Willard

Der junge Willard hat es nicht leicht. Während er auf gleichaltrige Freunde verzichten muss und seine Geburtstagsfeier einer Zusammenkunft im Altenheim gleicht, muss er tagtäglich auch die Erniedrigungen seines Arbeitgebers Mr. Martin erdulden. Das ist umso härter, da Martin die Firma von Willards Vater übernommen hat und er den jungen Mann spüren lässt, dass er das kleinste Rad im Getriebe ist. Einziger Lichtblick ist Joan, die er gerne zu seiner Freundin machen würde. Leider sucht sich Willard dann Freunde in der Tierwelt, ein Rudel Ratten, das sich auf dem verwilderten Grundstück des Hauses tummelt, das er mit seiner anstrengenden Mutter bewohnt. Nach dem Tod der Mutter wird diese Bindung enger und Willard spürt zum ersten Mal ein Gefühl von Macht, was dramatische Entwicklungen nach sich zieht: Mit seinem Rattenheer sinnt er auf Rache an denen, die ihm übel mitgespielt haben… (Anolis)

Willard ist die Art von Film, die eigentlich kaum existieren dürfte, geschweige denn ein kleiner Hit werden könnte. Doch irgendwie gelang es dieser unbedeutenden, bizarren Produktion nicht nur Elsa Lanchester sowie Ernest Borgnine zu engagieren, sondern auch fast 15 Millionen Dollar an den Kinokassen einzuspielen. Bevor Jaws und Carrie riesige Mörderbestien und rachsüchtige Außenseiter salonfähig machten, gab es bereits Willard, diesen verrückten Streifen der Bing Crosby Productions (!), der sogar eine Fortsetzung hervorbrachte und zum Videothekenknaller werden sollte, um daraufhin erstmal für die letzten zwanzig Jahre von der Bildfläche zu verschwinden. Selbst das 2003er Remake konnte keine DVD-Veröffentlichungen für Willard und Ben inspirieren, die sich mittlerweile zu absoluten Kult-Favoriten entwickelt hatten und spätestens seitdem als „Heilige Grale“ in VHS-Fanatiker-Kreisen gehandelt werden.

Willards Verschwinden ist fast so unerklärlich wie seine anfängliche Popularität, doch weitere Diskussionen darüber sind nun Dank Anolis Entertainment überflüssig geworden. Mit einem der größten Coups des Kultlabels hat es Willard schließlich auf BluRray geschafft, mit einer Veröffentlichung, die mindestens eine Generation mit Erinnerungen überfluten wird. Diese Generation kann jetzt erfreut feststellen, dass Willard nichts von seiner Wirkung verloren hat. Einige Sequenzen fühlen sich an, als wären sie einer missglückten Sitcom aus den 70ern entnommen worden, vor allem angesichts der schäbigen Büroeinrichtung an Willard Stiles‘ (Bruce Davison) Arbeitsplatz. Der sanftmütige sowie duckmäuserische Willard arbeitet als Angestellter in einem Stahlwerk, das er eigentlich hätte übernehmen sollen, wenn sich sein hinterhältiger Boss (Ernest Borgnine) die Leitung des Werks nach dem Tod von Willards Vater nicht ergaunert hätte. Zum Trost wird Willard von allen Kollegen ausgenutzt und/oder ignoriert, seine liebende Mutter (Elsa Lanchester) hingegen behandelt ihn wie ein achtjähriges Kind und nicht wie einen erwachsenen Mann. Nachdem ihn seine Rolle im Leben zunehmend frustriert – was die Gesellschaft einer hübschen Assistentin (Sondra Locke) einschließt – entdeckt er im Garten ein Rattennest und freundet sich mit den „possierlichen“ Tierchen an. Schon bald bringt er sie im Keller unter, wo er die Ratten erstmal dressiert bzw. erzieht, bevor er sie dann später zu seinen Rache-Instrumenten macht.

