Reportage zum Fantasy Filmfest 2022 – Erster Teil

Das Fantasy Filmfest ist nun schon seit mehreren Jahrzehnten fester Bestandteil der deutschen Filmfestivallandschaft. Auch in diesem Jahr tourt das Festival wieder durch sieben Städte um dem Publikum zu zeigen, dass es im internationalen Genre-Kino noch jede Menge zu entdecken gibt. Wir waren in Berlin vor Ort und möchten euch hier ein paar ausgewählte Titel genauer vorstellen.

Seit Anfang 2020 findet die Berliner Ausgabe im Kino in der Kulturbrauerei statt. Eine gute Wahl, denn das Kino bietet nicht nur ausreichend große Säle mit sehr bequemen Sitzen, sondern versprüht auch einen ganz eigenen Charme. Großformatige Bilder erinnern an große Filmklassiker und trotz Multiplex-Größe fühlt man sich hier eher wie in einem altehrwürdigen Kinopalast aus längst vergangen Zeiten. Für das Kino spricht zudem das Kiez-Umfeld, das dazu einlädt einen Abstecher in die diversen Lokale und Bars oder die zahlreichen Buchhandlungen im Prenzlauer Berg zu unternehmen. Sicher, kaum ein anderer Kiez ist in Berlin so durchgentrifiziert wie der Prenzlauer Berg und auch die einst so dominante Club-Kultur ist hier fast vollständig zum Erliegen gekommen, nichtsdestotrotz gibt es dort noch jede Menge Möglichkeiten die Zeit zwischen den Vorstellungen zu überbrücken.

Als Festival-Auftakt wurde am Mittwoch dann der, auf den Filmfestspielen in Venedig gefeierte, Don’t Worry Darling von Olivia Wilde gezeigt. Sorgen um die Besucherzahlen muss sich das Festival nicht machen, denn der Opener war sehr gut besucht. Wer den Film, der beim Fantasy Filmfest seine Deutschlandpremiere feierte, verpasst hat, muss aber keine Tränen vergießen, denn der Thriller startet am 22.09. auch deutschlandweit regulär in den Kinos.

Moloch
Moloch

Das Programm des Fantasy Filmfest ist seit jeher sehr international aufgestellt und bekannt dafür, dass sich auch eher ungewöhnliche Produktionsländer im Timetable wiederfinden. Die Niederlande waren in den letzten Jahren allerdings noch nicht so häufig vertreten (einer der letzten Titel war Saint von Dick Maas im Jahr 2011). Umso erfreulicher also, dass mit dem Debütfilm Moloch von Nico Van den Brink zu später Stunde mal wieder ein waschechter Genre-Film von unseren europäischen Nachbarn auf großer Leinwand zu sehen war. Der Film selbst erwies sich dabei als sehr solide Horrorkost, die vor allem mit einer dichten und sehr einnehmenden Atmosphäre punktete. Erzählt wird die Geschichte der Musikerin Betriek (Sallie Harmsen), die zurückgezogen im Haus ihrer Eltern ein mehr oder minder ereignisloses Leben führt. Als ein Forscherteam mehrere Jahrhunderte alte Leichen im nahegelegenen Moor entdecken, wird die junge Frau von den Schatten ihrer Vergangenheit eingeholt und ist gezwungen sich plötzlich einer neuen, sehr realen Gefahr zu stellen, die das Leben ihrer Familie unmittelbar bedroht.

Nico van den Brink setzt auf eine betont ruhige, unaufgeregte Inszenierung. Trotz mehrerer (nicht immer treffsicher getimter) Jump scares geht es dem Niederländer insbesondere um den Aufbau einer unheilvollen Atmosphäre, die ihren Reiz auch aus der Verankerung in den jeweiligen regionalen Mythen zieht. Daneben punktet der Film mit seinen guten Darstellern, die sehr überzeugend die familiären Konfliktlinien widerspiegeln und die angenehm klischeefrei angelegt wurden. Obwohl der Film klar als Horrorfilm eingestuft werden kann, nimmt sich das Drehbuch erstaunlich viel Zeit um seine Figuren zu erforschen und deren Charakteristika immer wieder im Lichte der Ereignisse neu zu verorten. Moloch versteht es jedoch auch gekonnt Spannungsmomente zu generieren, so dass Genre-Fans vor allem im Finale auf ihre Kosten kommen.

