Gewalt rast durch die Stadt / Verdammte, heilige Stadt / Roma violenta / Violent Rome

VHS – Edition

Rom hat mehr Gesichter als Touristen glauben. Die Polizei ist machtlos gegen brutale Gangster-Banden, die die Stadt terrorisieren. Polizei-Kommissar Berti führt einen gnadenlosen Kampf gegen die Kriminellen. Gewalt gegen Gewalt… (VPS-Video)

Kurzinhalt inkl. Spoiler !!!

Kommissar Berti von der römischen Polizei hat seinen 18-jährigen Bruder verloren, der von einem Verbrecher während eines Raubüberfalls grundlos erschossen wurde. Als ein sehr ähnlicher Vorfall in einem Bus stattfindet, greift Berti (Maurizio Merli) auf die Undercover-Cops Biondi (Ray Lovelock) und De Rossi (Giuliano Esperati) zurück, die als Bettler verkleidet Informationen sammeln und die Kriminellen identifizieren sollen. Die Aktion erweist sich als erfolgreich, weswegen der Kommissar die Täter verhaften kann, nachdem er sie gnadenlos verprügelt hat. Aufgrund seines übermäßigen Eifers sowie seiner gewalttätigen Methoden wird Berti aus dem Polizeidienst entlassen, nimmt allerdings das Angebot eines Anwalts namens Sartori (Richard Conte) an und wird Leiter einer Spezialeinheit von Vigilanten, die – dank der Erfahrungen, die der Kommissar über die Jahre im kriminellen Milieu sammeln konnte und den Informationen, die er noch immer durch seinen treuen Assistenten Biondi erhält – Chaos in der römischen Unterwelt anrichtet. Nachdem Biondi jedoch bei dem Versuch einen Banküberfall zu verhindern schwer verwundet worden ist, erkennt Berti, dass er den Pfad der Gewalt nicht weiter beschreiten kann, da dies nur noch zu mehr Gewalt führt.

Nur wenige Tage nach Mark il poliziotto kam ein weiterer Schlüsselfilm in der Geschichte der poliziotteschi heraus. Produziert von Edmondo Amati und unter der Regie von Marino Girolami (als Franco Martinelli gelistet), stellt Gewalt rast durch die Stadt ein recht offensichtliches Rip-off, eine Imitation von Enzo G. Castellaris La polizia incrimina la legge assolve (Tote Zeugen singen nicht, 1973) dar. Aus dem früheren Film wiederholte und erhöhte Gewalt rast durch die Stadt die Spektakulärisierung von Gewalt, die ausgeprägte Nutzung des städtischen Kontexts und was noch viel wichtiger ist, die Figur des rächenden Polizisten, der auf Castellaris Kommissar Belli (Franco Nero) basiert. Sogar der Nachname – Berti – ist beinahe identisch, ebenso wie das Aussehen des Helden. Kommissar Berti wird vom 35-jährigen Maurizio Merli gespielt, der seinem Charakter mit seinem kantigen Kinn, den blauen Augen und dem intensiven Blick die dringend benötigte Überzeugungskraft verleiht. Seine Verkörperung des rechtschaffenen Polizisten kam von ganzem Herzen und machte Berti – der noch in zwei weiteren Filmen, Napoli violenta (Camorra – Ein Bulle räumt auf, 1976, Umberto Lenzi) und Italia e mano armata (Cop Hunter, 1976, Marino Girolami), auftauchen sollte – somit zu dem Kommissar des italienischen Krimikinos schlechthin.