Geht man allerdings davon aus, dass Bruce Davison seinen Haufen von Nagern wahllos auf ahnungslose Zielpersonen hetzt, um diese grausam zerfleischen zu lassen, sollte man seine Erwartungen ein gehöriges Stück zurückschrauben. Denn Willard lässt seine Ratten nicht einmal bis etwa zur Hälfte des Films auf irgendwelche Ziele los und selbst dann handelt es sich dabei mehr um einen Streich als eine Racheaktion. Nachdem er zum wiederholten Male von seinem Chef beleidigt und erniedrigt worden ist, beschließt Willard, dessen Jubiläumsparty zu sprengen, indem er seine neuen Freunde auf der Feier Chaos verbreiten lässt. Jedoch muss diese Aktion eher als ein dummer Jungenstreich gewertet werden, denn als reiner Akt abgrundtiefer Bosheit. Willard benutzt seine Ratten erst gegen Ende als Mordinstrumente, wenn der Film eine entschieden fiese und brutale Wendung nimmt. Erst ab dieser Stelle wird Willard zu der Art von Film, die man eigentlich erwarten hätte können, und selbst dann hält sich der Streifen ziemlich zurück, zumindest in Bezug auf die Darstellung von grafischer Gewalt. Bis zu diesem Zeitpunkt – also in den ersten 75 Minuten oder so – bewegt sich der Film an der Grenze zwischen Sitcom und Melodram. Zu jeder Sekunde fühlt es sich so an, als ob sich der Film in beide Richtungen entwickeln könnte: Immer wenn Lanchesters delirierend übertriebene Matriarchin auf dem Bildschirm erscheint, wird man als Zuschauer scheinbar in einen anderen Film transportiert. Besonders skurril und grotesk mutet die Szene an, in der sie ihrem erwachsenen Sohn eine Geburtstagsfeier schmeißt, die reichlich infantil erscheint aber trotzdem nur Greise als Gäste beinhalted und alles andere als herzlich zu bezeichnen ist. Diese Sequenzen stehen in krassem Gegensatz zu vielen Büroszenen, die nur wenige Schritte von einer Arbeitsplatz-Komödie entfernt sind, inklusive unpassender Musikuntermalung. Hier kann man sehen, wie Willard mit seinem cartoonisch bösen Boss konfrontiert wird und äußerst unbeholfen Small Talk mit seiner neuen Assistentin führt.

Nun müsste man eigentlich annehmen Willard wäre ein einziges filmisches sowie tonales Durcheinander, doch Daniel Mann lässt es geschickt zu, dass sich all dies um seinen Protagonisten herum aufbaut und letztendlich mit ihm kollidiert und zwar ohne offensichtlichen Vorwitz. Es handelt sich um einen unkonventionellen Film, dessen Hauptanliegen es ist Davisons wirklich mitreißenden Wandel als Titelheld zu porträtieren. Oberflächlich klingt die Geschichte eines seltsamen Einzelgängers, dessen einzige Gefährten Ratten sind, wie der Stoff offensichtlichen Schlocks, wobei man sich dank des Remakes nicht einmal einen Film, der solchen Impulsen folgt, vorstellen muss. Das Original ist dagegen sehr zurückhaltend, während Willards scheinbar harmlose Introvertiertheit in einen erschütternd traurigen Gemütszustand eskaliert. Weit entfernt von einem harten Rachefilm, bietet Willard einen seltsam melancholischen Blick in das Leben eines total missverstandenen Eigenbrödlers. In der Tat formt sich ein unvermeidliches Schicksal um Willard und die bizarre Bindung, die er mit seinen Ratten eingeht. Vor allem Ben und Socrates, die beiden Anführer des Rudels, spielen dabei eine besondere Rolle. Die enorm seltsame, jedoch nicht nachhaltige Beziehung zu den Tieren kommt durch Davisons charmant jungenhafte Darbietung wirklich gut zur Geltung. Sein Willard könnte nicht bemitleidenswerter und kindlicher sein, besonders während seiner erschütterndsten Momente. Zum Beispiel in der Szene, in der Borgnine Ben und Sokrates in einem Büroschrank rücksichtslos zur Strecke bringen will. Indem er einfach zwischen Borgnines wildem Stechen und Schlagen auf die Kreaturen und Davisons angstvollen, angewiderten Reaktionen hin und her schneidet, erzeugt Mann eine unglaubliche Spannung, die das Publikum zu der unwiderlegbaren Schlussfolgerung führt, dass man doch tatsächlich um das Leben einer Ratte besorgt ist. Als Socrates schließlich von Borgnine unbarmherzig „abgeschlachtet“ wird, gilt dies als der emotional beeinflussendste Moment des Films. Es sterben selbstverständlich auch Menschen in Willard (wenn auch nicht viele), doch keiner dieser Todesfälle trifft mit solcher Wucht, wie der Tod der Ratte.

