Sotto il vestito niente / Nothing Underneath / The Last Shot

Der junge Nationalpark-Ranger Bob Crane hat plötzlich eine Vision. Ein Unbekannter versucht mit einer Schere seine hübsche Zwillingsschwester Jessica zu ermorden. Er reist sofort nach Mailand und stellt fest, daß das Model spurlos verschwunden ist. Da weder eine Leiche noch Blutspuren aufzufinden sind, kann Kommissar Danesi mit irgendwelchen Visionen wenig anfangen. Plötzlich wird aber am selben Ort, auf die gleiche Art und Weise wie in Bobs Vision, ein weiteres Model ermordet. Auch der Kommissar ist nun überzeugt, es vielleicht doch mit einem Serienkiller zu tun zu haben. (X-Cess Entertainment)

Nothing Underneath (der Titel spielt auf die Oberflächlichkeit der Modelwelt an) ist als einer der wenigen großen Giallo Erfolge der 80er Jahre zu bezeichnen. Die Mischung aus Thriller-Elementen mit Glamour, einer Prise Erotik und ein bisschen Horror erweist sich als erfolgreich und stellt mit Sicherheit den besten Beitrag von Regisseur Carlo Vanzina zum filone dar. Wie Una Magnum Special per Tony Saitta (Feuerstoß, 1976) und Madhouse (Party des Schreckens, 1981) ist der Film zu den wenigen Gialli zu zählen, die Live-Soundaufnahmen am Set nutzten. Ein kurzer Rückblick auf die italienische Tradition des Synchronisierens (oder Loopens) ihrer Filme dürfte in diesem Zusammenhang hilfreich sein. Italienische Filme wurden in der Regel aufgrund einer Vielzahl von Faktoren synchronisiert. Zum einen haben die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs viele Produktionsstätten in Trümmern liegen lassen. Die in der neorealistischen Bewegung verwendeten Dreharbeiten an Drehorten wurden daher aus der Notwendigkeit geboren, was wiederum die Verwendung von nachsynchronisiertem Ton erforderlich machte. Das Synchronisieren wurde zu einem so festen Bestandteil des Filmemachens, dass es viele Jahre lang als gängige Praxis galt. Einige Regisseure wie Federico Fellini betrachteten es sogar als wesentlichen Bestandteil der Unwirklichkeit des filmischen Prozesses.

In den 80er Jahren veränderten sich die Dinge ein wenig und allmählich begannen sogar Regisseure wie Dario Argento das Filmen mit Live-Sound zu übernehmen, obwohl die starken Akzente einiger Schauspieler immer noch ein Looping erforderlich machten. Da die Filme aufgrund der Gewichtung des internationalen Marktes in englischer Sprache gedreht wurden, entstanden die italienischen Tonspuren noch in der Synchronphase. Nothing Underneath gehört jedenfalls zu den ersten Streifen, bei denen diese Technik angewandt wurde, wobei sich das Ergebnis sehen bzw. hören lassen kann. Der Film wurde von Vanzina und seinem Bruder Enrico mit der kompetenten Unterstützung von Franco Ferrini nach einem Roman von Marco Parma adaptiert. Ferrini begann zu dieser Zeit intensiv an Dario Argentos Filmen zu arbeiten. Er schrieb unter anderem an Phenomena (1985), Opera (Terror in der Oper, 1987), Due occhi diabolici (Two Evil Eyes, 1990), Aura (Trauma, 1993), La sindrome di Stendhal (Das Stendhal Syndrom, 1996), Il cartaio (The Card Player, 2004) und Ti piace Hitchcock? (Do You Like Hitchcock?, 2005) mit. Außerdem wirkte er auch an den Drehbüchern für die von Argento produzierten Filme Dèmoni (Dämonen 2, 1985), Dèmoni 2 … l’incubo ritorna (Dämonen, 1986) und La chiesa (The Church, 1989) mit und arbeitete später erneut mit Vanzina zusammen an Squillo (1996).

Die Geschichte ist als Kritik an der Modebranche und deren Betonung auf der Objektivierung von Frauen zu sehen. Der Druck, dem diese Frauen ausgesetzt sind, um einem unrealistischen Ideal gerecht zu werden, wurde als eine Art Subtext angelegt, der den ganzen Film durchzieht, obwohl die Autoren ihn nicht auf übermäßig offensichtliche Weise durchscheinen lassen. Gialli, die in der Welt der Haute Couture spielen, lassen sich im Wesentlichen auf die Filme von Mario Bava zurückführen, insbesondere 6 donne per l’assassino (Blutige Seide, 1964), in dem die Models eines schicken Modehauses von einem mysteriösen Mörder brutal ermordet werden. Bavas Il rosso segno della follia (Hatchet for the Honeymoon, 1970) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Modemilieu, während sein Sohn Lamberto Bava Le foto di Gioia (Das unheimliche Auge, 1987) produzierte und Argento mit Giallo (2009) einen weiteren solcher Filme mit Bezug zur Modewelt folgen ließ. Die Hervorhebung der „glänzenden Oberfläche“ macht in diesem Zusammenhang Sinn: Gialli sind schließlich für ihre stilvollen, schimmernden Oberflächen bekannt. Unter diesem besonders ins Auge fallenden Äußeren verbirgt sich jedoch eine dunklere Realität. Wie so oft in anderen Filmen dieser Art wirkt der Killer in Nothing Underneath wie ein ganz normaler und stabiler Mensch. Erst ganz am Ende, wenn das mörderische Spiel aufgedeckt wurde, kommt die verdrehte Psychologie ans Tageslicht. Vanzina inszenierte den Film mit Stil und Autorität. Das Tempo ist als sehr gelungen zu bezeichnen, während sich die Bilder durchweg frappant gestalten.

