Blutrausch – Dreckige Wölfe / Senza ragione / Redneck

Die beiden Gangster Memphis (Telly Savalas) und Moskito (Franco Nero) überfallen ein Schmuckgeschäft. Planung wurde bei der Tat nicht groß geschrieben. Der psychisch gestörte Memphis bringt bei dem chaotischen Coup den Juwelier um. Die Flucht gestaltet sich als riskant und endet mit einem Unfall. Der gewaltbereite Ami Memphis reißt sich daraufhin den nächsten Wagen unter den Nagel, ohne zu bemerken, dass sich darin ein Kind befindet… (Pidax)

Als britisch-italienische Koproduktion repräsentiert Blutrausch – Dreckige Wölfe einen der unangenehmsten Thriller der 70er Jahre. Die Hauptcharaktere wurden so angelegt, sodass sich das Publikum unmöglich mit ihnen identifizieren kann. Der Zuhälter/Gigolo Moskito (Franco Nero) stellt einen nervigen, tragikomischen Einfaltspinsel dar, während sein Komplize, der weinerliche Psychopath Memphis (Telly Savallas), ein Blutsbruder der „tollwütigen Hunde“ ist, die in den 70er Jahren die italienischen Kinoleinwände bevölkern würden, beginnend mit Giulio Sacchi (Tomas Milian) aus Milano odia: la polizia non può sparare / Der Berserker (1974). Drogensüchtig, impotent und krankhaft eifersüchtig auf seinen Partner, tötet Memphis voller Freude Frauen, Kinder sowie Tiere und weint Krokodils-Tränen während der Flucht der Banditen an die französische Grenze, nachdem ein Raubüberfall vollkommen schief gelaufen ist und mit Mord endete.

Savalas übertreibt sein Schauspiel mit wildester Hingabe. In einer Zurschaustellung schauspielerischer Manierismen summt, betet, schreit, reimt, pfeift und schmollt er – inklusive einer enorm starken Schnodder-Synchronisation – was an das Unerträgliche grenzt. Dasselbe lässt sich jedoch auch über den Film selbst sagen. Das Drehbuch von Win Wells und Masolino D’Amico (ein renommierter Filmkritiker, Journalist und Übersetzer) verfasst, arbeitet mit einem grundlegenden Roadmovie-Plot – mit kuriosen Ähnlichkeiten zu Mario Bavas Cani arrabbiati (Rabid Dogs, 1974) und Dino Risis Mordi e fuggi (Ein Scheiß-Wochenende, 1973) – und mischt typisches Actionfilm-Material (die Szenen mit Duilio Del Prete als Polizei-Captain mit dem treffenden Namen Lenzi) mit pikaresken und sogar offen humorvollen Zwischenspielen sowie gelegentlichen Anfällen von Gewalt, mit beunruhigenden Ergebnissen – umso mehr angesichts der häufigen grotesken Anklänge, wie zum Beispiel bei der ersten Flucht mit dem Auto, wenn das Fahrzeug der Verbrecher großes Unheil bei einer Beerdigung anrichtet oder die Episode in einer abgelegenen Villa in den Bergen, wo Moskito eine verrückte Prinzessin (Maria Michi) verführt.

