Die Sonntagsfrau / La donna della domenica / The Sunday Woman

Der umstrittene Architekt Garrone ist ermordet worden, weswegen Polizeikommissar Santamaria mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt wird. Seine Nachforschungen führen ihn dabei in die Kreise der gehobenen Gesellschaft Turins. Ganz oben auf der Liste der Verdächtigen stehen Anna Carla Dosio und ihr homosexueller Freund Massimo Campi. Während Santamarias Ermittlungsarbeiten schlägt der Mörder jedoch erneut zu…

Die Sonntagsfrau ist ein Film, der problemlos in die Kategorie der sogenannten Grenzgänger-gialli eingeordnet werden kann, denn er beinhaltet durchaus einige Elemente, die man mit dem filone des giallo assoziiert. Allerdings ist deren Behandlung nicht gerade als konventionell zu bezeichnen, wobei das Endergebnis eher komisch skurril, als mitreißend oder spannend ausgefallen ist. Der Plot wurde von Carlo Frutteros und Franco Lucentinis gleichnamigen Roman vom angesehenen Autorenduo Agenore Incrocci sowie Furio Scarpelli sehr angemessen adaptiert. Die beiden Herren waren auch an den Drehbüchern zu Hits wie Mario Monicellis Oscar-nominierten I soliti ignoti (Diebe haben’s schwer, 1958), Alberto Lattuadas Mafioso (1962) sowie Sergio Leones epischen Italo-Western Il buono, il brutto, il cattivo (Zwei glorreiche Halunken, 1966) beteiligt, während Die Sonntagsfrau von all ihren Drehbüchern noch am ehesten in Richtung giallo geht. Wie man es von ihren Skripts normalerweise erwarten kann, griffen sie auch hier auf eher komische und durchaus eigenwillige Elemente zurück, während sie dem Drang widerstehen konnten, sich auf typische giallo-Merkmale einzulassen, obwohl die Art und Weise des Mordes, der die Handlung in Gang setzt, für sich genommen bereits als recht reißerisch aufgemacht angesehen werden kann. Um es etwas zu veranschaulichen: Das Opfer, ein Mann, der für seinen unstillbaren sexuellen Appetit bekannt ist, wird mit einem großen Steinphallus zu Tode geprügelt.

Dies führt zu einer amüsanten Szene, in welcher der verwirrte Kommissar Salvatore Santamaria (Marcello Mastroianni) dem exzentrischen Bildhauer einen Besuch abstatten muss, der sich für die Herstellung des Mordwerkzeugs verantwortlich zeichnet. Der wiederum lädt den Polizisten zu einem Rundgang durch seine Werkstatt ein, die mit ähnlichen Statuen in den verschiedensten Größen und Farben übersät ist. Der Großteil des Films beschäftigt sich mit der Enthüllung der anstößigen Seite seiner vornehmen Charaktere aus der Oberschicht, wobei Turin als Schauplatz der Vorgänge angegeben wird. Allerdings könnte die Kritik an den müßigen Reichen genauso gut auch auf andere Städte und Kulturen übertragen werden. Die verschiedenen Mitglieder der verwöhnten Elite beschweren sich über die Hitze, beklagen den Mangel an kompetenten sowie vertrauenswürdigen Bediensteten und fallen sich im Allgemeinen gegenseitig ohne zu zögern oder ersichtlichen Grund in den Rücken. Sie verhalten sich zwar wie moralische und aufrichtige Menschen, betreiben als Freizeitbeschäftigung jedoch alle möglichen illegalen Aktivitäten und kommen generell wie eine heuchlerische Gruppe von selbstsüchtigen Bastarden rüber. Das Eindringen des Kommissars (aus der Arbeiterschicht) in ihren Privatbereich verärgert sie ziemlich stark, da es sie bei der Ausübung ihres ausschweifenden Lebensstils beeinträchtigt und er ganz offensichtlich „keiner von ihnen“ ist.

