Five Fingers For Marseilles

Zwanzig Jahre ist es her, dass die „Five Fingers“-Bande die südafrikanische Stadt Marseilles aus den Händen korrupter Polizisten befreit hat. Tau hat dafür einen hohen Preis bezahlt: Wegen zweifachen Mordes musste er damals ins Gefängnis. Als er nun freikommt und nach Marseille zurückkehrt, muss er feststellen, dass es einen neuen Feind gibt, der brutal versucht, die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Gegen seinen Willen muss der Outlaw ein weiteres Mal in den Kampf ziehen. (Donau Film)

Dieser launische, introspektive, moderne südafrikanische Streifen spielt wie ein in eine alternative Realität versetzter Clint Eastwood Western, obwohl er vom Look her eher an Last Man Standing erinnert. Der Dialog (mit Untertiteln) wechselt zwar von Englisch über Sesotho zu Xhosa, bietet in Bezug auf die Handlung allerdings nichts richtig Neues und hakt dabei nach und nach die Konventionen ab, in denen der Streifen schwelgt. Doch die authentischen Drehorte und die ausgezeichnete Besetzung verleihen dem Ganzen enorme Frische. Erwartet man einen actiongeladenen „Blockbuster“, so wird man sicherlich enttäuscht werden, denn bis zum endgültigen Showdown gibt es neben einem Hauptprotagonisten, der die meiste Zeit herumwandert und sich fragt was er als nächstes tun soll, nur ein paar kurze Schießereien und Schlägereien zu sehen. Die Geschichte könnte mit Leichtigkeit in anderthalb Stunden erzählt werden, wobei die langsame, düstere Herangehensweise sowohl positive als auch negative Aspekte aufweist. Man bekommt ein großartiges Gefühl dafür, welche Art von Persönlichkeit hinter den verschiedenen Charakteren steckt und warum sie so sind, wie sie sind. Sogar die meisten der Bösewichte werden dabei nicht vergessen. Man kann die Drehorte förmlich spüren, riechen und erleben, während es Regiedebütant Michael Matthew (der den Film für nur 1 Million US-Dollar realisiert hat) sehr gut versteht bestens bekannte Western-Konventionen in den Plot einzubauen, sodass jeder geliehene Moment, sogar jede Referenz, für die Handlung und die Charaktere notwendig erscheint. Wenn man möchte, kann man versuchen die verschiedenen Referenzwerke wiederzuerkennen: Zwölf Uhr mittags, Mein großer Freund Shane, Eine Handvoll Dollar etc., doch am ehesten scheint Five Fingers For Marseilles an Spiel mir das Lied vom Tod und Zwei Glorreiche Halunken angelehnt zu sein, die ja praktisch einen ganzen Katalog von Western Szenen und Referenzen darstellen, ebenfalls ein einzigartiges Gefühl vermitteln und natürlich zu den größten und besten Western zählen, die je auf Zelluloid gebannt wurden. Five Fingers For Marseilles spielt natürlich nicht in der gleichen Liga, ist aber auf jeden Fall lohnenswert.

Den zeitlichen Rahmen bildet die Gegenwart, doch irgendwie auch wieder nicht. Teilweise scheint der Film in die Vergangenheit zurückversetzt zu sein. Der „Scramble for Africa“ zwischen 1870 und 1900 endete damit, dass fast ganz Afrika von europäischen Staaten kontrolliert wurde. Dieser Zustand dauerte bis Mitte/Ende der 50er Jahre an, als die sogenannte Entkolonialisierung begann. Leider zogen sich die Europäer (größtenteils aber nicht ausschließlich Briten und Franzosen) aus Afrika zurück, ohne dafür zu sorgen, dass die Leitung vieler Länder in vernünftige sowie verlässliche Hände gelegt wurde. Infolgedessen konnten sich Diktatoren etablieren und Bürgerkriege entfachen. Auf der anderen Seite fühlt sich der Streifen manchmal so an, als würden sich die Protagonisten in einer postapokalyptischen Zukunft im Stile von Mad Max bewegen. Wichtig dabei ist jedoch, dass nichts dem Zufall überlassen wird oder nicht durchdacht erscheint – die Drehorte, Kulissen und Schauspieler kommen zu jeder Zeit authentisch und glaubwürdig rüber.