Dreh- und Angelpunkt für Willard ist, das Publikum dazu zu bringen, sich auf einen Plot einzulassen, der es dazu auffordert, sogar noch mehr Exzentrizitäten zu durchleben, als die bereits genannten. Die zentralste darunter ist sicherlich die funktionelle Natur von Willards Beziehung zu den Ratten: Für einen Großteil des Films scheint es so, als würde es sich um Wahnvorstellungen einer geschädigten Psyche handeln. Willard kommuniziert bestimmt nicht wirklich mit diesen Ratten – oder vielleicht doch!? Der Film behält sich eine wuchtige Antwort auf diese Frage vor, wenn deutlich wird, dass sich Willards Welt irgendwo im Bereich eines magischen Realismus entfaltet. Gerade als man meint der Streifen könnte nicht noch bizarrer werden, gerät der Film in den letzten paar Minuten völlig aus dem Gleichgewicht und zementiert damit seinen Platz als einer der seltsamsten Pseudo-Mainstream-Flics dieser Zeit. Viele Filme würden in der Folgezeit in diese Fußstapfen treten und riesige Blockbuster-Erfolge feiern. Dabei allerdings aber auch die komische Verrücktheit der Vorlagen abstreifen – was sicherstellt, dass es wirklich keinen Film gibt, der Willard und seinem noch bizarreren Nachfolger Ben diesbezüglich das Wasser reichen könnte. Es ist genauso erfreulich, wie erstaunlich, dass die meisten solcher filmischer Obskuritäten jemals wieder zu irgendeiner Art von Ruhm gelangen können, wobei man jede einzelne von ihnen zu schätzen wissen sollte – vor allem aber jene, in denen Bruce Davison eine Armee von bösartigen Ratten befehligt.

Anolis Entertainment bringt Willard im Rahmen ihrer Die 70er Reihe als Nummer 1 in einer BluRay-Edition heraus und leistet damit, wie bereits gewohnt, hervorragende Arbeit. Das Bild präsentiert sich im 1.85:1 / 16:9 (1920x1080p) Format und sieht absolut klasse aus. Es zeigt sich sehr gut restauriert, farbenfroh, enorm scharf und wunderbar detail- und kontrastreich. Beim Ton kann man zwischen den Sprachen Deutsch und Englisch (beide DTS-HD-MA 2.0 Mono) wählen, wobei deutsche Untertitel zuschaltbar sind. Außerdem gibt es neben einer Super-8-Fassung, dem amerikanischen Kinotrailer, Radio Spots, einem deutschen Werberatschlag und einer Bildergalerie, noch das 28-seitige Booklet, von Ingo Strecker und David Renske interessant gestaltet und toll geschrieben, zu bestaunen. Der Audiokommentar sowie das Interview mit Bruce Davison gehören eindeutig zu den Höhepunkten der Veröffentlichung, versorgen sie den geneigten Zuschauer doch mit einer Fülle an interessanten Informationen über den Film. Fans von trashigen Film-Obskuritäten werden Willard lieben und riesigen Spaß mit dem Streifen haben.

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  • Darsteller: Bruce Davison, Sondra Locke, Elsa Lanchester, Ernest Borgnine
  • Regisseur: Daniel Mann
  • Format: Limited Edition
  • Untertitel: Deutsch
  • Region: Region B/2
  • Bildseitenformat: 16:9 – 1.77:1
  • FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
  • Studio: Anolis Entertainment
  • Produktionsjahr: 1971
  • Spieldauer: 95 Minuten

Diese Edition sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von Anolis Entertainment zur Verfügung gestellt.

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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