Zum Beispiel vergleicht Anna Carla Dosio (Jacqueline Bisset) die Polizei mit der Mafia, ein Vergleich, den der gutmütige Santamaria amüsiert abtut, doch es liegen auch noch eindeutigere Implikationen vor, dass er als Mitglied der Mittelklasse angesehen wird und als solches automatisch als minderwertig gilt. Tatsächlich wird er von seinen Vorgesetzten gerade aus diesem Grund dazu ermahnt, bei seinen Ermittlungen äußerst umsichtig vorzugehen. Schließlich hat die Polizei ihren ganz eigenen Platz innerhalb der Gesellschaft und dieser ist keinesfalls in den „gebildeten“ Reihen der Oberschicht zu verorten. Dieser spezielle gesellschaftliche Kommentar wird jedoch recht leichtherzig gehalten, um sicherstellen zu können, dass sich der Film letztendlich nicht allzu sehr in abgedroschener Polemik suhlt. Dabei hält sich der Plot grundsätzlich an die Regeln des „Genres“. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, denen Santamaria nachgehen muss, während diverse Ablenkungsmanöver in Hülle und Fülle vorhanden sind. Einer der wichtigsten Hinweise besteht aus einem cleveren Wortspiel, das der Kommissar nicht entschlüsseln kann, da es sich dabei um eine umgangssprachliche Redewendung handelt, die ihm nicht bekannt ist. Dieses Wortspiel wird sehr wahrscheinlich auch die meisten Zuschauer überfordern, was aber vollkommen in Ordnung geht, da es einigen der unwahrscheinlicheren Handlungswendungen vorzuziehen ist, die sich zu Ungunsten vieler „kleinerer“ gialli auswirken. Der Anteil an Gewalt ist als minimal zu beschreiben, wobei die grausige Art des ersten Mordes, gepaart mit einer denkwürdigen Stalking-Szene – die später im Film in einem weiteren Gewaltausbruch abseits des Bildschirms gipfelt – dazu beiträgt den Film im „Genre“ zu verankern.

Die abschließende Enthüllung der Identität des Mörders gestaltet sich überraschend, wird aber logisch entwickelt, während das Finale ziemlich deutlich macht, dass keines der Geschehnisse irgendwelche – geschweige denn große – Auswirkungen auf die engstirnigen, hinterhältigen und oberflächlichen Verhaltensweisen der privilegierten Elite hat. Regisseur Luigi Comencini beweist auf geschickte Art und Weise einiges an Fingerspitzengefühl. Bei der Komik bezüglich der (schlechten) Manieren der Oberschicht hält er die Zügel recht locker in der Hand, während die schäbigeren Elemente des Szenarios sehr sachlich behandelt werden. Die Sonntagsfrau vermeidet somit den anzüglicheren, sensationslüsternen Ansatz anderer gialli und fungiert gleichzeitig als fesselndes Charakterstück mit komödiantischer Note. Technisch gesehen präsentiert sich der Streifen von seiner besten Seite. Luciano Tovolis meisterhafte Kameraführung lässt Turin in einem beeindruckenden Licht erscheinen, während Ennio Morricones flotter Soundtrack sowohl die obsessiven, als auch die komödiantischen Untertöne des Films unterstreicht. Die Charakterisierungen erweisen sich als reichhaltig sowie gut skizziert, während der Film sehr stark von einer hervorragenden Besetzung profitiert. Kommissar Santamaria kommt scharfsinniger und raffinierter als der übliche giallo-Kommissar daher, trägt gut geschneiderte Anzüge und präsentiert seine Person mit einem Hauch von Eleganz.