Taus ziemlich wehmütige Zeilen, “first came the town, and with that came the settlers, and they called it their home”, eröffnen den Film, bevor zu einer Mexican Standoff Szene mit etlichen Leone typischen Einstellungen geschnitten wird, wo sich Kinder mit weitgehend harmlosen Steinschleudern gegenüberstehen. Das Publikum verbringt nun die nächsten 18 Minuten mit den Kids, ehe der Titel auf dem Bildschirm erscheint. Erstaunlicherweise werden alle Kindercharaktere von einheimischen Dorfbewohnern ohne schauspielerische Erfahrung gespielt und sie alle machen ihre Sache ziemlich gut. Dort ist Zulu (der Anführer), Tau ‚The Lion‘ (Zulus jüngerer, gewalttätiger Bruder), Bongani ‚Pockets‘ (der Reiche), Luyunda ‚Cockroach‘ (der Gebrochene), Unachi ‚Pastor‘ (der Geschichtenerzähler) und das einzige weibliche Mitglied der Gruppe, Lerato, die an Tau interessiert zu sein scheint. In einer gelungenen Szene, in der Tau nachts auf einem Hügel sitzt und sich Lerato zu ihm gesellt, sagt er zu ihr, dass er auf ein Mädchen wartet, das er manchmal trifft, doch weder das Publikum, noch Lerato glauben ihm. Diese Sequenz stellt ihn als recht grüblerische Persönlichkeit dar, was zu dem archetypischen Western „Helden“ passt, der für gewöhnlich als Einzelgänger unterwegs ist. Sehr gerne hätte man noch mehr von den Kindern gesehen, denn sie erinnern an die jugendlichen Hoodlums aus Es war einmal in Amerika, während ein kurzer Moment Stand by Me evoziert, wenn Unachi ihre Namen aufzählt, während Abendaufnahmen der Kids (inklusive Sonnenuntergang) auf ihren Fahrrädern ihnen legendären Status verleiht. Doch Ärger ist nie fern. Marseilles „schwarze“ Bevölkerung wurde von den „Weißen“ in das Ghetto Railway umgesiedelt und sieht sich nun fortwährend den Einschüchterungen der Polizei ausgesetzt, die sogar an Türen klopft und Schutzgeld verlangt. Nach solch einem Vorfall bewerfen die Five Fingers zwei Polizisten mit Eiern und beschießen sie mit Steinen, um sie zu verjagen, doch die „Autorität“ schnappt sich Lerato und fährt mit ihr weg. Nach einer Verfolgungsjagd inklusive Unfall, denkt Tau, Lerato sei dabei ums Leben gekommen und erschießt daraufhin die Polizisten, doch das Mädchen erwacht nach der Tat gesund und munter aus ihrer Bewusstlosigkeit.

Tau muss nun fliehen, woraufhin sich ihm das Publikum 20 Jahre später anschließt, um ihn dabei zu beobachten, wie es ihm gelingt aus einem Gefängniszug auszubrechen. Auch hier, wie schon bei der „Exekution“ der Polizisten, wird der Zuschauer NICHT zum Genuss der dabei dargestellten Gewalt eingeladen. Hinsichtlich dessen leistet Matthew wirklich gute Arbeit – die Brutalität wird nicht zur Schau gestellt und/oder unnötig ausgeweitet, dennoch bekommt man deren enorme Wucht zu spüren und wird dazu veranlasst, darüber nachzudenken, was daraus resultieren könnte. Tau kehrt schließlich nach Marseilles zurück und realisiert schnell, dass sich so Einiges verändert hat. Lerato und ihr Vater betreiben zwar noch immer die Taverne von Damals aber Bongani ist jetzt Bürgermeister, Luyunda dessen grausamer Polizeichef und Unachi ein desillusionierter Prediger. Hier wird klar, dass sich Taus vergangenes Verbrechen sehr negativ auf die Entwicklung seiner im Stich gelassenen Freunde ausgewirkt hat. Dies ist besonders gut am Beispiel Luyundas zu erkennen, der nach Taus Flucht von der Polizei mitgenommen und schwer gefoltert wurde, was ihn letztendlich in einen herzlosen Schläger verwandelt hat. Kein Wunder, dass Tau wie ein Heimgesuchter herumwandert, der scheinbar nur ungern etwas unternimmt, weil er bereits so viel Schaden angerichtet hat. Vuyo Dabula verkörpert die Rolle hervorragend und versprüht unheimliches Charisma, während der Betrachter seine Qual förmlich fühlen kann, jedoch auch noch einen gehörigen Eindruck seines Temperaments bekommt, bevor er in Gewalt ausbricht.

