 1960) und Sidney J. Furies The Appaloosa (Südwest nach Sonora, 1966) bis hin zu John Sturges‘ Joe Kidd (Sinola, 1972) und Robert Clouses Enter the Dragon (Der Mann mit der Todeskralle, 1973). Er ist fantastisch als liebeskranker Arzt, der verzweifelt versucht, Noras Vorliebe für Krimis zu mildern. In den vielen Szenen, in denen er sich verletzen muss, obwohl er Nora seine Männlichkeit beweisen möchte, zeigt er ein Gespür für körperliche Komödie. Valentina Cortese rundet mit ihrem wunderbaren, nervösen Auftritt als Laura ein sehr starkes Ensemble ab. Cortese erlangte in den 40er Jahren Berühmtheit durch so beliebte Titel wie Riccardo Fredas Version von Les Misérables (Caccia all’uomo / Die Elenden, 1948), bevor sie nach Hollywood ging, wo sie in Filmen wie Robert Wises The House on Telegraph Hill (1951) auftrat, um dort ihren zukünftigen Ehemann Richard Basehart kennenzulernen. Sie sollte in Federico Fellinis Giulietta degli spiriti (Julia und die Geister, 1965) auftreten, bevor sie die Rolle ihrer Karriere in François Truffauts La nuit américaine (Die amerikanische Nacht, 1973) spielte, für den sie als beste Nebendarstellerin für einem Oscar nominiert wurde.

Ihre gemeinsamen Bemühungen tragen dazu bei The Girl Who Knew Too Much zu einem der bestdargestellten von Bavas Filmen zu machen. Sollte der Streifen eine Schwäche haben, so ist er eventuell ein bisschen zu leicht und luftig für sein eigenes Wohl geraten. Bavas beste Filme zeichnen sich durch eine gewisse Intensität der Emotionen aus, die hier merkwürdigerweise fehlt. Der Regisseur gab später in einem Interview mit Luigi Cozzi zu, er habe den Film während eines schlechten Moments in seinem Leben gedreht, weswegen es sein könnte, dass der Ton des Films den Wunsch widerspiegelt, die Probleme abzuschütteln, die er zu der Zeit durchmachte. Er erholte sich gerade von einem Nervenzusammenbruch und hatte eigentlich keine Lust einen Film zu drehen, doch er brauchte das Geld und übernahm den Job.

Aufgrund Bavas Neigung zu übertreiben – er spielte oft auf Nervenzusammenbrüche an, seine Familie bestand jedoch darauf, dass dies nicht stimmte, obwohl er sich zweifellos bis zur Erschöpfung verausgabte – scheint es erwähnenswert, dass die makabereren Elemente des Films mit ihm entstanden, durch sein eigenes Eingeständnis. Trotzdem ist der Gesamtton des Streifens viel heller und komischer als gewöhnlich. Als solches glaubt der Betrachter nie wirklich, Nora würde sich in realer Gefahr befinden getötet zu werden, was wiederum die Gesamtwirksamkeit des Stücks untergräbt. Bavas spätere Gialli sollten sich auf viel widerwärtigere Charaktere konzentrieren, wobei die paranoide Atmosphäre dieser späteren Filme es möglich machen würden, dass das Schlimmste mit jedem Charakter zu jeder Zeit geschehen könnte – und tatsächlich würde genau dies häufig passieren! Der Film wurde in englischsprachigen Gebieten von American International Pictures (AIP) veröffentlicht, die durch Bavas Werke zu Champions wurden, nachdem sie mit La maschera del demonio (Die Stunde, wenn Dracula kommt, 1960) richtig große Kasse gemacht hatten. AIPs Führungskräfte Samuel Z. Arkoff und James H. Nicholson interessierten sich schon früh für das Projekt und forderten Bava auf Material zu drehen, das für ihre Filmvariante einzigartig wäre.

Bavas ursprüngliche Version beruhte auf der bezaubernd naiven Vorstellung, dass Nora unter Halluzinationen leiden würde, nachdem sie unwissentlich eine Marihuana-Zigarette konsumiert hatte, die ihr vom bereits erwähnten Sitznachbarn auf ihrem Flug nach Rom zur Verfügung gestellt worden war. AIP fühlte sich mit dem Drogeninhalt unwohl und bat um eine andere Lösung. Die Drogenenthüllung wurde aus der AIP-Version entfernt und durch ein neues Ende ersetzt, in dem sich Nora eines weiteren Mordes nicht bewusst ist und Krimis abschwört, um Marcello zu beschwichtigen. Das neue Ende ist auf seine eigene Art und Weise heiter pervers und bietet weitere Beweise für den schelmischen Humor, den Bava in seine Filme einfließen ließ. Die AIP-Fassung enthielt auch eine Szene, in der sich Nora vor dem anzüglich grinsenden Porträt ihres verstorbenen Onkels Augusto erschreckt, der von Bava selbst in einem seiner seltenen Cameos „gespielt“ wird. Hierbei handelt es sich um eine entzückende Szene, in der Bava seine Rolle als Voyeur bloßlegt. Zweifellos fühlte sich der publikumsschüchterne Regisseur unwohl dabei, diese Sequenz in seinem Heimatland zu zeigen, weswegen sie aus dem Director’s Cut gestrichen wurde. Die von Les Baxter restaurierte und als Evil Eye betitelte AIP-Version sollte 1964 in den USA erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bava das „Genre“ bereits deutlich vollblütiger wieder aufgegriffen.

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Darsteller: Letícia Román, John Saxon, Valentina Cortese, Titti Tomaino, Luigi Bonos
Regisseur: Mario Bava
Format: PAL, Import
Sprache: Italienisch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Englisch
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 1.66:1
Anzahl Disks: 2
FSK: Nicht geprüft
Studio: Arrow Video
Produktionsjahr: 1963
Spieldauer: 86 Minuten

https://www.youtube.com/watch?v=-nF54dLcxzw

 

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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