Die Morde sind nicht so zahlreich vertreten wie in anderen Gialli dieser Periode, doch die Schockeffekte sind gut gemacht. Das Finale nutzt eine Ultra-Zeitlupen-Fotografie a la 4 mosche di velluto grigio (Vier Fliegen auf grauem Samt, 1971), ein Effekt, der von Pino Donaggios schöner Musik unterstrichen wird. Donaggio gab mit diesem Film sein Giallo-Debüt und würde einer ganzen Reihe weiterer Thriller seine Musik zur Verfügung stellen. Tatsächlich erinnert sein Score hier an seine Partitur für Brian De Palmas „amerikanischen GialloBody Double (Der Tod kommt zweimal, 1984). Er wurde 1941 in Burano geboren und begann 1973 mit der Produktion von Filmmusik. Nicolas Roegs Grenzgänger Giallo Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen) bedeutete einen triumphalen Start für den Komponisten, der nach dem vorzeitigen Tod von Maestro Bernard Herrmann im Jahr 1975 zum Komponisten der Wahl von De Palma avancierte. Donaggios Karriere umfasste alles, was mit Low-Budget-Horrorfilmen aus Amerika (Tourist Trap – Die Touristenfalle, 1979) und Italien (Lucio Fulcis Gatto nero / Black Cat, 1981) zu tun hatte, bis hin zu glänzender Mainstream-Kost wie De Palmas Dressed to Kill (1980) und Passion (2012). Zu seinen Giallo-Credits zählen Dario Argentos Trauma und Do You Like Hitchcock? sowie Ruggero Deodatos Un delitto poco comune (Off Balance – Der Tod wartet in Venedig, 1988), Vanzinas Squillo und Sotto il vestito niente – L’ultima sfilata (2011).

Der amerikanische Schauspieler Tom Schanley, der eine anständige Leistung als Bob Crane abliefert, führt die Besetzung an. Schanley verkörpert den sanften, ruhigen, typisch amerikanischen Jungen, genauso, wie es von ihm verlangt wird. Nothing Underneath kennzeichnete sein Filmdebüt nach einigen Gastauftritten im amerikanischen Fernsehen und scheint sein einziger Kontakt mit der Welt des europäischen Kultkinos geblieben zu sein. Anschließend spielte er von T.J. Hooker, Der Denver-Clan über Mord ist ihr Hobby und Get the Gringo (2012) in so ziemlich allem mit. Jessica Perring mimt seine Schwester Jessica, die sicherlich wunderschön anzuschauen ist, doch die Figur bekommt nicht gerade viel Leinwandzeit spendiert und kaum Gelegenheit, sich darüber hinaus zu profilieren. Ihre Karriere scheint nicht lange nach dem Dreh dieses Films ausgelaufen zu sein. Der große Name des Films ist allerdings Donald Pleasence, der seinen Kommissar Danesi herausragend darzustellen weiß. Pleasence, mit fragwürdig italienischem Akzent, nimmt die Rolle des Klischeecharakters an – des verbissenen Polizisten, der in Kürze in den Ruhestand treten wird – und versteht es hervorragend ihn sympathisch erscheinen zu lassen. Er wurde 1919 in Nottinghamshire geboren und begann Theater zu spielen, bevor er 1954 sein Filmdebüt gab. Pleasence hatte ursprünglich den Wunsch gehabt ausschließlich Hauptrollen zu übernehmen, doch war später selbst davon überzeugt, dass seine Zukunft in Charakterrollen lag. Er war ein wahnsinnig produktiver Schauspieler, der in allen Bereichen tätig war, von Big-Budget-Mainstream-Produktionen bis hin zu anspruchslosen Horrorfilmen. Wie seinen Zeitgenossen John Carradine und Christopher Lee schien es ihm schwer gefallen zu sein, Drehbuchangebote abzulehnen, doch es war immer sein Ziel gewesen, ständiger Beschäftigung nachzugehen, weswegen er infolgedessen mit Sicherheit keine mageren Phasen durchzumachen hatte. Seine Filmografie beinhaltet viele bemerkenswerte Titel, um nur ein paar wenige zu nennen: John Sturges‘ Gesprengte Ketten (1963), Roman Polanskis Wenn Katelbach kommt… (1966), Lewis Gilberts James Bond 007 – Man lebt nur zweimal (1967), George Lucas’ THX 1138 (1971) und John Carpenters Halloween – Die Nacht des Grauens (1978) sowie Woody Allens Schatten und Nebel (1991). Pleasence tauchte auch in einer Reihe von Gialli auf, darunter Dario Argentos Phenomena, Ruggero Deodatos Off Balance – Der Tod wartet in Venedig und Al Festas Fatal Frames – Okkulte Morde (1996). Deodatos Streifen würde sich als Pleasences letzter Film herausstellen, er starb 1995 im Alter von 75 Jahren nach einer Operation am offenen Herzen.

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Darsteller: Cyrus Elias, Anna Galiena, Big Laura, Maria McDonald, Bruce McGuire
Regisseur(e): Carlo Vanzina
Format: Limitierte Auflage
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 1.77:1
FSK: Nicht geprüft
Studio: X-Cess Entertainment
Produktionsjahr: 1985
Spieldauer: 94 Minuten

https://www.youtube.com/watch?v=C0RHCA2u4ws

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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