Obwohl sich der Humor bereits recht düster gestaltet und die Betonung auf Sexualität (wie in vielen italienischen Filmen jener Zeit) als dezidiert politisch inkorrekt beschrieben werden muss, knausert Blutrausch – Dreckige Wölfe dennoch nicht mit purer Gewalt und Brutalität, etwa bei der Ermordung einer deutschen Familie von Campern, die eine ähnliche Szene aus Romolo Guerrieris Liberi armati pericolosi (Bewaffnet und gefährlich, 1976) vorausdatiert. Die unangenehmsten Momente des Films beziehen sich jedoch auf die homoerotischen Implikationen der seltsamen Beziehung zwischen Moskito, Memphis und ihrer 13-jährigen Geisel Lennox (gespielt vom ehemaligen Oliver! Star Mark Lester), der von der Amoralität seiner Entführer gebannt zu sein scheint und sich wahrscheinlich von Natur aus zum Bösen hingezogen fühlt. Es handelt sich um eine ziemlich typische Besetzung für Lester, der hier im Grunde eine dunklere Variation früherer sowie ähnlicher Rollen aus John Houghs Eyewitness (Sudden Terror, 1970), Curtis Harringtons Whoever Slew Auntie Roo? (Wer hat Tante Ruth angezündet, 1972) und James Kelleys / Andrea Bianchis La tua presenza nuda! (Der Zeuge hinter der Wand, 1972) spielt. Als verwöhntes Kind (dessen Mutter sich mehr Sorgen um ihren gestohlenen Pelzmantel macht), das eine morbide Bindung zu Moskito aufbaut, erlebt Lester eine besonders unangenehme Szene mit einem völlig nackten Nero in einem Schlafzimmer, wo aus der scheinbaren Ersatzvater-Sohn-Beziehung etwas dunkleres entsteht, als sich der Junge, nachdem Nero den Raum verlassen hat (um die verrückte Prinzessin zu verführen), langsam vor einem Spiegel auszieht, wobei er Moskito nachahmt. Apropos Minderjährige, eine 8-jährige Lara Wendel (Mio caro assassino, Il profumo della signora in nero … immer noch unter ihrem richtigen Namen Daniela Barnes gelistet) taucht zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder kurz als die Tochter der deutschen Camper auf.

Der gebürtige Kanadier Silvio Narizzano hatte schon bei einer Reihe interessanter Werke Regie geführt, wie zum Beispiel beim Hammer Thriller Fanatic (Das düstere Haus, 1965), Georgy Girl (1966) und dem ausgefallenen Western Blue (Inferno am Fluß, 1968) mit Terence Stamp in der Hauptrolle, bei denen er sich als fähiger Filmemacher bewährt hatte. Bei Senza ragione scheint er jedoch vollkommen von den Charakteren und der Geschichte losgelöst zu sein, wenn er sie nicht sogar verächtlich behandelt. Abgesehen von Savalas‘ schamlosem Overacting grenzt Neros Leistung – in einer Rolle, die die gewohnten heroischen Darbietungen des Schauspielers stark herausfordert, jedoch irgendwie mit seinen anderen Schauspielrollen aus dieser Periode übereinstimmt, wie der des tollpatschigen Vigilante aus Enzo G. Castellaris Il cittadino si ribella (Ein Bürger setzt sich zur Wehr, 1974) – ans Masochistische. Er beginnt den Film in Unterwäsche (allerdings nur in der italienischen Originalversion), nachdem er eine Frau, die für seine Dienste bezahlt hat, sexuell nicht befriedigen konnte und beendet den Streifen in einen Frauenpelz gekleidet. Narizzanos Film wurde in Italien später als Squadra volante uccideteli … senza ragione wieder veröffentlicht, um auf den poliziotteschi-Zug aufzuspringen.

Wie von Pidax mittlerweile gewohnt, präsentieren sich Bild und Ton auf brauchbarem Niveau. Nicht richtig gut aber auch nicht wirklich schlecht.

Bonusmaterial:

  • Wendecover
  • Italienische Fassung Senza Ragione
  • Interview mit Mark Lester (ca. 12 Minuten)

Bei Pidax oder Amazon bestellen

  • Seitenverhältnis: 16:9 – 1.77:1, 16:9 – 1.78:1
  • Alterseinstufung: Freigegeben ab 16 Jahren
  • Regisseur: Silvio Narizzano
  • Medienformat: Dolby, PAL
  • Laufzeit: 1 Stunde und 25 Minuten
  • Darsteller: Franco Nero, Telly Savalas, Ely Galleani
  • Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)
  • Studio: Pidax Film- und Hörspielverlag

Beim Film-Retro-Shop bestellen

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

Das könnte dich auch interessieren …