Old People
Old People

Am Donnerstag konnte man sich schließlich davon überzeugen, dass der deutsche Genre-Film keineswegs ad acta gelegt ist. Old People wurde von Andy Fetscher gedreht und u.a. von Netflix finanziert und sorgte in Berlin für eine annähernd ausverkaufte Vorstellung. Im fast vollbesetzten Saal gab es im Anschluss an den Film schließlich noch ein kurzes Q&A, bei dem der sympathische Regisseur die Fragen des Publikums beantwortete und u.a. davon berichtete das der Film in einem frühen Stadium der Ideenfindung gar auf Sylt spielen sollte.
Im Gegensatz zu Fetschers Urban Explorer (2011), der die Abgründe der Großstadt ins Visier nahm, wählt der Regisseur in seinem neuen Film die ostdeutsche Provinz als Handlungsort. Dort, wie auch überall im Land, befällt die ältesten Einwohner eine Art Wahnzustand, der sie in einen hochaggressiven Mob verwandelt. Im Zentrum der Geschehnisse steht dabei eine Hochzeitsgesellschaft (u.a. Melika Foroutan, Stephan Luca), die in der pittoresken Natur von den wutschnaubenden Einwohnern eines nahegelegenen Altenheims bedroht werden.
Andy Fetscher verplempert keine Zeit mit einer großangelegten Exposition, sondern lässt die Ereignisse schnell eskalieren. Die Fronten sind dabei schnell glasklar und auch die gesellschaftskritischen Zwischentöne werden eher holzhammermäßig in die Schädel des Publikums gezimmert. Das nicht näher benannte Dorf steht für das große Thema des Films, denn hier spielt sich genau das ab, was Fetscher als zentrales Motiv aufgreift und mit den Mitteln des Horrorfilms weitererzählt. Tristesse und Leid überall, ein Leben was nur noch im Dahinweggetieren besteht. Fetscher zeigt das Leid der Älteren mit drastischen, unangenehmen Bildern, die ihre Wirkung nicht verfehlen, die aber, soviel Kritik muss sein, im Kontext eines ansonsten sehr stromlinienförmig inszenierten Horrorstreifen nicht immer ein stimmiges Gesamtbild abgeben.
Wer sich an der wenig subtilen Herangehensweise nicht stört und auch über die teils recht rührselig vorgetragenen Familien-Backstory der Hauptprotagonisten hinwegsehen kann, erlebt mit Old People einen ansonsten sehr ordentlich inszenierten Horrorreißer, der temporeich durch die Geschichte pflügt und seine atmosphärischen Bilder mit einer hervorragenden Kameraarbeit schmückt.

Am Wochenende gab es dann schließlich die volle Packung Benson & Moorhead. In einer exklusiven Sondervorführung im Zeiss Planetarium wurde am Samstag ihr 2018-Werk The Endless im Rahmen der Reihe „Sciencefiction hinterfragt“ wissenschaftlich eingeordnet und diskutiert. Vorher, nämlich am Freitag, stand aber erstmal die Deutschlandpremiere ihres neuesten Films Something in the Dirt auf dem Programm. Justin Benson und Aaron Moorhead, die zuletzt mehrere Folgen der Marvel-Serie Moon Knight realisierten (und damit ihren Einstand im Serien-Mainstream gaben), waren schon mit diversen Filmen beim Fantasy Filmfest zu Gast und so war es nur folgerichtig, dass auch ihr neuster Output im deutschen Sprachraum zuerst hier gezeigt wurde.

Something in the dirt
Something in the Dirt

Something in the Dirt ist im Vergleich zu ihrem letzten vergleichsweise zugänglich erzähltem Spielfilm Synchronic wieder ein wenig sperriger geraten. Die Handlung ist zwar auf den ersten Blick eher simpel, im Verlauf der Geschichte fahren die Regisseure aber erneut dermaßen viele irre Ideen und genial-verrückte Querverweise auf wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Theoriegebäude auf, dass einem in der knapp zweistündigen Laufzeit ordentlich der Kopf raucht.