Die römische Unterwelt dieser Zeit füllte die Schlagzeilen der Zeitungen mit Berichten über Schießereien, Raubüberfälle und verschiedene Morde. Vincenzo Manninos Drehbuch zeigt ein ähnlich degeneriertes, unmenschliches großstädtisches Umfeld, mit einer Beharrlichkeit auf düsteren Tönen und einer programmierten Grobheit, die ihre Spuren hinterlässt. Kein Ort ist mehr sicher – Banken, Straßen, Restaurants, Busse. Diejenigen, die es wagen zu rebellieren, werden wie Hunde vor den Augen ihrer Familien abgeknallt. Aus Rom ist ein Niemandsland geworden, ein moderner Wilder Westen und Berti repräsentiert den Rächer, dessen Mission es ist das Unrecht zu korrigieren, indem er das Diktat der Bibel in die Praxis umsetzt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. „Wenn ich einen Verbrecher festnehme, gebe ich ihm seine gerechte Strafe und bis ich ihn festgenommen habe, gebe ich keine Ruhe“, bekundet er, wobei er eindeutig nicht übertreibt. Bertis Zorn ist fast als puritanisch zu bezeichnen, in seiner völligen Hingabe an moralische Prinzipien. Er ist ein einsamer Held ohne Wurzeln; er hat prekäre und oft frustrierende sentimentale Beziehungen zu starken sowie unabhängigen Frauen, während er tiefe Narben und unausgesprochene Wut aus seiner Vergangenheit in seinem Inneren verbirgt. In Gewalt rast durch die Stadt erfahren wir, dass sein Bruder brutal ermordet worden ist, während es in Cop Hunter sein Vater ist, der von einem minderjährigen Gangster getötet wurde. Berti ist ein Außenseiter, der seinen Job als Mission versteht: „Wo auch immer sie mich hinschicken, ist mir recht.“ Nachdem er aus seinem Job entlassen worden ist, trägt er noch immer seine Waffe unter seinem Mantel.

Gewalt rast durch die Stadt folgt keiner festen Gliederung, sondern zeigt eine Reihe von Vignetten, deren charakteristischer roter Faden aus der Porträtierung von Gewalt besteht. Eine solche rhapsodische Struktur betont eine Darstellung urbaner Aggressivität, die den Punkt ohne Wiederkehr überschritten hat. Die spektakulärste Sequenz des Films bekommt das Publikum nach circa der Hälfte des Flicks zu sehen: eine über sieben Minuten lange Verfolgungsjagd (die in jedem anderen Film der Höhepunkt gewesen wäre) gipfelt darin, dass Berti den hasserfüllten „Chiodo“ (John Steiner) erschießt und damit die zweite Hälfte des Films einleitet, wo der schießwütige Kommissar aus dem Polizeidienst entlassen wird. Gewalt rast durch die Stadt stellt dann einen der zweideutigsten und umstrittensten Charaktere des Genres vor, nämlich Sartori (Richard Conte), einen wohlhabenden Anwalt, der, genau wie Claudio Goras Figur in Umberto Lenzis L’uomo della strada fa giustizia (Manhunt in the City, 1975) eine Bürgerwehr zusammengestellt hat, um Eigentum, Recht und Ordnung verteidigen zu können.

Sartori repräsentiert eine ideologisch abstoßende Figur und wird von einem Schauspieler verkörpert, der bösartige Rollen gewohnt ist. Doch das Überraschende an Girolamis Film ist, was auch immer Sartoris obskurer Plan und seine Implikationen dahinter sein mögen (wenn es überhaupt welche gibt), wird von Manninos Drehbuch nie offengelegt, so dass sich Sartori am Ende als positiver Charakter entpuppt – ja sogar als Opfer, da seine einzige Tochter direkt vor seinen Augen vergewaltigt wird (von keinem geringeren als dem Lieblings-Sleazeball des Genres Luciano Rossi, während dessen Komplize das verstörte Elternteil spöttisch belächelt: „Schau nicht weg, schau zu, was er ihr antut!“). Diese Szene unterstreicht die Tendenz gewalttätige und sexuelle Exzesse zu vermischen, was zu einer der Hauptzutaten der poliziotteschi werden sollte. Gewalt in Form der Vergewaltigung (von Minderjährigen) kann als ein obligatorischer Bestandteil innerhalb eines Konzepts des Genrekinos beschrieben werden, das Exzesse und Übertretungen – und die daraus resultierende Einstufung „Unter 18 Jahren verboten“ – als Köder einsetzt, um ein Publikum anzulocken, das sich nach starken Emotionen sehnt, egal was auch immer.