Dieser Aspekt macht ihn zu einem idealen Kandidaten, um in die Welt der Reichen und Stumpfsinnigen einzutauchen, doch seine Herkunft aus der arbeitenden Mittelschicht kann er vor ihnen dennoch kaum verbergen. Marcello Mastroianni spielt hervorragend in der Rolle des Kommissars, während man auf der Radiance Scheibe auch seiner unverwechselbaren Stimme lauschen kann, die in der englischsprachigen Synchronisation des Films selbstverständlich verloren geht. Mastroianni wurde 1924 in Latium, Italien, geboren. Sein Filmdebüt gab er mit einer nicht im Abspann aufgeführten Nebenrolle in Marionette (1939) und hatte anschließend einen weiteren, nicht gelisteten Auftritt in Vittorio De Sicas neorealistischem Klassiker I bambini ci guardano (The Children Are Watching Us, 1944). In den 1950er-Jahren erreichte seine Karriere einen zwischenzeitlichen Höhepunkt, als er von Luchino Visconti für die Hauptrolle in dessen wunderschönem Le Notti Bianche (Weiße Nächte, 1957) engagierte wurde. Später trat er in Viscontis Lo straniero (Der Fremde, 1967) und De Sicas Ieri oggi domani (Gestern, heute und morgen, 1963) auf, doch seine fruchtbarste Zusammenarbeit hatte er mit Federico Fellini, der ihn in Filmen wie La dolce vita (Das süße Leben, 1960), (Achteinhalb, 1963) und La città delle donne (Fellinis Stadt der Frauen, 1980) zum Einsatz brachte. Für Divorzio all’italiana (Scheidung auf Italienisch, 1961), Una giornata particolare (Ein besonderer Tag, 1977) und Oci ciornie (Schwarze Augen, 1987) wurde er jeweils für den Oscar nominiert und trat anschließend mit Giallo napoletano (Leichen muss man feiern, wie sie fallen, 1979) in einem weiteren, ähnlich schelmisch gearteten giallo auf. In den 1980er und 90er Jahren war er noch immer ein sehr gefragter Schauspieler und starb 1996 im Alter von 72 Jahren.

Jacqueline Bisset übernimmt die Rolle der komisch desillusionierten Anna Carla Dosio, die sich durch einen grundsätzlichen Mangel an Empathie und Sensibilität auszeichnet. Die Mordermittlungen nimmt sie zu keiner Zeit richtig ernst, während sie auch nie übermäßig beunruhigt darüber zu sein scheint, dass sie auf der Liste der Verdächtigen ganz oben steht. Im Wesentlichen verkörpert sie den Inbegriff des unzufriedenen Gesellschaftsmenschen, der so in sein eigenes inneres Drama verstrickt ist, sodass er kaum Notiz davon nimmt, was um ihn herum vor sich geht. Ihre Interaktionen mit Santamaria tragen immens zum Humor des Films bei, da sich der Kommissar in sie verliebt und sie nur allzu gerne Kapital daraus schlägt. Bisset wurde 1944 in Surrey, England, geboren und spielte 1965 eine nicht im Abspann aufgeführte Rolle in Richard Lesters Komödie The Knack … and How to Get It (Der gewisse Kniff), bevor sie eine kurze, jedoch denkwürdige Rolle in Roman Polanskis bizarrer schwarzer Komödie Cul-de-sac (Wenn Katelbach kommt…, 1966) zugesprochen bekam. Bald darauf wurde sie an der Seite von Steve McQueen im legendären Verfolgungsjagd-Thriller Bullitt (1968) besetzt und sicherte sich somit einen Platz als eine der bekanntesten Sex-Ikonen dieser Zeit.

