Toy / Vacanze per un massacro / Madness

Joe, ein wegen Mord und auch Zuhälterei verurteilter Straftäter, flieht aus dem Gefängnis. Die Jagd nach seiner damaligen Beute, die er in einem Kamin einer Berghütte versteckt hat, beginnt. Ein Ehepaar samt Schwester der Frau, die ihr Wochenende in den Bergen verbringen wollen, kreuzen leider unfreiwillig seinen Weg. Es kommt zu einem bestialischen Todesspiel, in dem Eifersucht und Mord dominieren. (X-Rated)

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!

Nach seiner Flucht aus dem Gefängnis tötet Joe Brezzi (Joe Dallesandro) zwei Männer, stiehlt ein Auto und macht sich zu der Berghütte auf, wo er 300 Millionen Lire versteckt hat (die Beute aus einem Raubüberfall), bevor er verhaftet wurde. Allerdings kommen ihm mit Sergio (Gianni Macchia) und Liliana (Patrizia Behn als Patricia Bhen aufgeführt) die Besitzer der Hütte in die Quere, die dort mit Lilianas jüngerer Schwester Paola (Lorraine De Selle) ein Jagdwochenende verbringen möchten. Während er auf den richtigen Moment wartet, um an das Geld kommen zu können, spioniert Joe die drei Bewohner aus und kommt somit ihren Geheimnissen auf die Spur: Paola und Sergio, die Liliana vorspielen sich zu hassen, sind in Wirklichkeit ein Liebespaar. Am nächsten Morgen, während Sergio auf die Jagd geht und Liliana im nächsten Dorf Vorräte kaufen möchte, wird Paola von Joe bewusstlos geschlagen, der sich daraufhin daran macht, die Beute auszubuddeln, die unter dem Kamin vergraben ist. Joe und Paola haben Sex, doch nach einem Fluchtversuch fesselt er sie ans Bett. Als Liliana zur Hütte zurückkehrt, wird auch sie von Joe überwältigt, gefesselt und geknebelt, während Sergio die Beute ausgraben darf. Joe erzählt Liliana von der Affäre ihres Mannes mit ihrer Schwester. Während Paola noch immer versucht ihn zu verführen, zeigt sich Joe von Lilianas Kummer bewegt und zwingt die beiden Liebenden, vor seinen und Lilianas Augen miteinander zu schlafen, damit sie die Wahrheit auch wirklich erkennen kann. Paola überredet Sergio, Joe zu töten, das Geld an sich zu nehmen und gleichzeitig auch noch Liliana loszuwerden. Die Beiden attackieren Joe und Liliana, während die sich gerade lieben, doch Joe knallt beide unbarmherzig mit Sergios doppelläufiger Schrotflinte ab. Joe bittet Liliana daraufhin mit ihm zu gehen, doch sobald er die Hütte verlassen hat, nimmt die Frau Sergios Gewehr an sich und schießt Joe zweimal in den Rücken.

Nach dem verhängnisvollen Versuch mit Avere vent’anni (Oben ohne, unten Jeans, 1978) etwas sexuelle Freiheit auf italienische Leinwände zu bringen, stellt Toy eine weitere sogenannte „Leiharbeit“ für Fernando Di Leo dar. Der Film basiert auf einer Geschichte von Mario Gariazzo, dessen Drehbuch zu La mano spietata della legge (Die gnadenlose Hand des Gesetzes, 1973) unter Di Leos Aufsicht verfasst wurde und dessen Italo-Western Acquasanta Joe (Weihwasser Joe, 1971) sowie Drama Il venditore di palloncini (Der Luftballonverkäufer, 1974) von Di Leos Firma Cineproduzioni Daunia 70 produziert worden sind. Gariazzo sollte ursprünglich auch Regie führen. Toy wurde in nur zwölf Tagen gedreht und war als Low-Budget-Einstieg für ein ziemlich profitables Sub-Genre konzipiert worden, zu dem auch Titel wie Franco Prosperis La settima donna (Junge Mädchen zur Liebe gezwungen, 1978) und Raimondo Del Balzos Midnight Blue (1979) gehören. Di Leo selbst sah das Ergebnis von Toy als durchaus kritisch an, da er als „Leiharbeiter“ ganz einfach nicht so wirken konnte, wie er es gerne gewollt hätte und sich den Wünschen des Produzenten Armando Novelli unterwerfen musste. Doch trotz der offensichtlichen Einschränkungen – die besonders deutlich in der Eröffnungssequenz in Erscheinung treten, in der Dallesandro aus dem Knast entkommt, indem er (wie in einem 30er Jahre Film) an einem Seil baumelnd an der Gefängnismauer hinunterklettert – erweist sich der letztendliche Film als nicht so schlecht, wie man sehr wahrscheinlich erwarten würde.

Gariazzos Plot orientiert sich an einer typischen Handlung à la Desperate Hours (24 Stunden in seiner Gewalt, 1990), die in den 90er Jahren ein ganzes Sub-Genre genährt hat. Doch es erscheint beinahe so, als hätte Di Leo Dallesandros Figur als Antwort auf Terence Stamps The Visitor aus Pier Paolo Pasolinis Teorema (Teorema – Geometrie der Liebe, 1968) angelegt: ein Außenseiter bringt Erotik und Anarchie in ein scheinbar solides Familiengefüge ein, das von verborgenen sowie unsäglichen sexuellen Spannungen und Wünschen durchzogen ist. Di Leo treibt dabei den Voyeurismus und die sexuelle Mehrdeutigkeit – auch dank Dallesandros magnetisch-physischer Leinwandpräsenz – deutlich voran. Toy sollte der letzte Film gewesen sein, den der Schauspieler in Italien gedreht hat, bevor er in die Staaten zurückkehrte. Der andere sexuelle Pol des Films wird von Lorraine De Selle verkörpert, die eine denkwürdig bissige, undurchsichtige sowie fast immer nackt herumlaufende Frau mimt. Von ihrem Liebhaber wird sie als „ein zickiger kleiner Snob“ bezeichnet.