Ähnlich umstritten ist Bertis Verhältnis zur Gewalt. Der Ex-Kommissar zögert nämlich nicht, als ihm angeboten wird Chef von Sartoris Bürgerwehr zu werden. Gegen Ende denkt er allerdings ganz anders: „Tatsache ist, dass man auf diese Art und Weise nicht für Gerechtigkeit sorgen kann, auch wenn die Versuchung groß ist“, vertraut er seinem besten und einzigen (?) Freund sowie ehemaligen Kollegen Bondi (Ray Lovelock) an, der nach dem Versuch einen Banküberfall zu verhindern gelähmt in einem Rollstuhl landet. Dabei handelt es sich um eine verwirrende, paradoxe Passage, da Berti gerade freigesprochen worden ist, nachdem er zwei Verbrechern in den Rücken geschossen hatte (was impliziert, dass Sartori ihn vor dem Gesetz unantastbar gemacht hat). Außerdem wird hier ein mehrdeutiges, seltsam abruptes Ende antizipiert: als Berti die Klinik verlässt, in der sein Freund untergebracht ist, wird er aus einem Hinterhalt erschossen. Das Publikum kann jedoch schnell erkennen, dass dies nur eine Halluzination Bertis oder vielleicht doch ein Omen gewesen ist. Jedenfalls endet der Film recht plötzlich mit einer Standbildaufnahme, in der Berti aus dem Krankenhaus kommt und auf die Straße tritt, während die Zuschauer unsicher über seine Zukunft zurückgelassen werden. Gewalt rast durch die Stadt ist (wie weiter oben bereits erwähnt) als ein weiteres recht offensichtliches Rip-off von Tote Zeugen singen nicht anzusehen, da Franco Neros Charakter in Castellaris Film eine ähnliche Vision von sich selbst hat, in den Rücken geschossen zu werden. Doch kommt es dabei zu einem hastigen Schluss, um eine Geschichte zu beenden, die keinen Anfang und auch kein richtiges Ende hat.

Dennoch ist die Schlusseinstellung des Streifens von großer Bedeutung, denn sie datiert nicht nur das tragische Schicksal voraus, das Berti am Ende der Trilogie erwartet, sondern bekräftigt zudem einen ausgeprägten Pessimismus (auf recht bittere Art und Weise), der über dem gesamten Genre schwebt. Früher oder später wird der Held besiegt werden. Das ist nur eine Frage der Zeit, denn das Missverhältnis zwischen Gut und Böse – eine allgegenwärtige, ziemlich bösartige Unterwelt – ist ganz einfach zu groß. Ein solcher Ausgang sollte in Bertis späteren filmischen „Abenteuern“, Camorra – Ein Bulle räumt auf und Cop Hunter, allerdings verweigert werden. Diese beiden Filme gestalten sich nämlich weniger düster und haben eher konventionelle Bösewichte zu bieten, verglichen mit dem namenlosen sowie omnipräsenten Verbrecherpack aus Gewalt rast durch die Stadt. Letztendlich wird die Prophezeiung des ersten Films jedoch Wirklichkeit, da Cop Hunter mit einem abrupten, willkürlichen, unerwarteten und unfairen Standbild endet, das Bertis Tod darstellt. Ein Ende, das in Bertis DNA steckt, wie ein emblematischer Austausch zwischen dem Kommissar und seiner Geliebten (Daniela Giordano) verdeutlicht: „Du weißt, geboren, um ein Polizist zu sein …“ „Ja, aber oft auch geboren, um als Polizist zu sterben.“