Bisset wollte jedoch nicht nur aufgrund ihrer attraktiven Erscheinung engagiert werden und suchte deswegen nach interessanten Rollen in Filmen von Regisseuren wie John Huston (Das war Roy Bean, 1972), François Truffaut (Die amerikanische Nacht, 1973) und Sidney Lumet (Mord im Orient-Express, 1974). Sie spielte die Hauptrolle in Peter Collinsons Remake von Das Geheimnis der Wendeltreppe (1975), das man bereits als so etwas wie einen Grenzgänger-giallo bezeichnen könnte und sorgte 2013 für Schlagzeilen mit ihrer Golden-Globe-prämierten Rolle in der Miniserie Dancing on the Edge. Jean-Louis Trintignant tritt in der Rolle des Massimo Campi auf, der ebenfalls zu den dringend Tatverdächtigen zählt. Insgesamt ist Campi als ein etwas sympathischerer Charakter als Anna Carla einzuordnen, doch auch er hat so seine ganz eigenen Macken. Er ist hoffnungslos darum bemüht seine Homosexualität zu verbergen, obwohl alle um ihn herum sich dessen nur allzu bewusst sind. Außerdem behandelt er seinen leidgeprüften Liebhaber Lello Riviera (Aldo Reggiani) so, als wäre der ihm peinlich. Campi witzelt viel und spielt die um ihn herum ausbrechende Gewalt herunter, wird aber grundsätzlich in einem positiven Licht dargestellt, zumindest im Vergleich zu den anderen Mitgliedern seiner Klasse, wobei Trintignants überzeugende Leistung dafür sorgt, dass er mit Leichtigkeit jede seiner Szenen stiehlt.

Der produktive Charakterdarsteller Claudio Gora spielt das Mordopfer, den Architekten Garrone, der einen fröhlichen, verabscheuungswürdigen Perversen repräsentiert. Er gafft jede Frau in Sichtweite an und unternimmt lüsterne Annäherungsversuche, weswegen es letztendlich Niemanden richtig überrascht, dass es ein schlechtes sowie verfrühtes Ende mit ihm nimmt. Trotz all dem gelingt es Gora seinen Charakter so farbenfroh darzustellen, sodass man es schon etwas bedauert Garrone so früh aus dem Film scheiden zu sehen. Gora ist einfach großartig als der perverse Architekt, der sich von seinen gewöhnlichen Rollen als spießige Autoritätspersonen vollkommen unterscheidet. Er wurde 1913 in Genua geboren, begann Ende der 1930er Jahre in Filmen aufzutreten und spielte später in Pietro Germis frühem Grenzgänger-giallo Un maledetto imbroglio (Unter glatter Haut, 1959) sowie in Umberto Lenzis Sette orchidee macchiate di rosso (Das Rätsel des silbernen Halbmonds, 1972, featuring Uschi Glas) mit. Außerdem tauchte er auch noch in so unterschiedlichen Filmen wie Dino Risis Il sorpasso (Verliebt in scharfe Kurven, 1962, in dem Trintignant die Hauptrolle spielt) und Camillo Mastrocinques Un angelo per Satana (Ein Engel für den Teufel, 1966), Mario Bavas Diabolik (Gefahr: Diabolik, 1968) sowie Damiano Damianis Confessione di un commissario di polizia al procuratore della repubblica (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert, 1971).

Er spielte sogar die Rolle des Erzverbrechers in Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse (1964) und drehte auch selbst eine Handvoll von Filmen, darunter Febbre di vivere (Die Lust des Bösen, 1953), der ihm einen Preis des italienischen Nationalen Syndikats der Filmjournalisten einbrachte. Zu den Schauspielern in der Besetzung dieses Films gehörte kein geringerer als Marcello Mastroianni. Claudio Gora starb 1998 im Alter von 84 Jahren. Regisseur Luigi Comencini wurde 1916 geboren, begann in den späten 1930er Jahren mit der Produktion von Dokumentarfilmen und wechselte dann in den späten 1940er Jahren in den Bereich der Spielfilme. Comencini erfreute sich großer Erfolge sowie kritischer Anerkennung und wurde unter anderem für drei Palme d’Or-Preise bei den Filmfestspielen von Cannes nominiert (für Incompreso / Der Unverstandene, 1967; Delitto d’amore / Verbrechen aus Liebe, 1974 und L’ingorgo / Der Stau, 1979). Er war ein sehr produktiver Filmemacher, blieb bis in die 1990er Jahre aktiv und starb 2007 im Alter von 90 Jahren. Die Sonntagsfrau sollte seine einzige Begegnung mit dem giallo bleiben.

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Director: Luigi Comencini
Actors: Marcello Mastroianni, Jacqueline Bisset
Language: Italian with English Subtitles
Studio:‎ Radiance

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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