Wie sie oft bei Benson und Moorhead (die auch die Hauptrollen übernommen haben) steht ein Männer-Doppel im Fokus der Handlung. Hier sind es die Nachbarn Levi (Benson) und John (Moorhead), die sich in L.A. mehr schlecht als recht über Wasser halten. Eines Tages stoßen die beiden in Levis Wohnung auf ein paranormales Phänomen, dass sie in einem Dokumentarfilm zu Geld machen wollen. Doch, welche Überraschung, der Dreh gestaltet sich als nicht gerade einfach. Geräte gehen kaputt und überhaupt steht permanent die Frage im Raum, welcher Gefahr sich die beiden überhaupt aussetzen. Als im Laufe der Zeit immer mehr seltsame Ereignisse geschehen, glauben Levi und John, dass sie auf etwas Größeres gestoßen sind, dass letztlich nicht nur ihr Weltbild für immer verändern könnte.

Something in the Dirt ist äußerst schwer einzuordnen. Das ist angesichts der vorherigen Filme der beiden Regisseure nicht verwunderlich, aber ihr neuestes Werk ist schon ein ziemlicher Brocken. Und das ist positiv gemeint, denn Benson und Moorhead öffnen hier ein Fenster in eine ganz eigene Welt, das durch den Fokus auf die beiden Hauptfiguren zwar sehr persönlich ist, dass aber durch die zahlreichen Einspieler (Archivaufnahmen, Interviews, gezeichnete Sequenzen etc.) gleichzeitig immer wieder das teils kammerspielartige Setting verlässt, um so den Referenzrahmen größer und die Dimensionen der Geschichte breiter werden zu lassen. Something in the Dirt ist Sci-Film, Verschwörungsthriller und Charakterstudie in einem, legt sich dabei aber nie wirklich fest und überrascht im Filmverlauf stets mit Abbiegungen in neue Richtungen, die man so nicht erwarten würde. Und irgendwie ist Something in the dirt ebenfalls einer dieser entschleunigten L.A.-Filme, die eine melancholische Grundstimmung atmen, die sich wie ein Schleier über alle Einstellungen legt und von der man einfach nicht genug kriegen kann. Vor allem ist der Film aber eine berührende Geschichte einer Männerfreundschaft, die unter besonderen Umständen auf eine harte Probe gestellt wird. Eine wahrhaft reich gefüllte Wundertüte von Film, die hoffentlich auch nach dem Festival von vielen Zuschauern entdeckt wird.

The price we pay
The Price we Pay

Am Samstag zeigte das Fantasy Filmfest vier Filme, beginnend ab 14 Uhr mit der spanisch-argentinischen Koproduktion La Pieta von Eduardo Casanova. Am frühen Abend präsentierte man dann das neueste Werk von Ryuhei Kitamura, den der Regisseur höchstselbst in einer Videogrußbotschaft mit der blumigen Umschreibung Rock ’n’ Roll-Horrormovie ankündigte. Der mit Stephen Dorff und Emile Hirsch besetzte The Price we Pay schaffte es allerdings nicht an die alten Großtaten des Regisseurs anzuknüpfen. Der Mix aus Gangsterthriller (die erste Hälfte) und blutiger Horrorgroteske (das zweite Filmsegment) ist zwar kurzweilig und knackig in Szene gesetzt, bietet aber, nachdem der zentrale Twist dem Publikum serviert wurde, leider nur austauschbare B-Movie-Qualität von der Stange, bei der lediglich die sadistischen Gewaltdarstellungen (unangenehm) auffallen. Schade.

Welche cineastischen Eindrücke das Festival noch für das Publikum bereit hält wird sich dann in den nächsten Tagen zeigen. Wir sind auf jeden Fall gespannt und berichten euch im zweiten und abschließenden Teil unserer Reportage von den weiteren Filmen auf unserer diesjährigen Watchlist. Mehr Infos unter https://fantasyfilmfest.com

André

Großer Kino-Fan mit Vorliebe für das Genre-Kino in all seinen vielseitigen Ausprägungen. Passionierter Festivalgänger, der aber auch die Vorteile des heimischen Filmkonsums zu schätzen weiß.

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