Mit seinem phänomenalen Erfolg (über zwei Milliarden Lire wurden eingespielt) machte der Film Merli zum Star. Dennoch gehört der Streifen definitiv nicht zu den besten des Genres. Ein Großteil dessen ist Girolamis Regieführung zuzuschreiben, die in den Actionszenen unbeholfen wirkt und durch einen übermäßigen Einsatz des Zoomobjektivs beeinträchtigt wird, das unbedingt jede intensive Dialogzeile oder jeden Gesichtsausdruck des Helden hervorheben muss. Ein Vergleich mit Merlis nächstem Film, Umberto Lenzis Roma a mano armata (Die Viper, 1976) macht den Unterschied noch deutlicher. Mit Gewalt rast durch die Stadt hatte die zentrale Phase (mit der Serialisierung des Helden) der poliziotteschi offiziell begonnen. Die meisten Plots zeichneten sich fortan durch eine fragmentarische Gliederung aus, die die Wiederholung gleicher Situationen von Film zu Film zuließ und die Austauschbarkeit von Charakteren und Erzählblöcken betonte. Darüber hinaus wurde die urbane Landschaft zum Hauptcharakter. Vor Gewalt rast durch die Stadt stellte Mailand die häufigste Präsenz in den Titeln von Actionfilmen und Film-Noir-Geschichten dar. In Girolamis Film hingegen wird die Stadt zu einem originellen Erkennungszeichen, zu einem Aufruf an das Publikum, das die Eintrittskarte bezahlt, um auf der Leinwand eine Darstellung derselben Gewalt zu sehen, die es in der Wirklichkeit tatsächlich erlebt. Aufgrund der Spektakulärisierung von Zeitungsschlagzeilen fungierten die Filme als Resonanzboden für Ressentiments, Wut sowie Ängste und exorzierten diese durch die Erschaffung einer Figur, die mit Maurizio Merlis Auftauchen für den durchschnittlichen Zuschauer sofort so erkennbar wurde, wie die Ikone Christi auf heiligen Bildern.

Gedanken zu Maurizio Merli

Maurizio Merli war zweifellos der italienische Clint Eastwood und zwar mehr als jeder andere poliziotteschi-Star wie zum Beispiel Enrico Maria Salerno (der dennoch sein Vorläufer gewesen ist), Franco Gasparri, Luc Merenda oder Marcel Bozzuffi. Im Gegensatz zu all diesen stellte Merli eine Art Institution dar, während sich sein Gesicht und seine unorthodoxen Methoden perfekt mit dem wiederkehrenden Charakter identifizierten, der zuerst in Umberto Lenzis und dann in Stelvio Massis Filmen zu sehen war. Obwohl er im Wesentlichen ein schweigsamer Idealist geblieben ist, den Ultragewalt und großstädtisches Chaos ärgerten, sah Merli nicht so aus wie die Verbrecher, gegen die er ermittelte, noch versuchte er mit ihnen zu fusionieren, wie Clint Eastwood oder Gene Hackman. Er konnte nicht einmal mit einem kulturell vielseitigen und alternativen Typus wie Steve McQueen oder Serpicos Al Pacino verwechselt werden. Maurizio Merli hatte ein offenes Lächeln, während ihm sein Schnurrbart ein reifes Aussehen einbrachte und zwar eher das eines aufrechten Beamten, als nur eines gutaussehenden Mannes. Er hatte ein Faible für wehrlose Kinder, griff Frauen und Männern guten Willens unter die Arme, Proletariern sowie Bürgerlichen gleichermaßen und knirschte vor Wut mit den Zähnen, bevor er ihnen die dringend benötigte Gerechtigkeit zukommen ließ.

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  • Artikel-Nr.: V21214
  • Bildformat: 1,78:1
  • Spielzeit: ca. 86 Min
  • Sprache: Deutsch
  • TV-Norm: PAL
  • Zustand: guter Zustand – Glasbox komplett (Einleger mal nass geworden)
  • FSK: ungeprüft
  • Tonformat Analog: Mono
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  • FSK-Logo:
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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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