Dallesandro und De Selle stellen die perfekten Gegenstücke für die andere Hälfte der Besetzung dar. Gianni Macchias Figur wird als ein sexistisches Schwein vorgestellt – und erhält von Dallesandro sofort den Spitznamen „Arschloch“ – das seine Frau sowie seine Geliebte halb-scherzhaft „Sklaven“ nennt (die deutsche Synchronisation macht kurioserweise „Gepäckträger“ daraus), während Patrizia Behns offenkundige Mängel als Schauspielerin letztendlich zu der sardonischen, antibürgerlichen Atmosphäre des Films beitragen. Übrigens spielte Behn – die Geliebte des Produzenten – nur noch in ein paar weiteren Filmen mit: Mario Gariazzos Play Motel (1979) und Alberto Cavallones La gemella erotica (Die schöne Pat und der supergeile Liliput, 1980). Manchmal scheint es so, als würde der Regisseur versuchen den Film zu sabotieren oder zumindest das Publikum an der Nase herumzuführen: Dallesandro – in Jeans und dunkelblauem Tank-Top gekleidet – sieht eher wie ein Straßenarbeiter aus, stellt sich einem alten Mann jedoch als ein Versicherungsvertreter auf der Suche nach neuen Kunden vor, deren Häuser er gegen Feuer und Einbrüche versichern könnte. Später ist Lorraine De Selle mit einer ganzen Kiste J&B unterm Arm zu sehen, was selbstverständlich schamlos einprägsame Schleichwerbung repräsentiert. Mit Postern von Marlon Brando in Der letzte Tango in Paris (1972), John Travolta und einem monochromen James Dean aus Giganten (1956) sieht es fast so aus, als wollte Di Leo auf diese Art und Weise Dallesandros unbestreitbaren Sexappeal feiern.

Trotz seiner film-noir Erscheinung ist Toy (der in Italien als Vacanze per un massacro veröffentlicht wurde, was wörtlich übersetzt so viel bedeutet wie Feiertage für ein Massaker) im Wesentlichen als ein erotischer Film anzusehen – was bedeutet, dass Di Leo wohl eher am erotischen Element interessiert gewesen ist. Man nehme nur die Szene, in der De Selle masturbiert, während Dallesandro sie dabei beobachtet – ein offensichtlich überflüssiges Zwischenspiel, das sich zu einer erotischen Lektion auf der Leinwand entwickelt, auch dank der Verwendung von Roberto Sofficis Lied Dimenticare, das im Radio läuft (die Verwendung von diegetischer Musik erweist sich als ein wiederkehrendes Merkmal des Films, während der Regisseur an anderer Stelle Teile aus Luis Enrique Bacalovs Partitur aus Milano Kaliber 9 und das denkwürdige Concerto grosso aus La vittima designata / Der Todesengel von 1971 wiederverwertet) – oder die Vergewaltigungsszene, in der sich (wie in italienischen Filmen der 70er Jahre üblich) das Opfer letztendlich gerne „nehmen“ lässt. Insgesamt stellt Toy nichts anderes als ein Kammerspiel dar, das zumeist an einem einzigen Ort in den abgelegenen Bergen der Abruzzen gedreht worden ist, wobei es der Regisseur sehr gut versteht das minimale Budget bestmöglich auszunutzen. Obwohl das Ende in Zeitlupe – das in seiner Gewaltdarstellung deutlich an Sam Peckinpahs Straw Dogs (Wer Gewalt sät, 1971) erinnert – ziemlich gekonnt in Szene gesetzt wurde, repräsentiert es wahrscheinlich die am wenigsten überzeugende Sequenz des Films, ganz zu schweigen von der übereilt inszenierten Koda, die sich viel zu stereotyp und extrem für einen solch klischeefremden Regisseur wie Fernando Di Leo gestaltet.

Bonusmaterial:

  • 16-seitiges tenebrarum – Booklet von Martin Beine —> unter dem Deckmantel „Su casa, mi casa“ oder „Your home is my castle“ gibt Filmanalytiker Beine tiefe Einblicke und bedeutungsschwangere Denkanstöße!
  • Audiokommentar der Filmgelehrten Pelle Felsch und Oliver Nöding —> obwohl sich die Beiden zu Beginn des Films überhaupt nicht sicher sind, ob es ihnen gelingen wird die ca. 89 Minuten Laufzeit mit genügend Informationen füllen zu können, meistern sie diese Aufgabe auf bravouröse Art und Weise, indem sie ein recht unterhaltsames sowie enorm informatives Gespräch abliefern, an dessen Ende Herr Felsch noch anfügt: „Das ging ja jetzt schneller, als ich dachte.“
  • Exklusiv internationaler Audiokommentar von Troy Howarth —> wie gewohnt enorm informativ!
  • Exklusiv produziertes Interview mit Darsteller Gianni Macchia
  • Interview mit Drehbuch-Supervisor Silvia Petroni
  • Alternativszene
  • Original Trailer
  • Werbematerial

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  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.85:1
  • Alterseinstufung: Nicht geprüft
  • Regisseur: ‎Di Leo, Fernando
  • Medienformat: ‎Limitierte Auflage, Letterbox
  • Laufzeit: 1 Stunde und 32 Minuten
  • Darsteller: ‎Bhen, Patricia, de Selle, Lorraine, Macchia, Gianni, Dallesandro, Joe
  • Untertitel: ‎Deutsch
  • Studio: ‎X-Rated

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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