In Anbetracht des gemächlichen Tempos ergibt sich für das Publikum die Möglichkeit einige Charaktere und Charakterbeziehungen etwas genauer beobachten zu können. Sobald jedoch Sepoko auf dem Bildschirm auftaucht, wird es schwierig sich auf andere Charaktere zu konzentrieren. Sepoko ist der recht seltsame aber charismatische Boss einer Gangsterbande, welche die Kontrolle über die gesamte Stadt an sich reißen will. Hamilton Dhlamini verkörpert diese Rolle so furchterregend, dass es die Blitze und den Donner, die ihm stets zu folgen scheinen, eigentlich nicht gebraucht hätte. Außerdem gibt es auch eine „Back from the Dead“ – Szene (dies gilt angesichts der Anzahl der „Auferstehungen“, die Eastwood in seinen Filmen ins „Leben“ zurückbrachten, wohl kaum als Spoiler) zu „bestaunen“, die allerdings eine der lächerlichsten ihrer Art darstellt. Sollte Drehbuchautor Sean Drummond dabei etwa an Pale Rider gedacht haben, so hätte er neben einer ziemlich eindringlichen Szene mit Tau (auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll), noch ein paar weitere Hinweise auf das Übernatürliche geben müssen. Matthews Regieführung erweist sich als geschickt, indem er es mit den Leone– und John-Ford-Einstellungen nicht allzu sehr übertreibt und seine Unerfahrenheit nur während des großen Showdowns (der letztendlich eine kleine Enttäuschung darstellt) zum Vorschein kommt. Offensichtlich wollte er ein übertriebenes, protziges Finale vermeiden, um den Sinn für Realismus aufrechtzuerhalten und hatte natürlich auch nur sehr wenig Geld zur Verfügung, doch irgendwie ist das Ende ziemlich mau geraten, mit wenig Sinn für Geografie oder Spannungsaufbau. Da bleiben dem Zuschauer andere Sequenzen schon sehr viel eher im Gedächtnis haften, wie zum Beispiel die Szene, in der Tau und seine kleine Bande (vier „Schwarze“, ein „Weißer“ und ein Chinese) in Zeitlupe in die Stadt einmarschieren. Währenddessen wird keine mitreißende Musik eingespielt oder das erhebende Gefühl von „die Bösewichte kriegen endlich ihr Fett weg“ vermittelt. Stattdessen ist nur das Rauschen des Windes zu hören und das Empfinden von Verzweiflung und Verschwendung macht sich erkennbar. Viele Menschen werden gleich sterben, was keine gute Sache ist. James Matthes Musik ist enttäuschenderweise unscheinbar, wobei Shaun Lees Kinematographie zumindest tagsüber als großartig zu bezeichnen ist, nächtliche Szenen gestalten sich dagegen eher flach. Natürlich können viele der Mängel auf das niedrige Budget oder die Unerfahrenheit der Beteiligten zurückgeführt werden, wobei Matthews und seiner Crew trotzdem ein wirklich toller, eindrucksvoller Film gelungen ist.

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Darsteller: Hamilton Dhlamani, Zethu Dlomo, Vuyo Dabula, Kenneth Nkosi, Mduduzi Mabaso
Regisseur(e): Michael Mathhews
Format: Breitbild
Untertitel: Deutsch
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
Anzahl Disks: 1
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
Studio: Donau Film
Produktionsjahr: 2017
Spieldauer: 119 Minuten

Diese BluRay sowie das Bildmaterial wurde uns freundlicherweise von Donau Film zur Verfügung gestellt.

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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